In der Flutnacht im Ahrtal blieb die Warn-App Nina stumm, während die Partner-App Katwarn insgesamt drei Meldungen rausschickte – das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katstrophenhilfe (BBK) betont nun: „Für die Warn-App NINA existiert seit Jahren eine funktionierende Testumgebung.“ Die im Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags erhobenen Vorwürfe gegen das BBK seien falsch. Doch ausgeräumt sind die Vorwürfe damit nicht – die Parteien in Mainz sehen gravierende Mängel, die SPD schimpft hingegen, das sei „am Rande eines handfesten Skandals“.

Der Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Flutkatastrophe im Ahrtal deckt immer neue Versäumnisse auf - auf allen Ebenen. - Foto: gik
Der Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Flutkatastrophe im Ahrtal deckt immer neue Versäumnisse auf – auf allen Ebenen. – Foto: gik

Vergangene Freitag hatten Verantwortliche der Warn-App Katwarn im Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Flutkatastrophe im Ahrtal schwere Vorwürfe gegen das Bundesamt für Bevölkerungsschutz – kurz: BBK – und seinen damaligen Präsidenten Armin Schuster erhoben. Zwischen Katwarn und Nina gebe es eigentlich einen automatischen Austausch, damit Katwarn-Meldungen automatisch auch bei Nina ausgespielt würden, erklärte Daniel Faust, Gesamtprojektleiter für Katwarn, dem Ausschuss – doch genau das habe am 14. Juli nicht funktioniert.

Schuld sei ein technischer Fehler gewesen, der bei Änderungen im System entstanden sei – doch aufgefallen sei das niemanden, sagte Faust weiter. Der Grund: die Katwarn-Verantwortlichen hätten keine Möglichkeit, Testnachrichten über das System auch an Nina zu verschicken: „Wir haben keine Möglichkeit, diese Dinge zu testen“, betonte Faust. Es gebe im BBK schlicht für die App Nina keine „Staging Umgebung“, also eine Testumgebung für das System. Faust sowie zwei andere Katwarn-Verantwortlichen erklärten zudem übereinstimmend: Das Problem sei dem BBK seit 2017 bekannt, man habe immer wieder darauf hingewiesen – doch im BBK habe niemand reagiert, geschweige denn den Fehler beseitigt.

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Das BBK wies nun die Vorwürfe empört zurück: Man habe „auf Anfragen und Anforderungen“ der für Katwarn zuständigen Firma „CombiRisk“ zur Weiterleitung von Hochwassermeldungen des Landesamtes für Umwelt Rheinland-Pfalz „jederzeit pünktlich reagiert“, betont das BBK in einer Mitteilung. Die Übertragung der Meldungen sei von CombiRisk „erstmals im September 2021 zur Sprache gebracht worden, nach der Flut im Ahrtal“, heißt es, und weiter: „Für die Warn-App NINA existiert seit Jahren eine funktionierende Testumgebung.“

Armin Schuster, heute Innenminister in Sachsen, als BBK Präsident 2020. - Foto: ASBT2018 via Wikipedia
Armin Schuster, heute Innenminister in Sachsen, als BBK Präsident 2020. – Foto: ASBT2018 via Wikipedia

Das Thema ist für das BBK durchaus brisant, steht das Bundesamt doch seit Längerem in der Kritik, uneffektiv zu arbeiten und nicht wirklich den Katastrophenschutz in Deutschland voran zu bringen. Zum Desaster wurde vollends der bundesweite Warntag im September 2020: Anstatt der Bevölkerung eine funktionierende Warnkette mit Sirenentönen und anschlagenden Warn-Apps zu präsentieren, heulten Sirenen gar nicht oder nur mit 20-minütiger Verspätung, die Warn-Apps blieben meistens ganz stumm. Seither hat kein weiterer Warntag mehr stattgefunden, weil das System erst verbessert werden sollte.

Dazu kommt: BBK-Präsident Schuster – ein CDU-Mann – wurde gerade erst Ende April überraschend Innenminister in Sachsen, als Nachfolger des seit Jahren umstrittenen  Roland Wöller (CDU). Für Schuster kommt die Ahrtal-Geschichte deshalb zur Unzeit – auch, weil er noch als BBK-Chef selbst vor dem Untersuchungsausschuss vollmundig verkündet hatte, mögliche Fehler seien erkannt und beseitigt worden. Schusters Aussage vor dem Ausschuss sei „vor dem Hintergrund der heutigen Erkenntnisse extrem fragwürdig“, wetterte deshalb der Obmann der SPD im Untersuchungsausschuss, Nico Steinbach.

 

„Man muss sich das vorstellen: Ein Instrument, das Leben retten soll, wurde nicht ausreichend getestet“, betonte Steinbach, das sei „ein unerhörter und nach Aussage des Zeugen Arno Vetter einmaliger Zustand.“ Alle anderen Kooperationspartner von Katwarn hätten solche Testmöglichkeiten gewährleistet, das BBK hingegen sei schon 2017 auf die Notwendigkeit einer Testung der Vorgänge hingewiesen worden – offenbar ohne Folgen. Das sei „unvorstellbar, und am Randes eines handfesten Skandals“, schimpfte Steinbach: „Ich finde, Herr Schuster wird erklären müssen, warum dieses Problem offensichtlich ignoriert wurde, und warum dieser Fehler offenbar bis heute nicht abgestellt wurde.“

Die Warn-App Katwarn wurde vom Fraunhofer Institut im Auftrag der Versicherungswirtschaft entwickelt. - Foto: Katwarn
Die Warn-App Katwarn wurde vom Fraunhofer Institut im Auftrag der Versicherungswirtschaft entwickelt. – Foto: Katwarn

Beim BBK betont man hingegen, Faust als Vertreter der Firma CombiRisk habe mit einer Mail vom 9. September 2021 „das BBK erstmals darauf aufmerksam gemacht, dass er vom Landesamt für Umwelt Rheinland-Pfalz (LfU) beauftragt wurde, Hochwassermeldungen für kleinere Flüsse, direkt von KatWarn an die Warn-App Nina zu steuern, damit beide Apps gleichzeitig warnen können.“ BBK und KatWarn hätten „daraufhin die nötigen technischen Voraussetzungen geschaffen und am 8.12.21 einen Test durchgeführt, bei dem das LfU eine Warnung an die Apps ausgespielt hat.“

Bei der Testbelieferung des LfU an die Systeme von KatWarn und NINA seien an zwei Punkten der Übertragungsstrecke Fehler aufgetreten, zunächst bei Katwarn, dann bei NINA. Die Fehlkonfiguration auf Seiten des NINA-Backends habe das BBK „noch am gleichen Tag behoben“, betont die Behörde, und schlägt nun ihrerseits zurück: „Seitdem wartet das BBK auf eine Rückmeldung seitens CombiRisk und auf eine Wiederholung des Tests.“ Im Februar habe man per E-Mail erfragt, ob auch der Fehler seitens KatWarn behoben sei, „eine Antwort steht bis heute aus.“ CombiRisk habe dem BBK stattdessen mitgeteilt, eine Testumgebung stehe frühestens im März, dann sogar erst Mitte April zur Verfügung.

 

In seiner Stellungnahme geht das BBK allerdings nicht auf die Aussagen ein, wonach das Problem der fehlenden Test-Schnittstelle schon seit 2017 gegenüber dem BBK immer wieder angemahnt wurde. Gleich drei Zeugen sagten dies übereinstimmend und mit unterschiedlichen Details vor dem Untersuchungsausschuss aus – das ist keine Kleinigkeit: Ein Untersuchungsausschuss ist per Gesetz einer Gerichtsverhandlung gleichgestellt, Zeugen werden vor ihrer Aussage belehrt, dass sie die Wahrheit zu sagen haben – ein Verstoß dagegen kann schwere strafrechtliche Konsequenzen haben und sogar mit Gefängnis geahndet werden. Dass gleich drei Zeugen vor einem so gewichtigen Gremium die Unwahrheit sagen, ist zumindest unwahrscheinlich.

Bei der Flutkatastrophe im Ahrtal starben 134 Menschen, Tausende Häuser wurden beschädigt. - Screenshot: gik
Bei der Flutkatastrophe im Ahrtal starben 134 Menschen, Tausende Häuser wurden beschädigt. – Screenshot: gik

Vor allem Arno Vetter, zuständiger Abteilungsleiter für Katwarn bei der Sparkassenversicherung Kommunal, hatte vor dem Ausschuss ausgeführt, man habe das Thema Testläufe „von Anfang an“ mit dem BBK zu besprechen versucht, aber „die Gespräche mit dem BBK waren oftmals sehr zäh und wenig zielführend.“ Sogar mit zwei Bundesinnenministern habe er über dieses Thema gesprochen, sagte Vetter weiter: mit Thomas de Maizière (CDU) und dessen Nachfolger Horst Seehofer (CSU), beide hätten „Unterstützung zugesagt“ – passiert sei indes nichts: „Das hat BBK nicht von ihrer Philosophie abgehalten“, sagte Vetter wörtlich.

Auffallend ist denn auch, dass das BBK in seiner Stellungnahme auf die Historie seit 2017 überhaupt nicht eingeht, sondern sich lediglich auf das Jahr 2021 konzentriert – und auf Vorgänge, die alle nach der Flutkatastrophe liegen. Auch schließt der Hinweis auf die Email vom September überhaupt nicht aus, dass es schon frühere Hinweise gegeben haben könnte – dann eben nicht mit Bezug auf das Landesamt für Umwelt und „kleinere Flüsse“, sondern in anderen Zusammenhängen. Auch die Frage, ob mit der „Testumgebung“ des BBK dasselbe gemeint ist wie mit einer „Staging Umgebung“, beantwortet die Stellungnahme des BBK nicht.

 

Eine „Staging Umgebung“ ist eine komplett gespiegelte Zweitversion des Originalsystems, für die erheblich zusätzlicher Speicherplatz nötig ist. Faust hatte im Ausschuss gesagt: ein Wechsel des technischen Betreibers mache nun den Aufbau einer solchen Staging-Umgebung im BBK möglich. Das könnte bedeuten: Im BBK war zuvor womöglich nicht genügend Speicherplatz für eine komplette zweite, gespiegelte Vollversion vorhanden – und damit auch nicht die Möglichkeit, Systemtests in Echtzeit mit Test-Warnmeldungen durchzuführen.

Was wusste die Landesebene mti Innenminister Roger Lewentz (SPD) über die Funktionstüchtigkeit der Warnapps? - Foto: gik
Was wusste die Landesebene mti Innenminister Roger Lewentz (SPD) über die Funktionstüchtigkeit der Warnapps? – Foto: gik

„Wenn in der Katastrophennacht die Übertragung der Warnungen von Katwarn auf Nina versagt haben sollte, weil die App vorher nicht hinreichend getestet wurde, tragen die zuständigen Stellen auf Bundesebene eine Mitverantwortung für die Folgen“, kritisiert denn auch der stellvertretende AfD-Obmann im Ausschuss, Jan Bollinger, nach der Sitzung. „Spätestens der katastrophal fehlgeschlagene ‚Warntag 2020‘ hätte allen Beteiligten die zwingende Erforderlichkeit aufzeigen müssen, zur Verbesserung der Warn-App keine Mühen zu scheuen“, betonte Bollinger weiter, und kündigte an: „Wir werden auch prüfen, inwiefern der Sachverhalt zu KATWARN und NINA auf Landesebene bekannt war.“

Und auch die Freien Wähler schimpften, dass den Verantwortlichen im BBK „schon seit 2017 bekannt ist, dass die WarnApp NINA nicht getestet werden kann, ist skandalös!“ In der Flutnacht habe NINA nicht funktioniert, Menschen seien deshalb nicht gewarnt worden. „Dieser technische Fehler wäre aber vermeidbar gewesen, wenn NINA auf seine Einsatzfähigkeit getestet worden wäre“, betonte Obmann Stephan Wefelscheid: „Dass das nicht so war, dafür trägt das BBK die Verantwortung.“ Es sei deshalb angebracht, Schuster zu diesem Vorgang erneut im U-Ausschuss zu hören. Man wolle auch wissen, „ob dieses Defizit auch dem Bundesinnenministerium bekannt war“, fügte er hinzu.

Info& auf Mainz&: Einen ausführlichen Bericht, was im  Untersuchungsausschuss zum Thema NINA-Warnapp und Katwarn gesagt wurde, könnt Ihr noch einmal hier bei Mainz& nachlesen:

Warum die Warnapp Nina im Ahrtal nicht warnte: Katwarn-Betreiber erheben im Ausschuss in Mainz schwere Vorwürfe gegen Bundesamt BBK