Ihr Markenzeichen sind Holzgewehre, an der Spitze prangen Blumensträuße statt Patronen, und seit sage und schreibe 185 Jahren verteidigen sie nun schon die Stadt Mainz gegen “Mucker und Philister”: Die Mainzer Ranzengarde ist die älteste Garde der Mainzer Fastnacht. Gegründet 1837 als Parodie auf die “Langen Kerle” von König Friedrich von Preußen, ist die Ranzengarde heute eine große Fastnachtsfamilie mit starkem sozialen Engagement – von der Ukraine über Haiti bis ins Ahrtal.
Wenn nun wieder die Umzüge durch die Straßen der Narrenhochburg Mainz ziehen, dann ziehen sie oft ganz vorneweg: Die Mainzer Ranzengarde in ihren Uniformen aus Blau, Rot und Gelb. Ihr Markenzeichen waren einst die dicken Bäuche: “Ranzen” heißt im Meenzerischen genau das – eine dicke Wampe. Es war 1837, als der Mainzer Unternehmer und Politiker Johann Maria Kertell etwas Revolutionäres, ja fast Aufrührerisches tat: Er gründete eine Garde, eine Fastnachtsgarde um genau zu sein.
Kertell war ein höchst bekannter Mann seiner Heimatstadt Mainz: Großkaufmann, Stadtrat, Präsident der Handelskammer und des Komitees zum Bau der Taunus-Eisenbahn, später Abgeordneter in der zweiten Kammer des Landtags im Großherzogtum Hessen. Doch in die Geschichte ging Kertell wegen etwas anderem ein: Als Gründer und erster Generalfeldmarschall der Mainzer Ranzengarde.
Gründer Kertell: “Ein Mann, vom Carneval erleuchtet”
“Eines Tages trat in der Gesellschaft der Narren ein Mann auf, vom Carneval erleuchtet und gesandt, mit prophetischem Geiste, und predigte: ‚Meine Herren und Mitnarren! Dem Fürsten Carneval müsst ihr eine würdige Garde zubereiten‘” – so steht es in der “Mainzer Fastnachtschronik” des Jahres 1838, wissen die Archive zu berichten. Ob Kertell diesen Satz tatsächlich anno 1837 so gesagt habe, sei nicht mehr nachvollziehbar, heißt es bei der Ranzengarde, Tatsache sei aber: “Mit ihm ist die Geburt der Mainzer Ranzengarde dokumentiert.”
1837 war erstmals eine Art Narrenumzug, der “Krähwinkler Landsturm” durch das Mainzer Narrentreiben marschiert, ein Jahr später ließ Kertell an Fastnachtssonntag 1838 zum ersten mal die Mainzer Ranzengarde aufmarschieren: “Beeindruckende 37 Mann stark, überwiegend brave Handwerker, aber auch Geschäftsleute”, vermerkt die Chronik der Mainzer Ranzengarde: “Allen voran hoch zu Ross der schon kränkelnde 67-jährige Kertell als ‘General Edler von Seuffenkessel’.”
Die Garde war als Persiflage gedacht, es war eine freche Parodie auf das preußísche Militär, allen voran die “Langen Kerls” von König Friedrich, für die eine Mindestgröße von sechs Fuß vorgeschrieben war. Bei der Ranzengarde hingegen wurde zur Aufnahmebedingung ein Mindestgewicht von zwei Zentnern und ein Leibesumfang von mindestens sechs Fuß gemacht – das wären rund 1,50 Meter Umfang gewesen. “Das konnte selbst im Gründungsjahr nicht jeder Gardist vorweisen, und half mit Kissen oder Stroh unter der Uniform nach”, vermerkt die Chronik der Garde.
Ranzengarde: mit Konfetti gegen Mucker und Philister
Gleich der erste Auftritt habe “Das Rheinland jubeln lassen”, heißt es weiter: “Ranzengarde war der Zauber, der alle mächtig anzog und alles andere, die Narrheit ausgenommen, in den Schatten stellte.” Seither kämpft die Ranzengarde gegen “Mucker und Philister” – also gegen Griesgrame und Spaßverderber – und schützt die Stadt der Narren gegen alle Anfeindungen. “Gekämpft” wird dabei mit Konfetti, Luftschlangen und natürlich dem Schlachtruf “Helau” – wie die Preußen auf diese freche Parodie reagierten, ist unklar: Erfreut waren sie wohl nicht.
15 Ranzengardisten waren der Überlieferung nach auch bei der Gründung des Mainzer Carneval Vereins (MCV) 1838 dabei, dem ältesten Mainzer Fastnachtsverein, der bis heute den Mainzer Rosenmontagszug organisiert. Die Ranzengarde übernahm den “militärischen Schutz” des MCV, sie wurde die “Leib- und Bauchgarde” für “König Carneval” und ab 1839 für den Prinzen Carneval. Und sie bildete die Spitze des ersten Mainzer Rosenmontagszugs und nahm seit ihrer Gründung an jedem einzelnen Teil – ihr Ehrentitel deshalb: “Die Mutter aller Garden”.
So groß war der Erfolg der ersten Mainzer Garde, dass sich 1856 mit der Mainzer Kleppergarde eine zweite gründete – ihnen sind Dutzende weitere gefolgt. Gemein sind ihnen allen Uniformen und Rangabzeichen, sowie die Organisation in Corps – vom Trommler über Reiter bin hin zu den kleinen Kadetten im Nachwuchscorps. Die Garden, sie wurden auch gegründet in dem Bestreben, die Fastnacht zu organisieren und zu zivilisieren, im Gegensatz zum anarchischen Treiben auf den Mainzer Straßen.
Musikcorps, Spielmannszug und Reitercorps
Tatsächlich verfügt auch die Mainzer Ranzengarde bis heute über ein Musik- und Trommlercorps, ein Spielmannszug und Fanfarencorps, das große Gardemusikcorps und auch über ein Reitercorps – als eine der wenigen Garden nimmt die Ranzengarde noch immer jedes Jahr mit Pferden am Mainzer Rosenmontagszug teil – aus Tradition und wegen der besonderen Atmosphäre, die das schafft.
Rund 1.000 Mitglieder hat die Mainzer Ranzengarde heute, und ist damit eine der größten Garden von Mainz – ein eigener närrische Lindwurm mit 2000 Beinen. Die meisten sind Mitglieder des “Batalions”, sie marschieren bei Sitzungen als “Eskorte” in den Saal ein und stellen eben die Gruppen für die Straßenumzüge. Eine Besonderheit der Ranzengarde zudem: Die Tanzkathrinchen samt ihrem Tanzoffizier. Sie alle verstehen sich als große Garde-Familie, der Familiensinn sei der Garde “quasi in die Wiege gelegt”, sagen sie hier stolz.
Nachwuchsprobleme habe man keine, sagt Generalfeldmarschall Thomas Thelen: “Wir sind eine Volksgarde, wie nehmen alle auf.” Rund 129 Kinder und Jugendliche gebe es derzeit im “Kadettencorps”, dort habe die Garde ebenso Zulauf wie in den anderen Altersgruppen. “Die Fastnacht, das ist nicht nur Freude und Feiern, das ist auch dieses Miteinander – es ist ein großer Integrationsfaktor”, sagt Marie Luise Thüne, Ehrenoffizier der Ranzengarde und seit Herbst 2022 Mitglied im Kommando der Garde.
Kirschgartenfest: 1.111 Euro für Karnevalsvereine im Ahrtal
Beim Kirschgartenfest Ende Januar übergab die Ranzengarde einen Scheck von 1.111 Euro an Ex-Karnevalsprinz Matthias aus dem Ahrtal, das Geld geht an einen von der Flutkatastrophe gebeutelten Karnevalsverein im Ahrtal. Das Kirschgartenfest wurde vor rund zehn Jahren ins Leben gerufen, an einem Samstag Ende Januar feiert die Ranzengarde da ein buntes Straßenfest mitten in der Mainzer Altstadt – ganz in der Nähe des Geburtshauses von Gründer Kertell. Befreundete Garden marschieren auf und bringen ein Ständchen, es wird getrunken und gefeiert.
“Das Ziel war, die Mainzer Fastnacht wieder in die Altstadt zu holen, weil der Rosenmontagszug seit 1995 hier nicht mehr durchführt”, berichtet Thelen. Aktionen wie diese sind typisch für die Ranzengarde: Ihr unvergessener Generalfeldmarschall Johannes Gerster schmückte regelmäßig das Gutenberg-Denkmal mit einer Narrenkappe und stellte sich auch schon mal selbst auf den verwaisten Sockel, als das Denkmal zur Reparatur war.
Der Scheck fürs Ahrtal war mitnichten die erste Hilfsaktion der Ranzengarde: 2021, als es keine Fastnacht gab, habe die Ranzengarde den “Flutorden” aus dem Ahrtal verkauft, 7.000 Euro kamen damals für das Ahrtal zusammen berichtet Thüne. Die agile Ehrenoffizierin ist Gründungsmitglied der Hilfsorganisation “Luftfahrt ohne Grenzen”, bei der Ranzengarde organisierte sei schon viele Hilfsaktionen: Als 2008 die große Flutkatastrophe über Mynamar kam, kaufte die Ranzengarde elf Boote für Fischer vor Ort, auch nach dem großen Erdbeben von Haiti half die Garde.
Hilfe in der Ukraine, in Myanmar, in Haiti – und im Ahrtal
Als am 24. Februar 2022 der Ukraine-Krieg ausbrach, waren Vertreter der Ranzengarde gerade unterwegs in Ahrtal – keine zwei Wochen später rollte der erste Sattelzug mit 32 Paletten Hilfsgütern bereits Richtung Ukrainische Grenze. “Freud und Leid, in der Fastnacht gehört das traditionell zusammen”, sagt Thüne. Die Fastnachter hätten “ein sehr großes Herz”, wenn in der Garde bekannt werde, dass jemand Hilfe brauche, “dann sind die da – und das ist in allen Garden so”, sagt Thüne. Das unterstreicht auch Thelen: “Das alte Fastnachtsmotto ‘Was lacht und weint, der Narr vereint’, das haben wir verinnerlicht”, sagt der Generalfeldmarschall: “Wir unterstützen gerne.”
Gefeiert wird aber natürlich auch: Die Ranzengarde veranstaltet Prunkfremdensitzungen und einen legendären Altweiberball. Es gibt einen Youtube-Kanal und Auftritte in den sozialen Medien, man marschiert natürlich beim Neujahrsumzug der Garden mit, beim Jugendmaskenzug und selbstverständlich beim Rosenmontagszug.
Und dann ist da ja noch der “Mainzer Ranzengardist”: Jedes Jahr am 2. Januar zeichnet die Ranzengarde am 1. Januar auf ihrem Großen musikalischen Generalappell Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die sich mit Humor und Lebensfreude als Botschafter der Mainzer Fastnacht verdient gemacht haben, mit einem Preis aus – einer Mini-Nachbildung des Ranzengardebrunnens der Künstlerin Liesel Metten. Den Preis erhielten schon der Mainzer Kardinal Karl Lehmann oder Ex-ZDF-Intendant Markus Schächter, 2020 bekam ihn Fastnachtsikone Margit Sponheimer – und 2023 Mainz 05-Manager Christian Heidel.
Wie Christian Heidel einmal den Jürgen Dietz machte
“Sie alle stehen dafür, Lebensumstände kritisch zu beleuchten und klare Ziele zu formulieren”, sagte Thelen bei der Preisverleihung: “So entspricht es der Tradition unseres Mainzer Karnevals und der freien Meinungsäußerung.” Der Fußball-Manager sei ein würdiger Preisträger, weil er wie kein anderer den Bundesligisten Mainz 05 geprägt und zum Botschafter der Stadt gemacht habe.
Tatsächlich bekannte Heidel, der Satz “Wir sind nur ein Karnevalsverein” sei vielleicht “ein klein wenig” seine Erfindung, die Fastnacht ganz nah an seinem Herzen: “Endlich wieder Mainzer sein, endlich wieder am Rosenmontag sind wir geboren”, bekannte Heidel , es sei großartig, dass das wieder gehe. Und dann verriet der Fußballmanager ein Geheimnis: 2005, an einem Fastnachtssonntag, habe er ein ein Mal auf einer Fastnachtsbühne in der Bütt gestanden – als Double für den legendären “Boten vom Bundestag”.
Heidel trug den ganzen Vortrag des “Boten” vor, “es ging ein Raunen durch die Halle, das Komitee war im Ausnahmezustand”, erinnerte er sich: “Das war schon ein sehr besonderes Erlebnis, für einen der ganz großen Redner der Fastnacht auf der Bühne zu stehen.” Der kritische Blick auf Politik und Weltgeschehen, wie ihn Redner Jürgen Dietz verkörperte – in Mainz ist das ein untrennbarer Teil der Fastnacht. Das gilt auch für die Ranzengarde, wie schon deren Motto verrät: “Liberté, Egalitè, Weinschorle” – eine Verbeugung vor der Französischen Revolution. Und der heiligen Dreifaltigkeit der Meenzer Fastnacht: Weck, Worscht und Woi.
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