Es ist Fastnacht, das Motivwagenmotiv ist weg und im Fastnachtsmuseum liegt eine Leiche. „Ach“, seufzt Margit Sponheimer, „in punkto Humor verstehen wir in Mainz keinen Spaß.“ Wie bitte, Margit Sponheimer? Ausgerechnet die Ikone der traditionellen Meenzer Fastnacht taucht doch tatsächlich im Eröffnungsfilm auf – ja, ist das hier noch die „anner Fastnacht“? Keine Angst: In ihrem 29. Jahr teilen die „Meenzer Drecksäck“ noch immer feste in alle Richtungen aus, doch Federn haben die „Alternativen“ definitiv gelassen – und die Dichte von Gastauftritten etablierter Fastnachter ist hoch wie nie…

Tatort der Meenzer Drecksäcke mit "Nachtwächter" Adi Guckelsberger (rechts). - Foto: gik
Tatort der Meenzer Drecksäcke mit „Nachtwächter“ Adi Guckelsberger (rechts). – Foto: gik

Der „Nachtwächter“ will aussteigen: „Hör mir zu, und lass Dir sagen“, intoniert Adi Guckelsberger, stilecht mit Umhang und Laterne: „So Geschäfte sind nicht zu ertragen!“ Doch Mainz ist fest im Griff einer finsteren Mafia: „Du bleibst bei der Stange“, droht der schurkische Erpresser – und tatsächlich geht es nicht gut aus: Zwei Leichen später ist auch der Nachtwächter dran, Kommissar Peter Becker und seine Schwester Margit finden ihn erhängt an einer Laterne.

Ja, es ist wieder Tatort-Time in Mainz, nur dass im Gegensatz zu den vergeigten „großen“ Tatorten sich dieser nun wirklich nicht vor Mainzer Lokalkolorit retten kann. Da rührt Kommissar Becker im Nebenjob bei Kultwirtin Helga in den Bratpfannen (fragt nicht…), Lars Reichow schleppt gepanschten Wein, der im Staatstheater unters willige Möchtegern-Kulturvolk gebracht wird – dem All Inklusive-Paket mit der Theaterkarte sei Dank. Und die Verkehrsdezernentin Janina Steinkrüger (Grüne) wettert: „Nur weil ich aus Frankfurt komme und dieses scheiß Mainzgefühl nicht hab, bin ich verdächtig, oder wie?“

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Mörderjagd im Fastnachtsmilieu mit Sponheimer & Nachtwächter

Acht Jahre nach ihrem sensationellen ersten Tatort greifen die Meenzer Drecksäck in ihrem legendären Eröffnungsfilm erneut zur Mörderjagd, und dabei bleibt kein Auge trocken. Der zweite Tote ist der Zeichner Peter Beckhaus vom Gonsenheimer GCV – aber wer will unter allen Umständen verhindern, dass er auf dem nächsten Motivwagen persifliert wird? Die Verkehrsdezernentin hat blöderweise ein Alibi: „Dienstag? Da hab ich die Busspur geklebt“, entgegnet Steinkrüger patzig, und schimpft noch hinterher: „Die Scheiß Autolobby, versinkt doch in eurem Blech!“

Tatort "Mord im Fastnachtsmuseum" bei den Meenzer Drecksäcken, mit Birgit Schütz und Günter Beck. - Foto: gik
Tatort „Mord im Fastnachtsmuseum“ bei den Meenzer Drecksäcken, mit Birgit Schütz und Günter Beck. – Foto: gik

Ja, manchmal weiß man nicht so Recht, was hier nun Parodie, und was Realität ist. „Die Grünen sind doch im Moment an allem Schuld“, analysiert Assistentin Margit alias Birgit Schütz messerscharf, und hat noch eine zweiten Verdacht: „Der Haase, der hat doch immer Angst, im falschen Licht zu stehen!“ Doch der neue OB war es auch nicht – verdächtig ist aber ohnehin jeder, der nicht bei drei einen Schoppen intus hat: „Ich petzt mir ja schon mehr Schorle zusammen, als der abhanden gekommene OB“, murrt die Verkehrsdezernentin. „Den Innenminister lassen Sie aus dem Spiel“, kontert Kommissar Beck(er): „Der hat hier nichts mehr zu sagen!“

Am Ende der rasanten Verfolgungsjagd kreuz und quer durchs verregnete Mainz war der Intendant der Täter: „Der Theater-Müller hat die alle im Griff!“, dämmert es Kommissar Beck(er): „Jetzt macht er auch noch das Marktfrühstück, der füllt die alle ab!“ Es kommt, wie es kommen muss: Der Intendant endet im Schwanentretboot auf dem Mainzer Zollhafen auf dem Weg in den Knast, und seufzt: „Es war doch alles nur für die Kultur…“

Rosa Sau, Ninoela und ein Ochsenkarrenersatzverkehr

„Die Sau is back in Town“, rockt die Hauskappelle der Drecksäck, und der ausverkaufte Saal im Haus der Jugend feiert begeistert mit. Bei den Drecksäcken gibt es auch im Jahr 29 kein Komitee und keinen Tusch, sondern stattdessen fette Bässe und rockige Gitarrenriffs – die Band gehört fraglich zu den Highlights der Sitzung und hat längst mit der „Rosa Sau“ und der „Ersten Fleischworscht“ ihre eigenen Klassiker geschaffen. Doch irgendwie muss die Band auch die immer größer werdenden Lücken in der Rednerriege schließen – die Liste der Aktiven wird von Jahr zu Jahr kürzer.

"Erna" Christine Eckert mit Begleiter Johannes Steinbronn und der Rosa Sau. - Foto: gik
„Erna“ Christine Eckert mit Begleiter Johannes Steinbronn und der Rosa Sau. – Foto: gik

Tapfer hält sich da noch „Erna aus Hamburg“ alias Christine Eckert, die jetzt im Billie Eilish-Stil den Eisbrecher macht und vom neuen Traumpaar „Ninoela“ schwärmt – klar: der neue OB Nino Haase (parteilos) und die CDU-Wirtschaftsdezernentin Manuela Matz (CDU) sind zumindest aus Sicht der grünen Opposition ein Herz und eine Seele. Im Vorjahr arbeiteten sich die alternativen Fastnachter ja gehörig an dem Mann ab, der sich da gerade anschickte, OB von Mainz zu werden – inzwischen ist Haase mit 63 Prozent der Mainzer Stimmen gewählt, und die Breitseiten sind zu Sticheleien geschrumpft.

Da macht Birgit Schütz im Zwischenspiel jetzt Social Media für den neuen OB, und selbst im antiken römischen Moguntiacum vor 2000 Jahren herrscht ein gewisser Präfekt Ninus Haasus. Die „Laienspielgruppe“ arbeitet traditionell Mainzer Themen ab, der Zeitreisende Mainzer aber muss feststellen: Egal, in welchem Jahrtausend – Mainz ist immer noch Mainz. So kommt auch in der Antike nur der „Ochsenkarrenersatzverkehr“, und im Jahr 2504 ist der Mainzer Carneval Verein (MCV) immer noch mehr für Krisen als für Humor bekannt: „Im 666. Jubeljahr, so langweilig wie’s immer war“, lautet der Slogan.

Grüne beerdigen Parkplätze, der Prediger Kirche und die Welt

Im Jahr 2025 allerdings, im „Jahr des Haasen“, hat Mainz dann endlich eine Weinerlebniswelt – warum die Laienspielgruppe die allerdings in eine völlig verranzte Große Bleiche verfrachtet und als Paradies für Penner und Säufer malt, bleibt ihr Geheimnis – in der Großen Bleiche war eine solche Erlebniswelt bislang eher nicht geplant. Auch sonst hat sich Mainz nicht wesentlich verbessert: Bürgermeister Günter Beck (Grüne) ist inzwischen Innenminister und sein Vorgänger Michael Ebling (SPD) Landesvater…

Die "Laienspielgruppe" in der Römerzeit. - Foto: gik
Die „Laienspielgruppe“ in der Römerzeit. – Foto: gik

Und so wirkt es schon irgendwie reichlich skurril, wenn ausgerechnet Grüne Parkplätze beerdigen (auf dem ein einziger Baum sprießen soll) und einen Wildwuchs von Ampeln beklagen: „Wenn mehr wie drei Autos über die Ampel kommen, wird sie umgestellt“, schimpft der „Mainzhasser“ alias Günter Beck im Zwischenspiel – und endet abgeführt in der Zwangsjacke. „Ihr seid so tolerant wie ein Kampfhund auf dem Kinderspielplatz“, wettert er noch – Interpretation: jedem selbst überlassen.

Apropos beerdigen: Prediger Peter Herbert Eisenhuth wird zum klaren Highlight der Drecksack-Sitzung. „Die Hamas grüß ich nicht, aber Israelis und Palästinenser“, hebt der gleich an, und macht weiter mit Gottschalk und „Wetten dass“, Rammstein, die protestantische Kirche, Joe Biden und Karl Lauterbach. Auch die „Letzte Generation“ wird gegrüßt – und gefragt: „Wenn Ihr euch so sicher seid, ist es dann nicht egal?“ Niemand ist sicher vor der spitzen Feder des „Predigers“, und ja, das wird auch mal tiefschwarz und an Rande des Humor-Geschmacks glossiert – immer aber höchst treffsicher und im besten Narrensinne entlarvend.

Die Rosa Sau, Staub in den Augen und ein knallhartes Dinkelbrot

„Ein Naziflugblatt, da schau her, bringt gleich ein paar Prozente mehr“, reimt Eisenhuth mit Blick nach Bayern, um den neuen Faschisten gleich mit seinem Chor eine Hymne zu widmen: „Wärst du gerne mal ein Nazi, einfach so nur zum Spaß, hebst du gerne den Arm hoch, träumst du manchmal vom Gas…“ Bitterbös und gnadenlos ehrlich – genau wie die Zugabe mit der atemlos durch den Saal tanzenden Sau. Die macht genau das, und zwar den ganzen Abend lang: Minutenlang tanzt das übergroße Plüschtier über den Köpfen der Zuschauer, und streut dabei so manchem Sand in die Augen… Womöglich ist nächstes Jahr schon wieder eine neue Sau fällig. „Lasst sie leben, wir haben noch drei Sitzungen“, fleht Frontmann Beck.

Prediger Peter Herbert Eisenhuth mit Chor. - Foto: gik
Prediger Peter Herbert Eisenhuth mit Chor. – Foto: gik

Tatsächlich hat so manches bei den Drecksäcken auch ein wenig Staub angesetzt. „Engel“ Markus Mehlmer-Höffer versucht jetzt die EU zu retten, hat aber als Schutzengel einen schweren Stand. Und selbst die sonst so genialen Zwischenspiele greifen einfach mal auf Altmeister Loriot zurück: „Ich mache nichts“ hätte man ja glatt auch mit aktuellen Bezügen füllen können. Das tun indes die „Uferlosen“, die mit ihrem „Chorakel“ das desaströse Bahnchaos und natürlich die kommenden Cannabis-Orgien aufs Korn nehmen. Und selbst hier seufzen sie: „Ich steig lieber auf das Auto um, Oh Mercedes, ich hab dich lieb!“

Wo soll das noch hinführen, wenn selbst hier, im ureigenen Alternativ-Milieu fröhlich ein grandioses „er hat ein knallhartes Dinkelbrot“ geschmettert wird. Das Männerballett kommt stark Corona-geschädigt gerade noch auf vier Mann, die zum Moonwalk ihren Bewegungsradius auf ein Minimum reduziert haben. Und mit großer Wehmut spielt die Band ein warmes „Verdamp lang her“ für all die Drecksäcke, die bereits für immer gegangen sind – nach „Vater Becker“ Dieter Kramer hat es vor wenigen Wochen nun auch „Mutter Becker“ Angelika Spautz erwischt.

Zugplakettche anmalen mit "Ady Schmelz" Günter Beck und "Engel" Birgit Schütz. - Foto: gik
Zugplakettche anmalen mit „Ady Schmelz“ Günter Beck und „Engel“ Birgit Schütz. – Foto: gik

Aber einer ist ja noch da: Ady Schmelz beobachtet noch immer von Wolke 11 aus das Fastnachtsgeschehen in Mainz – und findet in diesem Jahr wieder jede Menge Gründe, um aus dem Bademantel zu fahren: „Wie kann man denn den Schillerplatz absperren und Eintritt nehmen? Die Fastnacht gehört uns allen“, schimpft er.

Aber so richtig wild wird der selige MCV-Zugmarschall beim Anblick des aktuellen Zugplakettchens: „Hat der Hannsgeorg den Farbfilm vergessen? Blass, öde, trübe, stumpfsinnig, duster – des ist Grau! Wer hängt sich denn das Grauen des MCV um den Hals?“ Wer jetzt nur „munteres Steingrau“ versteht, die Auflösung dazu gibt’s hier.

Im nächsten Jahr werden die Meenzer Drecksäck 30, man darf gespannt sein, wo die Alternativfastnachter dann enden. Im Drecksack-Tatort stehen sie jedenfalls schon im Museum, im Fastnachtsmuseum natürlich. Wenn das man gut geht.

Info& auf Mainz&: Die Meenzer Drecksäcke laden übrigens am 14. März 2024 zum großen Drecksäck-Kino-Abend, dann könnt Ihr alle beiden Drecksack-Tatorte sowie weitere Highlights aus dem Filmopus der Truppe sehen. Ort des Geschehens: natürlich „bei Helga“. Kartenreservierung und Infos unter www.meenzer-drecksaeck.com, der Eintritt kostet 8,- Euro. Die drei noch ausstehenden Sitzungen der Meenzer Drecksäcke sind restlos ausverkauft, „Dank“ der Grippewelle hat man aber noch gute Chancen, bei der Karten-Tauschbörse genau hier im Internet. Und klar – unsere Fotogalerie darf nicht fehlen: