Was tat eigentlich der Krisenstab der Kreisverwaltung Ahrweiler in der Flutnacht des 14. Juli? Es ist eine der Schlüsselfragen zur Erklärung, wie die Katastrophe im Ahrtal hereinbrechen konnte, ohne dass großflächig gewarnt wurde. Dem Krisenstab und seinem Landrat Jürgen Pföhler (CDU) kommt dabei eine zentrale Rolle zu: Von hier aus hätten eigentlich die Rettungskräfte organisiert und losgeschickt werden, und vor allem: Von hier aus hätte Katastrophenalarm ausgelöst werden müssen, rechtzeitig und großflächig. Am heutigen Freitag geht der Untersuchungsausschuss den Fragen nach, vor drei Wochen besichtigte man den Ort des Geschehens in Ahrweiler.
Der Weg zum Krisenstab führt über eine enge Treppe ganz am Ende des Ganges, „Notausgang“ steht auf den Schildern, und: „Tiefgarage“. Zwei Stockwerke geht es hier von dem Gang hinab, auf dem sich das Büro des Landrats befindet. Die Kreisverwaltung Ahrweiler ist ein Betonbau im typischen Stil der 1960er-Jahre. Die Wände sind in jenem Beige-Braun gehalten, das man damals schick fand, den Fußboden bedeckt ein Schlingenteppich, der so aussieht, als stamme er noch von damals.
An den Wänden, über dem Kopierer und zwischen den Türen, hängen Portraits der Landräte des Kreises Ahrweilers, viele historische Portraits von alten Zeiten – der Kreis Ahrweiler wurde 1816 von den Preußen gebildet. Nur ein Portrait sucht man vergeblich: Jürgen Pföhler, CDU-Politiker, und seit dem Jahr 2000 Landrat von Ahrweiler. Zwei Mal wurde Pföhler in seinem Amt bestätigt, zuletzt 2015 mit 75,2 Prozent.
Es gibt ein Foto vom Abend des 14. Juli 2021, das längst legendär ist: Auf dem Foto steht Jürgen Pföhler im Krisenstab seiner Kreisverwaltung, in Begleitung von Innenminister Roger Lewentz (SPD). Beide Politiker schauen ernst, um sie herum sieht man Feuerwehrmänner, Polizeibeamte und andere Rettungskräfte bei der Arbeit. Alle Anwesenden tragen Masken, auf den Tischen stehen Laptops und andere Technik.
Der Besuch trägt sich um 19.20 Uhr am Abend des 14. Juli zu, Innenminister Lewentz wird später zu Protokoll geben, er habe einen „konzentriert arbeitenden Krisenstab“ vorgefunden. Nur zehn Minuten später verlässt der Minister den Krisenstab wieder, mit ihm verschwindet auch Landrat Pföhler – und wird offenbar lange nicht mehr in dem Raum gesehen. In den kommenden Stunden wird eine gigantische, bis zu zehn Meter hohe Flutwelle durch das Ahrtal rasen, sie wird 134 Menschen in den Tod reißen – mehr als 70 davon allein im Raum Bad Neuenahr-Ahrweiler.
Gewarnt werden die Menschen so gut wie nicht: Erst um kurz nach 23.00 Uhr löst der Kreis Ahrweiler den Katastrophenalarm aus, zuständig dafür: Landrat Pföhler. Wo der Politiker den Abend verbrachte, und was er tat, ist Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen, was man weiß, sind bisher Bruchstücke: Pföhler schaffte es noch, seinen Porsche aus der Garage zu retten, berichteten Augenzeugen. Pföhler ging mit seinem Hund spazieren, eine Nachbarin soll er gegen 22.00 Uhr vor den Fluten gewarnt haben – sein eigenes Haus begann da bereits vollzulaufen.
Pföhler gibt an, er habe die Einsatzleitung seines Krisenstabs an seinen Wehrleiter Michael Zimmermann delegiert, rechtlich ist das möglich. Doch als die Lage in der Flutnacht eskalierte, war Pföhler über Stunden nicht zu greifen, wie die damalige Bürgermeisterin und heutige Landrätin Cornelia Weigand (parteilos) vergangene Woche im Untersuchungsausschuss angab.
Weigand hatte bereits um 16.18 Uhr die Kreisverwaltung gedrängt, den Katastrophenfall auszurufen, um umfangreiche Hilfe ins Tal lenken zu können – vergeblich. Erst um 23.42 Uhr gelingt es ihr, den Landrat am Telefon zu erreichen, da steht das Ahrtal längst meterhoch unter Wasser. „Der Landrat war entweder nicht anwesend oder nicht greifbar – er war nicht in der Kommunikation“, schilderte Weigand ihr Erleben vergangene Woche dem Ausschuss. Pföhler selbst habe an dem Abend seinen Mitarbeiter mit dem Handy mehrfach die Treppe hinunter in den Keller zum Krisenstab geschickt, sagen Berichte – der Krisenstab habe an seinem Arbeitsort keinen Handyempfang gehabt.
Vor drei Wochen wollte der Untersuchungsausschuss das genau wissen: Am 20. Mai 2022 traf man sich zur Ortsbesichtigung in Ahrweiler. Weder Pföhler noch Zimmermann, gegen den ebenfalls die Staatsanwaltschaft ermittelt, waren dabei vor Ort, die Führung übernahm, Sascha Cremer, stellvertretender Einsatzleiter von Ahrweiler. Cremer war in der Flutnacht selbst nur bis 17.00 Uhr im Krisenstab anwesend, danach kam er erst gegen 1.00 Uhr wieder dorthin zurück. Dem Ausschuss konnte er so nur die Aufstellung und Einrichtung des Krisenstabs erläutern, aber keine Details zur Arbeit in der Nacht.
Zum Raum für den Krisenstab muss man von der Treppe im Haupthaus einen kurzen Gang durch die Tiefgarage nehmen, schräg links befindet sich eine dicke Eisentür, dahinter ein winziger Gang. Zwei Personen müssen hier schon auf Tuchfühlung gehen, wollen sie aneinander vorbei. An der Wand hängt eine riesige, ziemlich vergilbte Landkarte des Kreises Ahrweiler, rechterhand geht es in ein winziges Kabuff, in dem Telefone und zwei Funk-Sprechgeräte stehen. Eine sehr kleine Durchreiche führt in den Nebenraum, Fenster gibt es keine.
Der Hauptraum nebenan ist vielleicht 16 Quadratmeter groß, Fenster gibt es auch hier keine. In dem schnöden Kellerraum mit unverputzten Wänden stehen viele Tische in einem schmalen Hufeisen, weitere Tische stehen entlang der Wände – viel Platz ist hier wahrlich nicht. Trotzdem haben hier in der Flutnacht 17 Einsatzkräfte gearbeitet, so berichtet es Cremer. Ihnen stehen Laptops und Festnetztelefone zur Verfügung, dazu mehrere Fernsehbildschirme und zwei große, moderne Smartboard-Wände an der Stirnseite, auf die die Pegelstände projiziert wurden.
Die Technik habe funktioniert, berichtet Cremer, auch Wlan-Netze habe es gegeben, drei Stück, in das sich die hier Arbeitenden einwählen konnten. „Wo wir Probleme mit hatten, war im Bereich Funk“, berichtet Cremer – beim Blick auf die dicken Kellerwände, wundert das niemanden. „Handyempfang ist sehr schwierig“, sagt Cremer noch. Tatsächlich zeigt das Mobiltelefon in dem engen Kellerraum höchstens einen Balken, dann verschwindet auch der. D1-Netz gebe es praktisch gar nicht, D2 ein bisschen, sagt Cremer. Ja, es sei üblich gewesen, dass Personen den Raum verließen, um mit dem Handy telefonieren zu können.
An den Tischen arbeiteten THW, Feuerwehr, Polizei und Vertreter der Kreisverwaltung, „technische Einsatzleiter“ lautet der Fachbegriff. Was genau die Kollegen gemacht hätten, könne er nicht sagen, wehrt Cremer nervös ab. An der Wand hängen Vorschriften zu Corona-Abstandsregeln, das sei „schöne Theorie“ gewesen, sagt Cremer, beinahe schnaubend: „Da wir Krieg hatten, war jeder Platz besetzt.“
Die Kreisverwaltung habe nahezu „blind“ gearbeitet, konstatierten Experten wie der Katastrophenschutz-Fachmann Albrecht Broemme nach der Flutkatastrophe. Abgeschirmt in ihrem Kellerraum habe sie nicht einmal gemerkt, was über ihren Köpfen und vor ihrer eigenen Haustür geschah. Er habe „einen technisch sehr gut ausgestatteten Raum vorgefunden“, sagte CDU-Obmann Dirk Herber nach der Besichtigung: Bis auf das Thema Handyempfang sei die Kommunikation nach außen offenbar voll funktioniert.
„Ich kann mir gar nicht recht vorstellen, dass man hier überhaupt geordnet arbeiten kann“, sagte hingegen der Obmann der Freien Wähler, Stefan Wefelscheid. Da seien andere Landkreise ganz anders – und viel besser – aufgestellt. Es sei doch zudem eine „suboptiomale Situation“, wenn man gerade ein wichtiges Kommunikationsmittel wie das Handy in so einer Krisensituation gar nicht voll nutzen könne.
Auf den Schreibtafeln an der Wand stehen übersichtliche Kolonnen, sie tragen die Überschrift „Adenau“, „Altenahr“, „Bad Neuenahr“ und „Sinzig“. „Ahrbrück nichit mehr erreichbar“, hat hier jemand notiert. „120 eingeschlossene Personen“ hat jemand unter der Überschrift „Adenau“ notiert, „5*x Tote“. Wann genau diese Notizen auf die Tafel geschrieben wurden, ist unklar. „Der Stand, den Sie hier sehen, ist der Stand vom Freitagabend, den 16. Juli, als man den Raum verlassen hat“, sagt Cremer.
Gesamtkräfte im Einsatz: 1.141 steht ebenfalls auf dem Board, „angeforderte Kräfte: FW, THW; BW.“ BW steht für Bundeswehr, darunter ist „1x Bergepanzer“ notiert. „Verfügbar über ADD: 4 x Hubschrauber, mit Winde und nachtflugtauglich“, steht oben rechts in einer Ecke. Doch die Hubschrauber kamen in der Flutnacht nur sehr eingeschränkt zum Einsatz.
Für die Auslösung des Katastrophenalarms sei man auf die Integrierte Leitstelle in Koblenz angewiesen gewesen, erklärte Cremer, ein eigenes Mowas-Gerät habe man nicht gehabt. Das ist nicht unüblich: Die Krisenstäbe melden ihre Wünsche an die Leitstelle, die löst den Alarm technisch aus – so sollte es funktionieren. Doch das tat es in der Nacht des 14. Juli nicht: In der Leitstelle in Koblenz wartete man vergeblich auf die Aufforderung aus Ahrweiler. Selbst den Alarm auszulösen, dazu sah man sich dort nicht ausreichend informiert – obwohl allein aus dem Ahrtal in jener Nacht mehr als 5.100 Notrufe eingingen.
Zumindest technisch hätte der Anforderung eines Mowas-Alarms aus Ahrweiler nichts im Wege gestanden, berichtete Cremer: „Das Meldeformular haben wir auf dem Rechner, können es ausdrucken, unterschreiben lassen und faxen. Oder auch einscannen und per Email schicken.“ Warum das nicht geschah, ist eines der großen Rätsel der Flutnacht – der Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags will sich genau diesem Thema am heutigen Freitag widmen.
Vorgeladen sind dann unter anderem Brand- und Katastrophenschutzinspekteur Michael Zimmermann sowie diverse weitere Akteure im Krisenstab in jener Nacht. Landrat Pfoehler soll am 8. Juli zur Vernehmung vor dem Untersuchungsausschuss erscheinen, ob er überhaupt aussagen wird, ist unklar: als Beschuldigter hat er ein Aussageverweigerungsrecht.
Info& auf Mainz&: Mehr zum Thema Warnsystem Mowas und dem Prozedere zum Auslösen des Katastrophenalarms lest Ihr hier bei Mainz&, was in der Flutnacht in der Leitstelle in Koblenz geschah, könnt Ihr ausführlich hier nachlesen. Unseren Bericht über die Schilderungen von Cornelia Weigand über die Ereignisse der Flutnacht lest Ihr hier bei Mainz&: