Investor Gemünden sieht in einem möglichen Aus für den Karstadt auf der Mainzer Ludwigsstraße keinen K.O.-Faktor für das neu geplante Einkaufszentrum. „Wir würden nie nur eine Verwendung einplanen“, sagte Junior-Chef Tim Gemünden am Samstag bei der Vorstellung der Architektenentwürfe für den „Boulevard LU“ auf Mainz&-Frage. Das Konzept sei so variabel, dass man auf Entwicklungen im Handel flexibel reagieren könne, betonte Gemünden. Der Projektentwickler Molitor stellte am Samstag die Siegerentwürfe des Architekturwettbewerbs vor, Gemünden betonte dabei: Man halte trotz der Corona-Krise an dem Einkaufszentrum fest.
Das Einkaufszentrum auf der Ludwigsstraße hat eine lange Geschichte – es ist vor allem eine Geschichte von Pleiten, Pech und Pannen. Im Mai 2015 hatte sich Entwickler ECE endgültig von der Idee einer großen Shoppingmall an der Ludwigsstraße im Herzen von Mainz verabschiedet, dem war ein gut zehn Jahre langes Ringen um den Premiumstandort vorausgegangen. 2017 verkaufte der zum Otto-Konzern gehörende Entwickler von Großeinkaufszentren das Karstadt-Gebäude dann an die Gemünden-Firma Molitor – es war das endgültige Aus für eine Groß-Mall wie sie ECE in den Jahren zuvor in vielen anderen Städten hochgezogen hatte.
Schon im Juli 2014 hatte die Immobilien-Zeitung berichtet, das Geschäftsmodell der Mega-Einkaufszentren habe sich überholt, neue Center wie die Frankfurter Skyline Plaza kämen nicht mehr in Schwung – die Kunden blieben aus. Der Online-Handel ändere das Einkaufsverhalten dramatisch, eine Expansion sei da nicht mehr möglich, die Zeit großer Einkaufszentren sei möglicherweise vorbei. Trotzdem legte die Firma Molitor im März 2019 Pläne für ein Einkaufszentrum an der Ludwigsstraße mit rund 15.000 Quadratmeter Einkaufsfläche vor – geplant rund um den Ankermieter Karstadt.
Just am Samstag kündigte der Karstadt-Kaufhof-Konzern Galerie jedoch harte Einschnitte und Sparmaßnahmen an: Bis zu 80 der derzeitig 170 Warenhäusern könne die Schließung drohen, berichteten Medien wie etwa die Süddeutsche Zeitung – der Konzern könne die Hälfte seiner Häuser dicht machen. Die Coronakrise und der Shutdown haben die ohnehin seit Jahren in Schwierigkeiten taumelnde Warenhauskette in große Nöte gebracht, man verliere jede Woche mehr als 80 Millionen Euro Umsatz, bis Ende April wird sich der Umsatzausfall auf mehr als eine halbe Milliarde Euro summieren, teilte der Konzern Anfang April mit. Das Unternehmen flüchtete sich in ein Schutzschirmverfahren, man werde die Restrukturierung des Unternehmens fortsetzen und Galeria zukunftsfähig neu aufstellen.
Seit der Fusion der beiden großen deutschen Warenhausketten besitzt die Galeria in Mainz allerdings gleich zwei Häuser: Den Kaufhof an der Flachsmarktstraße und den Karstadt auf der LU. Dass sich der Konzern auf Dauer zwei Warenhäuser in Mainz leistet, glauben Experten schon seit Jahren nicht – die Coronakrise verschärft die Probleme jetzt noch: Am 16. März ging Deutschland in den Shutdown – und die Kunden nicht mehr vor die Tür. Die Läden mussten schließen, seither boomt der Online-Einkauf, und das werde auch so bleiben, befürchten Experten: Die Kunden hätten jetzt die Vorzüge des Einkaufens per Mausklick und der problemlosen Lieferung nach Hause erst so richtig entdeckt, manche zum ersten Mal – das werde das Online-Shopping auf Dauer stärken und den Innenstädten weiter schaden.
„Nein, das sehe ich nicht so“, sagte dazu am Samstag Mit-Gesellschafterin Tina Badrot auf Mainz&-Frage: „Ich glaube nicht, dass sich die Menschen daran gewöhnt haben, auf einen Gang in die Innenstadt zu verzichten.“ Während des Shutdown habe es „eine ganz wichtige Strömung“ gegeben, betonte Badrot, nämlich die Initiative, lokale und regionale Geschäfte mit seinem Einkauf zu unterstützen. Handelsflächen würden zudem in Zukunft wohl mehr „Showcasefunktion“ übernehmen für dahinterstehende, größere Online-Handelsangebote.
„Wir glauben fest daran, dass Einkaufen im EG und im 1. Stock funktioniert“, unterstrich auch ihr Bruder Tim Gemünden. Dazu plane man den neuen „Boulevard LU“ flexibel und anpassungsfähig, betonte der Ingenieur: „Wir müssen immer so konzipieren, dass es eine Drittverwendungsfähigkeit haben kann“, sagte Gemünden, „wir würden nie nur eine Verwendung einplanen.“ Natürlich schneide man das Konzept auf den derzeitigen Mieter zu, „aber immer mit dem Hintergrund, auf Änderungen reagieren zu können“, betonte Gemünden: „Der Händler kann sich ja auch überlegen, wie ändere ich mein Konzept, und etwa auf Shop-in-Shop umstellen.“
Damit verabschiedete sich Molitor de facto von der Ursprungsidee, das Einkaufszentrum rund um einen großen Ankermieter zu planen. In der Vergangenheit hatte es hingegen immer geheißen, Karstadt sei ein unverzichtbarer Kundenmagnet, der erst die Frequenz in das Gebäude bringe – mit diesem Argument waren einst unter anderem die großen Einzelhandelsflächen rechtfertigt worden. Nun verriet Senior-Chef Dirk Gemünden Mainz& am Rande der Veranstaltung, das Konzept setze deutlich mehr auf Kleinteiligkeit, eine Ankermieter-Funktion könne man auch mit Hilfe eines Lebensmittelmarktes erreichen.
„Weniger Handelsfläche bedeutet nicht weniger Angebot“, betonte auch Tim Gemünden, „wir haben jetzt viel weniger Handel und viel mehr Gastronomie und Hotel.“ Tatsächlich setzte das Konzept des „Boulevard LU“ von Anfang an deutlich mehr auf das Thema Erleben und Genuss: „Unser Dreiklang heißt Shoppen, Genuss und Kultur“, sagte der Geschäftsführer der Boulevard LU GmbH, Albrecht Graf von Pfeil, bei der Vorstellung der Pläne Ende März 2019 gegenüber Mainz&. Ein Mix aus Einzelhandel, Gastronomie und kulturellen Angeboten solle den Besuchern Lust machen, in der Stadt zu verweilen, Anziehungspunkte solle unter anderem eine Eingangshalle mit Popup-Stores sowie ein Restaurant samt Dachterrasse auf dem Dach des Gebäudes sein. „Wir grenzen uns eindeutig von dem Prinzip einer Einkaufs-Mall ab“, betonte von Pfeil im Gespräch mit Mainz&.
Diese Entwicklung wird nun offenbar durch die Corona-Pandemie noch einmal deutlich verstärkt: Ziel des Konzeptes sei es, dem Einzelhandel „etwas gleichberechtigt zur Seite zu stellen“, sagte Badrot: „Die Menschen habe gerade in der Zeit erkannt, wie schön das ist, in eine Stadt zu gehen und den Einkauf zu erleben, man muss jetzt hier einen Platz entwickeln, der das aufgreift. Wir glauben da ganz fest dran.“
Info& auf Mainz&: Das Konzept für den „Boulevard LU“ haben wir ausführlich hier in diesem Artikel dargestellt, mehr zum Architektenwettbewerb und seinem Ergebnis erfahrt Ihr natürlich auch hier bei Mainz& – ein ausführlicher Bericht mit vielen Fotos folgt.