Der russische Panzer wird von einer grünen Friedensblume gestoppt, die Mullahs vom Föhnwind weggeblasen, und dem deutschen Fußballfan fliegt ein Ball aus dem Fernseher geradewegs ins Gesicht – die Mainzer Narren nehmen im Jahr 2023 erneut die große Weltpolitik aufs Korn. Und das tun sie gnadenlos und mit spitzer Karikaturisten-Feder: 10 närrische Motivwagen präsentierte der Mainzer Carneval-Verein (MCV) am Dienstag. Und die konzentrieren sich weitgehend auf die große Politik: Der Krieg in der Ukraine ist natürlich Thema, aber auch die Iran-Revolution oder die Fußball-WM. Schorle-Michi klettert die Karriereleiter hoch – und dann ist da noch ein Untoter, der aus dem Grabe klettert…
„Motivwagen sind gebauter Vortrag“, sagte einmal MCC-Präsident Florian Sitte – genau an das Motto haben sich die Mainzer Narren auch in diesem Jahr wieder gehalten. Drei Jahre nach dem letzten Rosenmontagszug erzählen die Mainzer Motivwagen 2023 ganze Satiregeschichten – und das in aufwändiger Detail-Verliebtheit wie nie. Das fällt vor allem an einem Motivwagen unmittelbar ins Auge: Der „Scholzomat“, der vor einer Reihe Kameras herumknarzt, ist bis ins kleinste Schraubendetail ausgetüftelt.
Der Kanzlerautomat verfügt über vier Einstellungen von „Könnte ich“ über „Kann mich nicht erinnern“ und „Doppel-Wumms“ bis hin zu einem „Das war’s“ – so glossieren die Mainzer Narren die roboterhafte Sprach-Schematik des Bundeskanzlers. „Gähnen, Ohnmacht, Langeweile – er schläfert ein mit jeder Zeile“, reimen die Narren dazu. Das Highlight des Motivwagens: Der Roboter-Scholz kann sich tatsächlich drehen, natürlich in Elektro-Roboter-Manier.
Scholzomat, scharfer Ostwind und Wind of Change
Der Scholzomat ist überraschenderweise nur einer von drei Wagen, der sich der Bundespolitik widmet, auf einem zweiten Wagen hat es den Deutschen Michel erwischt: Er leidet unter kaltem Entzug, denn der russische Präsident Putin hat den Tropf rechts und links einfach abgeklemmt – und die tragen die Aufschrift „Nordstream I“ und „Nordstream II“. Dem Michel bekommt das gar nicht gut, so glossieren die Narren die Energie-Abhängigkeit Deutschlands vom russischen Gas und den beiden, inzwischen stillgebombten Pipelines durch die Ostsee.
Ansonsten drehen sich die meisten der närrischen Motive vor allem um die Weltpolitik. Da bläst ein scharfer Ostwind beinahe die EU-Präsidentin Ursula von der Leyen weg, und der böse Wind aus dem Osten trägt das Antlitz des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Mit dem Wind haben es die Mainzer in diesem Jahr: Der „Wind of Change“ bläst auch ganz massiv im Nahen Osten.
Denn im Iran föhnt sich eine schöne Frau ihre langen Haare – und fegt damit den hinter ihr stehenden Mullah einfach weg. Die Narren ergreifen damit klar Partei für die Revolution im Iran, und feiern die Frauen, die mit ihrem Kampf um die Freiheit dem Regime der Religionswächter Paroli bieten – die frei fliegenden, unbedeckten Haare sind das Symbol dafür. „Auch wenn der Weg ist hart und schwer, es kommt dereinst die Wende/ Unterdrückung klappt nicht mehr, die Mullahs sind am Ende“, so reimen sich die Mainzer Narren die Hoffnung zurecht.
Russischer Panzer zerschellt an Sonnenblume
Überhaupt brechen die Mainzer in diesem Jahr eine Lanze für Frieden und Freiheit: Da zerschellt der russische Panzer an einer Sonnenblume auf dem Felde, die dem Z-geschmückten Kriegsgerät den Stinkefinger zeigt. „Denn Freiheit ist stärker als alle Geschütze“, reimen die Mainzer Narren dazu – der Wagen ist auch eine Anspielung auf marodes russisches Kriegsgerät, kann aber ebenso gut auch als Verbeugung vor der deutschen Außenministerin von den Grünen gesehen werden.
Ansonsten mischt die Weltpolitik auch in Deutschland fröhlich mit: Der chinesische Präsident Xi Jinping streichelt da einen deutschen Schäferhund – „ein ganz Feiner! -, der ihm ein Schiff mit der Aufschrift „Cisco“ bringt, eine Anspielung auf die chinesische Beteiligung im Hamburger Hafen. Da kommt was auf die Narren zu – wenn es ganz übel läuft, auch wieder aus den USA: Denn dort stehen die Toten aus ihren Gräbern auf, und zu den „Walking Dead“ gehört nun auch Ex-Präsident Donald Trump… der Narren Kommentar zu dessen erneuter Kandidatur für die Präsidentschaft.
10 närrische Motivwagen hat der MCV in diesem Jahr wieder aufgelegt, möglich sei das nur mit Hilfe anderer Vereine gewesen, betonte MCV-Präsident Hannsgeorg Schönig. Erstmals beteiligten sich weitere Fastnachtsvereine und Garden and er Finanzierung einzelner Motivwagen, ein Novum in der Mainzer Fastnacht. Doch die Narren ächzen unter massiv gestiegenen Kosten und gestiegenen Sicherheitsauflagen, die gute Nachricht kurz vor Rosenmontag: Alle 25 Wagen des MCV hätten die Betriebserlaubnis für dieses Jahr bekommen und dürften im Zug mit rollen, teilte Schönig mit.
Kritik an Wagen-Auflagen, Materialprobleme beim Wagenbau
Für das kommende Jahr sei das aber noch keineswegs klar, bei mehreren Wagen würden Nachrüstungen fällig. Zudem mussten mehrere Gruppen ihre Wagen aus dem Umzug streichen – sie hatten wegen der neuen Betriebsgenehmigungs-Vorschriften des Landes Rheinland-Pfalz keine Freigabe bekommen. MCV-Wagenbauer Dieter Wenger kritisierte das scharf: Es sei ein Unding, dass Bestimmungen, die für professionelle Weinbergsfahrten erlassen worden seien, eins zu eins auf Fastnachtswagen übertragen würden, die nur an ein oder zwei Tagen im Jahr über die Straßen rollten, sagte Wenger gegenüber Medienvertretern.
Ende November hatte Wenger mit seinem Team von Handwerkern und Wagenbauern mit dem Bau der riesigen dreidimensionalen Karikaturen begonnen, zuvor hatte ein Findungskommission die Auswahl getroffen. Die Vorlage bilden Karikaturen des Zeichners Michael Apitz, daraus zaubert der mit 80 Jahren dienstälteste Wagenbauer der Republik monumentale Karikaturen aus Stypopor, Holz und Eisengerüsten. Die Beschaffung der Materialien sei so schwierig gewesen wie nie, berichtete Wenger im Mainz&-Interview: „Holz war kaum zu bekommen, und auch das Styropor war knapp.“
Doch auch in diesem Jahr hat das Team um Wenger es wieder geschafft, man habe allerdings nicht nur die Samstage, sondern auch die Sonntage durcharbeiten müssen, berichtete Wenger. Nun aber können sich die Narren auf beißende Polit-Kritik freuen, zu Mainz allerdings ist den Narren in diesem Jahr nicht viel eingefallen: Das Motiv des Handkäs essenden Mainzers, der mit seinen Abgasen ein Windrad antreibt, ist nicht neu.
Allein die Karriereleiter des Michael Ebling nimmt ein Mainzer Thema aufs Korn: „Schorle-Michi“ klettert da fröhlich die Sprossen einer Leiter empor, über ihm warten noch die Stufen „Ministerpräsident“, „Bundesminister“, „Bundeskanzler“, „Papst“ und „MCV-Präsident“ – in dieser Reihenfolge, wohlgemerkt. Es ist der Narren Kommentar zum Ehrgeiz des Ex-OBs von der SPD, dessen Spitznamen in Mainz vom häufigen Weinschorle-Konsum herstammt. Nicht in den Zug geschafft hat es hingegen der OB-Wahlkampf, der durch den Abgang Eblings ausgelöst wurde – schade eigentlich.
Für den kommenden Rosenmontag ist nun fast alles fertig – nur eine Kleinigkeit fehlt noch: Wo der kleine Narrenhund am Ende sein Beinchen heben wird, das mochte Wenger noch nicht verraten: „Der Hund sitzt noch oben auf dem Schrank“, sagte der Wagenbauer verschmitzt: „Am Montag nehme ich ihn herunter – und mal sehen, an welchem Wagen er dann wo sein Beinchen hebt.“ Es werden noch Wetten angenommen – wir bei Mainz& tippen mal auf den Untoten Donald Trump…
Info& auf Mainz&: Alle Fakten und Infos zum Mainzer Rosenmontagszug lest Ihr später bei Mainz&. Alles zur Fastnacht in Mainz findet Ihr aber immer hier in unserer Mainz&-Rubrik „Narretei&“. Und bei den beliebten Motivwagen darf natürlich eine Fotogalerie nicht fehlen, bitteschön!