Dieser Fastnachtssonntag war sicher ein ungewöhnlicher, die meisten Fastnachtsveranstaltungen in Mainz ohnehin schon wegen der Corona-Pandemie abgesagt – doch wo etwas stattfand, war es geprägt von den Gedanken an Krieg und Frieden. Vor allem „Putins Krieg“ in der Ukraine trieb die Narren um: Bei einer Friedensandacht im Alten Dom zu Mainz erklang John Lennons „Give Peace a Chance“, im großen Mainzer Dom nebenan beim traditionellen Gardegottesdienst Ernst Neger’s „Heile Gänsje“ aus hunderten Kehlen. Und in der alten Christophskirche wurde des 77. Jahrestages der Zerstörung von Mainz gedacht – geschehen genau am 27. Februar 1945.

Fastnacht in Mainz: Beten und Gedenken standen am Fastnachtssonntag im Mittelpunkt. - Foto: gik
Fastnacht in Mainz: Beten und Gedenken standen am Fastnachtssonntag im Mittelpunkt. – Foto: gik

„Es gehört zu den hervorstechendsten Eigenschaften der Mainzer Fastnacht, dass wir immer nach dem Sinn suchen“, sagte Dekan Andreas Klodt, als er am Sonntagmittag vor die kleine Besucherschar in der Johanniskirche trat. Hier, im Alten Dom von Mainz, hatten sich rund 40 Menschen zu einer „Friedensandacht“ zusammengefunden – geplant war eigentlich eine „Fastnachtsandacht“, die erste der evangelischen Kirche in der Mainzer Johanniskirche. Nun machte der Krieg in der Ukraine eine intensive halbe Stunde daraus, die sich vollständig um den Frieden drehte.

Da erklang Wolf Biermann und das Friedensgebet von Coventry, besonders eindrücklich aber: Das „Gebet für den Frieden“, das aus Frankreich stammt und nach dem Ende des Ersten Weltkriegs entstand. „Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens“, heißt es da, „wo Hass herrscht, lass mich Liebe entfachen. (…) Wo Verzweiflung herrscht, lass mich Hoffnung entfachen. Wo Finsternis herrscht, lass mich Dein Licht entfachen. Wo Kummer herrscht, lass mich Freude entfachen.“

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Professor Christian Vahl als "Krabbenfischer vom Fastnachtsbrunnen" im Alten Dom zu Mainz. - Foto: gik
Professor Christian Vahl als „Krabbenfischer vom Fastnachtsbrunnen“ im Alten Dom zu Mainz. – Foto: gik

„Wir Menschen haben die Fähigkeit zu lachen“, sagte Klodt, „wir haben die Fähigkeit zu weinen. Und wie oft liegt beides dicht beieinander.“ Und so wartete die „Friedensandacht“ mit einer Narrenrede auf, in der Professor Christian Vahl als „Krabbenfischer vom Fastnachtsbrunnen“ von Solidarität und Beistand berichtete, und Martin Luthers hoffnungsfrohen Satz vom Weltuntergang und dem Apfelbaum* mit der Fastnacht und dem Krieg verwob: „Es ist Krieg in der Ukraine“, sagte Vahl: „Sind deshalb alle anderen Probleme egal? Nein, sind sie nicht.“

Die Narrenzahl, die Elf, sie zeige, dass in der Fastnacht „der eine wie der andere sei“, man stehe einander bei als Gleichberechtigte, „und die Hoffnung, sie ist mit Solidarität verbunden“, sagte Vahl. Und wer „wolle mer se roilosse?“ rufe, der öffne die Türen zu Partnerschaft und Willkommen. „Jeder kann etwas beitragen, jeder kann ein Friedensstifter sein“, sagte Vahl noch: „Folge deinem Herzen, tue was richtig ist, folge dir selbst – suche Frieden und jage ihm nach.“ Und so erklang zum Schluss der Andacht der alte John Lennon-Song „Give peace a chance“ aus allen Kehlen – und wohl auch aus tiefsten Herzen.

Gardisten im Mainzer Dom beim Gottesdienst am Sonntag. - Foto: Bistum Mainz/ Hoffmann
Gardisten im Mainzer Dom beim Gottesdienst am Sonntag. – Foto: Bistum Mainz/ Hoffmann

Zuvor hatte bereits im Mainzer Dom der neue Domdekan Henning Priesel beim großen Gottesdienst der Mainzer Garden – eine alte Fastnachtstradition – gemeinsam mit seinem Vorgänger Heinz Heckwolf ebenfalls für Solidarität mit der Ukraine geworben. „Solidarität
heißt nicht Mitleid haben“, betonte Heckwolf in seiner Predigt: „Solidarität, das sich Hineinversetzen in andere und sich deshalb für sie einsetzen, das ist das Grundprinzip christlichen Handelns.“ Solidarität sei deshalb „kein frommes Gefühl, sondern handfeste Tat“, sagte er, auch mit Blick auf die verheerende Flutkatastrophe im Ahrtal im Juli 2021.

 

Auch die Tatsache, dass bereits zum zweiten Mal auf fast das gesamte fastnachtliche Brauchtum verzichtet werde, um die Ausbreitung des Corona-Virus zu stoppen und Menschen zu schützen, sei eine Tat der Solidarität – wenn auch natürlich in anderem Ausmaße als im Ahrtal. „Unsere Solidarität gilt auch den Menschen in der Ukraine, wir sind bei ihnen in unseren Gedanken, in unseren Gebeten“, betonte Heckwolf zudem. Russland habe einen Krieg vom Zaun gebrochen, der Blutvergießen, Verletzte und Tote mit sich bringe.

Mainzer Ranzengarde im Innenhof des Kurfürstlichen Schlosses in Mainz. - Foto: gik
Mainzer Ranzengarde im Innenhof des Kurfürstlichen Schlosses in Mainz. – Foto: gik

Der Fastnachtsgottesdienst der Mainzer Garden ist eine alte Mainzer Tradition, die Garden wiederum entstanden im 19. Jahrhundert als Persiflage auf das Militär, vor allem auf die preußischen Truppen. Die Uniformen der Fastnachter verdrehen deshalb Hüte und militärische Abzeichen, ihre Gewehre schießen nicht, weil sie nur aus Holz sind. „Die Garde, sie steht nicht für Krieg und Einmarsch, wie wir das gerade in anderen Ländern sehen“, hatte Andreas Schmitt, Sitzungspräsident von „Mainz bleibt Mainz“ gerade noch in der Fernsehsitzung erklärt: Die Garde stehe „für Frieden, Fastnacht und Völkergemeinschaft.“

Gedenken an die Zerstörung von Mainz vor 77 Jahren

Die Fastnacht indes ist von alters her auch die große Trösterin, das galt gerade nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Mainzer in den Trümmern ihrer Stadt standen: Genau am 27. Februar 1945 wurde Mainz in den Nachmittagsstunden durch einen Bombenhagel der Alliierten in eine Flammenhölle verwandelt.

Die zerstörte Mainzer Innenstadt nach der Zerstörung am 27. Februar 1945. - Foto: Stadtarchiv Mainz
Die zerstörte Mainzer Innenstadt nach der Zerstörung am 27. Februar 1945. – Foto: Stadtarchiv Mainz

„Die Erde bebte, der Turm schwankte, Einschläge dröhnten in nächster Nähe, das Brummen der Flieger war deutlich zu hören“, schrieb Adam Gottron, Studienrat am Mainzer Gymnasium und später Ehrenbürger der Stadt Mainz, 1995 in einer Erinnerung. Gottron erlebte den Angriff in einem der Domtürme, und ausgerechnet der Dom überlebte das Inferno wie durch ein Wunder. „Ich stieg im Turm etwas empor, um Ausblick zu gewinnen, aber etwas wie ein dichter grau-brauner Nebel verdeckte die Sicht nach allen Seiten“, schrieb Gottron weiter: „Ununterbrochen dröhnten die Explosionen. Ringsum begannen Brände aufzulodern. Wir starren dem Nichts ins Angesicht.“

Von 16.30 Uhr bis 16.46 Uhr, binnen ganzer 16 Minuten, legten die Bomber das einstmals „goldene Mainz“ buchstäblich in Schutt und Asche – zur Erinnerung an die schrecklichsten Minuten der Stadtgeschichte läuteten am Sonntagnachmittag die Glocken der Kirchen in Mainz zu genau dieser Zeit. Zurück blieb vor 77 Jahren eine Trümmerwüste, an die bis heute das Mahnmal der Kirchenruine von St. Christoph in der Mainzer Altstadt erinnert – heute ein Ort des Gedenkens an die Schrecken des Krieges.

Mahnmal in St- Christoph zur Erinnerung an die Zerstörung von Mainz am 27. Februar 1945. - Foto: gik
Mahnmal in St- Christoph zur Erinnerung an die Zerstörung von Mainz am 27. Februar 1945. – Foto: gik

„An diesem Tag vor 77 Jahren, begrub der schreckliche Krieg, den Deutschland über die Welt gebracht hatte, unsere Stadt so kurz vor seinem Ende unter sich“, sagte der Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) am Sonntag in einer Videobotschaft aus der Christophskirche: „An diesem Tag wurde aus Lebenden Überlebende, und aus mehr als 1.200 von ihnen Tote.“ 80 Prozent der Innenstadt wurden damals zerstört, die 16 Minuten hinterließen Flammenhölle, Leichengestank und Verzweiflung. „Solch schreckliches Leid ist für uns heute kaum vorstellbar“, sagte Ebling, und genau deshalb gelte der Ukraine die Solidarität der Mainzer.

In einem Jahr, in dem Nationalismus und Krieg nach Europa zurückgekehrt seien, gelte es mehr denn je, sich zu erinnern, zurückzudenken, betonte Ebling weiter. „Wir wollen nie wieder jenes Gedankengut zulassen, dass diesen Krieg hervorgebracht hat – und alles für den Frieden tun“, unterstrich das Stadtoberhaupt: „Wir halten unsere Trauer lebendig, und wir bewahren die Erinnerung an die Toten in unserem Herzen – wir tun es in dem festen Willen, den Frieden zu bewahren, der uns geschenkt wurde.“

Fastnacht als große Trösterin nach dem Zweiten Weltkrieg

Die zerstörte Kirche St. Christoph ist heute ein Mahnmal zur Erinnerung an die Zerstörung von Mainz am 27. Februar 1945. - Foto: gik
Die zerstörte Kirche St. Christoph ist heute ein Mahnmal zur Erinnerung an die Zerstörung von Mainz am 27. Februar 1945. – Foto: gik

Nach dem Zweiten Weltkrieg war es in Mainz aber gerade auch die Fastnacht, die Freude, Hoffnung und Zuversicht zurück in die Herzen der Menschen brachte – zu ihrem Symbol wurde ein Lied: Das „Heile, heile Gänsje“ von Ernst Neger. Und genau dieses „Heile Gänsje“ erklang am Sonntag im Mainzer Dom während des Gottesdienstes – gesungen aus Hunderten Kehlen. Und noch ein zweiter Fastnachtshit wurde von Heckwolf zitiert: „Gell, Du hast mich gelle gern“, sang einst Fastnachtsikone und inzwischen Mainzer Ehrenbürgerin Margit Sponheimer, und wie das „Heile, heile Gänsje“ habe auch dieses Lied die Herzen der Mainzer getroffen, sagte der ehemalige Domdekan.

Denn das heitere „gell, du hast mich gelle gern“ geht weiter mit der Zeile: „Gell – Du lässt mich nicht im Stich“, und das, sagte Heckwolf „geht auch deshalb vielen zu Herzen, weil es eine inständige Bitte ausspricht: Nämlich ‚wenn die Welt mir Böses bringt, gell dann bitt ich dich, gell du lässt mich net, gell du lässt mich net im Stich!'“ Und das, so fanden die Narren, sei gerade jetzt wichtiger denn je.

Info& auf Mainz&: *Dem Reformator Martin Luther wird der Satz zugesprochen: „Und wenn morgen die Welt untergeht, ich würde heute noch einen Apfelbaum pflanzen.“ Mehr zum Bombenhagel und der Zerstörung von Mainz am 27. Februar 1945 lest Ihr hier bei Mainz&, mehr zur Mainzer Fastnacht als Trösterin der Herzen könnt Ihr hier bei Mainz& lesen. Den Text des „Heile Gänsje“ von Ernst Neger, dem singenden Dachdenker von Mainz, sowie zu den Hintergründen, lest Ihr hier bei Mainz&. Und weil es ein ganz besonderer Moment war, zitieren wir hier den vollständigen Text des „Gebets für den Frieden“, den wir hier gefunden haben:

Drei Fahnen auf dem Mainzer Landtag: Europaflagge, ukrainische Fahne und die deutsche Nationalflagge. - Foto: gik
Drei Fahnen auf dem Mainzer Landtag: Europaflagge, ukrainische Fahne und die deutsche Nationalflagge. – Foto: gik

Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens.
Wo Hass herrscht, lass mich Liebe entfachen.
Wo Beleidigung herrscht, lass mich Vergebung entfachen.
Wo Zerstrittenheit herrscht, lass mich Einigkeit entfachen.
Wo Irrtum herrscht, lass mich Wahrheit entfachen.
Wo Zweifel herrscht, lass mich Glauben entfachen.
Wo Verzweiflung herrscht, lass mich Hoffnung entfachen.
Wo Finsternis herrscht, lass mich Dein Licht entfachen.
Wo Kummer herrscht, lass mich Freude entfachen.

O Herr, lass mich trachten:
nicht nur, dass ich getröstet werde, sondern dass ich tröste,
nicht nur, dass ich verstanden werde, sondern dass ich verstehe,
nicht nur, dass ich geliebt werde, sondern dass ich liebe,
denn wer gibt, der empfängt,
wer sich selbst vergisst, der findet,
wer verzeiht, dem wird verziehen,
und wer stirbt, der erwacht zum ewigen Leben.