Klartext von der Leopoldina, der Nationalen Akademie der Wissenschaften: Die Vereinigung höchst renommierter Wissenschaftler in Deutschland fordert nun einen harten Lockdown zur Eindämmung der Corona-Infektionen. Die Weihnachtsfeiertage und der Jahreswechsel müssten für einen harten, aber effektiven Lockdown genutzt werden, fordert die Leopoldina in ihrer jüngsten Stellungnahme zur Corona-Pandemie. Demnach sollten schon ab dem 14. Dezember die Schulpflicht aufgehoben und Arbeitnehmer strikt ins Homeoffice geschickt werden, ab dem 24. Dezember alle nicht notwendigen Geschäfte schließen. Die Politik will über die dringenden Empfehlungen der Wissenschaft nun beraten.

Das Gebäude der Leopoldina Akademie in Halle bei Nacht.  - Foto: Thomas Meinicke für die Leopoldina
Das Gebäude der Leopoldina Akademie in Halle bei Nacht. – Foto: Thomas Meinicke für die Leopoldina

Die Wissenschaftler der Leopoldina lassen in ihrem Papier keinen Zweifel: Der in Deutschland seit Anfang November herrschende Teil-Lockdown bleibe „in der Effektivität stark hinter dem ersten Lockdown“ vom Frühjahr zurück. Damals sei es gelungen, die für eine Corona-Ansteckung so wichtigen Kontakte um etwa 63 Prozent zu reduzieren, rechnen die Experten vor – im derzeitigen Teil-Lockdown seien sie aber nur um etwa 43 Prozent  zurückgegangen. „Länder, die auch im 2. Lockdown eine höhere Reduktion der Kontakte erreicht haben — etwa Belgien und Irland — waren bei der Reduktion der Infektionszahlen erfolgreicher“, mahnt die Leopoldina.

Die Folge: Die Lage im deutschen Gesundheitssystem ist ausgesprochen ernst und droht bereits stellenweise außer Kontrolle zu geraten. „Immer mehr Ältere werden infiziert, in den vergangenen sieben Tagen starben mehr Menschen mit dem Coronavirus als 2019 im Straßenverkehr“, betont die Leopoldina. Das Robert-Koch-Institut zählt inzwischen mehr als 1,2 Millionen Infizierte mit dem Coronavirus seit Beginn der Pandemie – und rund 19.900 Tote, die an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung starben. Am Mittwoch kamen erneut 590 Todesfälle hinzu, das ist ein neuer Höchststand von Menschen, die an einem einzigen Tag durch Covid-19 gestorben sind.

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Entwicklung der Corona-Infektionen in Deutschland mit und ohne Lockdown und Reduzierung der Kontakte. - Grafik: Leopoldina
Entwicklung der Corona-Infektionen in Deutschland mit und ohne Lockdown und Reduzierung der Kontakte. – Grafik: Leopoldina

Tatsächlich sind bereits jetzt, in der zweiten Corona-Welle, mehr Menschen an der Virusinfektion gestorben als im Frühjahr, ein leitender Klinikarzt verglich die Todesraten jüngst gegenüber dem „Spiegel“ so: Das sei, „als würde jeden Tag ein Jumbojet abstürzen“, sagte der Mediziner. Der Unterschied: Über einen Flugzeugabsturz mit so vielen Toten würde groß berichtet, die Corona-Toten finden hingegen in der Öffentlichkeit kaum statt.

„Für eine Dauerbelastung auf diesem Niveau sind das Gesundheitssystem und auch die großen Kliniken nicht eingerichtet“, warnt die Leopoldina nun eindringlich, Krankenhäuser und vor allem das medizinische Personal seien „bereits jetzt an der Grenze des Leistbaren.“ Die für die Eindämmung der Pandemie vor Ort so wichtigen Gesundheitsämter seien bereits seit Wochen überlastet, eine effektive Kontaktnachverfolgung vielfach nicht mehr möglich. Auch Quarantäne-Maßnahmen würden oft nicht mehr umgesetzt, kritisieren die Wissenschaftler. Die gegenwärtigen Maßnahmen reichten schlicht nicht aus, das Pandemigeschehen einzudämmen, verursachten aber gleichzeitig hohe soziale und ökonomische Kosten sowie psychische Belastungen.

Coronainfektionen in Deutschland und Irland im Vergleich. - Grafik: Leopoldina
Coronainfektionen in Deutschland und Irland im Vergleich. – Grafik: Leopoldina

Die Lösung: Die Wissenschaftler fordern einen sofortigen, harten Shutdown, beginnend bereits nächste Woche. „Aus wissenschaftlicher Sicht ist es unbedingt notwendig, die weiterhin deutlich zu hohe Anzahl von Neuinfektionen durch einen harten Lockdown schnell
und drastisch zu verringern“, raten die Experten – und dafür sollten die Weihnachtszeit und der Jahreswechsel genutzt werden. Diese Tage seien ohnehin eine Zeit der Entschleunigung in Wirtschaft und Gesellschaft, argumentieren die Wissenschaftler: Bildungseinrichtungen haben Weihnachtsferien, die Produktionstätigkeit in vielen Unternehmen ist deutlich reduziert, Behörden sind weitgehend geschlossen. Das könne die Eindämmung der Pandemie deutlich begünstigen, wenn gleichzeitig auch im privaten Umfeld Konsequenzen gezogen würden.

Die Leopoldina schlägt deshalb vor, bereits ab dem 14. Dezember Kontakte im beruflichen wie privaten Kontext weiter drastische zu reduzieren. „Homeoffice muss, wo immer möglich, die Regel sein“, fordern die Wissenschaftler, digitale Möglichkeiten anstelle von Präsenzangeboten genutzt werden. Auch die allgemeine Schulpflicht sollte ab diesem Zeitpunkt bis zum Beginn der Weihnachtsferien in den jeweiligen Bundesländern aufgehoben werden – ein Reizthema für die Bundesländer, halten die Kultusminister und Ministerpräsidenten bislang doch vehement an Präsenzunterricht und offenen Schulen fest.

Einen scharfen Lockdown wie im Frühjahr fordert die Leopoldina-Akademie jetzt auch wieder. - Foto: gik
Einen scharfen Lockdown wie im Frühjahr fordert die Leopoldina-Akademie jetzt auch wieder. – Foto: gik

Ab dem 24. Dezember solle dann bis mindestens zum 10. Januar 2021 in ganz Deutschland ein verschärfter Lockdown eingeführt werden und das öffentliche Leben weitgehend ruhen, schlägt die Leopoldina weiter vor. Alle Geschäfte bis auf diejenigen des täglichen Bedarfs sollten in diesem Zeitraum schließen, die Weihnachtsferien in den Bildungseinrichtungen bis zum 10. Januar 2021 verlängert werden. Urlaubsreisen und größere Zusammenkünfte sollten vollständig unterbleiben, soziale Kontakte außerhalb des eigenen Haushalts auf ein absolutes Minimum reduziert werden.

„Die Erfahrungen aus vielen anderen Ländern (z.B. Irland) im Umgang mit der Pandemie zeigen: schnell eingesetzte, strenge Maßnahmen über einen kurzen Zeitraum tragen erheblich dazu bei, die Infektionszahlen deutlich zu senken“, betonen die Wissenschaftler – und verweisen auf das Beispiel Irlands: Dort gelang es mit einem harten Lockdown im Oktober, die Infektionskurve zu brechen und massiv zu senken. Verschärfte Maßnahmen seien zudem auch aus wirtschaftlicher Perspektive sinnvoll, betonten die Experten: Zwar erhöhten sich durch einen strengeren Lockdown kurzfristig die Wertschöpfungsverluste, zugleich verkürze sich aber der Zeitraum, ab dem Lockerungen wieder möglich seien.

Beschränkungen und geschlossene Gaststätten über Monate - das könne durch eine harten Lockdown vermieden werden, sagt die Wissenschaft. - Foto: gik
Beschränkungen und geschlossene Gaststätten über Monate – das könne durch eine harten Lockdown vermieden werden, sagt die Wissenschaft. – Foto: gik

„Ohne verschärften Lockdown in der Weihnachtspause besteht die Gefahr, dass der aktuelle Teil-Lockdown mit seinen Beschränkungen für Monate aufrechterhalten werden muss“, warnen die Wissenschaftler. Das würde aber für die öffentlichen Haushalte teurer, weil die geschlossenen Unternehmen Überbrückungshilfen benötigten. Gelinge es, die Zahlen wieder nach unten zubringen, komme es in den darauffolgenden Wochen und Monaten „ganz entscheidend darauf an, eine klare Strategie zu verfolgen, um diese Werte niedrig
zu halten“, mahnen die Forscher.

Von „zentraler Bedeutung“ sei dabei „eine langfristige politische Einigung auf ein klares, mehrstufiges und bundesweit einheitliches System von Regeln, die ab einer bestimmten Anzahl von Fällen pro 100.000 Einwohner greifen“, so das Leopoldina-Papier weiter. Dieser Katalog sollte verlässlich Maßnahmen vorsehen, die konsequent um- und mit Sanktionen durchgesetzt werden. „Durch ein solches einheitliches, nachvollziehbares und langfristig orientiertes Vorgehen werden die die Maßnahmen für Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen transparent, verständlich und planbar“, heißt es weiter – das kann man durchaus als scharfe Kritik an dem derzeitigen Wirrwarr von Ankündigungen und Maßnahmen verstehen.

Die Corona-App sollte verbessert, Maßnahmen besser kommuniziert werden, fordert die Leopoldina. - Foto: gik
Die Corona-App sollte verbessert, Maßnahmen besser kommuniziert werden, fordert die Leopoldina. – Foto: gik

Die jeweiligen Corona-Maßnahmen und ihre Hintergründe sollten „immer wieder und besser kommuniziert“ werden, fordern die Wissenschaftler. Das bedeute insbesondere, „sie für verschiedene Zielgruppen aufzubereiten und in deren Lebensrealitäten anschaulich zu verankern“ sowie im öffentlichen Raum „sichtbar und motivierend an
die geltenden Verhaltensregeln“ zu erinnern. Das gelte auch für die Corona-Warn-App:  Diese sollte in ihrer Funktionalität etwa durch freiwillige Datenspenden erweitert werden. „Wünschenswert wäre darüber hinaus, mittels der Lokalisierungsfunktion des Smartphones schnell die örtliche Inzidenz und die geltenden Verhaltensregeln sehen zu können“, heißt es weiter.

Für den Wiederbeginn des Unterrichts nach den Weihnachtsferien fordert die Leopoldina zudem eine Maskenpflicht in allen Bundesländern und in allen Schulformen – damit auch in den Grundschulen. Virologen und Schulexperten haben wiederholt darauf hingewiesen, dass Grundschüler mit der Maske auch im Unterricht keinerlei Probleme haben, bislang nehmen die meisten Bundesländer Grundschüler jedoch von der Maskenpflicht aus. Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) nannte jedoch am Dienstagabend in der ZDF-Talkshow „Lanz“ als einen Grund für die derzeit sehr niedrigen Infektionszahlen in seinem Bundesland – die Maskenpflicht an Grundschulen.

Die Leopoldina spricht sich zudem nachdrücklich für ländereinheitliche Regeln für den Wechselunterricht ab der Sekundarstufe aus – die Bundesländer erlauben erst seit Kurzem Wechselunterricht ab einer 7-Tages-Inzidenz von 200. Lehrergewerkschaften wie die GWEW oder der Philologenverband Rheinland-Pfalz halten das für deutlich zu spät und fordern seit Wochen, den Schulen selbst die Wahl zu lassen, ob sie in einen Wechselunterricht gehen wollen – und zwar ab einer 7-Tages-Inzidenz von 50. Das sieht im Übrigen aus das Robert-Koch-Institut so vor – kein einziges Bundesland hält sich bisher daran.

Info& auf Mainz&: Die Stellungnahme der Leopoldina zum harten Corona-Lockdown könnt Ihr hier im Internet nachlesen und Euch auch in Gänze herunterladen. Mehr zum Thema, warum die Corona-Zahlen nicht sinken, haben wir hier in unserer Mainz&-Analyse aufgeschrieben.

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