Nach der Flutkatastrophe an der Ahr kündigt der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) eine grundlegende Überprüfung des Katastrophenschutzes an – nötig ist das fraglos: Die Bevölkerung schnell und effektiv warnen – das könnten die Rettungskräfte nämlich nicht, schreibt der Oberbrandmeister der Mainzer Feuerwehr, Michael Ehresmann, auf Facebook. Mainz& hat mit Ehresmann gesprochen, seine differenzierte Analyse: Fehlendes Gerät, problematische Meldeketten, kein einheitliches Warnsystem, zu wenig Eigeninitiative. Und ein System, bei dem Warnmeldungen im Jahr 2021 gefaxt werden müssen…

Facebookpost des Mainzer Feuerwehrmanns Michael Ehresmann auf Facebook. - Screenshot: gik
Facebookpost des Mainzer Feuerwehrmanns Michael Ehresmann auf Facebook. – Screenshot: gik

Es war am, Tag 6 nach der Flutkatastrophe an Ahr, Mosel, Sauer, Prüm und den vielen anderen kleinen Flüssen, als sich Michael Ehresmann Luft machen musste. Auf seinem Facebook-Account postete der Oberbrandmeister von der Berufsfeuerwehr Mainz ein paar Gedanken zu dem, was er selbst im Einsatz im Katastrophengebiet erlebte – es wurde eine lange Liste gravierender Probleme: Keine Fahrzeuge für den Katastropheneinsatz, ein nicht funktionierender Digitalfunk, umständliche Meldeketten, veraltete Einsatzkonzepte, keine Übung im Umgang mit Großschadenslagen – und überhaupt kein Konzept zum organisierten Einsatz freiwilliger Helfer, wie sie gerade zu Tausenden an die Ahr strömen.

Der Post spiegele „mein subjektives Empfinden“, betont Ehresmann im Gespräch mit Mainz&, er wolle seine Zusammenfassung „als Anreiz und Diskussionsgrundlage“ verstanden sehen. Der 32-Jährige leitet den Mainzer Teil der Landesfacheinheit PuMa, zuständig für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei Großschadenslagen. Vergangene Woche war er selbst im überfluteten Stadtteil Trier-Ehrang im Einsatz, 30 Stunden lang im Führungsstab vor Ort. 4.048 Einsatzkräfte wurden von hier aus geführt, 22.000 betroffene Menschen rund um die Flüsse Kyll und Sauer betreut, berichtet der gebürtige Bad Schwalbacher.

- Werbung -
Werben auf Mainz&

 

Feuerwehrleute versuchen am 14. Juli in Trier-Ehrang Anwohner vor der Flut zu retten. - Foto: Stadt Trier via Twitter
Feuerwehrleute versuchen am 14. Juli in Trier-Ehrang Anwohner vor der Flut zu retten. – Foto: Stadt Trier via Twitter

„Wir sind da hingefahren, und ich war erst mal beeindruckt, wie gut das da lief“, sagt Ehresmann im Interview, „es waren nach wenigen Stunden alle Strukturen geschaffen, das war unfassbar professionell, das hat hervorragend funktioniert.“ Die örtlichen Einsatzkräfte hätten „Übermenschliches geleistet“, sie hätten Menschen und sich selbst gerettet, während gleichzeitig ihre eigenen Häuser unter Wasser standen und ihr eigener Ort zerstört wurde. „Es hat jeder persönlich alles getan, was er konnte“, sagte Ehresmann, „unser Problem sind die Strukturen.“

Das fange schon bei der Ausstattung an: „Wir haben zu wenig echte Katastrophenschutzfahrzeuge“, sagt Ehresmann mit Blick auf die Feuerwehren. „Es gibt nichts, mit dem man mal in irgendeine Überflutung oder doch mal durch ein Gestrüpp fahren kann.“ Fahrzeuge mit Geländegängigkeit habe es früher flächendeckend gegeben, Unimogs mit Wassertanks auf der Ladefläche etwa. „Die sterben jetzt langsam aus“, sagt Ehresmann – den Kommunen seien die Spezialfahrzeuge zu teuer, in einer Stadt wie Mainz brauche man solche Spezialfahrzeuge ja schließlich auch eher selten.

Einsatzzug der Mainzer Feue4rwehr kurz vor dem Ausrücken ins Katastrophengebiet. - Foto: Feuerwehr Mainz
Einsatzzug der Mainzer Feue4rwehr kurz vor dem Ausrücken ins Katastrophengebiet. – Foto: Feuerwehr Mainz

Das Problem dabei: Bei einer Flut wie sie am 14. Juli über Rheinland-Pfalz hereinbrach, waren die Helfer machtlos. „Dann wurde ein Brand gemeldet in einem Haus, wo noch zwei Menschen sind – und man kommt nicht hin, weil die Umgebung drei Meter unter Wasser steht“, beschreibt Ehresmann die Lage – ein Amphibienfahrzeug des THW sei die Rettung gewesen. In Trier-Ehrang stand zudem ein Krankenhaus unter Wasser, die Feuerwehr konnte das Haus nicht erreichen. „Wäre die Bundeswehr mit ihren Unimogs nicht da gewesen, wären die Leute im Altenheim tot. Punkt“, sagte Ehresmann. Auch bei der Kommunikation untereinander hake es: „Digitalfunk ist eine Katastrophe“, sagte Ehresmann, weil sich die örtlichen Kräfte aus verschiedenen Bundesländern untereinander nicht zusammengeschaltet bekämen, oder gar noch ohne Digitalfunk anrückten.

 

Kein einheitliches System für Warnung der Bevölkerung

Und dann das Thema Warnung der Bevölkerung: „Mit den Warnungen auf lokaler Ebene haben wir große Schwierigkeiten, weil es kein einheitliches System gibt“, sagt Ehresmann. Weder die Warn-App Katwarn noch Nina arbeiten flächendeckend in allen Regionen, mal nutzt eine Kommune die eine App, der Nachbar die andere. „Nina“ aber löste in der Flutnacht gar keine Warnung im Kreis Ahrweiler aus, über Katwarn wurde in der Flutnacht in Ahrweiler schließlich eine Meldung verbreitet, es solle ein 50 Meter breiter Streifen rechts und links der Ahr geräumt werden – um 23.09 Uhr, wie die Rhein-Zeitung berichtet. Da  stand das Wasser der Ahr bereits acht Meter hoch und mehr im Tal.

Michael Ehresmann, Oberbrandmeister der Feuerwehr Mainz. - Foto: Ehresmann
Michael Ehresmann, Oberbrandmeister der Feuerwehr Mainz. – Foto: Ehresmann

Die Warnungen vor Unwettern und Starkregen würden ohnehin „inflationär genutzt“, kritisiert Ehresmann weiter. Die Warnapp des Deutschen Wetterdienstes warne „vor jedem Regenschauer“, die Warnungen seien nicht konkret genug. „Wenn gewarnt wird, dann muss das eine echte Warnung sein“, betont der Oberbrandmeister, eine Warnung über die höchste Unwetterwarnstufe, wie sie am Mittwoch ausgelöst wurde, die müsse auch ankommen, „das darf nicht übersehen werden können.“

Andere Länder nutzen dafür das sogenannte Cell Broadcasting System, das auf jedes Handy in einer bestimmten Funkzelle eine Warnmeldung sendet – ohne dafür Daten der Nutzer kennen zu müssen. Länder wie die USA oder die Niederlande nutzen dieses Warnsystem sei Jahren, das jedes Handy anfunkt, nicht nur Smartphones. Deutschland hatte bisher eine Einführung dieses Systems als unnötig abgelehnt: Man habe ja seine eigenen Warnsysteme, hieß es hochmütig. Doch „Nina“ haben lediglich neun Millionen Nutzer in Deutschland überhaupt heruntergeladen, in der Flutnacht versagte das Warnsystem komplett – womöglich, weil der Landkreis keine Warnung über die App auslöste.

 

Sirenen gibt es oft gar nicht mehr

Innenminister Roger Lewentz (SPD) im September 2020 mit einer Sirene bei der Feuerwehr Mainz - kurz vor dem bundesweiten Warntag. - Foto: gik
Innenminister Roger Lewentz (SPD) im September 2020 mit einer Sirene bei der Feuerwehr Mainz – kurz vor dem bundesweiten Warntag. – Foto: gik

Sirenen aber gibt es vielerorts gar nicht mehr, oder sie wurden dazu benutzt, die Freiwillige Feuerwehr zum Einsatz zu rufen – als Warnung für die Bevölkerung wurde das vielerorts nicht verstanden. Tatsächlich bestätigte der Landrat des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler (CDU) nun nach tagelangem Schweigen gegenüber der Rhein-Zeitung, in seinem Kreis könne die Bevölkerung gar nicht über Sirenen gewarnt werden: „Die Integrierte Leitstelle in Koblenz kann gar keine flächendeckende Sirenenwarnung auslösen, da die digitale Alarmierungstechnik hierfür fehlt.“ Der Aufbau sei Aufgabe des Landes, das sei bisher nicht erfolgt. Zuvor hatte Innenminister Lewentz der Rhein-Zeitung gesagt, ein solcher Alarm hätte nur durch den Landrat ausgelöst werden können.

Ehresmann berichtet derweil, auch eine Feuerwehrleitstelle könne nicht einfach einen Alarm auslösen, die Hürden, eine sogenannte MOWAS-Warnung auslösen zu können, seien hoch: „Ich muss vor Ort ein MOWAS-Formular per Hand ausfüllen und das an die Leitstelle faxen“, berichtete Ehresmann, „nur die kann sich in das System einloggen und den Alarm auslösen.“ Die Leitstellen aber seien bei solchen Lagen „ohnehin über das Limit gefordert“, bis so eine Warnung dann wirklich rausgehe an Katwarn, Nina oder über die Sirenen – das dauere. „Wir brauchen rote Telefone“, fordert Ehresmann deshalb, prioritäre Leitungen, die für besondere Warnlagen frei blieben. Es dürfe einfach nicht sein, dass ein Lagezentrum in dringenden Fällen nicht erreichbar sei. Die Polizei habe das schon bei Amokläufen wie in Winnenden gelernt – umgesetzt wurde so etwas bisher aber nicht.

 

Große Einsatzlagen viel zu selten geübt

Michael Ehresmann bei einer Übung zum Thema Brand im Hechtsheimer Tunnel. - Foto: Ehresmann
Michael Ehresmann bei einer Übung zum Thema Brand im Hechtsheimer Tunnel. – Foto: Ehresmann

Und auch bei der schnellen Reaktion auf Großkatastrophen hakt es: Große Einsatzlagen würden viel zu selten geübt, kritisiert der 32-Jährige weiter: „Wenn wir im ‚Alltag‘ schon Schwierigkeiten haben, weil Leitstellen ausfallen, Strukturen durch ’normale‘ Großeinsätze an ihre Grenzen kommen, die IT schon kaum geht, haben wir genau keine Resilienz für dynamische Flächenlagen!“ Vor Ort gebe es „kaum Ressourcen“, uns sich um besondere Lagen kümmern zu können, sagt Ehresmann, ohne größere Strukturen auf Kreis- oder besser noch Landesebene werde es schwer, sich auf außergewöhnliche Lagen einzustellen. Es brauche noch mehr Landesfacheinheiten wie sie jüngst in Rheinland-Pfalz gegründet worden seien, betont er.

Die Einsatzkonzepte für Großschadenslagen stammten aber noch aus Zeiten, „wo noch jeder im Ort in der freiwilligen Feuerwehr war“, erklärt er – gerade an der Ahr stößt das gerade an alle Grenzen. Seit der Flut strömen Tausende von Helfern in das Katastrophengebiet, um anzupacken und aufräumen zu helfen, doch vor Ort ist meist niemand, der sie anleitet und einweist – und die staatlichen Organisationen stehen hilflos vor den Freiwilligen. „Es gibt dafür schlichtweg keine Struktur, das ist nicht eingeplant“, sagt Ehresmann. Die unausgebildeten Spontanhelfer seien in diesem System nicht vorgesehen, es gebe deshalb niemanden, der ihren Einsatz koordiniere.

Freiwillige Helfer in Dernau an der Ahr: Kein Konzept, die sinnvoll einzubinden. - Foto: gik
Freiwillige Helfer in Dernau an der Ahr: Kein Konzept, die sinnvoll einzubinden. – Foto: gik

„Natürlich sind die sinnvoll“, betont Ehresmann, hier gebe es „wertvolle Ressourcen“, die aber organisiert werden müssten. Das sei auch wichtig, weil die Spontanhelfer eben vielfach Gefahren nicht erkennen würden. „In Kordel mussten alle Helfer dekontaminiert werden, weil da große Mengen Heizöl im Wasser waren“, sagt Ehresmann, „selbst der Wald hat gestunken wie eine Tankstelle – das haben Selbsthelfer nicht auf dem Schirm.“

 

Selbsthilfekompetenz stärken, in Schulen und Kitas

Mehr Eigenverantwortung fordert Ehresmann aber auch von den Bürgern: „Wir haben auch eine Mentalität, dass man die Feuerwehr schon anruft, wenn nur ein kleiner Ast auf der Straße liegt“, sagt er. Die Sirenensignale kenne keiner, Warnungen vor Gefahren würden nicht ernst genommen. Katastrophenschulungen wären sinnvoll, findet er, es gebe tolle Konzepte und Lehrgänge, gerade auch in Kitas und für Schulen. „Die Selbsthilfekompetenz zu stärken und das System verständlich zu machen, das wäre sicher einer der Ansätze“, sagt Ehresmann. Sein Fazit: Effizienz und Effektivität müssten besser werden, „JEDE Vorbereitung zahlt sich aus, jeder Gedanke im Vorhinein spare in der Lage Zeit und Chaos.“

Innenminister Lewentz kündigte nun gegenüber der Rhein-Zeitung an, den gesamten Katstrophenschutz neu anzugehen: Warnsysteme, Alarmierung, technische Ausstattung mit sicheren Funksystemen, „das Ganze kommt auf den Prüfstand“, sagte Lewentz. Und der Innenminister fordert ein länderübergreifendes Katastrophenschutzzentrum, etwa analog zum gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum des Bundes – in der Innenministerkonferenz sei darüber bereits vor Wochen gesprochen worden.

Info& auf Mainz&: Mehr zum Thema: „Wer warnte die Bevölkerung im Ahrtal?“ könnt Ihr auch hier bei Mainz& nachlesen. Den ganzen Post von Michael Ehresmann mit der vollständigen Analyse konnten wir hier gar nicht wiedergeben, Ihr könnt ihn hier auf Facebook im Original nachlesen.

HINTERLASSEN SIE EINEN KOMMENTAR

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein