Die Landesregierung wusste offenbar noch in der Nacht der Flutkatastrophe im Ahrtal von einstürzenden Häusern in Schuld und dramatischer Hubschrauber-Rettung am Campingplatz in Dorsel – aber was unternahmen die Regierenden zur Rettung der Menschen? Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) musste dazu am späten Freitagabend im Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags aussagen, und dabei wurde klar: Die Ministerpräsidentin kommunizierte intensiv mit ihrem Innenminister, und tauschte sich auch mit Mitarbeitern aus. Doch Warnungen wurden nicht veranlasst, und auch mit Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne) kommunizierte Dreyer nicht – es waren nicht die einzigen Pannen in der Nacht.
Es ist 22.15 Uhr, als Malu Dreyer den Plenarsaal des Mainzer Landtags betritt, gekleidet in einen schwarzen Hosenanzug und – ganz ungewohnt – mit Brille statt Kontaktlinsen. Malu Dreyer sieht angespannt aus, die Politikerin, die sonst für ihr strahlendes Lächeln bekannt ist, hat dieses Mal kaum einen Blick für die wartenden Kameras und Fotografen. Nicht einmal die Maske mag die Ministerpräsidentin abnehmen, solange die Kameras noch im Saal sind, ihr Blick gilt ihren Unterlagen. Es ist spät geworden an diesem Freitag, seit 08.30 Uhr hat der Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal bereits Zeugen vernommen – Malu Dreyer ist die achte Zeugin an diesem Tag.
Es geht um die schlimmste Katastrophe in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg, es geht um ein komplett verwüstetes Tal, und es geht um 134 Tote – und all dies ist geschehen unter der Regierungsverantwortung der Sozialdemokratin Malu Dreyer. „Die Flutkatastrophe im Ahrtal hat unser Land ins Mark getroffen“, sagte die Ministerpräsidentin direkt zu Beginn ihrer Aussage, diese Katastrophe lasse das Land nicht mehr los, „und sie lässt auch mich seither nicht mehr los.“ Es habe schlimmste Schäden gegeben an Sachen, an Leib und Seele, sagt Dreyer: „Das Schlimmste ist: Es gab Tote.“
Die Frage, die sich seither stellt, ist diese: Hätten zumindest diese Toten verhindert werden können? Hätten die Menschen im Ahrtal nicht früher gewarnt werden können, ja: müssen – und wer trägt dafür die Verantwortung, dass dies nicht geschah? Tatsache ist: Es gab Warnungen der Meteorologen, Experten wie der Wettermann Jörg Kachelmann sagten im Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Flutkatastrophe aus: Es sei absehbar gewesen, dass da „etwas Großes“ auf die Eifel zurollte. Allerspätestens um 16.00 Uhr am 14. Juli, sei ein Extremereignis historischen Ausmaßes „nicht mehr wegzudiskutieren“ gewesen.
„Wir sind ein Land mit Hochwasser“
Doch die Daten der Wetterexperten erreichten die Politiker in Mainz offenbar nur spärlich. „Wir wussten, dass Deutschland von Starkregenereignissen betroffen sein würde“, berichtete Dreyer nun vor dem Untersuchungsausschuss. Doch selbst am 14. Juli „war das Ausmaß der Flutkatastrophe an der Ahr noch nicht abzusehen“, betont sie zugleich – im Fokus hätten eher die Vulkaneifel sowie die Region Trier gestanden.
Die Ministerpräsidentin geht an diesem Tag davon aus, dass ein Hochwasser bevorsteht, ein schlimmes Hochwasser womöglich – aber nichts Schlimmeres als das, und Hochwasser kennt man in Rheinland-Pfalz. „Wir sind ein Land mit Hochwasser“, betont Dreyer. 2016, 2018, immer wieder sind vor allem Rhein oder Mosel über die Ufer getreten. Immer wieder habe sie bei diesen Ereignissen „erlebt, dass der Hochwasserschutz funktioniert“, betont die Ministerpräsidentin.
Am 13. Juli ist die Wetterlage auch Thema im Landeskabinett, die damalige Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne) – zuständig für den Hochwasserschutz und das Landesamt für Umwelt – informiert ihre Ministerkollegen und die Ministerpräsidentin. Bei ihrer Vernehmung vor dem Ausschuss stellte Spiegel diesen Bericht als Teil ihres verantwortungsbewussten Handelns da. Am Morgen des 15. Juli, als das Ausmaß der Katastrophe im Ahrtal langsam klar wurde, hatte Spiegel in einer SMS einem engen Mitarbeiter geschrieben, sie traue es Innenminister Roger Lewentz zu, ihr die Schuld zuzuschieben: „Das ‚Blame Game‘ könnte sofort losgehen, wir brauchen ein Wording, dass wir rechtzeitig gewarnt haben, ich im Kabinett.”
Was also berichtete die Ministerin am 13. Juli im Kabinett? „Ich erinnere mich sehr gut, dass sie über die Hochwasserlage berichtet hat“, sagte Dreyer nun. Spiegel habe „über die aktuelle Wetterlage und über die Abschätzung für die nächsten Tage“ informiert. Doch eine dramatische Warnung kann es kaum gewesen sein: „Es ging darum, dass wir mit Hochwasser zu rechnen haben“, berichtet Dreyer, „und es ging maßgeblich um die großen Flüsse, Rhein und Mosel.“ Worum es nicht ging: das Ahrtal. Worum es auch nicht ging: Um Warnungen vor einer Flutkatastrophe.
Am 14. Juli nahm auch die Ministerpräsidentin am Nachmittag an der Landtagssitzung Teil. „Ich erinnere mich sehr gut, dass der Innenminister auf mich zukam und mit mitteilte: die Gemeinden bereiten sich auf Hochwasser vor“, berichtet Dreyer weiter. Innenminister Roger Lewentz (SPD) habe sie auch darüber informiert, dass die zuständige Dienstaufsichtsbehörde ADD am Vormittag ihre Koordinierungsstelle für Katastrophenfälle geöffnet habe, und dass die Gemeinden und Kreise informiert seien, sie könnten sich jederzeit dorthin wenden. „Ich weiß auch noch sehr genau, dass er auf mich zukam und sagte: er würde das Plenum verlassen und in die Gebiete fahren“, sagt Dreyer weiter.
Sieben Menschen sterben am Campingplatz in Dorsel
Tatsächlich verlässt Lewentz kurz danach, gegen 18.00 Uhr, das Landtagsplenum, Auslöser ist ein Telefonat mit ADD-Präsident Thomas Linnertz, der von ersten dramatischen Meldungen aus der Vulkaneifel berichtet. Zu diesem Zeitpunkt steht im oberen Ahrtal bereits der Campingplatz Stahlhütte in Dorsel unter Wasser, mehrere Camper haben sich auf die Dächer ihrer Wagen geflüchtet und hoffen verzweifelt auf Hilfe. Irgendwann zwischen 17.30 Uhr und 18.00 Uhr sterben hier sieben Menschen – sechs Camper und eine junge Feuerwehrfrau, die gekommen ist, andere zu retten.
Im Mainzer Landtag erfahren sie davon nichts, doch noch während des Plenums machen erste Informationen über den überspülten Campingplatz die Runde. „Wir müssen Menschen von einem Campingplatz aus der Luft evakuieren“, berichtet Innen-Staatssekretär Randolf Stich am Rande des Plenums gegenüber Spiegel. Das erfährt auch Innenminister Lewentz in einem Telefonat um 17.48 Uhr von ADD-Präsident Linnertz: Der berichtet von der dramatischen Lage auf dem Campingplatz, von dem Bemühen, Hubschrauber zur Rettung der Menschen anzufordern – Rheinland-Pfalz selbst hat keine Hubschrauber, die mit einer Seilwinde ausgerüstet wären.
Lewentz berichtete bei seiner Vernehmung am Freitagabend, er habe auch zunächst nach Dorsel fahren wollen – doch wegen unklarer Straßenverhältnisse entscheidet sich der Minister um. Lewentz fährt stattdessen nach Ahrweiler, das ohnehin auf seinem Nachhauseweg liegt. Den dortigen Katastrophenstab habe er als „konzentriert arbeitend“ erlebt, von einer großen Katastrophe, gar einer Flut, sei keine Rede gewesen und auch nichts zu sehen gewesen, beteuert er. Im Plenum erreichen die Nachrichten offenbar auch die Ministerpräsidentin, sie beugt sich zu ihrer Umweltministerin Spiegel über die leeren Sitze zwischen ihnen hinweg und fragt, ob die beiden zuständigen Staatssekretäre Stich sowie Erwin Manz für den Bereich Umwelt in Kontakt stünden? Spiegel bejaht.
Vor dem Ausschuss berichtet Dreyer noch einmal von dieser Szene. „Ich habe im Hintergrund beobachtet, wie Stich und Manz miteinander redeten“, betont sie. Die beiden Staatssekretäre wären zuständig dafür, das Wissen aus den Bereichen Hochwasserwarnungen (Manz) und Katastrophenschutz (Stich) untereinander auszutauschen und miteinander zu verknüpfen – doch das geschieht nicht. Er habe sich mit Manz im Plenum „über Medienberichte ausgetauscht“, berichtete Staatssekretär Stich bei seiner Vernehmung vor dem Ausschuss. Er selbst habe „die Pegel-Warnapp gecheckt“, und Manz „zugerufen: Mensch, da und da steigt der Pegel an“, will sich Stich an den Plenumstag erinnern.
Ob Manz ihn von steigenden Pegeln informiert hat? Stich kann sich nicht mehr erinnern. Hat ihm der Umwelt-Staatssekretär denn wenigstens mitgeteilt, dass das Hochwassermeldezentrum inzwischen die höchste Warnstufe ausgerufen hat? „Nach meiner Erinnerung: Nein“, antwortet Stich. Nach dem Plenum herrscht zwischen den beiden Staatssekretären dann vollends Funkstille. Manz begibt sich trotz der angespannten Lage an der oberen Ahr nach Hause – wie er in seiner Vernehmung Mitte März zu Protokoll gibt – isst zu Abend, schaut Nachrichten, genehmigt sich ein Bierchen. Mit Stich oder mit dem Innenminister hat Manz an dem Abend keinerlei Kontakt mehr, weder per Telefon, noch per Textnachricht.
Gegen 22.00 Uhr erfährt Manz dann von der dramatischen Schilderung der Altenahrer Verbandsgemeinde-Bürgermeisterin Cornelia Weigand, die von sechs Meter hohen Fluten berichtet und von dramatischen Szenen. Manz ruft nicht etwa seinen Staatssekretärs-Kollegen oder den Innenminister an, sondern das Lagezentrum im Innenministerium, dort erklärt man ihm, der Krisenstab wisse Bescheid. Wer von Manz Informationen nichts erfährt, sind Staatssekretär Stich oder Innenminister Lewentz.
Ministerpräsidentin Dreyer hat sich unterdessen nach dem Landtagsplenum in die Staatskanzlei begeben, dort steht noch ein Treffen mit Stich an – es geht um den Flughafen Hahn und ein drohendes Urteil des Europäischen Gerichtshof zu den Beihilfen des Landes für den Hunsrück-Flughafen. Der EUGH wird die Beihilfen später für unrechtmäßig erklären. Während der Besprechung ruft Lewentz bei Dreyer auf dem Handy an. Der Minister habe ihr von seinem Besuch in Ahrweiler berichtet, sagt Dreyer, es sei um das schwere Hochwasser gegangen, und dass alle „gut vorbereitet“ seien.
„Zu diesem Zeitpunkt kein Hinweis auf eine Flutkatastrophe“
„Es gab für mich zu diesem Zeitpunkt keinen Hinweis, dass es zu so einer Flutkatstrophe kommen würde, und dass die Stellen nicht in gebotener Weise tätig werden würden“, betont Dreyer bei ihrer Vernehmung, sie sagt diesen Satz mehrfach. Sie sei dann in dem Bewusstsein nach Hause gegangen, „dass wir Hochwasser zu erwarten hatten, dass wir aber auch gut aufgestellt sind, und das immer gut gemanagt haben.“ Dreyer fährt in ihre Mainzer Wohnung, gegen 21.30 Uhr sei sie wohl dort angekommen, sagt sie.
„Die Abende in meiner Mainzer Wohnung laufen immer ähnlich ab“, berichtet die Ministerpräsidentin dem Ausschuss: Sie schaue Nachrichten, beschäftige sich mit den Akten für den kommenden Tag und telefoniere mit ihrem Mann, das Ehepaar lebt gemeinsam in Trier. Auch an diesem Abend sei das im Wesentlichen so abgelaufen, sagt Dreyer, doch eines ist anders: Die Ministerpräsidentin kommuniziert eng mit ihrem Innenminister sowie mit einem Kreis ihrer engsten Mitarbeiter über einen Messengerdienst.
Mit Lewentz tauscht sie zwischen 21.36 Uhr und 21.44 Uhr eine Reihe von Nachrichten aus, in einer schreibt Dreyer an Lewentz: „Ich höre, der Höchststand ist erst morgen Mittag erreicht, ist ja wirklich schlimm.“ Woher habe Sie denn diese Information gehabt, wird Dreyer im Untersuchungsausschuss gefragt. „Ich weiß es nicht mehr, ich kann mich einfach nicht mehr erinnern“, antwortet Dreyer. Doch an Lewentz schreibt sie in der gleichen Meldung: „Ist Anne auch informiert? Sie ist ja wirklich ein bisschen nervös.“ Anne – das ist Anne Spiegel die Umweltministerin, sie wird an diesem Abend weder mit Dreyer noch mit Lewentz Kontakt aufnehmen, ja: nicht einmal für die eigenen Leute ist Spiegel durchgehend erreichbar.
Lewentz antwortet auf Dreyers Frage, ob Spiegel informiert sei: „Das weiß ich gar nicht, sie hat ein eigenes Lagesystem.“ Auf die Idee, die Ministerin anzurufen und sich zu vergewissern, welche Informationen die Umweltministerin hat, kommen beide Politiker offenbar nicht. Auch die Frage, ob die Umweltministerin wichtige Informationen in Sachen Hochwasser haben könnte, stellen sich beide Sozialdemokraten nicht. „Ok. Schönen Abend“, schreibt Dreyer um 21.44 Uhr an Lewentz. Erst am nächsten Morgen, um 5.58 Uhr, wird Dreyer Spiegel mitteilen: „Liebe Anne, die Lage ist heute Nacht eskaliert.“ Vor dem Ausschuss betont Dreyer, es sei doch „total selbstverständlich“, die Frau zu informieren, die immerhin ihre stellvertretende Ministerpräsidentin ist. In der Nacht galt das indes nicht.
CDU: „Verhängnisvolles Führungsversagen“
Die CDU wird nach der Vernehmung fassungslos konstatieren, während in Luxemburg noch in der Nacht das Krisenkabinett zusammengetreten sei, habe es in Rheinland-Pfalz niemand für nötig befunden, einen Krisenstab einzuberufen, sich telefonisch zusammenzuschalten, Informationen auszutauschen. CDU-Obmann Dirk Herber wirft der Landesregierung vor, sie habe „in den Stunden der Flutkatastrophe versagt“, spricht gar von „verhängnisvollem Führungsversagen“, auch der Ministerpräsidentin. „In diesen schwierigen Stunden hätten die von der Flut betroffenen Menschen einen echten ‚Kümmerer‘, eine ‚Krisenmanagerin‘ gebraucht“, klagt Herber noch in der Nacht, „doch die verantwortliche Landesspitze hat sich weggeduckt.“ Auch die AfD beklagt ein mangelhaftes Abstimmungsverhalten zwischen den Ressorts: „Eine Mischung aus Nichtwissen, Nichtwissen-Wollen und Relativieren“ habe so „trotz vorhandener Alarmzeichen in die totale Katastrophe geführt.“
Um 21.46 Uhr informiert Lewentz seine Ministerpräsidentin noch einmal: gerade komme die Meldung, das Hochwasser entwickele sich im Vulkaneifelkreis schlimmer als 2018, schreibt Lewentz – vom Ahrtal ist keine Rede. Dreyer informiert ihren Mitarbeiterstab, man werde am kommenden Tag alle Termine umplanen müssen. „Besorgt“ sei sie gewesen, betont Dreyer, und durchaus auch angespannt wegen der Hochwasserlage. Und sie sei „als Ministerpräsidentin immer ansprechbar“, betont Dreyer, das gelte auch für den Abend: „Ich bin immer sehr lange wach, da dann kann mich jeder anrufen“, erklärt sie. Es gebe zudem die Verabredung, dass wenn sie schlafe, sie trotzdem über ihren Personenschutz erreicht werden könne, der sie dann auch wecken könne.
In Schuld waren bereits sechs Häuser eingestürzt
Genauso erzählt es auch Lewentz vor dem Ausschuss, auch er wird permanent von Personenschützern begleitet. Dennoch erreicht er in der Nacht seine Ministerpräsidentin nicht – ausgerechnet mit einer entscheidenden Information. Um 23.00 Uhr bekommt Lewentz Informationen aus seinem Lagezentrum, im Ort Schuld an der oberen Ahr seien sechs Häuser eingestürzt – erst jetzt will der Innenminister damit „den ersten Hinweis“ bekommen haben, dass die Schäden an der Ahr „über das normale Maß hinaus gehen.“
Um 23.46 Uhr bekommt Lewentz Aufnahmen aus einem Polizeihubschrauber zugeschickt, der über Schuld gekreist hat, aber auch über anderen Orten entlang der Ahr. Die Aufnahmen zeigen ein Tal, das in Wasserfluten versinkt, doch „eine Flutwelle“, betont Lewentz, „ist nicht erkennbar gewesen.“ Auch jetzt greift der Innenminister seinen Angaben nach nicht zum Telefon, um Dreyer zu informieren. Um 00.25 Uhr erreicht ihn dann ein Anruf von ADD-Präsident Linnertz: Er bestätigt die Meldung der eingestürzten Häuser in Schuld und berichtet, es gebe Vermisste – und dass mit Toten gerechnet werden müsse.
Um 00.40 Uhr versucht Lewentz daraufhin, Dreyer anzurufen – doch die MP antwortet nicht. „Ich habe den Anruf offenbar nicht gehört“, sagt Dreyer, die auch berichtet, sie sei zu diesem Zeitpunkt noch wach gewesen. Lewentz fasst daraufhin seine neuen Informationen in eine Textnachricht, die er um 00.58 Uhr verschickt: „Liebe Malu, die Lage eskaliert“, schreibt der Minister. In Schuld seien wohl sechs Häuser eingestürzt, weitere Einstürze drohten, es könne Tote geben. „Unsere Hubschrauber flogen darüber, sahen Taschenlampenzeichen, konnten aber nicht herunter gehen“, schreibt Lewentz weiter, „es gab wohl ganz traurige Szenen.“
Dreyer antwortet auf die Nachricht nicht. Wann sie die Nachricht zur Kenntnis genommen habe, wisse sie nicht mehr, gibt sie vor dem Ausschuss zu Protokoll: „Ich kann Ihnen das nicht berichten.“ Sie gehe davon aus, dass es am nächsten Morgen war, „irgendwann zwischen 5.00 Uhr und 5.15 Uhr.“ Ab dann läuft die Krisen-Maschinerie an: Dreyer telefoniert mit Lewentz, Textnachrichten fliegen zwischen Politikern hin und her, noch vor dem Landtagsplenum telefoniert Dreyer mit Olaf Scholz (SPD), der zu dem Zeitpunkt Vizekanzler ist, und noch am selben Tag ins Ahrtal eilt – Scholz steckt als Kanzlerkandidat bereits im Bundestagswahlkampf. Dreyer wird später auch noch mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) telefonieren, die aber gerade in Washington zu Besuch ist.
Dreyer gibt am Morgen gegen 9.40 Uhr ein Statement im Landtagsplenum ab, sie wirkt zutiefst geschockt. Am selben Tag eilt sie ins Ahrtal, „es waren apokalyptische Szenen“, berichtet sie. Ihre Vernehmung vor dem Untersuchungsausschuss endet erst gegen Mitternacht, die Ausschussmitglieder sind da seit 16 Stunden im Einsatz, ebenso wie die Medienvertreter. Nach Ende der Sitzung gibt Dreyer noch ein kurzes Statement vor den Medienleuten, sie spricht stockend, sie wirkt angeschlagen.
„Die Flutkatastrophe am 14. war für uns in diesem Ausmaß nicht vorhersehbar“, sagt Dreyer: „Genausowenig wie die Tatsache, dass der Katastrophenschutz in Teilen eben auch an diesem Abend nicht funktioniert hat.“ Die politische Verantwortung liege nun darin, „dass wir Schlüsse ziehen daraus“, und dass bei solchen Großlagen „möglicherweise auch noch einmal geschaut werden muss, wie der Katastrophenschutz auch noch in anderer Form unterstützt wird.“
Info& auf Mainz&: Die Vernehmung der früheren Umweltministerin und heutigen Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) lest Ihr ausführlich hier bei Mainz&: „Funkstille, Imagesorgen und Blame Games.“. Wie die Vernehmung von Innenminister Roger Lewentz verlief, und was der Minister alles schon in der Flutnacht wusste – das haben wir hier bei Mainz& aufgeschrieben: