Die Anwohner in Bretzenheim haben sich die Erschütterungen an ihren Häusern nicht eingebildet. Die offiziellen Erschütterungsmessungen durch die Mainzer Verkehrsbetriebe (MVG) ergaben: Es gibt zum Teil deutlich wahrnehmbare Vibrationen in den Häusern entlang der neuen Mainzelbahnstrecke im Bretzenheimer Ortskern. Allerdings: Die gemessenen Werte blieben zum großen Teil unter dem offiziellen Schwellenwert für zumutbare Erschütterungen. In einem Haus wurden allerdings enorm hohe Erschütterungen gemessen, die MVG will hier nun nachbessern. Die Bretzenheimer Ortsvorsteherin Claudia Siebner fordert unterdessen deutlich mehr Zugehen auch auf die anderen Anwohner. „Es gibt die Rumpelbahn wirklich“, sagte sie Mainz& – die Messungen zeigten deutlich, dass einzelne Bahnen erhebliche Erschütterungen verursachen. Und das sind ausgerechnet die neuen Variobahnen….
Seit die Mainzelbahn im Dezember 2016 durch Bretzenheim rollt, klagen Anwohner vor allem entlang der Bereiche Marienborner Straße und Am Ostergraben über zitternde Fußböden, klirrende Gläser und schwankende Betten. Ende April hatte die MVG schließlich Erschütterungsmessungen in neun Häusern durchführen lassen, man wolle nun selbst wissen, was an den Vorwürfen dran sei, sagte damals MVG-Geschäftsführer Jochen Erlhof. Nun legte die MVG die Ergebnisse der Messungen vor.
Werte zwischen 12 und 61 Prozent, Schwellenwert eingehalten
Das Ergebnis: „Die Schwellenwerte werden eingehalten beziehungsweise zum Teil deutlich unterschritten“, betonte Erlhof am Dienstag in Mainz. Bei acht von neun Gebäuden wurden demnach Werte zwischen 12 und 61 Prozent gemessen, der Schwellenwert wurde zum Vergleich mit 100 Prozent angesetzt. „Derartige Ergebnisse sind typisch“, sagte Erlhof. Allerdings gebe es ein Gebäude mit deutlich abweichenden Werten: Im Haus des Architekten Andreas Horn wurden Werte von 99 Prozent gemessen, die also praktisch genau auf dem Schwellenwert lagen.
Das Haus liegt ganze 3,50 Meter von den Schienen der Mainzelbahn entfernt, Horn hatte mehrfach die Presse über die Probleme in seinem Haus informiert und war auch als Sprecher der Anwohner aufgetreten. Bei Messungen in seinem Haus Ende April hatte Horn bereits gemutmaßt, es könne eine Trennfuge zwischen Gleiskörper und dem angrenzenden Erdreich fehlen, der Körperschall deshalb fast ungehindert über den Boden übertragen werden. Offenbar lag Horn damit nicht ganz falsch: Der Wert von 99 Prozent sei so hoch, dass auch der MVG-Gutachter gesagt habe, „das sollte nicht vorkommen“, sagte Erlhof.
Haus der Familie Horn erheblich belastet, MVG will nachbessern
Vor dem Haus sei eine elastisch gelagerte Gleisplatte eingebaut worden, die müsse laut Gutachter „eigentlich einen deutlich höheren Effekt zeigen“, berichtete Erlhof weiter. Die MVG werde sich den Gleisabschnitt vor dem Haus am Ostergraben 1 deshalb nach den Ferien näher ansehen und den Einbau der Gleise noch einmal überprüfen. Laut Gutachter sei „dringend geboten, für den Streckenabschnitt zu prüfen, wie Entlastung geschaffen werden kann“, die Schwankungen seien erheblich, räumte Erlhof ein, und versprach: „Hier werden wir tätig werden.“
Vielleicht übertrage ein seitlicher Kanal oder ein Hausanschluss die Erschütterungen im Boden, „irgendeine komische geologische Brücke“. Auch werde sich die MVG den Einbau der Bodenplatte noch einmal ansehen, auch mit Hilfe der Baudokumentation. „Wir werden uns bemühen, eine Verbesserung zu erreichen“, versprach er.
Mehr als 300 Messwerte von einzelnen Fahrzeugen an einzelnen Orten wurden bei der Aktion Ende April insgesamt erhoben, Erlhof kündigte an, die MVG werde sich die jetzt auch noch näher ansehen: „Das gibt für uns noch einmal eine ganze Menge Analysemöglichkeiten“, und kündigte an, die MVG werde das gründlich auswerten. Denn die Messungen bestätigten auch die Beobachtung von Anwohnern, dass es erhebliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Straßenbahntypen gibt. „Die Variobahnen rufen deutlich mehr Belastungen hervor, allein wegen ihres Gewichts“, räumte Erlhof ein.
Einzelne Variobahnen sorgen für erhebliche Erschütterungen
Aber auch zwischen den 19 Fahrzeugen der neuen Variobahnen gebe es noch einmal deutliche Unterschiede, besonders an einer Bahn ragten die Werte enorm heraus – die Bahn sei schlicht doppelt so laut wie die anderen. Das sei ein klarer Ansatzpunkt für die Wartung der Fahrzeuge, sagte Erlhof: „Wenn ich allein dieses Fahrzeug rausrechnen würde, würde die Belastung schon deutlich runter gehen.“ Die Anwohner hatten immer wieder ihre Beobachtung beschrieben, dass speziell die „Mainzelmännchen“-Bahn besonders laut rumpele und besonders starke Schwankungen verursache, dies scheint sich durch die Messreihen bestätigt zu haben.
„Wir werden uns um den Zustand unserer Fahrzeuge kümmern“, versprach Erlhof, die MVG habe schon jetzt das Wartungsintervall in Sachen Reifen halbiert. Die Reifen der Straßenbahnen können bei Vollbremsungen Kanten und Dellen bekommen, die dann zu rumpelnden und klackernden Geräuschen bei der Fahrt führen, dies kann durch Wartungsarbeiten wieder ausgebügelt werden. „Die Variobahn ist ein hervorragendes Fahrzeug“, betonte Erlhof aber auch. Zwar sei sie größer und schwerer und habe zudem eine höhere Achslast, im Geradeauslauf sei sie aber „butterweich“.
Zweithöchste Belastung am Küferweg gemessen
Die zweithöchsten gemessenen Werte bei den Erschütterungsmessungen finden sich im Bereich des Küferwegs, dort wurden in zwei Häusern unabhängig voneinander Werte von 58 und 61 Prozent gemessen – und das bei Häusern, die einmal 12,5 und einmal 28 Meter entfernt von den Gleisen stehen. Die Häuser befänden sich in Höhe einer Haltestelle, dort hätten die Messungen die Bahnen quasi in doppelter Länge erfasst, sagte Erlhof zur Erklärung. Allerdings gebe es am Südring in Höhe der Straßenkreuzung noch Probleme mit einer defekten Weiche, die immer noch nicht ausgetauscht worden sei, räumte der MVG-Geschäftsführer ein: Dort gebe es eine Anwohnerin, die sich nach wie vor beschwere, „zu Recht“, betonte er.
Das Problem der MVG: Der Hersteller liefere die neue Weiche einfach nicht, „und wir können sie halt nicht selber schweißen“, sagte Erlhof. Man habe jetzt einen Liefertermin für September genannt bekommen. Lieferprobleme gebe es aber weiter auch bei den Ampelanlagen, dort sei Siemens nicht in der Lage, die Software zu liefern.
Anwohner bei Treffen mit MVG unzufrieden: Keine Ansprüche
Bei einem Treffen mit den Anwohnern am Montagabend war es denn auch zu Auseinandersetzungen gekommen. „Die Stimmung war nicht gut“, berichteten Teilnehmer, die MVG lasse einfach nicht genügend erkennen, wie sie den Anwohnern zu helfen gedenke. Erlhof zeigte Verständnis für die Reaktionen: „Es gibt Menschen, die sind da beeinträchtigt, und wir stellen ihnen Werte vor, die unter dem liegen, die der Gesetzgeber als zumutbar ansieht“, sagte er. Das habe schon zu einer in Teilen aufgeheizten Stimmung geführt. Erlhof zufolge waren 60 bis 70 Anwohner bei dem Gespräch dabei, rund 60 Beschwerdeführer haben sich inzwischen bei der MVG gemeldet.
„Rein formal muss man sagen: Ansprüche gibt es hier gar keine“, sagte Erlhof mit Blick auf die gemessenen Werte unterhalb des Grenzwerts. Die MVG habe als kommunales Unternehmen aber ein großes Interesse an der Akzeptanz der Mainzelbahn. Man wolle kontinuierlich eine Verbesserung erreichen, beobachte weiter die Schweißstellen und werde im Juni noch einmal „eine Riffelmessung“ machen.
Rund 200 Schweißnähte seien inzwischen nachgebessert worden, sagte Erlhof, ursprünglich war von 400 defekten Nähten die Rede gewesen. Insgesamt investierte die MVG eigenen Angaben zufolge zwischen 10.000 und 15.000 Euro in die Nachbesserungen bei Anwohnern – so wurden auch in etwa zwanzig Fällen Risse in Gebäuden entfernt, die durch die Bauarbeiten der Mainzelbahn entstanden waren. Die Nachbesserungen bei Gleisen und Fahrzeugen würden sich zudem auch auf die gesamte Strecke auswirken, betonte Erlhof zudem.
Siebner: MVG muss Rumpelbahnen sofort stoppen und mehr auf Anwohner zugehen
Die Bretzenheimer Ortsvorsteherin Claudia Siebner (CDU) zeigte sich damit allerdings nicht zufrieden. Die Werte seien im Ergebnis gemittelt, das sei dasselbe Problem wie beim Fluglärm, sagte Siebner im Gespräch mit Mainz&. Die gemessenen Werte zeigten klar: „Die Anwohner haben sich nichts zurechtgesponnen“, betonte Siebner, „sie sprechen zu Recht von der Rumpelbahn – und es gibt mehrere Bahnen, die diesen Titel führen könnten.“ Die Probleme lägen an einzelnen Bahnen, und genau die führten „zu extremen Belastungen, deren Werte werden aber durch leise Bahnen gemittelt“, kritisierte sie.
Die MVG müsse hier reagieren und „alles dafür tun, dass diese Bahnen rund laufen – oder ich nehme sie raus“, forderte Siebner: „Wenn die Option ist, das Ding von der Schiene zu nehmen, dann muss die von der Schiene.“ Notfalls müsse eben ein Gutachter herbei, der prüfe, ob die rumpelnde Variobahn Baumängel habe, das müsse geklärt werden. „Nach über sieben Monaten interessiert mich auch nicht mehr, ob es Probleme mit dem Fuhrpark oder viele Baustellen gibt“, schimpfte die Ortsvorsteherin, es müsse jetzt etwas geschehen. „Ich erwarte, dass die Menschen hier in Ruhe schlafen können“, betonte Siebner, „und die MVG hat das zu gewährleisten.“
Sie zweifele weder die Messungen noch ihr Ergebnis an, tatsächlich gäben die Nachbesserungen an der ganzen Strecke oder flächendeckende Schutzmaßnahmen nicht mehr her. „Aber ich erlaube mir, nach sieben Monaten mal nachzufragen: Welche Perspektive haben denn jetzt die Anwohner?“, fraget Siebner. Die MVG müsse „mehr Sensibilität an den Tag legen“ und den Anwohnern signalisieren, „die MVG hat uns verstanden.“ Die Problematik sei größer, als die MVG zugegeben habe, betonte Siebner, das belegten die Messergebnisse nun eindeutig. „Eine Mindestansage wäre doch: Nachts fahren diese Bahnen nicht durch Bretzenheim“, fügte sie hinzu, „das wäre mal ein Signal gewesen.“
Info& auf Mainz&: Mainz& hat bereits ausführlich über die Klagen der Anwohner über Erschütterungen durch die Mainzelbahn und die Maßnahmen der MVG berichtet, zudem findet Ihr bei Mainz& einen ausführlichen Bericht über die Erschütterungsmessungen im April.