Das ist ein Paukenschlag: Die Mainzer Unimedizin will nun doch nicht ihre gesamten Neubauvorhaben auf dem Campus in der Mainzer Oberstadt realisieren – sondern ein großes Zentralkrankenhaus am Hang des Mainzer Lerchenbergs bauen. Pikant dabei: Der Neubau soll ausgerechnet in der Draiser Senke entstehen, wo einmal ein Medienpark fürs ZDF entstehen sollte. das Projekt wurde gekippt, der Mainzer Stadtrat legte für Bauvorhaben in der Draiser Senke ein Veto ein – jetzt sind Entsetzen und Kritik groß.

Die Nachricht versteckte sich in einer Pressemitteilung zum Jahresabschluss 2024 der Mainzer Universitätsmedizin: „Zum ersten Mal hat die Universitätsmedizin Mainz mehr als eine Milliarde Gesamtumsatz erzielt“, teilte das Großklinikum am 10. Juli mit, und betonte: Das Ergebnis des Jahresabschlusses für 2024 sei deutlich besser ausgefallen als im Jahr zuvor, das Millionendefizit geschrumpft. Demnach schließt die Universitätsmedizin Mainz das Jahr 2024 mit einem Fehlbetrag von -96,7 Millionen Euro ab und verbessert damit das Ergebnis von 2023 – damals machte man ein Minus von -113,6 Millionen. Damit sei endlich eine „Trendwende in Sicht“.
Doch bei der Sitzung der Trägerversammlung der Universitätsmedizin Mainz ging es auch noch um ein anderes Thema: Die Bau-Masterplanung für das Großklinikum. Und da war nun auf einmal von „Überlegungen für eine Zwei-Standort-Variante“ die Rede, die erstmals Ende 2024 vorgelegt worden sei. Das ist eine veritable Überraschung: Die Mainzer Unimedizin kämpft seit Jahren mit einer veralteten und maroden Gebäudestruktur aus den 1960er Jahren, für die Modernisierung wurde ein 2,2 Milliarden Euro schweres Bauprogramm für „eine moderne Hochleistungsklinik“ auf den Weg gebracht.
Baumasterplan Unimedizin: bisher Zentralbau auf Campus
Ende 2023 unterzeichneten dafür das Land Rheinland-Pfalz als Träger, die Stadt Mainz und Universitätsklinikum selbst ein „Memorandum of Understanding“ – und das sah den Neubau eines neuen Zentralbaus für die Krankenversorgung im südwestlichen Teil des Campusgeländes vor. Geplant war damals ein dreigeschossiger Bau mit aufgesetzten Bettenhäusern, in denen ein großer Teil der Pflegeflächen der Universitätsmedizin Mainz Platz finden sollte. In folgenden Bauabschnitten sollte zudem ein Eltern-Kind-Zentrum angeschlossen werden, das die bisherige Kinderklinik und Gynäkologie ersetzt.

„Wir treiben die bauliche Erneuerung jetzt konsequent voran“, betonte damals Wissenschaftsminister Clemens Hoch (SPD) und der Mainzer Oberbürgermeister Nino Haase (parteilos) freute sich, mit dem Memorandum gehe man „den richtigen Weg für die Zukunft unserer Universitätsklinik, für moderne Gesundheitsversorgung, wegweisende Forschung und nachhaltiges Bauen.“ Baubeginn für den Zentralbau sollte 2026 sein, das Gebäude selbst noch im Zuge eines Architektur-Wettbewerbs entwickelt werden – die Fertigstellung war für etwa 2031 einkalkuliert.
Was alle Beteiligten vor nicht einmal 1,5 Jahren betonten: Damit sei die Entscheidung gefallen, die Mainzer Unimedizin künftig mitten in der Stadt zu behalten, und ihre Kliniken auf dem Campus zu konzentrieren – das ermögliche eine „Klinik der kurzen Wege“. Doch davon scheint nun auf einmal nichts mehr übrig zu sein: Es gebe jetzt „eine vielversprechende und realistische Alternative zur Erneuerung innerhalb des Campus“, freute sich der neue Unimedizin-Chef Ralf Kiesslich jetzt – der Aufsichtsrat habe Ende 2024 entschieden, „diese Variante intensiv weiterzuverfolgen.“ Seitdem haben man mehrere Grundstücke betrachtet.
Unimedizin will nun Zentralbau oberhalb der Draiser Senke
Der Paukenschlag allerdings folgte auf dem Fuße: Die Unimedizin will nun auf einmal doch einen Neubau auf der grünen Wiese – und diese grüne Wiese soll ausgerechnet in der Draiser Senke stehen. Der Aufsichtsrat habe jetzt „den Vorstand beauftragt, die nötigen Klärungen für einen zweiten Standort oberhalb der Draiser Senke mit Blick auf Baurecht, Erschließung und ähnliches zu entwickeln“, teilte die Unimedizin jetzt mit. In den Blick nehme man eine Teilfläche des B146 Medienpark.

„An einem zweiten Standort könnte ein neues Zentralkrankenhaus für die stationäre Versorgung, die patientennahe Forschung und die zentrale Notfallversorgung entstehen“, sagte der Unimedizin-Vorstandschef Ralf Kiesslich. Der innerstädtische Campus wiederum könnte dann künftig „für eine hochspezialisierte ambulante Medizin und als Zentrum der Forschung genutzt werden.“ Bei dieser Variante käme es während des Baugeschehens nicht zu Einschränkungen des laufenden Krankenhausbetriebs, „außerdem wären die logistischen Herausforderungen sehr viel geringer und wir könnten nach neuesten medizinischen, technischen und nachhaltigen Standards bauen“, betonte Kiesslich weiter.
Das ist indes Sprengstoff für Mainz: Das Gelände der Draiser Senke ist ein verwunschenes Naturareal mit Obstwiesen und jeder Menge Lebensraum für Tier- und Pflanzenarten. Genau an diesem Hang des Mainzer Lerchenbergs wollte vor rund 30 Jahren das ZDF einen Medienpark bauen, sogar einen Bebauungsplan für das Gelände wurde damals bereits aufgestellt. Das Vorhaben war stark umstritten und scheiterte schließlich am Widerstand der Mainzer sowie an den hohen Kosten – in der Folge fasste der Mainzer Stadtrat sogar einen Beschluss, die Draiser Senke dürfe auch in Zukunft nicht bebaut werden.

Stadt Mainz will Neubau bei Draiser Senke „intensiv prüfen“
Nun aber will man davon offenbar in Mainz nicht mehr so richtig etwas wissen: Die Stadt Mainz werde das Vorhaben einer Universitätsmedizin am Rande des ZDF-Areals „intensiv prüfen“, sagte Oberbürgermeister Nino Haase (parteilos) – eine Ablehnung ist das nicht. „Die Unimedizin ist für die Landeshauptstadt von herausragender Bedeutung – sowohl in der Gesundheitsversorgung als auch für den Forschungs- und Wirtschaftsstandort sowie als Arbeitgeberin“, betonte Haase weiter. Das Klinikum habe „die Idee der ‚zwei Standorte‘ an uns herangetragen“, deshalb werde man nun mit Gesprächen auf Fachebene mögliche Optionen prüfen.

Seitens der Stadt sei damit „noch keine Festlegung auf einen Standort oder eine Variante erfolgt“, betonte Haase. Gerade weil die Fläche „an die ‚Draiser Senke‘ grenzt, wird die Stadt mit großer Sensibilität prüfen und dabei Aspekte wie Kaltluftschneisen und Naherholung berücksichtigen“, versicherte der OB, und unterstrich zugleich: „Eine Bebauung der Draiser Senke selbst steht dagegen nicht zur Debatte. Dazu hat sich der Stadtrat bereits in der Vergangenheit sehr deutlich geäußert, und dazu stehen der
Stadtvorstand wie auch ich als Oberbürgermeister.“
In dem nun beginnenden Verfahren werde nun durch die zuständigen Fachämter der Stadt Mainz „sorgfältig geprüft, ob die Überlegungen der Unimedizin für den potentiellen Standort überhaupt infrage kommen“, sagte Haase weiter. Sofern erste Untersuchungen die grundsätzliche Machbarkeit am Standort Lerchenberg in Aussicht stellen sollten, könne – wie bei vergleichbaren Projekten – ein Rahmenplan erstellt werden, der dann je nach Verlauf in ein formelles Bauleitplanverfahren überführt würde. Hierfür benötige die Verwaltung einen Auftrag des Stadtrates, betonte Haase: „Ein Projekt diesen Ausmaßes kann nur mit politischem Mandat weiterverfolgt werden.“
Draiser Senke: Kaltluftentstehung für die Mainzer Innenstadt
Auch bei der Unimedizin hieß es eilig, sämtliche baurechtlichen Fragestellungen würden „selbstverständlich in enger Zusammenarbeit mit der Stadt Mainz erörtert“ – und letztlich werde „der Mainzer Stadtrat hierüber entscheiden.“ Auch würden bei den vertiefenden Prüfungen „selbstverständlich ökologische Aspekte eine zentrale Rolle spielen.“ Zugleich sagte Wissenschaftsminister Clemens Hoch (SPD) aber auch, der Vorstand der Unimedizin habe „mit der Weiterentwicklung der Ein-Standort-Variante und der Zwei-Standort-Variante große Fortschritte gemacht.“ Da die Zwei-Standort-Variante „mit einigen Vorzügen verbunden zu sein scheint, haben wir den Vorstand beauftragt diese ernsthaft weiter zu verfolgen, und Fragen zu möglichen Liegenschaften mit den Beteiligten zu klären“, sagte Hoch.

Im Rahmen der Prüfung des Baugebiets für die Zwei-Standort-Variante würden „selbstverständlich auch die klimatischen Rahmenbedingungen berücksichtigt.“ Eine umfassende Begutachtung solle sicherstellen, „dass keine klimatischen Beeinträchtigungen oder eine Verschlechterung der Situation im Mainzer Innenstadtbereich eintreten.“ Das aber dürfte ausgesprochen schwierig werden: Gerade die Felder zwischen dem Lerchenberg und Mainz-Bretzenheim mit der Draiser Senke sind eines der wichtigsten – und eines der letzten Kaltluftentstehungsgebiete von Mainz.
Von hier aus fließt kalte Luft in der Nacht in Richtung Mainzer Innenstadt und kühlt die aufgeheizten Betonflächen ab. Schon der Bau des Mainz 05-Fußballstadions galt als Sündenfall in diesem Gebiet, eine weitere Versiegelung würde die Entstehung der Kaltluft weiter stoppen und der Mainzer Innenstadt eine erhebliche Aufheizung bescheren, warnten schon vor 20 Jahren Umweltexperten gerade auch bei der Stadt Mainz.

ÖDP und BUND alarmiert: „Aus ökologischer Sicht verheerend“
Entsprechend groß ist nun auch der Aufschrei: „Die ÖDP-Stadtratsfraktion zeigt sich höchst alarmiert über die Pläne der Universitätskliniken, in der Draiser Senke im Bereich des Bebauungsplans Medienpark Neubauten zu errichten“, schimpfte der Mainzer ÖDP-Chef Claudius Moseler: „Es handelt sich hier um einen Bereich, der für das Stadtklima höchst sensibel ist und ein wichtiges Naherholungsgebiet für die Menschen der benachbarten Stadtteile ist.“ Nun räche sich, dass die Stadtverwaltung und der Stadtrat in den 90er Jahren den Bebauungsplan für den Medienpark nie aufgehoben hätten – wie die ÖDP dies damals gefordert habe, kritisierte Moseler. Zudem fehle jede Analyse und Bewertung von potentiellen alternativen Standorten für eine neue Uniklinik.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) forderte ebenfalls, die Pläne zur geplanten Bebauung der Draiser Senke sofort zu stoppen. „Die Absicht, in diesem essenziellen Naherholungsgebiet ein großes Zentralgebäude und ein Logistikzentrum zu errichten, ist aus ökologischer Sicht schlichtweg verheerend und ein Schlag ins Gesicht für jeden, dem die Zukunft unserer Stadt am Herzen liegt“, schimpfte der BUND. Mainz sei bereits jetzt eine der heißesten Städte Deutschlands und verfüge ohnehin über alarmierend wenige Grünflächen und Naherholungsgebiete.
„In dieser kritischen Situation ist es absolut unverantwortlich, eine weitere wichtige Frischluftschneise der Stadt zu beeinträchtigen“, schimpfte BUND-Landeschefin Sabine Yacoub: „Ein alter Beschluss aus den 90er-Jahren kann und darf nicht die Grundlage für eine solch weitreichende und umweltschädliche Entscheidung im Jahr 2025 sein.“ Durch die Draiser Senke fließe die Kaltluft Richtung Bretzenheim ab, „eine Bebauung hier würde diese natürliche Klimaanlage unwiederbringlich zerstören, und die Hitzebelastung für die Mainzer Bevölkerung drastisch erhöhen“, warnt der Umweltverband weiter.
Mainzer SPD begrüßt Pläne: Unimedizin zukunftsfähig machen
Unversiegelter Boden sei zudem ein wichtiger CO2- wie auch Wasserspeicher, die Bebauung der Hanglage wegen der Hochwassergefahr bei Starkregen kritisch zu sehen. „Wir sind wirklich schockiert über diese Pläne“, betonte Yacoub, man fordere die Unimedizin und das Wissenschaftsministerium auf, „diese kurzsichtigen Pläne umgehend zu stoppen“ und alternative Lösungen zu suchen.

Ganz andere Töne kommen hingegen von der Mainzer SPD: Die SPD-Stadtratsfraktion begrüße die Planungen für die bauliche Weiterentwicklung der Universitätsmedizin Mainz., sagten SPD-Fraktionschefin Kathleen Herr und SPD-Bauexperte Johannes Klomann. Ziel müsse sein, die dringend notwendige Modernisierung der bestehenden Infrastruktur voranzutreiben und gleichzeitig den laufenden Betrieb möglichst wenig zu beeinträchtigen. „Wir stehen hinter dem klaren Ziel, die Universitätsmedizin Mainz zukunftsfähig aufzustellen“, betonten die SPD-Politiker.
Die Universitätsmedizin Mainz sei als Stadtkrankenhaus, aber auch weit über die Stadtgrenzen hinaus „von herausragender Bedeutung“, daher sei es „absolut richtig“, dass der Vorstand der Unimedizin intensiv an einer langfristigen Bau-Masterplanung arbeite. „Eine moderne und leistungsfähige Universitätsmedizin erfordert bauliche Strukturen, die aktuellen medizinischen, technischen und nachhaltigen Standards entsprechen“, betonte Klomann: „Daher begrüßen wir ausdrücklich die Prüfung ökologischer und klimatischer Rahmenbedingungen sowie der notwendigen baurechtlichen Voraussetzungen in enger Abstimmung mit der Stadt Mainz.“

Mainzer Grüne: Uniklinik soll innenstadtnah bleiben
Die Mainzer Grünen kritisierten hingegen, der Neubau eines Universitätsklinikums dürfe „nicht die Kaltluftentstehung und Frischluftschneisen der Draiser Senke zerstören“ – neben dem Biotechnologiecampus dürfe es „nicht zu einer weiteren massiven Versiegelung im Außenbereich von Mainz kommen.“ Gegen den Biotechcampus entlang der Saarstraße hatten die Grünen keine Einwände erhoben, obwohl Naturschützer und Landwirte massiv gegen die Versiegelung der wertvollen Ackerflächen dort protestiert hatten.

Nun betonten Grünen-Fraktionschef Daniel Köbler und Ex-Grünen-Chefin Christian Sauer, die ökologischen Gründe, die damals gegen den ZDF-Medienpark sprachen, seien „heute aktueller denn je.“ Aus Mainzer Sicht sei zudem „die innenstadtnahe Sicherung der Versorgung der Bevölkerung als Stadtkrankenhaus unerlässlich“, unterstrich Köbler zudem: „Der derzeitige Standort in der Oberstadt ist dafür optimal.“
Die Mainzer CDU zeigte sich hingegen gespalten: Die CDU-Ortsverbände Lerchenberg und Drais lehnten die Neubaupläne der Universitätsmedizin in der Draiser-Senke entschieden ab. „Die dort vorgesehene Bebauung würde ein wertvolles Naherholungsgebiet zerstören, das für die Bürger der Stadtteile Drais und Lerchenberg von zentraler Bedeutung ist – und darüber hinaus eine wichtige Kaltluftschneise für das gesamte Stadtklima darstellt“, kritisierten die CDU-Vorsitzenden Andreas Michalewicz und Armin Schüler: „Die geplante Bebauung würde diese Funktion unwiederbringlich beeinflussen und damit zerstören.“
Mainzer CDU gespalten: Harsche Kritik – „baurechtlich günstig“
Die Draiser Senke sei „für viele Menschen ein Ort der Erholung, der Bewegung und der Naturverbundenheit, wer hier baut, nimmt bewusst eine Verschlechterung der Lebensqualität in Kauf – und gefährdet zudem die klimatische Versorgung der Stadt Mainz,“, schimpften die beiden CDU-Vertreter: „Es muss einen Standort geben, der besser geeignet ist, ohne der Stadt ökologisch und stadtklimatisch zu schaden.“

Deutlich anders äußerte sich hingegen CDU-Fraktionschef Ludwig Holle, immerhin frisch gewählter Mainzer Baudezernent, der sein Amt allerdings erst Anfang 2026 antreten wird: Die Zukunft der Universitätsmedizin Mainz sei „eine der zentralen Infrastrukturthemen für die Stadt und das gesamte Rhein-Main-Gebiet“, sagte Holle, und betonte: Die Fläche, die einst für den ZDF-Medienpark vorgesehen war, biete „baurechtlich günstige Voraussetzungen und könnte eine praktikable Lösung zur Entlastung des heutigen Campus darstellen.“
Andererseits werde die Draiser Senke „von vielen Bürgern als Naherholungsgebiet genutzt und spielt eine zentrale Rolle bei der Erhaltung der wichtigen Kaltluftschneise“, sagte Holle auch. Er sehe die Hauptverantwortung jetzt „klar beim Land“: Die Landesregierung müsse jetzt „unvoreingenommen alle möglichen Optionen bewerten und anschließend transparent kommunizieren, welche Faktoren ausschlaggebend sind“, forderte Holle. Er sei „fest davon überzeugt, dass wir eine nachhaltige und pragmatische Lösung erreichen können.“
Info& auf Mainz&: Mehr zum (bisherigen) Baumasterplan der Mainzer Unimedizin lest Ihr hier bei Mainz&, mehr zum Protest gegen die Versiegelung der Ackerflächen rund um Mainz findet Ihr hier.