„So en Käs, so en Käs“, singen die Altrheinstromer gut gelaunt, dabei hat das Gesangstrio doch gerade noch Wahlkampf für das Paarweck-Sparprogramm, die Weißwurstunion und mehr Weißwein gemacht. Keine Frage: Der Bundestagswahlkampf hat auch die Mainzer Fastnacht fest im Griff. Und wie immer lassen sich die Narren mit spitzzüngigen Beobachtungen gegen die Mächtigen im Lande nicht lumpen. Dazu serviert der Karneval Club Kastel (KCK) in seiner KCK-Fremdensitzung viel gute Laune und Musical-verdächtigen Schwung. Und der Club von Rechts des Rheins erinnert mit seinen zwei Ordens-Fastnachtsherzen an ein ernstes Thema: 80 Jahre Zerstörung von Mainz-Kastel.
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Warum heißt es eigentlich immer noch „Fremdensitzung“ in der Mainzer Fastnacht? Wo doch der Karneval Club Kastel (KCK) alles andere als ein „Fremder“ ist, gehört nach alter Sitte „Rechts des Rheins“ doch immer noch zu Mainz. Das ist übrigens wörtlich zu nehmen: Viele Gebäude und Grundstücke wie etwa die Maaraue oder die Reduit gehören bis heute der Stadt Mainz, obwohl die rechtsrheinischen Gemeinden Amöneburg, Kastel und Kostheim seit 1945 zur Stadt Wiesbaden gehören.
„Das Fastnachtsherz es schlägt für Mainz, beim KCK auch rechts des Rheins“, heißt denn auch konsequenterweise das Motto des Kasteler Clubs. Der gehört nicht nur zu den vier großen Mainzer Fastnachtskorporationen, die die Fernsehsitzung „Mainz bleibt Mainz“ ausrichten, sondern liefert seit Jahren höchst verlässlich große Fastnachtsstars auf die linke Rheinseite. Da war natürlich der legendäre Redner und Sitzungspräsident Rolf Braun, aber auch altgediente Fastnachtsrecken wie Alexander Leber, „Hobbes“ Hansi Greb oder eben besagte Altrheinstromer.
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Johannes Bersch macht die Shirin: Jetzt tanzt er auch noch
Der „jüngste“ Megastar des Clubs aber heißt fraglos Johannes Bersch: Das närrische Supertalent würde jede Narren-Castingshow gewinnen, vor allem im närrischen Mehrkampf. Bersch ist nicht nur einer der wandelbarsten Redner der Mainzer Fastnacht, der schon als Karl Lauterbach oder Queen Camilla brillierte, er singt und dichtet auch noch urkomische Fastnachtshits als „Kammersänger“, Und jetzt tanzt er auch noch: „Willst Du Bombos? Dann must Du fangen“, singt der Bersch, „was zum Nasche in der Tasche – das ist Weck, Worscht und Woi.“

Die Melodie dürfte vor allem Jüngeren etwas sagen: Es ist der Sommerhit des Jahres 2024 der deutschen Rapperin Shirin David, aber natürlich macht Bersch aus „Bauch, Beine, Po“ nicht nur die perfekte Parodie, sondern eben auch den Flirt mit der Fastnacht – in hautengem Aerobic-Outfit, versteht sich. Das Video dazu seht Ihr übrigens hier bei Mainz&. Und so wird aus „Atme ein, Atme aus“ eben „Schenke ein, Trinke aus – das war noch nicht genug. Gib nicht auf – verdammt, das schmeckt so gut!“ Eine grandiose Narren-Performance, und natürlich steht der Saal Kopf.
Fastnacht, das ist eben triefende (Selbst-)Ironie gepaart mit scharfem Blick auf gesellschaftliche (Fehl-)Entwicklungen, und niemand beherrscht das derzeit so liebevoll-beißend-gut wie Johannes Bersch. Als „Moguntia“ setzt er kurz danach schnell noch seine Politikspitzen höchst gekonnt, also so gefühlt. Egal ob radikale Salattisten – „die pflanzen sich fort“ – oder Bananen-Kunstwerke, nichts ist vor der „Moguntia“ sicher, und schon gar nicht die Berliner Politikszene.
Moguntia & Frosch-Protokoll: Verheerendes Zeugnis für die Politik
„Bündnis Sahra Wagenknecht – der Name zeugt ja schon von Selbstlosigkeit“, lästert die „Moguntia“, und klärt auch gleich noch, dass das „D“ in „D-Day“ bei der FDP eigentlich für „Dilettantismus“ stand. „Kurz zuvor hat man den Olaf Scholz mal kurz aufgeweckt, damit er den Lindner entlassen kann“, resümiert Bersch weiter: „Dann hat Scholz verkündet, dass er Kanzler werden möchte – also das fällt ihn reichlich spät ein.“ Ein Satz, eine Spitze – das ist der Jürgen Dietz-Stil. Und natürlich kommt auch die „Moguntia“ nicht ohne eine klare Ansage aus: „Ich empfehle Ihnen, gut zu überlegen, wo Sie am 23.2. Ihr Kreuz machen – damit es am Ende keinen Haken hat.“

Klartext spricht gleich zu Beginn der Sitzung auch der Protokoller: Bardo Frosch seziert in seinem Frosch-Protokoll all die Kröten, die in den vergangenen drei Jahren die Bürger schlucken mussten. „War die Ampel jemals an?“, fragt der Narren-Berichterstatter angesichts von „drei Jahre Schweigen“ des Kanzlers, und stellt insbesondere den grünen Politik-Neulingen auf der Regierungsbank ein verheerendes Zeugnis aus: „Er hat die Wirtschaft kalt gemacht“, konstatiert der „Frosch“ mit Blick auf Wirtschaftsminister Robert Habeck, und schreibt dem Grünen ins Stammbuch: „Minister ist kein Lehramt, das heißt Führung, Wissen, Standesehre. Wer das nicht weiß, kann hier auf Erden, im Leben noch kein Kanzler werden.“
Die „Eisbären“ haben gleich mal Auftrag vom Mainzer OB, „mal ordentlich durchzukehren“, und kommen deshalb in diesem Jahr als Schornsteinfeger daher. Und die Gesangstruppe des KCK verzaubert mit einem wirklich starken Mary Poppins-Potpourri, einer wunderbaren „Mainz, mein Mainz“-Hymne, und garniert das alles auch noch mit Politspitzen in Richtung Mainzer Rathaus: „Mainz war früher mal grün“, seufzen die Schornsteinfeger, „also nicht politisch, sondern wirklich: Da gab’s mal Platanen, die spendeten Schatten!“
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Eisbären als Schornsteinfeger: Mainzer Rathaus durchgekehrt
Tja, das waren noch Zeiten, ebenso, als Mainz mit Biontech-Millionen nur so herumwerfen konnte. Und was wurde damit gemacht? „Eine Fahrradstraße und als Höhepunkt: drei ‚Grüne Zimmer'“, lästern die „Eisbären“ – eben jene „Grüne Zimmer“, bei denen Pflanzen auf Fahrzeuganhängern als „grüne Lungen“ das Stadtklima verbessern sollen, hatte der Bund der Steuerzahler 2024 als „teure Klima-PR“ gerügt. Die närrischen „Schornsteinfeger“ ziehen dann noch die verschollenen Biontech-Millionen aus dem schwarzen Loch im Kamin, der Mainzer Haushalt ist gerettet! Ein großartiges Narren-Musical.

Apropos Musical: Beim KCK tanzen heutzutage keine einfachen Balletts mehr, sondern gleich die Götter im Olymp und die Elfen im Zauberwald. Gleich zwei Showtanzgruppen geben sich im Gutenbergsaal der Mainzer Rheingoldhalle die Ehre, die „Magic Elements“ lassen mit einer grandiosen Show aus viel Akrobatik und Energietanz die Bühnenbretter beben – die Truppe hatte schon bei der Rucki Zucki Dance Night des MCV begeistert. Und bei der Showtanzgruppe „Elementrix“ wirbelten Götter und Griechinnen über die Bühne und begeisterten genauso mit Akrobatik und fantastischem Tanz: „Heaven is a place on Earth“ – oh ja: in Mainz heißt das Fastnacht.
Die kommt mal nostalgisch wie mit den „Tramps von de Palz“ daher, mal traditionell wie mit Stimmungssänger Stefan Persch, der den Saal mit geliebten Fastnachtsoldies nach der Pause wieder auf Betriebstemperatur bringt. Apropos: Für den Schwung zu Beginn sorgt das Trio Aeterna mit Ausnahme-Sängerin Kathrin Dohle, deren Bühnenpräsenz den Saal dazu bringt, sich der Bühne zu, und vom schnöden Alltag wegzuwenden.
Rockig und bunt wird es auch mit den „Kappell Mainzern“: Thorsten Ranzenberger und Christopher Ludwig haben mit „Die Gläser hoch“ auch eine wunderschöne zweite Hymne geschaffen – die erste ist und bleibt natürlich der „Schwellkoppträger“, bunt in Szene gesetzt mit eben diesen Symbolfiguren der Mainzer Straßenfastnacht. Da werden die Handys gezückt und Selfies mit „Butze“ und „Goldig Krott“ gemacht.
Entspannter Kokolores und närrischer Löscheinsatz bei Hotte & Pit
Die KCK-Fremdensitzung ist auch die Sitzung der guten Laune und des entspannten Kokolores, und auch da ist die Bandbreite groß. Da erzählt Altmeister Alexander Leber noch immer Anekdötchen aus dem Leben eines „Polizisten“, seit sage und schreibe 36 Jahren steht der Mann vom KCK in der Bütt: Sein erster Auftritt war 1989, „das war die letzte Kampagne von Rolf Braun“, erinnert Daniel Vetter das närrische Auditorium. Vetter selbst ist schon der Nachwuchs an der Schelle des Sitzungspräsidenten, und führt mit viel Schwung und angenehmer Lockerheit durch den Abend.
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Ja, der Nachwuchs steht auch beim KCK in den Startlöchern: Marcel Jakobi gibt den „Nixnutz“ auf der Suche nach dem schnellen Geld, und scheitert doch gehörig als Bankräuber und Omi-Gigolo. Jens Baumgärtner wiederum, vor einigen Jahren Newcomer bei den Marienborner „Brunnebutzern“, kommt als „Apotheker“ wieder einmal hervorragend an. „Oh, wie ist das schön“, singt der Saal – aber die Könige des Kokolores heißen beim KCK „Hotte & Pit“.
Das Komikerduo kommt an diesem Abend mit einer brandneuen Nummer daher und spielt grandios mit Feuern im Untergeschoss und närrischem Löscheinsatz – gut, dass es jetzt schon auf Mitternacht geht, denn jugendfrei ist das nicht… Und wenn Horst Siegholt als „Hotte“ schmachtet: „Ich hab dich tausendmal geöffnet, ich hab dich tausend Mal geleert – ich werd‘ es wieder tun mit Dir, heut‘ Nacht“, dann brennt die Hütte im Saal und auf der Bühne.
Kraftvolle Politikerschelte vom „Deutschen Michel“
„Nur Bekloppte noch“, seufzt der „Deutsche Michel“, aber Bernhard Knab meint in seiner Paraderolle natürlich nicht die Narren, sondern die Regierenden in Deutschland und dem Erdkreis. „Die Augen zu, auf blind gestellt, überlässt man den Irren die Welt“, klagt der „Michel“ mit Blick auf Herren wie Putin und Trump. Seit 25 Jahren schon liest Knab jetzt als „Deutscher Michel“ den Mächtigen die Leviten, und selten klang sein Plädoyer so eindringlich wie in diesem Jahr: „Hoffe inständig, dass man drei Dinge wieder schnell entdeckt: Intelligenz, Moral, Respekt“, schreibt der „Michel“ der Politik ins Hausaufgabenheft, und mahnt „Zeigt jetzt Verstand und endlich Mut – verhindert diese Hetzerbrut!“

Politikverdrossenheit, linkes Politikversagen und rechte Hetze treiben den „Michel“ um, da wird der Narr zum Sprachrohr des Volkes. „Schlingert das Schiff nach links und rechts, geht es dem Schiffer meistens schlecht“, warnt Knab: „Demokratisch denken! Kreuzchen machen! Denn Wählengehen hat seinen Nutzen, ist wichtig wie das Zähneputzen: Macht man es nicht – dann wird es braun.“ Und wenn der Michel zum Schluss noch zu seinem kultigen Michel-Rap ansetzt, dann steht der Saal und dankt dem Narr mit donnernd-rhythmischen Applaus für diese Sternstunde.
„Im Weltall, ist der Woi all'“, singen die Altheinstromer: „Es ist wieder Fassenacht, das lieben wir so sehr!“ In der Tat: Das Wahlprogramm der Weck, Worscht und Woi-Truppe dürfte für viele Wähler attraktiver sein, als so manche schwere Politkost – dem Publikum jedenfalls gefiel’s: Nach fast sechs Stunden wurde mit „Rucki Zucki“ und „Gelle gern“ ins Finale gefeiert. Der Kampagnenorden übrigens zeigt ein besonderes Herz-Motiv: Während der Herrenorden das Panorama von Mainz an der Rheinfront zeigt, steuert der kleinere Frauenordnung die Silhouette von Mainz-Kastel bei – aneinander gehängt, werden aus dem beiden Fastnachtsherzen eine ganze, vereinte Stadt.
Info& auf Mainz&: Der KCK hatte in diesem Jahr auch zum ersten Mal zu einer „Meedscher Sitzung“ geladen, wie die verlief lest Ihr hier bei Mainz&. Und natürlich: hier kommt unsere Fotogalerie zur KCK-Fremdensitzung von 2025.
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