Das zeigen die Polizei-Videos aus dem Ahrtal – Innenministerium veröffentlicht überraschend verpixelte Filme aus der Flutnacht

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Überraschende Wende am Dienstag: Nachdem die Landesregierung vergangenen Freitag noch die Veröffentlichung der brisanten Polizei-Videos aus der Flutnacht im Ahrtal abgelehnt hatte, nun die Wende. Am Dienstag wurden plötzlich Medienvertreter zu einem Termin geladen, auf dem die nunmehr verpixelten Videos gezeigt wurden. Darauf zu sehen: Das Ahrtal am 14. Juli 2021 zwischen 22.14 Uhr und 22.45 Uhr – komplett unter Wasser stehend. Zu sehen auch: Häuser in den Fluten und Menschen, die mit Taschenlampen um Hilfe rufen. Mainz& zeigt die Videos in leicht gekürzter Form, anders hätten wir die Daten mit unseren beschränkten Möglichkeiten nicht hochladen können.

Überflutung im oberen Ahrtal in der Flutnacht des 14. Juli 2021, aufgenommen von einem Hubscharuber der Polizei RLP. - Screenshot: gik
Überflutung im oberen Ahrtal in der Flutnacht des 14. Juli 2021, aufgenommen von einem Hubscharuber der Polizei RLP. – Screenshot: gik

Die Videos waren völlig überraschend Ende September im Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal aufgetaucht – nach mehr als einem Jahr. Weder die Mitglieder des Untersuchungsausschusses, noch die Staatsanwaltschaft kannten bisher die Videos, die noch in der Flutnacht selbst von einem Polizeihubschrauber gedreht wurden. Inzwischen ist klar: Der Hubschrauber dreht insgesamt sieben Videos zwischen 22.14 Uhr und sechs Uhr morgens – und zwar auf Bitten des Lagenzentrums im Innenministerium.

Die nun veröffentlichten Videos stammen aus einem Zeitraum zwischen 22.14 Uhr und 22.42 Uhr., sie zeigen die Lage im Ahrtal also kurz vor dem Dunkelwerden des 14. Juli. Und sie zeigen in aller Deutlichkeit, was sich an jenem Abend im Ahrtal abspielte: Das gesamte Tal stand kilometerweit unter Wasser – und zwar mehrere Meter hoch.

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Das erste Video setzt um 22.14 Uhr ein und zeigt offensichtlich zunächst den Überflug über einen Bereich zwischen den Orten Ahrbrück, Hönningen und Liers, bevor der Helikopter dann weiter nach Insul und Schuld fliegt – die Kirche von Insul ist deutlich zu erkennen. Auf der gesamten Länge ist zu sehen, wie das Ahrtal zu diesem Zeitpunkt bereits meterhoch unter Wasser steht. Viele Häuser stehen bis zum ersten Stock im Wasser, manche sogar bis zur Dachtraufe – und aus mehreren Fenstern sind Lichtzeichen mit Taschenlampen zu sehen, mit denen die Bewohner um Hilfe rufen.

Genau wegen dieser Lichtzeichen, wegen Menschen, die auf Häuserdächern und auf Balkonen zu sehen sind, hatte das Innenministerium argumentiert, man habe die Videos nicht öffentlich zeigen können – im Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal waren die Videos zunächst unter Ausschluss der Öffentlichkeit gezeigt worden.

Besonders gut ist die exakte Fluthöhe auf Teilen der Videos zusehen, die mit einer Wärmebildkamera gezeigt wurden – Polizeihubschrauber sind serienmäßig damit ausgestattet. Die nun veröffentlichten Videos aus der Flutnacht wechseln denn auch immer wieder zwischen der Wärmebild-Ansicht und der Realansicht, so etwa auf einem zweiten Video-Schnipsel, der die Burg Kreuzberg und Altenahr zeigt – auch hier steht bereits das komplette Tal mit seinen Häusern unter Wasser, aufgenommen um 22.33 Uhr.

 

Damit hatten die Polizeikräfte bereits in der Flutnacht spätestens zwischen 22.00 Uhr und 23.00 Uhr volle Kenntnis, dass es sich um eine Flutkatastrophe handelte, die keineswegs nur punktuell einige Orte betraf – sondern das gesamte Tal der Ahr. Dass die Katastrophe flächendeckend war, und dass sich gewaltige Wassermengen das Ahrtal hinunterwälzten, ist auf den Videos deutlich zu sehen – auch Wasser mit hoher Fließgeschwindigkeit ist auf den Bildern eindeutig auszumachen.

Lewentz: „Ja, ich hätte die Videos sehen wollen“

Geflutete Häuser im oberen Ahrtal Nähe Schuld in der Flutnacht des 14. Juli 2021, aufgenommen von einem Polizeihubschrauber. - Video: Polizei RLP, Screenshot: gik
Geflutete Häuser im oberen Ahrtal Nähe Schuld in der Flutnacht des 14. Juli 2021, aufgenommen von einem Polizeihubschrauber. – Video: Polizei RLP, Screenshot: gik

Innenministerium und Innenminister Roger Lewentz (SPD) hatten bisher hingegen stets betont, eine Flutwelle im Ahrtal sei in der Flutnacht nicht auszumachen gewesen, die Videos zeigen nun klar das Gegenteil. Lewentz betonte am Dienstag bei der Vorstellung der Videos erneut: „Mir lagen die Videos in der Nacht nicht vor.“ Dem Minister wurden um 23.46 Uhr hingegen drei Fotos zugeschickt, die von demselben Hubschrauberflug stammten – und die die überfluteten Orte Liers, Schuld und Altenburg zeigten.

Lewentz betonte am Dienstag zudem: Ja, er hätte diese Videos sehen wollen, wenn er von ihnen gewusst hätte. Im Vordergrund habe aber in der Nacht die laufende Lagebewältigung für die Polizei gestanden. Fotos und Lagebeobachtung der Hubschrauber-Staffel hätten aber sowohl das Polizeipräsidium Koblenz, als auch die ADD und das Lagenzentrum im Innenministerium erreicht – und darüber dann auch den Minister.

 

Damit ist klar: Lewentz hatte in der Flutnacht den vollen Kenntnisstand über die Lage im Ahrtal – trotzdem berief er keinen Krisenstab ein und informierte Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) erst gegen ein Uhr morgens. Doch auch jetzt noch verteidigte sich Lewentz: Selbst mit den Videos hätte er keine andere Lageeinschätzung gehabt – und in der Flutnacht nicht anders gehandelt.

„Hätten die Videos etwas geändert? Vermutlich nicht.“

„Sie werden sich nun vermutlich fragen: Hätte es in der Flutnacht etwas geändert, wenn ich die Videos gesehen hätte?“, sagte Lewentz am Dienstag, und betonte: „So traurig die Antwort heute, mit den Erfahrungen, Schilderungen, Bildern, alles was wir mittlerweile im Kopf haben, klingen mag. Die Antwort lautet dennoch: Vermutlich nicht. Vermutlich hätte es in der Nacht nichts geändert, wenn ich sie gesehen hätte.“

Auf den Videos seien schließlich auch keine eingestürzten Häuser, keine weggerissenen Brücken und keine zerstörte Bahnlinie zu sehen, verteidigte Lewentz seine Haltung – lediglich ein einzelnes weggeschwemmtes Auto, ein einzelner Gastank. Was die Fluten wirklich an Verwüstungen angerichtet hätten – das habe erst der darauffolgende Morgen gezeigt.

Allerdings zeigen die Videos auch Brücken, die beinahe komplett unter Wasser stehen oder – wie in Schuld – bereits geflutet und beschädigt sind. Sie zeigen ganze Fabriken und Betriebshallen, die unter Wasser stehen, und sie zeigen gleich Dutzendfach Menschen auf Häusdächern und Balkonen, die – eingeschlossen vom Wasser – mit Lichtzeichen um Hilfe flehen. In der Flutnacht im Ahrtal starben nach bisherigen Erkenntnissen 134 Menschen, zwei Personen sind bis heute vermisst. Ein Großteil – etwa 80 Menschen – davon kam nach 23.00 Uhr an der unteren Ahr zwischen Bad Neuenahr und Sinzig ums Leben.

 

Lewentz sagte zudem am Dienstag, die Videos zeigten ja auch, dass Rettungskräfte in großem Umfang im Einsatz seien – tatsächlich sind auf den Videos immer wieder auch Fahrzeuge mit blinkendem Blaulicht oberhalb der Ahr und entlang des Ahrtals zu sehen. Noch viel häufiger sind allerdings Lichtzeichen von Menschen auf Hausdächern oder aus Dachfenstern zu sehen, denen niemand hilft – oder ein in den Fluten treibendes Autos, dessen Innenraumbeleuchtung noch leuchtet.

Dutzende Lichtzeichen eingeschlossener Menschen im Ahrtal

Daraus könne nicht geschlossen werden, dass sich in dem Auto noch Personen befunden hätten, betonten Polizeivertreter am Dienstag. Der Polizeihubschrauber hatten mangels Windenausstattung nicht zur Rettung niedergehen können, Lewentz hatte deshalb morgens um kurz vor ein Uhr an Ministerpräsidentin Dreyer per SMS geschrieben:  „Unsere Hubschrauber flogen darüber, sahen Taschenlampenzeichen, konnten aber nicht herunter gehen – es gab wohl ganz traurige Szenen.“ Diese Szenen sind nun in den Videos zu sehen.

Lewentz sagte dazu am Dienstag: „Auch einem Innenminister, auch wenn ich es mir wünschen würde, ist es nicht per Knopfdruck möglich, bei diesen Wetterverhältnissen nicht-fliegende Hubschrauber zum Fliegen zu bringen, oder weiteres Gerät oder Kräfte in den Einsatz zu entsenden, wenn sämtliche Organisationen bereits alarmiert sind.“

 

Die Freien Wähler warfen derweil dem Innenminister „Salami-Taktik“ vor: die Scheibchenweise Veröffentlichung der Sachverhalte sei „für die Opfer der Flutkatastrophe wie auch für die Öffentlichkeit unerträglich“, kritisierte der Fraktionschef der Freien Wähler, Joachim Streit: „Zur Selbstverteidigung mag dieses zögerliche Verfahren opportun sein, politisch empfinde ich es als verwerflich.“

Bleibt auch nach Veröffentlichung der Polizeivideos massiv unter Druck: Innenminister Roger Lewentz (SPD). - Foto: gik
Bleibt auch nach Veröffentlichung der Polizeivideos massiv unter Druck: Innenminister Roger Lewentz (SPD). – Foto: gik

Die CDU fordert derweil weiter den Rücktritt des Innenministers: Lewentz könne sich „nicht länger der Verantwortung entziehen, sein Rücktritt ist unausweichlich“, betonte CDU-Landeschef Christian Baldauf. Der Minister habe die Inhalte der Videos gekannt, er habe von Menschen in Lebensgefahr „und ‚traurigen Szenen‘ gewusst“ – und trotzdem „sämtliche Hinweise auf die sich anbahnende Katastrophe am frühen Flutabend und in der Nacht ignoriert.“

„Entgegen seiner bisherigen Behauptung muss die Informationslage für ihn, für sein Ministerium sowie nachgeordnete Behörden klar gewesen sein“, betonte Baldauf. Wie Lewentz angesichts dessen „von nur ‚punktuellen Ereignissen‘ sprechen kann, ist nicht nachvollziehbar. Es gab eine sehr klare Lage: Menschenleben zu retten“, sagte Baldauf weiter: „Das hätte Lewentz sehen müssen. Seine Behauptung im Untersuchungsausschuss, die Situation sei nicht ansatzweise erkennbar gewesen, ist falsch.“

Am Donnerstag beschäftigt sich der Rechtsausschuss des Mainzer Landtags mit den Polizeivideos – kommende Woche sollen am 14. Oktober zu dem Thema im Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags mehrere Zeugen zu den Abläufen gehört werden, darunter auch die Hubschrauberpiloten.

Info& auf Mainz&: Wie die Polizeivideos im Untersuchungsausschuss aufschlugen, könnt Ihr ausführlich hier bei Mainz& nachlesen. Warum die Videos erst jetzt auftauchten, haben wir hier bei Mainz& nachgezeichnet. Die Erklärungen des Innenministeriums dazu könnt Ihr hier nachlesen.