Man rieb sich in den vergangenen Tagen schon verwundert die Augen: Die Corona-Infektionen schossen auch in der Rheinland-Pfalz in der vierten Welle immer weiter in die Höhe, gerade im Süden des Landes gab es immer neue Rekordwerte. Germersheim: 424,7, Landau: 308, Südliche Weinstraße: 354, Worms: 323. Und doch sprang in keinem einzigen dieser Landkreise die sogenannte „Warn“-Ampel des Landes auf Stufe Orange – im zweiten Herbst der Corona-Pandemie warnen die Warn-Ampeln nicht, die Politik handelt nicht, und die Möchtegern-Ampel-Koalition in Berlin taucht ab. Die Mainzer Ampel übt sich derweil in solidarischer Untätigkeit – Rheinland-Pfalz schlittert ratlos und hilflos in die vierte Welle. Unser Mainz&-Kommentar.

Effektive Corona-Vorsorge-Politik im Herbst 2021 - karikiert von Ralf Böhme. - Grafik: RABE Cartoon
Effektive Corona-Vorsorge-Politik im Herbst 2021 – karikiert von Ralf Böhme. – Grafik: RABE Cartoon

Mit großen Gesten hatte die Landesregierung Rheinland-Pfalz die „Warnampel“ aus der Taufe gehoben, doch: Seit Wochen explodieren die Corona-Infektionen, doch die Warn-Ampel warnte einfach nicht. Damit sie das jetzt dann doch mal tut, muss sie der Gesundheitsminister persönlich über die Schwelle zur zweiten Stufe heben: „Für uns sollen neue Warnwerte ab Montag in Rheinland-Pfalz gelten“, verkündete Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD) am Abend im SWR – Warnwerte, Plural.

Doch tatsächlich nimmt das Land nur eine einzige, winzige Änderung vor: Die Zahl der Intensivbetten soll ab Montag in absoluten Zahlen ausgewiesen werden, und nicht mehr in einer verschleiernden Prozentzahl, die ohnehin nie jemand richtig verstanden hat, und die zudem auch noch nicht die reale Lage abbildete – sondern einen Wert theoretisch zur Verfügung stehender Intensivbetten. Das ist also „die Verschärfung“ der Warnampel, die „Brandmauer“ gegen die vierte Welle, die dramatischer zu werden droht, als alles, was Deutschland bisher in der Corona-Pandemie erlebt hat: Ein einziger, nachgeschärfter Wert sowie ein paar Personen weniger hier, ein undurchsichtiges Wirrwarr von Verordnung dort.

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Winter 2 der Corona-Pandemie, und in den Schulen setzt man weiter auf Stoßlüften. - Grafik: RABE Cartoon
Winter 2 der Corona-Pandemie, und in den Schulen setzt man weiter auf Stoßlüften. – Grafik: RABE Cartoon

Ansonsten – bleibt alles beim Alten. Tests in den Schulen: weiter ein Mal pro Woche, es sei denn die Warnampel, die nicht warnt, überschreitet doch mal die Schwelle zu Stufe zwei. Erst dann kommen rheinland-pfälzische Schüler in den Genuss, zwei Mal pro Woche einen anlasslosen Test machen zu dürfen – Hessen testet schon jetzt drei Mal pro Woche. Diese Sicherheitsstufe gewährt das Land seinen Schülern erst ab Warnstufe 3 – wann immer die überhaupt erreicht sein mag. Wahrscheinlich, wenn das Land längst von Delta überrollt ist, und wir alle wieder im Lockdown sitzen, weil Kinder und Jugendliche – unverschuldet – Eltern und Großeltern in Scharen das Virus nach Hause getragen haben. Macht ja nix, gell?

Noch immer handelt das Land Rheinland-Pfalz, als könnten Kinder nicht schwer an Covid erkranken, als gäbe es Long Covid nicht, jene tückische Langzeitfolgen des Coronavirus, die Nervenbahnen schädigen, Lungen zum Japsen bringen und Merkfähigkeit und kognitive Prozesse ausbremsen können. Die britische Professorin für Edpidemiologie speziell bei Kindern, Nisreen Alwan, wunderte sich gerade sehr in einem Spiegel-Interview, wieso Deutschland seine Kinder nicht besser vor dem Coronavirus schütze.

Lolli-Tests in Kitas? Schon lange vorbei. - Foto: Stadt Köln, Thomas Banneyer
Lolli-Tests in Kitas? Schon lange vorbei. – Foto: Stadt Köln, Thomas Banneyer

Auch Kinder könnten an Covid-19 schwer erkranken, rund 11.000 hätten allein in Groß-Britannien Long Covid entwickelt, berichtete die Expertin, und kritisierte: „In meinen Augen ist es höchst unfair, ja unethisch, jetzt, wo die meisten Erwachsenen geschützt sind, einfach zu sagen »Oh, jetzt ist es egal, jetzt können sich die Kinder alle infizieren.« Es ist kein schönes Kinderbild, was hinter diesem Denken steckt: Kinder werden nur ernst genommen, wenn sie den Erwachsenen als Übertragungsvektor gefährlich werden können.“

Oder ist es das Sparen, das den Landespolitikern die Hand diktiert, Sparen – ausgerechnet an den Kindern? Und dabei flehen die längst: Lasst uns wieder Masken tragen, gebt uns wieder Tests – wir haben Angst vor diesem Virus! Luftfilter gibt es bis heute so gut wie keine in den Schulen, geöffnete Fenster müssen noch immer reichen – „Idiotische Lage von nationaler Tragweite“, nannte der Spiegel diese Woche in seiner Titelgeschichte das Handeln der Politiker in der Corona-Krise im zweiten Herbst der Pandemie.

Impfbus ohne Personal - so stolpert die Politik in die Booster-Impf-Kampagne. - Grafik: RABE Cartoon
Impfbus ohne Personal – so stolpert die Politik in die Booster-Impf-Kampagne. – Grafik: RABE Cartoon

Wochenlang flehte die Politik, man möge sich doch bitte Impfen lassen, dann hektisch das Boostern entdeckt – und nun völlig überrascht feststellt: Die Hausärzte können das gar nicht alleine stemmen. Die Menschen stürmen die Praxen und Impfbusse, aber niemand ist vorbereitet – wie sehr kann man eine Impfkampagne eigentlich versemmeln? Schon wieder?!? Als hätte es nicht wochenlange Warnungen, Prognosen und ja, auch kritische Nachfragen von Journalisten gegeben. Als sie die Impfzentren schlossen, wurde die Politik gefragt, ob man die nicht noch brauche – das war Ende September. Als sie die Maskenpflicht in Schulen strichen, wurde die Politik gefragt, ob das nicht fahrlässig sei – inzwischen steigen die Corona-Inzidenzen in den Schulen Tag um Tag.

Und während bundesweit CDU-geführte Ministerpräsidenten Regeln und Kontakte bereits wieder beschränken, muss in Mainz der zuständige Minister die Warnampel, damit sie überhaupt mal die Schwelle zu Stufe zwei überschreitet, faktisch von Hand drüber heben – was für eine Warnampel soll das denn bitte sein?!? „Wir werden die intensivmedizinische Belegung so anpassen, dass die Warnstufe zwei erreicht wird“, sagte Hoch in SWR. Man sehe „eine angespannte Lage“, wolle „eine Brandmauer errichten, damit nicht die Inzidenzen erreicht werden wie in Bayern und Baden-Württemberg“, sagte Hoch noch.

Vielleicht wirft der Minister mal einen Blick in den Süden von Rheinland-Pfalz, auf die Inzidenzen jenseits der 300, jenseits der 400 – und jenseits der 1000 mancherorts bei den Kindern und Jugendlichen, die man ja offenbar nicht schützen muss. „Fassungslos, traurig und wütend habe ich gerade auf der corona-rlp.de Seite die neusten Maßnahmen lesen wollen, auf die wir seit Wochen warten“, schrieb am Dienstag eine Vertreter des Kita Fachverbands Rheinland-Pfalz auf Facebook: „Ich habe Tränen in den Augen, denn: Kein einziges Wort zu Kitas.“

Der Corona-Winterplan der Ampelparteien, as seen by Ralf Böhme. - Grafik: RABE Cartoon
Der Corona-Winterplan der Ampelparteien, as seen by Ralf Böhme. – Grafik: RABE Cartoon

Kein einziges Wort übrigens auch zur Frage, ob Weihnachtsmärkte stattfinden können, falls Ihr Euch das gefragt habt. Die „Ampel“ duckt sich weg, die Bundespolitik hat sich in ein grandioses Machtvakuum manövriert und sämtliche Steuerungsmöglichkeiten über Bord geschmissen – und im Mainzer Regierungsviertel und im Mainzer Rathaus duckt man sich gleich mit. Am Donnerstag ist es damit – hoffentlich – vorbei: Dann geht es bei der ersten Ministerpräsidentenkonferenz der Länder mit dem Bund erstmals seit Monaten wieder um einheitliche Corona-Regeln. Wie sagte doch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSUU) kürzlich so treffend: „Wir schlittern in kurzer Hose und auf Sommerreifen mitten in den Pandemie-Winter.“

Info& auf Mainz&: Mehr zu den jüngsten „Nachschärfungen“ der rheinland-pfälzischen Landesregierung lest Ihr hier bei Mainz&. Die wunderbaren Cartoons des Komikers Ralf Böhme findet Ihr hier im Internet.

 

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