Es war im Jahr 279 vor Christus als König Pyrrhus I. von Epirus nach einem großen Sieg über die Römer ausrief: „Noch so ein Sieg, und wir sind verloren!“ Seit Sonntag jubelt die SPD über den Sieg in Brandenburg, doch Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hat seinen Sieg teuer erkauft: Die CDU geschrumpft, die Grünen aus dem Parlament geworfen – mit wem will der Sozialdemokrat jetzt regieren? Dazu sitzt der fernt-entrückte Kanzler jetzt als Kandidat für die Bundestagswahl wohl fest im Sattel – und das könnte zum Debakel für die SPD werden. Unsere Kolumne „Mainz& politisch“ zur Brandenburg-Wahl.

Dietmar Woidke allein Zuhaus: Der Ministerpräsident machte zwar seine SPD wieder zur stärksten Kraft in Brandenburg - aber mit wem will er jetzt regieren? - Screenshot via SWR: gik
Dietmar Woidke allein Zuhaus: Der Ministerpräsident machte zwar seine SPD wieder zur stärksten Kraft in Brandenburg – aber mit wem will er jetzt regieren? – Screenshot via SWR: gik

Dietmar Woidke hatte alles auf eine Karte gesetzt: Werde die AfD stärkste Kraft in Brandenburg, werde er gehen, drohte der SPD-Ministerpräsident im Bewusstsein seiner Beliebtheit im Lande. Fast 60 Prozent wollten den seit elf Jahren regierenden Ministerpräsidenten von der SPD behalten, aber nur 14 Prozent seine Partei wählen – so war die Ausgangssituation. Woidkes Ultimatum wirkte: Am Sonntag erkämpfte die SPD mit 30,9 Prozent sehr knapp Platz 1 vor der AfD mit 29,2 Prozent – die SPD feiert es als einen glorreichen Sieg. Nur – ist er das auch?

Es war im Jahr 279 vor Christus, als ein gewisser König Pyrrhus I. von Epirus einen ungeheuren Sieg über das aufstrebende Römische Reich errang – es war ein ruhmreicher Sieg, erkämpft von den größten Armeen ihrer Zeit auf beiden Seiten. Doch Pyrrhus Verluste in der Schlacht waren so gewaltig, dass der König den Krieg verloren gab und sich nach Griechenland zurückzog – und den Weg zum Aufstieg Roms in Italien und letztlich zur alles beherrschenden Weltmacht freimachte. Nach der gewonnen Schlacht aber hatte Pyrrhus der Legende nach noch den Satz geprägt: „Noch so ein Sieg, und wir sind verloren“ – der Topos vom „Pyrrhussieg“, der einen selbst zu viel gekostet hat, war geboren.

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Woidke Sieg teuer erkauft: CDU geschrumpft, Grüne raus

Was das mit Dietmar Woidke und Brandenburg zu tun hat? Nun, so ziemlich alles. Denn Woidke hat den Sieg seiner SPD auf Kosten der anderen demokratischen und nicht-populistischen Parteien erkauft – und er hat damit auf einen Schlag alle seine Koalitionspartner verloren. Bislang hatte Woidke gemeinsam mit CDU und Grünen regiert, doch die Grünen flogen am Sonntag mit gerade einmal 4,1 Prozent aus dem brandenburgischen Landtag.

Neue Sitzverteilung im Brandenburger Landtag seit Sonntag. - Grafik: ZDF
Neue Sitzverteilung im Brandenburger Landtag seit Sonntag. – Grafik: ZDF

Schlimmer noch: Auch die CDU verlor mit minus 3,5 Prozentpunkten deutlich und kommt nur noch auf 12,1 Prozent, damit halten die Christdemokraten nur noch 12 Sitze im brandenburgischen Landtag. Nun hat die siegreiche SPD zwar mit 32 Sitzen die meisten im Parlament – aber zur notwendigen Mehrheit von mindestens 45 Sitzen reicht es mit der CDU nicht. Nun litt die CDU Brandenburg offenbar auch unter einem schwachen Spitzenkandidaten, doch wahr ist auch: Wegen Woidkes Ultimatum an die Wähler, wanderten Wähler von der CDU zur SPD, um einen AfD-Sieg zu verhindern.

Die CDU klagt zudem, in der Zuspitzung auf „SPD oder AfD“ seien die kleineren Parteien „aufgerieben worden“ – dieser Effekt ist belegt, und konnte auch schon bei anderen Wahlen beobachtet werden. Fokussiert sich eine Wahl auf zwei prominente Spitzenkandidaten, leiden darunter die „Kleinen“ – 2011 erlebte das die FDP in Rheinland-Pfalz: In dem Showdown zwischen SPD-Ministerpräsident Kurt Beck und CDU-Herausforderin Julia Klöckner, flog die FDP mit 4,2 Prozent aus dem Landtag.

Übrige bleibt: eine Russland-freundliche Populistenpartei

In Brandenburg litten unter dem Duell der Großen auch Linke und Freie Wähler, auch sie verloren beide ihren Sitz im Parlament. Woidke hat also nicht nur die AfD „besiegt“ – er hat auch potenzielle Koalitionspartner pulverisiert. Das Ergebnis: Im Brandenburger Landtag sitzen noch ganze vier Parteien – SPD und CDU sowie AfD und das neue Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Mit der CDU reicht es nicht für eine Koalition, also bleibt Woidke eigentlich nur das BSW – eine populistische, Russland freundliche Partei, die eigentlich mit der SPD nichts gemein hat. Ein Sieg?

Woher die Wähler der SPD Brandenburg dieses Mal kamen: Gewildert bei Grünen, CDU und Linken. - Grafik: ZDF
Woher die Wähler der SPD Brandenburg dieses Mal kamen: Gewildert bei Grünen, CDU und Linken. – Grafik: ZDF

Dazu kommt: Woidkes Sieg überdeckt nun völlig die Frage: Wieso eigentlich haben 43 Prozent der Brandenburger populistische und rechtsextreme Parteien gewählt, die die derzeitige SPD-Politik im Bund und offenbar ja auch im Land Brandenburg kategorisch ablehnen? Wieso kommen die Grünen nicht einmal mehr in den Landtag – und von der FDP spricht schon gar keiner mehr? Die Liberalen, 2019 bereits mit 4,1 Prozent aus dem Landtag in Brandenburg geflogen, kamen bei der Wahl am Sonntag gerade einmal noch auf 0,8 Prozent, wie Wahlrecht.de ausweist – eine Partei, die in der Bundesregierung sitzt!

Doch in Berlin fühlt sich SPD-Kanzler Olaf Scholz gestärkt und ermutigt, oder besser: In New York. Denn Scholz war am Sonntag gar nicht in Deutschland, er spielte den großen Weltenverteidiger bei der UN in New York – als gäbe es nicht die große Kritik in der Bevölkerung, der Kanzler und die Ampel würden sich um alle Probleme in der Welt mehr kümmern, als um „das eigene Volk“. Was übrigens eine Kritik genau der Wähler ist, die jetzt in Scharen AfD und BSW wählten.

Olaf Scholz jetzt „fest im Sattel“ als Kanzlerkandidat?

Durch den Sieg der SPD sitze Olaf Scholz jetzt als Kanzlerkandidat der SPD für die Bundestagswahl 2025 „fest im Sattel“, sind sich alle politischen Analysten in Berlin einig. Doch Woidke hat seinen Sieg unter anderem damit erkauft, dass er Olaf Scholz ein Auftrittsverbot in seinem Wahlkampf verordnete – kurz: Woidke gewann trotz und gegen Olaf Scholz, den er als Gefahr für seinen Erfolg ansah, und das auch noch zu recht. Wir reden immerhin über den Kanzler, der es geschafft hat, dass die Zustimmung der Deutschen zu seiner Regierung auf ganze 3 Prozent sank. Ein Sieg für Scholz?

Die Fastnachter haben es schon im Frühjahr der Republik gezeigt: Der Kanzler, der die Wirklichkeit in Deutschland nicht mehr wahrnimmt. - Foto: gik
Die Fastnachter haben es schon im Frühjahr der Republik gezeigt: Der Kanzler, der die Wirklichkeit in Deutschland nicht mehr wahrnimmt. – Foto: gik

Die Wahrheit ist doch: Woidkes Sieg überdeckt, was in der SPD überfällig wäre – eine ehrliche Analyse des Desasters der Ampel-Regierung. Ein ehrliches Eingeständnis, dass es die Politik der Ampel und die Abgehobenheit und Kommunikationsunlust des Kanzlers sind, die den populistischen Parteien in Scharen die Wähler zutreiben. Dass die Bevölkerung diesen Kanzler schon längst nicht mehr versteht, und nur noch fassungslos bis angewidert zur Kenntnis nimmt, dass Scholz alles „dufte“ findet – während die Infrastruktur zusammenbricht, die Wirtschaft immer tiefer in eine dramatische Krise rutscht und Deutschland nur noch vor Scherbenhaufen steht, sei es auf der Schiene oder im Krankenhaus.

Doch die SPD sieht sich gestärkt, man fühlt sich als „die Guten“, hat man doch „die Bösen“ von der AfD geschlagen – also alles richtig gemacht? Ohne den Sieg in Brandenburg wäre in der Berliner SPD jetzt Fundamentalkritik ausgebrochen. Es wären Fragen gestellt worden nach Kurs und Mittel – und Kandidat. Boris Pistorius wäre vielleicht tatsächlich endlich auch dem letzten SPD-Funktionär als kluge Alternative gedämmert. Woidkes Sieg verhindert all dies – jetzt heißt es „Hurra weiter so!“, und womöglich mit Anlauf in den Untergang.

Durchhalten, Kurs halten – dann wird alles gut?

Das übrigens trifft nicht nur die SPD im fernen Brandenburg oder in Berlin: Die Fähigkeit zur ehrlichen Selbstreflexion kommt Politik im Ganzen ohnehin immer mehr abhanden – das trifft Rheinland-Pfalz genau so. Auch hier heißt es aus der SPD: Man müsse nur durchhalten, Kurs halten, weitermachen, dann werde sich das Pendel im Frühjahr 2026 schon wieder zugunsten der Sozialdemokratie neigen – allen Umfragen zum Trotz.

Wahl gewonnen, aber Parteienvielfalt verloren? Die Schnorreswackler parodierten 2018 noch den Bundestag als bunte Truppe. - Foto: gik
Wahl gewonnen, aber Parteienvielfalt verloren? Die Schnorreswackler parodierten 2018 noch den Bundestag als bunte Truppe. – Foto: gik

Dass das durchaus möglich ist, hat die Wahl 2021 gezeigt – eine Garantie ist das nicht. Die Zeiten ändern sich gerade dramatisch, der Einfluss neuer Player macht den Ausgang zunehmend unkalkulierbarer – Brandenburg macht es ja gerade vor. Und dann? Auch in Rheinland-Pfalz könnten Grüne und FDP 2026 aus dem Parlament fliegen, das BSW Einzug halten, die AfD ist ja schon da. Das Weltanschauungsziel und den Ich-Trip gewonnen, aber politische Meinungsvielfalt und konstruktive Politik fürs Land verloren – ist das die Zukunft?

Die Gesichter in Potsdam werden lang und länger, die Erkenntnis dämmert: Wie sollen wir denn jetzt regieren? Was ist ein Sieg Wert, an dessen Ende eben keine demokratisch-stabile Steuerung des Landes steht? Wie jetzt weiter, Herr Woidke – was immer da kommt, wird DAS die Demokratie und das Vertrauen der Bürger stärken? „Ein ‚Pyrrhussieg‘ ist ein taktischer Sieg, bei dem es sich aufgrund von zu hohen Verlusten gleichzeitig auch um eine strategische Niederlage handelt“, heißt es bei „Frag Machiavelli“.de. „Noch so ein Sieg, und wir sind verloren“ – König Pyrrhus lässt grüßen.

Info& auf Mainz&: Was es mit den Pyrrhussiegen in der Geschichte auf sich hat, könnt Ihr ausführlich hier im Internet nachlesen. Mehr zum Zustand der Mainzer Ampel lest Ihr in diesem „Mainz& politisch“: Omid Nouripour und die Übergangskoalition. Mit der Politik-Kolumne „Mainz& politisch“ widmen wir uns Themen, die über Mainz hinausreichen, aber gleichwohl wichtig für politische Entwicklungen und eben auch für Mainz sind. Dabei analysieren wir, ordnen ein, kommentieren auch ein wenig – eben eine Kolumne, die aber wie immer bei Mainz& auf intensiver Recherche beruht.