Am Ende redete er doch: Bernd Lucke, umstrittener Chef der Alternative für Deutschland (AfD), hat am Donnerstagabend nun seinen Vortrag in Mainz gehalten, es war der dritte Anlauf nach zwei gescheiterten Versuchen. Die Zeche dafür zahlte der Wirt: In der Gaststätte „Schützenhaus“ wurden zwei Fenster eingeschlagen, eine Tür beschädigt und die Fassade beschmiert. Ein Gastwirt wird angegriffen, weil er einer demokratisch gewählten Partei – man mag sie mögen oder nicht – seine Räume zur Verfügung stellt. Was ist jetzt das für ein Demokratieverständnis? Mainz& war vor Ort.
Den Eimer mit der weißen Farbe hat Ivan Miskovic noch neben der Hauswand stehen, gerade hat der junge Mann mit weißer Farbe den Spruch „Rechte Scheiße nirgendwo“ in leuchtend grüner Farbe übermalt. „Um das zu verdauen, brauche ich wahrscheinlich zwei Päckchen Zigaretten“, sagt er. „Das“ – das war ein Anschlag auf seine Gaststätte in der Nacht zum Donnerstagabend. Unbekannte warfen im Schützenhaus zwei Fenster ein und beschädigten die Eingangstor, sieben, acht schwarze Steine habe er auf einem Haufen auf dem Parkplatz gefunden, sagte Miskovic.
„Ich bin absolut neutral“, betont Miskovic, und mit Ausländerfeinden habe er nun wirklich nichts am Hut. „Ich bin selbst Ausländer“, sagt der Kroate. Und er habe eine Familie zu ernähren, ein drei Jahre altes Kind. „Wir wohnen hier“, sagt Miskovic, die Gaststätte habe 30 Jahre lang sein Vater geführt, 2014 übernahm Ivan. „Das hier ist mein Zuhause“, sagt er, und dass sich über Politik ja gerne streiten lasse, „aber mir versucht man, meine Existenz zu nehmen“, sagt er, und das gehe gar nicht.
Das „Schützenhaus“ ist nicht nur Heimstatt des Schützenclubs Mainz1862, einem der größten und ältesten Schützenvereine in Deutschland. Es ist auch eine der wenigen Orte mit Versammlungsräumen auf dem Hartenberg. „Bei mir treffen sich alle möglichen Parteien“, sagt Miskovic. Ja, die AfD halte bei ihm ihren Stammtisch ab, auch die rechte ProMainz – aber ebenso kämen die CDU, die SPD, Ökovereine und Wandervereine: „Hier gehen alle ein und aus.“
„Dann soll er halt nicht Nazis ein Forum geben“, hieß es hingegen draußen vor der Tür. Dort protestierten am Donnerstagabend mehrer kleine Gruppen Linker, darunter Ultras, Antifa-Anhänger, aber auch junge Vertreter der Linksjugend Solid gegen Luckes Auftritt. Nazis und die AfD, das ist für sie dasselbe. Der Gewalt stimmt keiner zu, von dem Anschlag distanzieren mochte sich aber auch keiner so richtig.
Im Saal schwingt derweil Lucke markante Reden zur Inneren Sicherheit, später wird er über Flüchtlinge reden, mit durchaus populistischem Einschlag. Wer Zutritt zu dem Saal hatte, darüber wachte die AfD genau, potenzielle Kritiker wurden gar nicht erst eingelassen oder des Saals verwiesen. „Wir sind zu jung“, berichtete ein Vertreter der Linksjugend Solid, deshalb hätten sie den Saal wieder verlassen müssen.In der Vergangenheit hatte die rheinland-pfälzische AfD auch schon mal Pressevertreter bei ihrem öffentlichen Landesparteitag aus dem Saal geworfen, am Donnerstag konnte die Presse aber ungestört arbeiten.
Man habe Leute abgewiesen, „weil der Saal voll ist“, und weil im Internet zu Störaktionen aufgerufen worden sei, sagte der stellvertretende AfD-Landesvorsitzende in Rheinland-Pfalz, Arslan Basibüyük Mainz&. Die eigenen Mitglieder nicht zu schützen, sei doch „fatal.“ Doch auch die eigenen Mitglieder sind nicht unbedingt immer friedlich. Im Saal rief der Mainzer AfD-Mann Uwe Volkmer in bittendem Ton dazu auf, dass Lucke-Gegner bitte friedlich bleiben sollten. „Wir haben Herrn Miskovic schon genug zugemutet“, sagte Volkmer.
Die AfD ist tief gespalten, kommende Woche auf ihrem Bundesparteitag in Essen wird der Showdown zwischen Lucke-Anhängern und seinen Gegnern aus dem tief deutsch-nationalen Lager erwartet. Nein, sagt Basibüyük, die Partei werde gestärkt daraus hervorgehen. Luckes herrschaftlicher Umgang mit seinen Mitgliedern sei einfach nicht in Ordnung, kritisiert ein AfD-Mitglied vor der Tür, und außerdem müsse er sich jetzt am Mittagstisch Sprüche wie „Na, du alter Nazi“ anhören. Aber er sei doch kein Ausländerfeind, „ich bin mit einer Ausländerin verheiratet, habe zwei Kinder mit Doppelpass“, so lasse er sich nicht beschimpfen, wettert der Mann.
Im Saal hat es offenbar doch ein Antifa-Mitglied geschafft, sich einzuschmuggeln. Lautstark ruft er plötzlich „Ihr seid alle Nazis!“ Stark bewehrte Polizeikräfte stürmen daraufhin in den Saal, nehmen den Störer fest, durchsuchen ihn vor der Tür. Der junge Mann bekommt einen Platzverweis, dann darf er gehen. Die Beamten waren mit einem Großaufgebot vor Ort, blieben sichtbar, aber dezent. Jede Gruppe, die nicht gesetzlich verboten sei, habe gutes Recht, eine Veranstaltung abhalten zu dürfen, hieß es bei der Pressestelle auf Mainz&-Anfrage.
Und damit wären wir beim Kern des Problems: Die AfD ist – man mag sie mögen oder nicht – keine verbotene Partei, Lucke ist ein demokratisch gewählter Abgeordneter des Europäischen Parlaments. Linke Gruppierungen aber greifen Gastronome an, die der AfD Räume vermieten – aus unserer Sicht geht das gar nicht. Protest klar, Demonstrationen, sicher – aber Gewalt und Sachbeschädigung? Das geht doch stark in Richtung Einschüchterung und Angst, wer aber zu solchen Mitteln greift, verlässt selbst den Boden der Demokratie.
Denn dann war da noch der Besucher am Montagabend, erzählt Miskovic. Um 21.00 Uhr habe es geklingelt, ein „ganz normaler älterer Herr“ habe ihm gesagt, er solle „in meinem eigenen Interesse“ die Veranstaltung mit Lucke absagen, „weil mir bestimmt ein paar Linke die Scheiben einschlagen würden.“ Miskovic bedankte sich für den Hinweis und schloss die Tür. Die Veranstaltung abzusagen, kam für ihn nicht infrage. „Ich lasse mir zuhause keine Angst machen“, sagt er. Die AfD ließ ihn dafür am Donnerstagabend als Hüter der Meinungsfreiheit hochleben, Miskovic widersprach nicht.
Doch das Problem AfD-Veranstaltungen ist damit nicht gelöst: 2016 sind Landtagswahlen in Mainz, und die AfD will im Wahlkampf natürlich auch präsent sein, gerade in der Landeshauptstadt. „Das ist eine vollkommen rückwärts gewandte Partei“, sagte der Mainzer FDP-Politiker Tobias Huch, der ebenfalls zum „Schützenhaus“ gekommen war. Die AfD werde keine Chance haben, in den Landtag einzuziehen, sagte er Mainz&. Wie gering der Rückhalt sei, sehe man ja an den zahlreichen auswärtigen Kennzeichen der Autos auf dem Parkplatz: „Die haben alles im Land zusammengekarrt und hierher kommen lassen, damit der Saal voll wird.“
Info& auf Mainz&: Mehr über Luckes Schnitzeljagd durch Rheinhessen lest Ihr hier und hier.