Was für ein Auftritt: Margit Sponheimer verzaubert die Zuschauer bei „Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht“, die Mainzer Fastnachtsikone legte am Mittwochabend bei der närrischen Generalprobe im Mainzer Schloss einen umjubelten Auftritt hin und rührte ganz stark ans Herz. „Wenn Margit singt“, fürwahr, dann herrscht Ausnahmezustand. Die Mutter aller Fernsehsitzungen feiert damit das „Margittsche“ zu seinem 75. Geburtstag, es ist der emotionale Höhepunkt einer Sitzung, die reich an Highlights ist: Das ZDF legt in diesem Jahr eine durchaus rasante Sitzung auf die Fernsehbretter. Vier Stunden lang geben sich politische Redner und Kokolores-Spitzen das Mikro in die Hand, allen voran Florian Sitte als „Angela Merkel“. Manchmal allerdings werden arg viele Zoten unter der Gürtellinie gerissen – und der Ablauf sorgte am Donnerstag für eine Umstellung.
„Meine Erfahrung ist ja die“, sagte die Kanzlerin, „dass Rückgrat in der Politik oft stört.“ Angela Merkel ist frisch aus Berlin gekommen und berichtet gewohnt nüchtern von der abgeschlossenen „Paartherapie“ mit SPD-Chef Martin Schulz und verspricht: „Ich lege jetzt nicht die Raute in den Schoß.“ Mit großartiger Mimik, Gestik und Maske parodiert in diesem Jahr der Mainzer Zahnarzt Florian Sitte die CDU-Kanzlerin – und wird damit zum großen Abräumer bei der Fernsehsitzung „Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht.“ Sitte brilliert nicht nur mit verblüffender Optik, sondern trifft auch in Mimik und in der Tonlage beinahe haargenau den Duktus der ewigen Kanzlerin, heruntergezogene Mundwinkel natürlich inklusive.
Sitte legt aber auch einen inhaltlich starken Auftritt hin, der ihn geradewegs in die erste Riege der politischen Redner katapultiert. Kleine Kostprobe (Achtung Spoiler!): „Ich habe nichts gegen Gefühle“, sagt Mutti, „ich hatte erst letzte Woche selbst eins, und ich war sehr zufrieden damit.“ Doch Sitte glossiert auch durchaus politische Inhalte, seziert GroKo und Merkels Politik inhaltlich und lässt die Kanzlerin seufzen: „Ihr habt den Bibelturm, ich habe Horst Seehofer – beide sind groß, beide sind hohl und man weiß nicht so recht wohin damit.“
Das ist großes Narrenkino, weil Sitte nach tiefster Narrentradition Politik und Gesellschaft gleichermaßen den Spiegel vorhält. Und der Newcomer auf der Fernsehbühne wird dazu ganz zu Recht vom Saal frenetisch gefeiert – auch bei der Generalprobe im Mainzer Schloss am Mittwochabend. Sitte allerdings war nach seiner Premiere gar nicht zufrieden. „Ich war nicht richtig locker“, sagte er Mainz&, da gehe noch deutlich mehr. Das steigert indes unsere Vorfreude auf den Freitagabend nur 😉
Sitte ist der unbestrittene Höhepunkt einer an Highlights ohnehin nicht armen Sendung: Gleich zu Beginn rockt Friedrich Hofmann als „Till“ den Saal mit einem seiner besten Vorträge ever. Im vergangenen Jahr gab der SWR ja noch Protokoller Erhard Grom den Vorzug, die Pause hat dem „Till“ offenbar gut getan: Mit geschliffenen Reimen gibt der Eulenspiegel von der Reichstagskuppel den Politikern saftige Kritik mit und seziert höchst aktuell die GroKo-Verhandlungen. Da kommt Merkel als schwarze Witwe daher, die ihre Partner nach dem Beischlaf frisst, Schulz rettet sich als Flüchtling ins Außenamt, und Bayerns Löwe Horst Seehofer endet als Schmusekater auf Muttis Schoß.
Die Symbolfigur vom MCC ist bissig und spritzig wie lange nicht und redet in geschliffenen Reimen Klartext. In Sachen AfD schreibt der Narr den Protestwählern ins Stammbuch: „Demokratisch gewählt – das war auch Hitler anno 33“, erinnert der „Till“ und warnt vor dem „abgestandenen braunen Mief“ der neuen „Volksverhetzer“ von rechts. Wie schon im Vorjahr, so wird auch anno 2018 die Demokratie aus der Narrenbütt verteidigt: „Unser wichtigstes Gut, vergesst das nie, das sind Freiheit und Demokratie“, mahnt „Obermessdiener“ Andreas Schmitt am Ende.
Der Beginn der Sendung gehört aber natürlich dem Einmarsch der Garden, danach bringt Oliver Mager in Windeseile mit seinen Fastnachtshits den Saal auf Narrentemperatur – ein fetziger Beginn der Sitzung. Auf den Till folgt dann Alexander Leber als „Mainzer Polizist“, sein Vortrag ist solider Meenzer Kokolores, super dargeboten. Leber bedient die Sparte traditioneller Kokolores – und wird dann gefolgt von einem völlig modernen Element: Die junge Band „Handkäs und sei Musigg“ um Frontmann Oliver Wiesmann gibt mit einer Swing-angehauchten Rosenmontags-Hommage ihren Einstand auf der großen Fernsehbühne. Die Jungs in den Karo-Anzügen lassen aufblitzen, was die Mainzer Fastnachtsszene inzwischen an innovativen jungen Gesichtern zu bieten hat – gut so! Doch die Fernsehsitzung springt so zwischen modernen Elementen und alten Klassikern recht wild hin und her, nicht immer klappt das.
Das größte Problem hatte damit am Mittwoch ausgerechnet die einzige Frau: Sabine Pelz hatte hörbar Mühe, den Saal nach dem furiosen Beitrag von Florian Sitte wieder einzufangen. Die „Chefhostess“ meisterte die Herausforderung bravourös, ihr toller Vortrag über die Depressionsjahre des Mainzer Rathauses brauchte aber erstaunlich lange, um im Saal zu zünden. Das ZDF zog daraus am Donnerstag Konsequenzen: Pelz und Sitte werden am Freitag die Plätze tauschen, teilte der Sender auf Mainz&-Anfrage mit – eine gute Entscheidung, wie wir finden.
Nun folgt Pelz auf „Handkäs und sei Musigg“, nach ihr dürfen die Altrheinstromer einen Mini-Auftritt einstreuen, bevor Sitte den Saal zum Kochen bringt. Die Stimmung dürfen dann die Schnorreswackler weiter in die Höhe schrauben: Mit ihrem tollen „Närrischen Bundestag“ passen sie perfekt zum Thema Merkel und rocken als Zugabe auch noch mit ihrem genialen Cupsong das Schloss.
Der gelernte Mainzer Saalfastnachter erwartet danach unwillkürlich eine Pause, stattdessen steuert die Fernsehsitzung dann in einen Kokolores-Block mit Detlev Schönauer als Bio-Lehrer“ und Jürgen Wiesmann als „Ernst Lustig“. Da ist dann viel von Nostalgie und der guten alten Zeit mit analogen Telefonen und Facebook-Skepsis die Rede. Und manch Witz geht ausgerechnet in Zeiten der Metoo-Debatte gehörig unter die Gürtellinie – braucht man wirklich noch Witze über wuchernde weibliche Achselhaare?
Wiesmann brennt als „Best Ager Opa wider Willen“ ein Feuerwerk urkomischer Pointen aus dem Alltag ab und nimmt sich dabei auch wieder gehörig selbst auf die Schippe, das ist großer Mainzer Kokolores in Reinkultur. Danach geht die Sitzung in eine furiose zweite Halbzeit. Auf der Bühne steht der Narrenmond des MCV – und auf ihm sitzt niemand Geringeres als Margit Sponheimer.
Im weißen Marketenderinnenkostüm singt „Es Margittsche“ ein Medley ihrer drei größten Hits und beweist binnen Sekunden, warum sie die Grande Dame der Mainzer Fastnacht ist: Der Saal bebt, die Bühne glüht – Margit singt, und der Saal steht Kopf. Und er verneigt sich vor der gerade 75 Jahre alt gewordenen, frisch gebackenen Ehrenbürgerin von Mainz in aller Form. Dann singt „Es Margittsche“ auch noch als Zugabe das Lied, das ihr Toni Hämmerle einst auf den Leib schrieb, und das „Meenzer Mädche“ kommt überhaupt nicht altbacken, sondern frisch und beinahe schon wieder hochaktuell daher. Da wird so manches Aug‘ im Saal feucht, und die Gänsehaut kriecht über den Rücken – ein wirklich großer, historischer Gänsehaut-Moment bei „Mainz bleibt Mainz“ 2018.
So einen Moment auffangen kann nur einer: Lars Reichow. Der Kabarettist legt einen klasse Parforce-Ritt durch die Polit-Landschaft hin, glossiert Trump, Putin, Brexit und gleich auch noch die Metoo-Debatte – und zwar auf höchst elegante Fastnachtsart. Reichows Vortrag ist ein echtes Novum, hatte der Kabarettprofi doch in der Kampagne nicht alle Termine bei seinem Heimatverein GCV wahrgenommen und dann auch noch einen anderen Vortrag gehalten… Dennoch beweist der Profi seine Sonderklasse: „Wir müssen die Welt retten, eigentlich sofort“, seufzt Reichow und schließt eine rasante Liste eigentlich dringend fälliger politischer Themen an. Gut, dass am Freitag viel Politprominenz im Saal sitzt.
Die Fernsehsitzung ist dann mit Hochgeschwindigkeit auf der Zielgeraden: Nach dem Gardeballett der Füsiliergarde folgen Martin Heininger und Christian Schier mit ihrem fast schon dadaistischen Nonsens-Vortrag – die zwei sind einfach eine Sonderklasse. Direkt darauf setzt das ZDF den „Obermessdiener“, und Andreas Schmitt teilt stimmgewaltig und so rasant aus in Richtung Fußball und Politik, dass der Zuschauer kaum hinterher kommt.
Im Publikum saß am Mittwoch übrigens auch Schmitts Chef, der neue Mainzer Bischof Peter Kohlgraf – entspannt und gut gelaunt lauschte er dem Helaulujah aus der Bütt‘. “ Kohlgraf ist schließlich als gebürtiger Kölner gelernter Fastnachter und vertraute den Journalisten an seinem Tisch gerne an, dass er die Fastnacht schätze, weil sie die ganze Bandbreite des menschlichen Lebens feiere. „Es gibt sehr ernste Katholiken, da denke ich immer, wie feiern die Ostern“, meinte der Bischof voller Inbrunst.
Auf der Bühne erzählte sein „Obermessdiener“ unterdessen, wie er als „Survival Trainer“ dem Neuen auf dem Bischofsstuhl hilft. „Es traf uns wohlwollend der göttliche Wind und schickte uns ein Kölner Kind“, reimt Schmitt, um dann der Politik ihre Versäumnisse um die Ohren zu hauen – von „Blindschleich“ Dobrindt bis hin zur „Hauptstadt-Schickeria“. Schmitt stellt sich tief in die Tradition von Carl Zuckmayers „Adel vom Rhein“ und nimmt noch einmal kein Blatt vor den Mund in Richtung AfD: „Zum Aufstieg des Bösen reicht es schon, wenn das Gute nichts tut“, mahnt der „Obermessdiener“: Ihr könnt weiter anrufen und Drohbriefe schreiben“, die Narren ließen sich den Mund auch weiter nicht verbieten. „Viele haben das Hakenkreuz im Stempel“, wettert Schmitt, „und dieses Bagage jagen wir aus dem Tempel!“
Danach bleibt nur noch eines zu tun: Die politischen Texte der Mainzer Hofsänger zu enträtseln und das große Finale zu feiern. Vielleicht bekommt das ZDF bis Freitagabend ja auch noch die Akkustik im Saal in den Griff. „Meenz bleibt Meenz“ und die Fernsehsitzung, die beste aller Fernsehsitzungen.
Info& auf Mainz&: „Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht“ 2018 könnt Ihr am Fastnachtsfreitag, den 8. Februar, live ab 20.15 Uhr im ZDF sehen.