Die Lärmobergrenze für den Frankfurter Flughafen ist Realität, aber sie beruht lediglich auf einer freiwilligen Vereinbarung: Am Dienstag unterzeichnete der hessische Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) ein entsprechendes Papier gemeinsam mit dem Flughafenbetreiber Fraport sowie mit Vertretern von Fluglinien und der Region. Die neue Regelung soll nun dafür sorgen, dass der Fluglärm nicht endlos weiter steigen kann. Das Problem: Leiser wird es dadurch nicht, es kann sogar rund um den Frankfurter Flughafen in Zukunft noch lauter werden. Kritiker sprechen deshalb von einem „Placebo“ und einer Mogelpackung. Al-Wazir betont hingegen, damit werde das Mediationsergebnis endgültig umgesetzt, die Grenze werde schon, bevor sie erreicht werde, Wirkung erzielen: „Wer künftig mehr fliegen will, muss leiser fliegen.“
Es ist das erste Mal, dass die Politik versucht, dem ständig gewachsenen Fluglärm am Frankfurter Flughafen einen Deckel zu verpassen und dem Flughafen eine rote Linie aufzuzeigen. Bisher hatte die Politik stets allen Bestrebungen des Flughafens in Richtung Wachstum nachgegeben – zuletzt mit dem Bau der Nordwestlandebahn und dem Bau des Terminals 3. Die Lärmobergrenze war eigentlich ein Bestandteil des Mediationsergebnisses gewesen, das die Region mit dem Ausbau versöhnen sollte – die Politik hatte ursprünglich hoch und heilig versprochen, dass es diesen Ausbau nie geben werde. Al-Wazir betonte denn auch, mit der Lärmobergrenze werde „nun auch endlich der letzte große offene Punkt“ des vor 17 Jahren versprochenen Mediationsergebnisses umgesetzt.
Das Problem dabei: rechtsverbindlich ist die nun geschlossene Vereinbarung nicht. Der Planfeststellungsbeschluss für den Ausbau des Frankfurter Flughafens erlaubt die Menge von 701.000 Flugbewegungen, 2016 starteten und landeten am Frankfurter Flughafen 463.000 Flugzeuge. Eine erhebliche Steigerung wäre also denkbar – und der Planfeststellungsbeschluss ist von Gerichten als verbindlich bestätigt. Damit hat Flughafenbetreiber Fraport einen Rechtsanspruch auf eine Steigerung bis zur Grenze von 701.000 Flugbewegungen – rechnerisch wären das 1,8 Dezibel mehr Fluglärm als derzeit.
Und die Fraport pochte am Dienstag auch auf den Rechtsanspruch: Wichtig sei, dass Planfeststellungsbeschluss und Betriebsgenehmigung unangetastet blieben und die Vereinbarung freiwillig sei, sagte Fraport-Vorstand Anke Giesen. Es bestehe „Einigkeit“, dass die Vereinbarung „keine Einschränkung bestehender Rechtspositionen aller Beteiligten beinhaltet“, heißt es in dem Papier wörtlich – und dass man weiter unterschiedliche Rechtsauffassungen vertrete „zur Erforderlichkeit oder rechtsverbindlichen Umsetzbarkeit einer Lärmobergrenze.“ Im Klartext: Fraport und Fluglinien, die sich strikt gegen eine Lärmobergrenze gewehrt hatten, gehen weiter davon aus, dass eine Lärmobergrenze ohnehin vor Gericht scheitern würde – die Fraport hatte vor einem Jahr noch mit Klagen gedroht.
Vor einem Jahr hatte Al-Wazir sein Modell der Lärmobergrenze erstmals vorgestellt, geändert hat sich daran nichts: Der Lärm wird nicht über die Zahl der Flugbewegungen begrenzt, sondern über die verlärmte Fläche. Dabei geht es um die Fläche, innerhalb der maximal ein Dauerschallpegel von 55 dba bzw. 60 dba herrschen darf, das sind die stark und stärkst verlärmte Zone – Mainz ist darin nicht enthalten. Auch der Planfeststellungsbeschluss operiert mit diesen Flächenzahlen, nach der neuen Lärmobergrenze soll die Fläche mit einer Fluglärmbelastung von bis zu 55 dba in Zukunft statt um 11.000 Hektar „nur“ noch um 3.276 Hektar wachsen, die Fläche mit 60 dba um 1.178 Hektar – laut Planfeststellungsbeschluss wären es noch rund 5.100 Hektar. So soll dem Flughafen noch eine weitere Entwicklung gestattet, gleichzeitig aber der Lärmzuwachs in der Region gedeckelt werden.
„Wir senken damit das Lärmniveau um 1,8 Dezibel“, sagte Al-Wazir schon vor einem Jahr, das allerdings gilt nur im Vergleich zu einem möglichen Endszenario mit 701.000 Flugbewegungen. Al-Wazir räumte denn auch ein, es werde „ab morgen rund um den Flughafen nicht leiser.“ Das Land stelle damit aber sicher, dass die Lärmbelastung in der Region in Zukunft deutlicher geringer ausfalle als ohne Lärmobergrenze. Der Minister setzt dabei vor allem auf die Psychologie: Der Sinn einer Lärmobergrenze, sagte Al-Wazir schon vor einem Jahr, sei, „dass sie nie erreicht wird, sondern von Anfang an einen Anreiz für die Luftverkehrswirtschaft setzt, Flugbewegungen leiser abzuwickeln.“ Die Lärmobergrenze begrenze bewusst nicht die Zahl der Flugbewegungen, sondern den Lärm. „Wer künftig mehr fliegen will, muss leiser fliegen“, betonte Al-Wazir – und das werde der ganzen Region zugute kommen.
Scharfe Kritik kam indes von den Fluglärmgegnern: Die Lärmobergrenze sei „ein Irrweg“, weil der Lärm weiter wachsen dürfe, die freiwillige Vereinbarung tue „niemandem weh“, kritisierte Thomas Scheffler vom Bündnis der Bürgerinitiativen. Bemerkenswert sei höchstens, dass der Minister die Zustimmung von Fraport und Fluglinien dazu erhalten habe. Von Lärmminderung oder wirksamen Sanktionen bei Überschreitung sei aber keine Rede mehr.
Die Einhaltung der Lärmobergrenze soll eine Kommission prüfen, die einmal jährlich die tatsächliche Werte mit der Grenze vergleicht. Bei erstmaligem Verstoß sollen Fraport und Fluglinien binnen sechs Monaten Maßnahmen zur Lärmverringerung vorlegen. Sollte die Lärmobergrenze aber auch im zweiten Jahr in Folge überschritten werden, droht das Ministerium damit, „Maßnahmen außerhalb des Bündnisses zu ergreifen“ – welche das sein könnten, bleibt aber offen. Vor einem Jahr hatte Al-Wazir noch damit gedroht, notfalls über die Betriebsgenehmigung des Flughafens die Zahl der Flugbewegungen zu begrenzen, wiederholen wollte er das am Dienstag nicht.
„Wir haben uns in den Verhandlungen auf einen Kompromiss geeinigt, bei dem sich alle aufeinander zubewegt haben“, betonte Al-Wazir stattdessen. Der Trumpf der Landesregierung heißt nun nämlich: Landesentwicklungsplan. In dem will das Land jetzt die neue Flächenbegrenzung festschreiben und so doch noch ein Instrument schaffen, mit dem die Grenze rechtsverbindlich eingeklagt werden könnte. Bereits im kommende Jahr soll nun erstmals ein Bericht zur Einhaltung der Lärmobergrenze schon für das Jahr 2017 vorgelegt werden, zudem kündigte Al-Wazir weitere Maßnahmen zum Lärmschutz rund um den Frankfurter Flughafen an – im Herbst 2018 wird in Hessen gewählt.
Die Opposition im hessischen Landtag lässt jetzt schon kein gutes Haar an der Politik des Ministers: Die Lärmobergrenze sei ein reines „Placebo“, die Vereinbarung „kein großer Wurf“, schimpfte SPD-Fraktionschef Thorsten Schäfer-Gümbel. Nur eine verbindliche und rechtlich umsetzbare Lärmobergrenze könne das Spannungsverhältnis zwischen dem Bedürfnis der Bevölkerung nach möglichst wenig Fluglärm und der Luftverkehrsseite nach weiterer Entwicklung lösen, genau diese Chance habe Schwarz-Grün aber „heute verpasst.“
Die Lärmobergrenze ermögliche eine weitere Zunahme des Flugverkehrs und verdiene ihren Namen nicht, kritisierte auch die hessische Linkenchefin Janine Wissler – das sei wie „ein frei schwebender Deckel, bei dem der Topf wachsen kann, um den Deckel zu erreichen.“ Die Region brauche eine Begrenzung der Flugbewegungen auf 380.000 pro Jahr. Die FDP begrüßte hingegen, dass die Vereinbarung freiwillig sei und es keine Einschnitte in rechtlich verbindliche Grundlagen gebe. Auch die hessischen Wirtschaftsvertreter begrüßten das.
Aber auch die Grünen-Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner begrüßte die Maßnahme ihres Parteifreundes auf der anderen Rheinseite: Auch wenn der Lärm nicht deutlich reduziert werde, sorge die Grenze „immerhin dafür, dass das derzeitige Lärmniveau dauerhaft nicht wesentlich überschritten werden darf“, sagte Rößner. Dass es endlich eine verbindliche Lärmobergrenze am Frankfurter Flughafen gebe, sei ein Erfolg. „Damit ist Frankfurt weltweit der erste Airport, der dieses Steuerungsinstrument zur Lärmbekämpfung eingeführt hat“, fügte sie hinzu. Wichtiger sei, „das Thema Fluglärm auch auf Bundesebene anzugehen und die notwendigen Reformen im Fluglärmschutzgesetz sowie im Flugverkehrsrecht auf den Weg zu bringen.“
Zufrieden zeigten sich auch die Airlines: „Das Ergebnis der freiwilligen Zusammenarbeit zur Lärmobergrenze stellt einen in unseren Augen akzeptablen Kompromiss dar“, sagte etwa Ralf Teckentrup von Condor. Die Lärmobergrenze „ergänzt das bestehende Engagement aller Akteure, die Anwohner des Flughafens von weiterem Anstieg des Lärms so gut es geht zu entlasten und dabei die Wachstumsfähigkeit der Branche nicht einzuschränken.“ Das nun gefundene Verfahren sei auch aus Sicht des Forums Flughafen und Region „ein gangbarer Weg, um den Fluglärm in der Region zu begrenzen“, sagte dessen Vorsitzender Johann-Dietrich Wörner.
Und selbst der Vorsitzende der Fluglärmkommission, der Raunheimer Bürgermeister Thomas Jühe, sagte, die Vereinbarung sei zumindest ein erster Schritt: „Endlich haben wir mal bei dem Thema den Fuß in der Tür“, sagte Jühe. Eine freiwillige Vereinbarung wäre zwar „nicht unsere erste Wahl gewesen“, man erwarte nun aber, dass sich die Akteure daran hielten und die Lärmobergrenze „eine steuernde Wirkung entfalten wird.“ In der Prüfkommission „sitzt die Fluglärmkommission jedenfalls mit am Tisch und wird darüber wachen“, fügte Jühe hinzu.
Info& auf Mainz&: Das komplette Papier zur Lärmobergrenze sowie eine ausführliche Präsentation des Hessischen Verkehrsministeriums samt Daten und Fakten könnt Ihr Euch hier im Internet selbst ansehen und herunterladen. Unseren ausführlichen Bericht zur Vorstellung der Lärmobergrenze vor einem Jahr findet Ihr hier.