Als am 14. Juli 2021 eine riesige Flutwelle durch das Ahrtal rauschte, bleib die Warnapp Nina stumm – nun kam heraus: Schuld war ein technischer Fehler, der die automatische Weiterleitung der Warnmeldungen von der Warnapp Katwarn in die App Nina verhinderte. Aufgefallen war das indes niemandem – es gebe keine Möglichkeit, das korrekte Ausspielen von Warnmeldungen bei Nina zu kontrollieren, sagte nun der zuständige Leiter der Warnapp Katwarn im Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags. Das Problem bestehe seit Jahren, das Bundesamt für Katastrophenschutz (BBK) habe das Problem nie abgestellt. Mehr noch: Bis heute könne man nicht garantieren, dass Hochwasser-Warnmeldungen korrekt ausgespielt würden.

Innenminister Roger Lewentz (SPD) vor dem bundesweiten Warntag bei der Mainzer Feuerwehr. - Foto: gik
Innenminister Roger Lewentz (SPD) vor dem bundesweiten Warntag bei der Mainzer Feuerwehr. – Foto: gik

Es war am 10. September 2020, als pünktlich um 11.00 Uhr die Bevölkerung in Deutschland gewarnt werden sollte – der bundesweite Warntag sollte die bestehenden Warnsysteme „bekannter machen“ und testen, stattdessen wurde es ein Desaster: Sirenen heulten mit Verspätung los, und auch die Warnapps auf den Handys blieben vielerorts komplett stumm. Nun berichteten die Zuständigen für die Warnapp Katwarn im Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal: Die Koordination zwischen den Warnapps Katwarn und Nina funktioniert schon seit Jahren nicht – und eine Möglichkeit, das System auf Fehler zu testen, gibt es schlicht nicht.

In Deutschland gibt es zwei Warnapps, die bundesweit die Bevölkerung mit Warnungen im Katastrophenfall versorgen sollen: 2009 entwickelte das Fraunhofer Institut in Kaiserslautern auf Bitten der Versicherungswirtschaft hin das Warnsystem Katwarn, das seit 2010 per Handyapp auf dem Smartphone vor Hochwasser, Atomunfällen oder auch beim Ausfall der Trinkwasserversorgung warnt. Im Juni 2015 kam die Warnapp Nina hinzu, entwickelt im Auftrag des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) – seither gibt es in Deutschland zwei konkurrierende Systeme.

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Besonders verwirrend für den Benutzer ist dabei, dass verschiedene Kreise und Städte verschiedene Systeme nutzen. So spielt etwa die Stadt Mainz ihre Warnmeldungen nur über Nina aus, weil das System für die Kommunen billiger ist, andere Kommunen – wie etwa der Kreis Ahrweiler – nutzen hingegen Katwarn. Vielen Bewohnern ist das aber nicht bewusst, zwischen den Katwarn-Betreibern und dem BBK war deshalb vereinbart worden, dass gerade Hochwasser-Warnmeldungen, die in Katwarn ausgegeben werden, automatisch auch in Nina ausgespielt werden – so weit jedenfalls die Theorie.

Die Warnapp Katwarn, entwickelt vom Fraunhofer Institut in Kaiserslautern. - Foto: Katwarn
Die Warnapp Katwarn, entwickelt vom Fraunhofer Institut in Kaiserslautern. – Foto: Katwarn

In der Praxis aber funktionierte das im Jahr 2021 über mehrere Monate hinweg nicht, das bekamen die Menschen im Ahrtal in der Nacht des 14. Juli zu spüren: Zwei Warnungen vor schwerem Hochwasser wurden am 14. Juli 2021 um 14.34 Uhr und um 19.35 Uhr über Katwarn ausgespielt, um 23.09 Uhr verbreitete der Landkreis Ahrweiler dann eine Aufforderung, einen Streifen von 50 Metern rechts und links der Ahr zu evakuieren – viel zu spät und viel zu wenig. Zu diesem Zeitpunkt war bereits eine meterhohe Flutwelle durch das Ahrtal gerauscht und hatte Häuser, Brücken und am Ende 134 Menschenleben mit sich gerissen.

 

Doch: keine einzige dieser Katwarn-Meldungen wurde auch über Nina ausgespielt, die Warnapp blieb stumm – gemerkt hatte das indes niemand. „Wir haben keine Möglichkeit zu testen, ob unsere Katwarn-Meldungen über Nina auch rausgehen“, sagte Daniel Faust, Gesamtprojektleiter für Katwarn, am Freitag vor dem Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags. Schuld sei am 14. Juli ein technischer Fehler gewesen: „Die Meldungen wurden technisch nicht übertragen“, sagte Faust, die Ursache dafür sei eine Änderung gewesen, die das Team für die Hessen-eigene Warnapp „Hessenwarn“ umsetzen sollte – dabei sei der technische Fehler entstanden.

Die Warnapp Nina, entwickelt im Auftrag des Bundesamtes für Katastrophenschutz (BBK). - Fotos BBK, Collage: Mainz&
Die Warnapp Nina, entwickelt im Auftrag des Bundesamtes für Katastrophenschutz (BBK). – Fotos BBK, Collage: Mainz&

Hessen habe den Wunsch gehabt, dass man in der „Hessenwarn“-App die Hochwasser-Warnungen von Hand als Nutzer ausschalten könne, dabei sei der technische Fehler mit Nina entstanden. Aufgefallen sei das aber nicht, „weil wir keine Möglichkeit haben, diese Dinge zu testen“, sagte Faust, und betonte auf erstaunte Nachfrage des Ausschussvorsitzenden Martin Haller (SPD) explizit: „Wir haben bisher keinerlei Optionen, wenn wir Veränderungen vornehmen, zu überprüfen, ob das auch funktioniert.“

 

Erst bei einem Echtzeittest am 8. Dezember 2021 sei aufgefallen, dass die Weitergabe der Warnmeldungen von Katwarn an Nina nicht funktioniere, berichtete der Experte weiter: „Da konnten wir dann den Fehler, der in Ahrweiler bestand, korrigieren.“ Die Ursache liege im Bundesamt für Katastrophenschutz (BBK): Dort gebe es bis heute keine sogenannte „Staging Umgebung“ für Nina, also kein System, mit dem man die Funktionsfähigkeit auf einer zweiten Ebene überprüfen könne.

Die Flutwelle im Ahrtal riss am 14. Juli auch Brücken und Häuser hinweg. - Foto: Polizei
Die Flutwelle im Ahrtal riss am 14. Juli auch Brücken und Häuser hinweg. – Foto: Polizei

Eine Staging Umgebung sei eine Art identisches Zweit-System als Spiegel des Originals, in dem man testen könne, ob alle Abläufe funktionierten, erklärte Faust den Abgeordneten weiter – eigentlich sei es ein Grundprinzip, dass jedes größeres System eine Staging Umgebung für Tests habe. Bei Katwarn fänden etwa regelmäßige Testmeldungen statt, „die wir in das System hineingeben, um zu schauen, ob alles funktioniert“, sagte Faust weiter. Bei Nina aber existiere diese Möglichkeit bis heute nicht, angemahnt habe man das gegenüber dem BBK vom Beginn an, also bereits seit Jahren.

Auch der Vertreter der Versicherungswirtschaft, Arno Vetter, zuständiger Abteilungsleiter für Katwarn bei der Sparkassenversicherung Kommunal bestätigte, man habe das Thema Testläufe von Anfang an mit dem BBK zu besprechen versucht, aber „die Gespräche mit dem BBK waren oftmals sehr zäh und wenig zielführend“, sagte Vetter. Man habe sogar mit zwei Bundesinnenministern über dieses Thema gesprochen , sagte Vetter weiter, mit Thomas de Maizière (CDU) und dessen Nachfolger Horst Seehofer (CSU), beide hätten „Unterstützung zugesagt“ – passiert sei indes nichts: „Das hat BBK nicht von ihrer Philosophie abgehalten“, sagte Vetter.

 

Stattdessen beschwerte sich der damalige BBK-Präsident Armin Schuster nach der Katastrophe im Ahrtal offenbar bei den Katwarn-Verantwortlichen und forderte sie auf, nicht zu verbreiten, dass die Warnmeldungen zwar über Katwarn herausgingen, nicht aber über Nina. „Nina hat ja nicht funktioniert, und das war nicht in seinem Sinne, dass wir sagten: Unsere Warnungen sind alle rausgegangen“, berichtete Vetter: „Man stand als BBK nicht ganz so gut da.“ Das Ansinnen Schusters habe er indes abgelehnt.

Ausgespielte Nina-Warnungen am bundesweiten Warntag im September 2020: In Rheinland-Pfalz schon damals so gut wie keine Warnung. - Foto: gik
Ausgespielte Nina-Warnungen am bundesweiten Warntag im September 2020: In Rheinland-Pfalz schon damals so gut wie keine Warnung. – Foto: gik

Damit würden Fehler im aktuellen System also „erst bemerkt, wenn es im Ernstfall nicht funktioniert“, wollte Ausschussvorsitzender Haller daraufhin noch einmal klargestellt haben – Faust bejahte. „Es steht ja wie ein rosa Elefant im Raum, dass sich diese Fehler wiederholen können“, merkte Haller daraufhin an. „Ich kann bei Hochwasser-Meldungen auch jetzt nicht garantieren, dass es funktioniert“, bestätigte Faust ausdrücklich. Nach seinen Informationen wolle das BBK wohl jetzt eine solche Testumgebung entwickeln, innerhalb dieses Jahres solle das nun entwickelt werden – ein Wechsel des technischen Betreibers mache das möglich.

Brisant sind diese Vorgänge gleich aus mehreren Gründen: Zum einen hatte Deutschland über Jahre hinweg die Einführung eines allgemeinen Warnsystems über SMS auf jedes Handy abgelehnt, das sogenannte Cell Broadcasting ist in den meisten anderen europäischen Ländern längst Standard. In Deutschland lehnte man die Einführung aber als unnötig ab – mit Verweis auf die existierenden Warnapps. Die aber müssen von den Benutzern aktiv auf ihre Handys geladen und aktiviert werden, sie funktionieren zudem nur auf Smartphones – die Warnapp Nina etwa nutzen derzeit lediglich rund 8,8 Millionen Menschen.

 

Der damalige BBK-Präsident Schuster hatte im Vorfeld des Warntags noch geklagt, es sie die Bevölkerung, die sich mehr um die Katastrophenvorsorge kümmern müsse – Warnungen würden oft einfach nicht ernst genommen. Nun stellt sich heraus: Dass die Warnapps nicht zuverlässig funktionieren, konnte man bereits seit Jahren wissen – und fiel spätestens beim desaströsen Warntag 2020 auf. Dabei hatte der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) noch im Vorfeld des Warntags explizit betont, beide Warnapp-Systeme hätten sich bewährt und funktionierten gut miteinander.

Trümmerlandschaft in Kreuzberg an der Ahr Tage nach der Flutkatastrophe. - Foto: gik
Trümmerlandschaft in Kreuzberg an der Ahr Tage nach der Flutkatastrophe. – Foto: gik

Abhilfe wurde indes selbst nach dem Desaster nicht geschaffen. Schuster habe danach öffentlich gesagt, „so ein Warntag sei ja dafür da, Fehler festzustellen“, das wolle man abstellen, berichtete Vetter weiter: „Das ist im BBK sicher auch versucht worden.“ In den sozialen Netzwerken hatte es bereits am 10. September 2020 heftigen Spott und beißende Kritik gegeben: “Wenigstens sind wir jetzt alle gewarnt, dass im Warnfall weder Sirenen noch Warnapps noch sonst etwas in dieser Art funktioniert”, kommentierte ein User auf Twitter.

Info& auf Mainz&: Alles zum schief gelaufenen Warntag 2020 könnt Ihr noch einmal hier auf Mainz& nachlesen. Mehr zu den ausgebliebenen Warnungen im Ahrtal findet Ihr hier auf Mainz&:

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