Überraschende Schachzüge im Mainzer Stadtrat: Die SPD kippte am Mittwoch gemeinsam mit den Ampel-Mitstreitern von Grünen und FDP einen Ergänzungsantrag zum neuen Nutzungskonzept der Ludwigsstraße, den erst am Vortag die Ausschüsse der Stadt Mainz mit großer Mehrheit beschlossen hatten. Der Antrag war von Ortsbeirat Altstadt eingebracht worden und fand in der Sondersitzung mehrere Ausschüsse am Dienstag eine große Mehrheit – am Mittwoch beantragte die SPD-Fraktionschefin Alexandra Gill-Gers im Stadtrat überraschend die Streichung des Zusatzantrags. Am Ende einer in Teilen wirren Abstimmung segnete der Mainzer Stadtrat schließlich das neue Nutzungskonzept für die Ludwigsstraße ab, samt eines Ergänzungsantrags der CDU-Opposition. Kritiker sprachen von „Manövern“ und „Deals“ zwischen den Fraktionen, mit denen die politische Kultur in Mainz beschädigt werde.
Vor gut zwei Wochen hatte der neue Investor Dirk Gemünden überraschend sein neues Nutzungskonzept für die Ludwigsstraße vorgestellt, der Baukomplex soll die Themen Shoppen, Genuss und Kultur vereinen und sieht eine deutlich offenere Raumstruktur als die vorherigen Pläne mit dem weitgehenden Erhalt der derzeitigen Plätze und einer Öffnung in Richtung Ludwigsstraße vor. Die Pläne wurden von einer breiten Basis in Politik und Gesellschaft begrüßt, die Bürgerinitiative Ludwigsstraße übte allerdings scharfe Kritik: Das Konzept bediene nur Investorenwünsche, schaffe keinen Wohnraum und keine Grünflächen und verscherbele öffentliche Plätze an einen privaten Investor.
Am Mittwoch nun sollte der Mainzer Stadtrat in seiner letzten Sitzung vor der Kommunalwahl die neuen Pläne absegnen – im Eiltempo, wie mancher Stadtrat kritisierte. „Hier wird versucht, vor der Kommunalwahl noch einen Schnellschuss zu machen“, kritisierte ÖDP-Chef Claudius Moseler, dabei seien noch zahlreiche Fragen offen, Gespräche der Fraktionen mit dem Investor hätten teilweise noch gar nicht stattgefunden. „Wie hier die Verwaltung versucht, in einem Schnellschuss den Stadtrat über den Tisch zu ziehen, ist aus meiner Sicht bedenklich“, schimpfte Moseler. Die Verabschiedung sei ein Fall für den neu zusammengesetzten Stadtrat nach der Kommunalwahl, dann sei Zeit genug dafür.
Moselers Kritik war vergeblich: Bereits am Dienstag hatten sich mehrere wichtige Ausschüsse der Stadt mit dem neuen Nutzungskonzept befasst, und dabei auch Beschlüsse gefasst. So wurde die Vorlage der Stadtverwaltung, das neue Konzept zu begrüßen und die Auslobung von Wettbewerben sowie die Schaffung von Baurecht einzuleiten, von den Ausschüssen beschlossen – mit einer Ergänzung. Der Ortsbeirat Altstadt hatte nämlich am Montagabend in einer Sondersitzung drei Forderungen beschlossen und diese den Ausschüssen in einem Ergänzungsantrag vorgelegt.
In den drei Punkten forderte der
Ortsbeirat ein städtebauliches Gesamtkonzept für die gesamte Ludwigsstraße und einen städtebaulichen- architektonischen Wettbewerb, dessen Bedingungen durch städtische Gremien festgelegt werden sollten. Ferner dürfe „die Jahrhundertchance“, den 60er-Jahre-Komplex zu einem echten Altstadt-Quartier zu entwickeln „nicht verpasst werden“, der Umfang der öffentlichen Flächen dürfe nicht sinken, die Zahl der Wohnungen müsse deutlich steigen.
Die Ergänzungen fanden in der Sondersitzung der Ausschüsse eine breite Mehrheit, üblicherweise folgt der Stadtrat dieser Vorlage der Ausschüsse ohne weitgehende Änderung. Nicht so dieses Mal: Sie beantrage die Streichung der Ergänzungsanlage, sagte SPD-Fraktionschefin Alexandra Gill-Gers am Mittwoch überraschend zu Beginn des Tagesordnungspunktes Ludwigsstraße. Stattdessen werde man nun einem Ergänzungsantrag der CDU-Opposition zustimmen, der kurzfristig neu eingebracht worden war. Die Verblüffung im Plenum war groß – die betroffenen Ortsbeiräte der Altstadt jedoch waren geradezu versteinert.
„Es ist eine gewisse Kuriosität, dass die Ampel dem CDU-Antrag heute zustimmen wird, wo sie gestern noch dagegen war“, sagte SPD-Stadtrat Andreas Behringer, Mitglied des Altstadt-Ortsbeirates. Die Ausschüsse hätten am Dienstag „mit überwältigender Mehrheit diesen drei Punkten zugestimmt“, nun würden sie „aufgrund eines Deals“ wieder gekippt. „Diese Wendungen sind keinem Bürger vermittelbar und sicher nicht hilfreich für die politische Kultur“, kritisierte Behringer klar, und sparte auch nicht mit Kritik an den eigenen Fraktionskollegen.
Behringer unterstrich, in dem neuen Quartier dürfe es nicht weniger Wohnen geben als heute, sondern im Gegenteil deutlich mehr. „Die Behauptung der Verwaltung, dass damit das ganze Projekt unwirtschaftlich würde, ist absurd“, betonte Behringer: „Seit wann ist der Bau von Wohnungen unwirtschaftlich?“ Das Areal brauche einen städtebaulichen Wettbewerbe, dessen Bedingungen müsse die Politik vorher beschließen. „Das war der Kardinalsfehler beim Bibelturm, dass wir das vorher nicht getan haben“, fügte Behringer hinzu.
Mit dem Bibelturm sei das nicht vergleichbar, konterte der Mainzer SPD-Chef Marc Bleicher, „ich weise auch zurück, dass wir uns von der Verwaltung über den Tisch ziehen ließen.“ Es sei „eine wahnsinnige Erleichterung in der Stadt spürbar, dass endlich eine Mainz-verträgliche Konzeption vorliegt“, sagte Bleicher, diese Chance dürfe nicht vertan werden. „Ratsbeschlüsse werden vom Rat beschlossen“, nicht von Ausschüssen, sagte auch Grünen-Fraktionschefin Sylvia Köbler-Groß.
Doch auch in den Reihen der Grünen regte sich deutlicher Widerstand: „Wir wollten mehr Wohnraum in dem Areal, weil Wohnraum dringend gebraucht wird“, sagte der Ortsvorsteher der Mainzer Altstadt, Brian Huck (Grüne) – und dabei habe bei den Grünen eigentlich immer Konsens bestanden. Auch hätten die Grünen selbst in ihrem Kommunalwahlprogramm stehen, der Anteil öffentlicher Flächen dürfe nicht sinken – jetzt stimmten die Grünen gegen ihr eigenes Programm ab, kritisierte Huck.
„Mit diesem Hin und Her-Manövrieren tun Sie sich keinen Gefallen“, kritisierte auch Jasper Proske von den Linken: „Solche Aktionen wie diese hier sind einer der Hauptgründe für Politikverdrossenheit.“
„Wir manövrieren hier als Ampel
nicht hin und her“, entgegnete Gill-Gers schließlich: „Ich habe in meiner Fraktion zwei Personen, die eine Chance auf den großen Wurf sehen, aber 15 Leute, die die Priorität auf die Sicherung und Stärkung des Handels an dieser Stelle legen.“ Die Mehrheit der Fraktion wolle „heute unbedingt einen Schritt weiter kommen“, deshalb müssten die drei Punkte unbedingt wieder gestrichen werden. Mit ihnen werde dem Konzept „ein stark einengendes Korsett angelegt, das der Bürgerbeteiligung gar keinen Raum mehr gibt“, betonte Gill-Gers.
Der Änderungsantrag der CDU, den die Ampel in der Folge beschloss, sieht indes auch vor, ein städtebauliches Gesamtkonzept für die Ludwigsstraße von vom Gutenbergplatz bis zum Schillerplatz zu entwerfen und die Ergebnisse für die Ratssitzung im Juni 2019 entscheidungsreif aufzubereiten. Zudem sei das Ludwigstraßen-Consilium unverzüglich einzuberufen und in die Meinungsbildung einzubinden – das Consilium sollte eigentlich begleitend zur Entwicklung der Pläne tagen und die Bürger an der Entwicklung beteiligen.
Die Bürgerbeteiligung sei betonte CDU-Fraktionschef Hannsgeorg Schönig, gleichzeitig wolle die CDU für das Projekt eine breite Mehrheit. „Wir bringen hier ein ganz wichtiges Projekt auf den Weg, auf das die Bürger seit einem Jahrzehnt warten“, sagte Schönig, das Projekt sei „wichtig für Einzelhandel und Touristen und Bürger dieser Stadt.“
Am Ende stimmte der Stadtrat mit großer Mehrheit für das Nutzungskonzept und für den Änderungsantrag der CDU, allerdings war nach der Abstimmung mehreren Stadträten nicht vollständig klar, wofür genau sie die Hand gehoben hatten: Er habe für den Hauptantrag stimmen wollen, aber dagegen, die Änderungen vom Vortag herauszunehmen, sagte etwa Huck nach der Sitzung Mainz& – er sei sich nun unsicher, ob das auch so passiert sei. Auch ÖDP-Mann Moseler kritisierte, es sei unklar gewesen, über welche Änderung zu welchem Zeitpunkt abgestimmt worden sei.
Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) lehnte jedoch eine Wiederholung der Abstimmung ab. Mit dem neuen Konzept gebe es „nun endlich eine Chance, aus der städtebaulichen Situation herauszukommen, die einer Landeshauptstadt Mainz unwürdig ist“, sagte er. Mainz habe jetzt die Chance, den Warenhausstandort mit einigen hundert Arbeitsplätzen zu erhalten. „Niemand bekommt das Heft des Handelns aus der Hand genommen“, betonte der OB zudem, der Rat beschließe „kein fertiges Konzept und keine fertige Bauleitplanung.“ Vielmehr gebe der Stadtrat mit seinem Beschluss „dem Konzept die Chance, auf dieser Basis weiter zu arbeiten“, betonte Ebling. Die drei Punkte des Ergänzungsantrages aber würden einen Widerspruch zum Rest der Vorlage darstellen, warnte der OB: „Wir treten sonst auf der Stelle, damit ist niemandem geholfen.“
Info& auf Mainz&: Mehr zum neuen Nutzungskonzept des Boulevard LU lest Ihr hier bei Mainz&, die Kritik der Bürgerinitiative daran lest Ihr hier.