Sie ist die „Mutter aller Fernsehsitzungen“, die närrische Urform, sie ist Kult – und sie ist schon verdammt alt: In diesem Jahr flimmert „Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht“ seit 70 Jahren über die Fernsehbildschirme. Das dürfte einsamer Rekord sein: Gestartet 1955 im Nachkriegsdeutschland, gehört die große Mainzer Fernsehsitzung bis heute zu den meist gesehenen Sendungen im deutschen TV. Ihre Akteure: Kult. Von Ernst Neger über Herbert Bonewitz‘ „Prinz Bibi“ bis hin zu dem legendäre Sitzungspräsidenten Rolf Braun. Mainz& erfuhr nun: Zum 70. Jubiläum gibt es mit manchen von ihnen ein Wiedersehen – live auf der Fernsehbühne. Und wir durften die ersten Fotos machen.

Was macht man, wenn man einen 70. Geburtstag feiern will, aber wichtige Akteure längst im Grabe liegen? Man kann es natürlich wie bei „Dinner for One“ machen, und alleine feiern – oder man bemüht in modernen Zeiten die KI. Die heißt in diesem Fall „Karl Ignaz“, und hat für den Kurator des Mainzer Fastnachtsmuseums tief in die Geschichtskiste gegriffen. Auf der Bühne erscheint, wie von Zauberhand, die perfekte Illusion: Statt „ABBAtaren“ zaubert die KI – wie könnte es anders sein – „UFFtatare“ auf die Bühne.
„Wollen wir uns einen schönen Abend machen, oder sind Sie auch in der FDP?“ fragt „Jürgen Dietz“, besser bekannt als „Bote vom Bundestag“ – und der Zuschauer rätselt: Ist er es wirklich? „Früher haben ja die Besserverdienenden FDP gewählt, wer heute FDP wählt, hat’s nicht besser verdient“, spricht der Mann im schwarzen Frack des Saaldieners. Es ist die perfekte Kopie eines ganz Großen: Fast 30 Jahre lang mimte Jürgen Dietz aus Mainz auf der Mainzer Fernsehbühne den „Boten vom Bundestag“, ausgerechnet zum 60. Geburtstag von „Mainz bleibt Mainz“ im Jahr 2015 starb er mit nur 73 Jahren.

Verneigung vor Legenden wie dem „Boten vom Bundestag“
Der Stil seines Politvortrags: unverwechselbar. Ein Satz, eine Pointe – und schon war man mitten drin im großen Politik-Spiel. Dietz fiel quasi mit der Tür ins Haus, und tat dies doch stilvoll und elegant. Keiner konnte so mit der Sprache spielen wie der „Bote“, Dietz drehte voller Lust Sprachpirouetten und enthüllte so Phrasen und Macht-Allüren der Mächtigen. 2014 sprach er den Satz mit der FDP, stets folgte ein „Ich diene diesem hohen Haus im Jahre X unter…“ gefolgt vom Namen des jeweiligen Kanzlers.

Nun steht der „Bote“ wieder auf der Bühne, und man reibt sich die Augen, so täuschend echt ist die Kopie: Marcus Schwalbach, den Fernsehzuschauern als närrischer „Gardist“ bekannt, verwandelt sich für eine närrische Sondernummer in den seligen Jürgen Dietz. Die „UFFtatare“ sind eine Sondernummer, erdacht und einstudiert von den heutigen Fastnachtsstars der vier Mainzer Vereine MCV, MCC, GCV und KCK gemeinsam mit dem SWR – wenn am 28. Februar live aus dem Kurfürstlichen Schloss die große Jubiläumssitzung „Mainz bleibt Mainz“ gesendet wird, dann wollen sich die heutigen Sitzungsmacher damit vor den Legenden der Fernsehsitzung verneigen.
Es war am 17. Februar 1955, als sich der damalige Südwestfunk erstmals in eine laufende Fastnachtssitzung einschaltete: die Gemeinschaftssitzung von MCV und MCC. Eine Stunde lang übertrug das Fernsehen live unter dem Titel „Mainz, wie es singt und lacht“ die bunte Welt der Fastnacht ins Fernsehen – die Fernsehsitzungsfastnacht war geboren! Ihre Stars der frühen Jahre hießen unter anderem Willi Scheu als „Bajazz“ oder natürlich Ernst Neger. Der „singende Dachdecker“ sorgte am 5. Februar 1964 für die wohl längste Überziehung der Fernsehgeschichte.
Wiedersehen mit Fraa Babbich und Fraa Struwwelich
Eine geschlagene Stunde lang feierte das Saalpublikum Negers neuesten Hit „Humba Tätärä“ – es wurde zugleich mit 89 Prozent Marktanteil die höchste je gemessene Einschaltquote der Fernsehgeschichte. Mit zunehmender Zahl von Fernsehsendern war so etwas natürlich nicht mehr zu erreichen, doch bis heute zieht „Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht“ jedes Jahr an Fastnachtsfreitag zwischen vier und fünf Millionen Zuschauer vor die Fernsehbildschirme – und das beileibe nicht nur aus den Fastnachtsregionen.

Ganze Generationen sind im Nachkriegsdeutschland mit der großen Mainzer Fernsehsitzung aufgewachsen, lauschten den markigen politischen Rednern, lachten mit Kokolores-Ikonen und schunkelten mit Ernst Neger und den Mainzer Hofsängern. Ihre erste Hochphase hatte „Mainz bleibt Mainz“ in den 1970er Jahren, als Rolf Braun die Sitzungskelle schwang, Margit Sponheimer sang, die Gonsbachlerchen die Bühne rockten oder Otto Dürr und Georg Berresheimer als närrische Putzfrauen „Fraa Babbich und Fraa Struwwelich“ für Lachsalven sorgten.
Nun kehren die zwei närrischen Putzdamen zurück, und wer anders als die heutigen Kokolores-Könige von Gonsenheim könnten sie mimen? Martin Heininger und Christian Schier geben das legendäre Putzfrauen-Duo so gekonnt, als hätten sie nie etwas anderes getan, und genau damit spielt die große Jubiläumsnummer. Es sind die heutigen Stars der Mainzer Fernsehfastnacht, die in die Rollen der Legenden von damals schlüpfen, und das funktioniert grandios-gut: Vergangenheit und Gegenwart blenden quasi ineinander, das Heute verneigt sich vor dem Gestern – und zugleich wird eine eigene grandiose Narretei daraus.

„UFFTatare“ lassen Legenden der Fernsehsitzung wieder auferstehen
Heininger und Schier blödeln genauso uneitel-selbstironisch wie weiland Dürr und Berresheimer, Thomas Becker und Frank Brunswig mimen die legendären „Tramps aus der Palz“, und Adi Guckelsberger, in diesem Jahr auch Sitzungspräsident bei „Mainz bleibt Mainz“ – schlüpft täuschend echt in die Rolle von Rolf Braun, und lässt einen der großen Vorträge des Kasteler Fastnachters wieder auferstehen: die Abmagerungskur. Absolut stilecht mit Bademantel, Rolf Braun-Brille und genau dem Sprachduktus des Originals.

Die Idee zu der Jubiläumsnummer sei im „Kreativkreis“ zwischen der SWR-Redaktion und den Aktiven aus den vier Mainzer Fastnachtsvereinen entstanden, verriet der zuständige SWR-Redakteur Günther Dudek im Gespräch mit Mainz&: „Wir wollen verstorbene Fastnachtsgrößen als eine Art fastnachtliche Hologramme zum Leben erwecken.“ Es sei eine Erinnerung und eine Hommage an 70 Jahre Fernsehfastnachts-Geschichte, einen Anspruch auf Vollständigkeit habe das natürlich nicht, betont Dudek – die Liste wäre sonst wahrlich lang.
Seit Herbst 2024 habe der Kreativkreis bereits Ideen und schließlich Texte und Auftritte für die Nummer entwickelt, am Ende stehen fünf legendäre Nummern in engen Boxen auf de Podesten. „Es geht darum: Wer hat in den letzten 70 Jahren für ‚Mainz bleibt Mainz‘ gewirkt, und an wen erinnert man sich besonders gerne“, sagt Dudek. Als Hologramme gibt es zudem ausschließlich verstorbene Legenden zu sehen, die großen Stars der neueren Zeit, sie leben ja noch. Da wären etwa Hans Peter Betz als „Guddi Gutenberg“ zu nennen oder Michael Emrich, der etwa als „König von Gunsenum“ brillierte.

Bersch macht den „Bibi“, aber wo bleibt „Es Margittche“?
Protokoller Erhard Grom ging gar erst vergangenes Jahr in den Ruhestand, und „Till“ Friedel Hofmann hat mit Florian Sitte just 2024 einen guten Nachfolger gefunden. Rednergrößen wie Hildegard Bachmann leben nicht nur, sondern treten auch noch auf – in Hildes fall bei den Mombacher Bohnebeiteln – und die Mainzer Hofsänger singen schließlich auch noch, auch wenn sich die Sänger der Gesangstruppe selbst natürlich mehrmals verjüngt haben. Die heutigen Stars Jürgen Wiesmann und Florian Sitte wiederum werden die Jubiläumsnummer moderieren.

Die närrische Sondernummer wurde am Sonntagmittag beim Närrischen Frühschoppen der Gonsenheimer Füsiliergarde schon einmal Probe aufgeführt, und dabei machten sich die „UFFtatare“ dann klammheimlich selbstständig… Narretei lässt sich eben nicht einsperren, und schon gar nicht zähmen. Apropos: „Ich freue mich, Sie zu sehen und merke: manche haben jetzt regelrecht Bibi in den Augen“, sagt der „Holo-Bibi“, und das Publikum schnappt nach Luft: Johannes Bersch lässt wieder einmal sein großes Schauspieltalent aufblitzen, und gibt im Original-echten Kostüm den Herbert Bonewitzschen „Prinz Bibi“ – Publikumsbeschimpfungen inklusive.
Ausgerechnet Bersch, dessen „Moguntia“ als legitime Nachfolgerin des Bundestags-Boten gibt, der seine Sätze und Spitzen nahezu genauso gekonnt setzt, verneigt sich nun vor dem großen närrischen Wortverdreher Bonewitz – ein närrischer Gänsehaut-Moment. Und wenn der „Bote“ seinen legendären Schlusssatz spricht – „Deutschland, Deutschland über alles, über alles wächst mal Gras“ – und die „Tramps“ mit Grabesstimme „Helau“ singen, dann weht wahrlich ein Hauch von Fastnachtsgeschichte durch den Saal.
Und wer jetzt sagt: Da fehlt doch eine?!? der hätte fraglos Recht. Aber wie gesagt: Margit Sponheimer lebt schließlich auch noch, und die heute 82-Jährige wird hin und wieder noch singend auf einer Fastnachtsbühne gesichtet. Sehr unwahrscheinlich, dass die Jubiläumssitzung ohne das legendäre „Margittche“ auskommt… Eine Verneigung vor ihr gab es am Sonntag auch schon zu hören: Laura Müller zog singend durch den Saal ein, wie weiland die Margit – mit „Am Rosenmontag bin ich geboren.“ Was daraus wird – wir werden es am 28. Februar 2025 erleben.
Info& auf Mainz&: Eine große Dokumentation des SWR zum Jubiläum „70 Jahre Mainz bleibt Mainz“ gibt es morgen Abend, am Montag, den 17. Februar 2025 um 20.15 Uhr im SWR-Fernsehen zu sehen. Und natürlich: Das schreit ja nach einer kleinen Fotogalerie!