Keine Frage: In Mainz geht es in diesem Jahr um die Wurst. Die Oberbürgermeister-Wahl steht vor der Tür, und der neue Stadtchef muss sich vor allem einer dringenden Sache widmen: Die Fleischwurst ist zu teuer geworden! Klarer Fall, dass Metzger Peter Becker zur Wahl antritt, doch der Ritt geht schief, trotz Fleischwurstkönigin und Handkäs-Mafia. Wenn dann noch die Rosa Sau durch den Saal fliegt, ist klar: Die Meenzer Drecksäcke sind zurück. Und leisten sich neben grandiosem Kabarett auch unverhohlene Wahlwerbung von offener Bühne.
„Der Schorle-Michi war aber schnell weg“, sagt „Margit“ Becker alias Birgit Schütz, und ihr „Bruder“ Peter ergänzt: „Vom besten Job der Welt zum Innen-Minister, da siehste mal, wie tief man fallen kann.“ Die Drecksack-Familie Becker sitzt im Wohnzimmer, die OB-Wahl steht vor der Tür – aber was sind das bloß für Kandidaten? „Die sind doch beim Schrottwichteln übrig geblieben“, seufzt Mutter Becker. Doch eigentlich hat die Familie ganz andere Probleme: Die Fleischwurst ist horrend teuer geworden, und die Hamster auf den Feldern werden knapp – es muss jemand die Wurst und das Handwerk retten!
Natürlich, das können nur die Alternativ-Fastnachter der Meenzer Drecksäck, und die nehmen sich in ihrer 28. Kampagne die OB-Wahl von Mainz vor. Wobei: Eigentlich ist es ja die 26., 27. und 28. Kampagne auf einmal: Nach zwei Jahren Corona-Zwangspause müssen die Drecksäcke gleich drei Kampagnen auf einmal feiern. Das wird durchaus anstrengend, zumal die Sitzungen weiter unter erheblichem Aktivenschwund leidet: Nur noch sechs Gruppierungen sind übrig, den Abend zu bestreiten.
Fleischwurstkönigin, Handkäs-Mafia und die verschwundenen Akten
Der beginnt natürlich mit dem traditionellen Eröffnungsfilm, und der hat es in sich: Peter Becker alias Günter Beck tritt als OB-Kandidat an. Bekanntheit: 90 Prozent, Wählerpotenzial: 9 Prozent, analysiert seine Schwester als Wahlkampfmanagerin. Genüsslich nehmen die Drecksäcke die anstehende OB-Wahl aufs Korn, verwursten Kandidaten, nicht existente Wahlprogramme und die Mainzer Polit-Szene gleich mit. Da fordert Umweltministerin Katrin Eder (Grüne) im Einspielfilmchen für jeden Stadtteil eine Metzgerei und Janina Steinkrüger, im richtigen Leben grüne Umweltdezernentin, darf den „Traum“ von der Mainzer Fleischwurstkönigin ausleben.
„Die Zeit scheint reif für einen Wechsel“, ruft „Margit“ euphorisch in den Saal: „Du bist genau in dem richtigen Alter, um für unser goldig Meenz anzutreten!“ Und eigentlich könnte ja auch gar nichts schief gehen, schließlich steht sogar „die Handkäs Mafia mit geöffneten Portemonnaies, aber geschlossen“ hinter dem Kandidaten. Also misst Peter Becker schon mal heimlich den Schreibtisch im verwaisten OB-Zimmer mit dem Zollstock aus, derweil Amtsvorgänger Michael Ebling (SPD) heimlich die Akten aus den Schränken räumt..
Randvoll mit Anspielungen auf vergangene und künftige Wahlen sowie allerlei Mainzer Affären kommt das Eröffnungsspiel daher, und wirkt gleichzeitig dennoch ein bisschen wie ein Sehnsuchts-Verarbeitungsprogramm von Frontmann Günter Beck: Der Grüne ist amtierender Bürgermeister und wäre auch im realen Leben gerne OB geworden – hätte er mit 66 Jahren nicht schon die Altersgrenze überschritten.
Die Sau is back in Town: Geniale Hausband und Time Warp
Und so kommt es, wie es kommen muss: Bei der Lokalzeitung geht ein anonymer Brief ein, und der spricht von Wahlbetrug. Peter Becker hat über sein Alter gelogen, der Mann zu alt, seine Kandidatur geplatzt – da bleibt nur, Präsident des Mainzer Carneval-Vereins (MCV) zu werden. Der Fleischwurst-Vertrag sichert jedenfalls die Zukunft der Familie Becker…
„Die Sau is back in Town“ und „Die nächst ‚ Wahl ist die Beste“ singt die Drecksäck-Hausband „Toni Ernst und die Hämmerle“, und beweist wieder einmal, wie sehr die Alternativfastnachter von der genialen Stimmung leben, die die eigens zu Fastnacht gebildete Combo jedes Mal auf die Bühne und in den Saal zaubert: Das Konzert der Band allein würde für einen geilen Abend reichen.
Aber es gibt ja auch noch ein paar andere Akteure: Der schwul-Lesbische Chor „Die Uferlosen“ ist dieses Jahr auf dem Mond gelandet, und besingt dort im 80er-Jahre-Stil „The World of Tomorrow“, Klimaprobleme und Gendersternchen, o-ho! Die Männertanzgruppe hat zeitgleich auch den Sprung zurück in die 80er entdeckt und entzückt zu „Ghostbusters“ und „Time Warp.“
Prediger Eisenhuth in treffsicherer Höchstform
Survival-Trainer Markus Höffer-Mehlmer wiederum kämpft mit den Widrigkeiten der Energiekrise – im Hallenbad ist ihm ein Eisläufer über die Finger gefahren – und der digitalen Welt, ein urkomischer Ritt über die aktuellen Weltprobleme. Im zweiten Auftritt des Abends kämpfen Höffer-Mehlmer und Partner Andreas Schneiberg mit der KI: Roboter Shattermund erzählt am Ende rheinische Karnevalswitze und bietet Büttenreden aus 40 Jahren – au weia.
„Wir sind wieder hier, in unserm Revier“ singt der „Prediger“, und verspricht: „Wir sind wieder da, ab jetzt jedes Jahr – und dann sind wir uns sicher, bei den Drecksäck zu sein!“ „Prediger“ Peter Herbert Eisenhuth präsentiert sich in Hochform, teilt nach allen Seiten gleichmäßig aus, und bleibt trotz tiefschwarzem Humor und hart am Rande des Geschmacksgrabes balancierend, doch immer haargenau im treffsicheren Schwarzen.
Der Prediger grüßt „Omi Kron und die anderen Mutanten“, Möchtegern-OBs, Hofsänger mit Reichsbürgern, den Kölner Erzbischof und Fußballtrainer Hansi Flick „mit seinen Blinden und Lahmen“ – und singt: „Die Verträge sind signiert, und es wurde viel geschmiert… Die Kamele rumm tata, spielen Fußball in Katar.“
König Michael, der Hase und die Fleischworscht-Athletics
Es ist ein Protokoll der besonderen Sorte und nach dem Motto „die Queen ist tot, die Drecksau lebt“, das aber auch Bundes-Leisetreter und die Landespolitik nicht vergisst – samt zerbrochenem „Spiegel“ in Berlin und einem Innenminister, „der keine Toten schwimmen sah“. Der Prediger beerdigt, wer gestorben ist, und auch die, die es noch nicht sind, und besingt auch noch die Demonstranten-massakrierenden Mullahs im Iran: „Ein Mullah muss tun, was ein Mullah tun muss.“ Das ist großes Narrenkino, da tobt die rosa Drecksau über die Menge, und ohne Zugabe kommt der „Prediger“ nicht aus dem Saal.
Doch ansonsten kennen die Drecksäcke fast nur ein Thema: den OB-Wahlkampf – und versteigen sich dabei so manches Mal bis zu unverhohlener Wahlwerbung, Geschmacklosigkeiten inklusive. Da säuselt Stadtführerin „Erna“ alias Christine Eckert etwa, sie wähle lieber „den Knuddeligen, der kümmert sich wenigstens um die alten Leute“, denn der andere Kandidat „will ja nur mit seiner Mandy in der goldenen Kutsche durch die Stadt fahren und winken.“ Die Dame ist im richtigen Leben übrigens Stadträtin für die Grünen im Mainzer Rat.
Die Laienspielgruppe wiederum zelebriert das Schauspiel „König Michael Ebling und die Idee der Fleischworscht-Athletics“ mit viel bissigem und ausgewogenem Humor: „Immer wenn der Haas‘ auftaucht, ist irgendwas mit’m Ebling“, seufzen die Organisatoren, und wundern sich: „Der Ebling is fott!“ – „Habt ihr mal in der Andau geguckt“, fragt ein zweiter: „Vielleicht liegt er unterm Tisch.“
Tatsächlich ist vor allem der Pokal fürs Turnier abhanden gekommen, also wird auch noch die Handkäsmafia mit Don Infantilo aufgeboten – es beginnt eine wilde und sehr närrische Suche nach dem Motto: „Der OB schwebt 300 Kilometer über uns im All! – Nee, ihr habt den Haase hochgeschossen. – Ist der Haase nicht der OB? – Nee, der Ebling…“ Der Übergangs-OB Günter Beck hat sich derweil am Rathaussessel festgeklebt, und „König Michael“ ruft: „Ich mach‘ jetzt einfach beides, wie die Nancy Faeser!“
Wie es ausgeht? Wissen wir nicht, doch am Ende der Drecksack-Sitzung steigt eben dieser Übergangs-OB noch einmal in die Bütt, und begrüßt den Saal als Versammlung eines Kaninchenzüchtervereins, Promis inklusive. Die seltsame Nummer, die sich nicht recht entscheiden kann, ob sie Parodie oder doch irgendwie Ernst gemeint ist, endet schließlich mit den Worten: „Hasen sind gefährlich für die Gemeinschaft, sie sind faul, liegen den ganzen Tag auf dem Rasen und fressen das Grün weg – Lasst keinen Hasen in den Stall!“
Nun ja, die Laienspielgruppe war da schon weiter. Wie hieß es da doch so schön: „Haase. Punkt. GewöhntEuchSchonMalDran.Punkt.“ Es gibt ja immer noch die Rosa Sau zum Trost.
Info& auf Mainz&: Warum erscheint dieser Bericht so spät, und so lange nach Fastnacht? Nun, weil die Autorin neben der Fastnacht auch noch mit einem OB-Wahlkampf berichterstattend beschäftigt war – und pünktlich an Aschermittwoch von der Fastnachtsgrippe heimgesucht wurde. Also erscheint der Artikel eben heute – pünktlich zur OB-Stichwahl in Mainz.