Woran scheiterte die Warnung der Menschen im Ahrtal in der Nacht der Flutkatastrophe des 14. Juli 2021? Seit Monaten bewegt diese Frage die Menschen und die politische Landschaft in Mainz, nun kam ein weiterer Baustein ans Licht: Das Auslösen einer breiten Warnmeldung über das Modulare Warnsystem MoWas scheiterte – weil niemand ein Fax schickte. Das ist kein Witz: Weil kein Antrag auf Auslösen des Warnalarms gestellt wurde, löste am 15. Juli 2021 in der Integrierten Leitstelle in Koblenz auch niemand einen breiten Alarm aus. Das räumte nun das Mainzer Innenministerium auf Anfrage der Freien Wähler ein.
Etwas mehr als neun Monate ist es nun her, dass eine gigantische Flutwelle das Ahrtal hinabrauschte und 134 Menschen in den Tod riss – viele davon im Bereich Ahrweiler. Dabei baute sich die Welle im Ahrtal bereits seit den Mittagsstunden auf, Experten war spätestens ab 16.00 Uhr klar: Da braut sich eine Katastrophe zusammen. Trotzdem ging an jenem 14. Juli 2021 gerade im Raum Ahrweiler keine Warnung an die Menschen heraus, erst um 23.09 Uhr löste der Landkreis eine Warnung über die Warnapp Katwarn aus, einen Bereich von 50 Metern rechts und links der Ahr zu evakuieren – viel zu spät, viel zu wenig.
Die Warnapp Nina blieb indes ganz stumm, dabei ist Nina an das offizielle Warnsystem des Bundes und des Landes gekoppelt: MoWas, das Modulare Warnsystem. Mit ihm werde Warnungen über Brände, Hochwasser oder eben auch Evakuierungen ausgelöst und verschickt, und zwar sowohl an Medien wie Rundfunkanstalten oder über Warnapps an die Bevölkerung. Nun musste das Mainzer Innenministerium auf Anfrage der Freien Wähler ein räumen: MoWas wurde am 14. Juli 2021 nicht ausgelöst, Warnungen vor der Flut schlicht nicht verschickt.
Zuständig dafür wäre die Integrierte Leitstelle in Koblenz gewesen, und die war laut den Antworten der Kleinen Anfrage in jener Nacht mehr aus ausreichend besetzt: Alle neun vorgesehenen Einsatzleitplätze seien bereits in den Nachmittagsstunden des 14. Juli 2021 besetzt gewesen, heißt es in der Antwort – und diese „Maximalbesetzung“ sei wegen der aktuellen Lage auch in den Abend hinein aufrecht erhalten worden. Ja, so angespannt war die Lage offenbar, dass auch „die vorhandenen fünf Ausnahme-Abfrageplätze ab 17.30 Uhr besetzt“ wurden, heißt es weiter – insgesamt waren in jener Nacht 16 „Einsatz- und Ausnahme-Abfrageplätze“ besetzt.
Zu tun hatten die Eingesetzten genug: Hunderte Notrufe gingen in jener Nacht in der Integrierten Leitstelle in Koblenz ein, Notrufe verzweifelter Menschen aus dem Ahrtal – und sie schilderten den Mitarbeitern dramatische Szenen von steigenden Wassermassen, Menschen auf Hausdächern und weggerissenen Autos. Trotzdem lösten die dort Tätigen keinen Notruf über MoWas und damit auch nicht über die Warnapp Nina aus – der Grund: Es fehlte die schriftliche Aufforderung dazu.
Der Einsatzleiter vor Ort im Ahrtal hätte nämlich „eine unterzeichnete schriftliche Aufforderung in Form eines Vordrucks“ in die Integrierte Leitstelle schicken müssen – und zwar per Fax oder per Email. Alternativ wäre noch eine Meldung über einen MoWaS-Zugang möglich gewesen – gebraucht hätte es in jedem Fall eines. ein ausgefülltes Formular, und das kam nicht. „Formularangaben seien weder telefonisch noch per Fax oder per Mail erfolgt“, teilte das Innenministerium nun mit: „Insofern habe keine Berechtigung für die Integrierte Leitstelle bestanden, eigenständig Warnungen mittels MoWaS auszulösen“, das gelte analog auch für eine Katwarn-Warnung.
Neu ist das im Prinzip nicht: Schon eine Woche nach der Flutkatastrophe hatte der Oberbrandmeister der Mainzer Feuerwehr, Michael Ehresmann, in einem Interview gegenüber Mainz& genau das berichtet. Ehresmann hatte sich in einem Wut-Post auf Facebook seinem Frust über die nicht-funktionierenden Warnketten in Deutschland Luft gemacht, im Interview mit Mainz& hatte er dann erklärt: die Hürden, um eine sogenannte MOWAS-Warnung auslösen zu können, seien hoch.
„Ich muss vor Ort ein MOWAS-Formular per Hand ausfüllen und das an die Leitstelle faxen“, berichtete Ehresmann, “nur die Leitstelle kann sich in das System einloggen und den Alarm auslösen.” Die Leitstellen aber seien bei solchen Groß-Lagen „ohnehin über das Limit gefordert“, bis so eine Warnung dann wirklich rausgehe an Katwarn, Nina oder über die Sirenen – das dauere. Rote Telefone für Notfälle aber gebe es in den Leitstellen nicht.
Im Klartext: Um eine dringende Warnmeldung an die Bevölkerung auszulösen, müssen Feuerwehrleute erst einen Antrag schriftlich und von Hand ausfüllen, und diesen an die Leitstelle verschicken – und dann auf das Auslösen des Alarms warten. Und genau ein solches Formular wurde in der Flutnacht eben nicht verschickt – das Auslösen des Alarms fiel daraufhin aus, man hatte ja „keine Berechtigung“ dazu. Der Ablauf geht übrigens auf eine entsprechende Vorgabe des Mainzer Innenministeriums zurück, die am 15. Juli 2020 erlassen wurde. Eigenständige Warnungen der Bevölkerung durch die Leitstelle sind demnach nicht vorgesehen.
Die Freien Wähler (FW) zeigten sich entsetzt: Wie könne es denn „sein, dass man auf ein unterzeichnetes Fax aus Ahrweiler wartet, wenn zeitgleich wahnsinnig viele Hilferufe aus dem Krisengebiet eingehen“, fragte FW-Obmann im Untersuchungsausschuss, Stephan Wefelscheid, gegenüber der „Allgemeinen Zeitung“: Warum sei man in der Leitstelle nicht von alleine tätig geworden und habe mal nachgefragt? Es könne doch nicht sein, „dass das starre Einhalten ministerialer Vorgaben über dem gesunden Menschenverstand steht“, kritisierte Wefelscheid.
Die Freien Wähler wollen nun weitere Zeugen zu dem Vorgang vor den Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags laden – der Vorgang soll am 6. Mai Thema im Ausschuss sein.
Info& auf Mainz&: Mehr zum Ablauf der Flutnacht und der Stunden zuvor lest Ihr hier bei Mainz&. Das ganze Mainz&-Interview mit Ehresmann zum Thema „Warnen können wir nicht“, lest Ihr hier: