Die praktisch über Nacht vollzogene Wiedereinführung von Tempo 30 auf den Hauptverkehrsachsen in Mainz stößt weiter auf erhitzte Debatten. Die Mainzer FDP schimpft, die Argumente der Verkehrsdezernentin seien „ideologisch motiviert“, mit ihren Alleingängen verspiele Dezernentin Janina Steinkrüger (Grüne) das Vertrauen in die Politik – „Rechtsstaatlichkeit sieht anders aus!“ Derweil fordert eine Petition im Internet die Wiedereinführung von Tempo 50 auf der Rheinallee, das sei eine Frage der Vernunft – denn: „Zügiger Verkehr ist kein Luxus, sondern Notwendigkeit“, heißt es dort, für positive Umwelteffekte von Tempo 30 gebe es „keine eindeutigen Belege“.

Tempo 30 auf Hauptverkehrsachsen in Mainz: Erst gekippt, dann wieder eingeführt. - Foto: gik
Tempo 30 auf Hauptverkehrsachsen in Mainz: Erst gekippt, dann wieder eingeführt. – Foto: gik

Am 19. Mai hatte das Verkehrsdezernat der grünen Dezernentin Janina Steinkrüger buchstäblich über Nacht die Regelgeschwindigkeit von Tempo 50 auf den Hauptverkehrsachsen Parcusstraße-Kaiserstraße sowie der Rheinachse wieder außer Kraft gesetzt – nachdem der Stadtrechtsausschuss sechs Wochen zuvor die alte Tempo 30-Regelung wegen Rechtswidrigkeit gekippt hatte. Ein Gutachten im Auftrage der Stadt Mainz hatte ergeben, dass die alte Begründung für Tempo 30 wegen Schadstoffemissionen in der Luft hinfällig war – und zwar schon seit Anfang 2023.

Mainz hatte Mitte 2020 die Tempo 30-Regelung eingeführt, um einem drohenden Dieselfahrverbot zu entgehen, nun zeigte das neue Gutachten indes auf: Die Stadt Mainz hält bereist seit Anfang 2020 den EUZ-Grenzwert für Schadstoffemissionen, insbesondere bei Stickoxiden, ein. Mehr noch: Die Emissionen sind im Laufe der Jahre weiter gesunken und werden, so das Gutachten auch in den kommenden Jahren den Grenzwert mit großem Abstand verfehlen – und zwar auch bei Tempo 50. Die Einführung von Tempo 30 habe nämlich nur einen marginalen Unterschied ausgemacht, stellten die Gutachter fest.

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FDP Mainz fordert Grüne Welle und „keine Geheimaktion“

Der Stadtrechtsausschuss ordnete daraufhin am 09. April 2025 die sofortige Aussetzung der Tempo 30-Regelung auf den Hauptverkehrsachsen an, und rügte explizit, dass dies bereits zum Zeitpunkt der Vorlage des Gutachtens Ende Februar hätte geschehen müssen – was Verkehrsdezernentin Steinkrüger indes verweigert hatte. Die stellte denn auch umgehend einen neuen Antrag auf Wiedereinführung von Tempo 30, dieses Mal mit der Begründung von Lärmschutz der Anwohner. Weil der aber nicht überall greift, berief sich die Stadt an anderer Stelle pauschal auf „Verkehrssicherheit“ – und setzte Tempo 30 zum 20. Mai wieder in Kraft.

Die Mainzer FDP fordert eine "Grüne Welle" in Mainz, egal bei welchem Tempo - bisher floss eine grüne Welle bei Tempo 30 allerdings nur spärlich. - Grafik: FDP Mainz
Die Mainzer FDP fordert eine „Grüne Welle“ in Mainz, egal bei welchem Tempo – bisher floss eine grüne Welle bei Tempo 30 allerdings nur spärlich. – Grafik: FDP Mainz

Die Mainzer FDP wirft der Dezernentin seither ideologisch motivierte Alleingänge vor: „Die Mainzer Verkehrsverwaltung setzt Tempo 30 auf der Rheinachse, Kaiser- und Parcusstraße erneut durch – ohne Beteiligung, ohne Info, ohne Transparenz“, kritisierte FDP-Fraktionschefin Susanne Glahn am Dienstag, und schimpfte: „So verspielt man Vertrauen – Rechtsstaatlichkeit sieht anders aus!“ Auch FDP-Verkehrsexperte David Dietz wundert sich: „Gestern noch rechtswidrig, heute neue Fakten – innerhalb von 24 Stunden.“ Wo bleibe denn da die Kontrolle?

Die FDP fordert weiter die Stadtverwaltung auf, aus „Kommunikation statt Geheimaktionen“ zu setzen und eine Anhörung mit Experten zum Thema im Stadtrat zu realisieren. „Wir brauchen keine Willkürentscheidungen, sondern Recht und Vernunft“, betonten die Liberalen. Vor allem aber brauche es für den verkehr in Mainz vor allem eines: eine „Grüne Welle“ – und zwar bei Tempo 30 genauso wie bei Tempo 50.

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Petition fordert Wiedereinführung von Tempo 50 auf Rheinallee

Für Letzteres macht sich nun sogar eine Petition im Internet stark: „Für Tempo 50 auf der Rheinallee in Mainz – für Vernunft, Freiheit und Mobilität“ lautet der Titel einer Forderung auf der Plattform openpetition.org, die bereits 940 Menschen unterschrieben hat – die Petition hat damit das nötige Beteiligungsquorum von 707 Unterschriften laut dem Rechner auf Openpetition.org bereits erreicht.  Die Petition richtete sich an die Mainzer Stadtverwaltung, vor allem an das Verkehrsdezernat, zur Begründung beruft sich der Petent auf Studien des Umweltbundesamtes sowie des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags.

Titelbild der Petition gegen Tempo 30 und für Tempo 50 in Mainz auf Openpetition.org. - Foto: Petition
Titelbild der Petition gegen Tempo 30 und für Tempo 50 in Mainz auf Openpetition.org. – Foto: Petition

Tempo 30 bedeute „eine unangemessene Belastung für die Bürger“, Tempo 50 hingegen nicht automatisch mehr Lärm, heißt es zur Begründung – moderne Fahrzeuge seien leiser denn je. „Der oft bemühte Lärmschutz durch Tempo 30 ist nicht pauschal belegbar“, heißt es in der Petition weiter: „Laut Umweltbundesamt sinkt der Lärmpegel bei Tempo 30 im Vergleich zu 50 nur minimal, vor allem bei Pkw mit moderner Technik – und das nur bei konstantem Tempo ohne Bremsmanöver oder Stop-and-Go. Entscheidend ist nicht die Höchstgeschwindigkeit, sondern der Verkehrsfluss.“

Studien haben das wiederholt gestützt, so schrieb das Umweltbundesamt in einer Studie zum Thema Tempo 30: „Das UBA und die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) kommen zu dem Ergebnis, dass vor allem der Verkehrsfluss für die Schadstoffmengen entscheidend ist. Dies bedeutet, dass das Ziel einer Verkehrsberuhigung nicht nur die Geschwindigkeitsreduktion sein sollte, sondern gleicher maßen eine Verstetigung des Geschwindigkeitsverlaufes über längere Strecken beinhalten muss.“ Tempo 30 könne die Schadstoffbelastung reduzieren, wenn der Verkehrsfluss beachtet oder verbessert werde, so das Umweltbundesamt (UBA).

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Umweltbundesamt: Tendenziell mehr Schadstoffe durch Tempo 30

2022 zeigte das UBA in einer weiteren Untersuchung auf, dass bei einem Modellprojekt in den drei Städten Göttingen, Ravensburg und Halle, dass die Luftschadstoffemissionen pro Fahrzeugkilometer in den Modellstädten durch Tempo 30 innerorts sogar „tendenziell leicht zunehmen“ – kompensiert werde das aber dadurch, dass tendenziell weniger Fahrzeuge unterwegs seien. Denn Tempo 30 sorget dafür, dass in den Modellstädten weniger Autos unterwegs waren, und zugleich eine hohe Tendenz bestand, dass sich der Verkehr bei Tempo 30 auf Nebenstrecken verlagerte, auf denen ebenfalls Tempo 30 herrschte.

Vermehrte Staus gab es etwa nach der Einführung von Tempo 30 auf der Kaiserstraße im Oktober 2020 vor roten Ampeln. - Foto: gik
Vermehrte Staus gab es etwa nach der Einführung von Tempo 30 auf der Kaiserstraße im Oktober 2020 vor roten Ampeln. – Foto: gik

Gleiches war in Mainz zu beobachten in der Zeit, als Tempo 30 auf den Hauptverkehrsachsen galt: Viele Einkaufswillige gerade aus dem Umland berichten seither, dass sie Mainz als Einkaufsstadt meiden, Händler berichteten wiederholt, ihre Umsätze seien deutlich gesunken. Gleichzeitig berichten Anwohner auf den Hauptverkehrsachsen von deutlich mehr Stau vor Ampeln, einer nicht-funktionierenden Grünen Welle – sowie von Verkehrsverlagerungen etwa in die Hintere Bleiche oder andere Nebenstraßen als Bypass.

Tempo 30 bedeute deshalb nicht automatisch weniger Lärm und Schadstoffe, heißt es deshalb in der Petition weiter: „Anwohner berichten häufig subjektiv von ‚weniger Lärm‘, wenn der Verkehr flüssiger läuft – was bei Tempo 50 der Fall ist.“ Zudem werde der größte Lärmpegel im Stadtverkehr nicht von den Motorgeräuschen verursacht, sondern vom Rollgeräusch der Reifen – und dieses sei bei Tempo 30 und Tempo 50 kaum unterschiedlich. Entscheidend sei denn auch „nicht die Höchstgeschwindigkeit, sondern der Verkehrsfluss“, betont der Autor.

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Petition: „Zügiger Verkehr ist kein Luxus, sondern Notwendigkeit“

„Zügiger Verkehr ist kein Luxus, sondern Notwendigkeit“, argumentiert die Petition zudem: „In einer Zeit, in der Mobilität zur Lebensrealität gehört, ist ein effizienter Verkehrsfluss für Arbeitnehmer, Familien, Lieferdienste und Einsatzkräfte essenziell. Eine künstliche Verlangsamung bedeutet mehr Zeitverlust, mehr Stress, und letztlich: weniger Lebensqualität – nicht mehr.“ Zudem dürften wirtschaftliche Effekte nicht unterschätzt werden, denn auch die lokalen Betriebe entlang Rheinallee und Kaiserstraße seien auf Erreichbarkeit angewiesen – für Kunden, Lieferanten und Personal.

Mehr Staus durch Baustellen oder vermehrtes Stopp and Go an roten Ampeln bedeutet auch mehr Schadstoffe, hier die Alicenbrücke in Mainz nach Start der Baustelle Binger Straße. - Foto: gik
Mehr Staus durch Baustellen oder vermehrtes Stopp and Go an roten Ampeln bedeutet auch mehr Schadstoffe, hier die Alicenbrücke in Mainz nach Start der Baustelle Binger Straße. – Foto: gik

„Verkehrsverlangsamung kann zur Abwanderung führen, vor allem wenn Parkplätze und Fahrkomfort bereits reduziert wurden“, warnt die Petition. 341 Kommentare finden sich unter der Petition, sie fordern zumeist „fließender Verkehr statt Schneckentempo“, argumentieren mit dem Verkehrsrecht oder und mit einem besseren Verkehrsfluss bei Tempo 50 oder kritisieren schlicht, „weil mir die sinnlose Bevormundung auf die Nerven geht!“

„Auf so wichtigen Hauptverkehrsachsen mit viel Staupotential muss der Verkehr zügig fließen können und das geht besser mit Tempo 50, verträgt sich auch mit Umwelt- und Lärmschutz“, argumentiert einer, „weil ich dann wieder nach Mainz fahren würde um die Wirtschaft vor Ort zu fördern“, ein anderer Unterzeichner. Tempo 30 sei doch „lediglich Schikane“, schimpft ein weiterer, „weil die Politik des Mainzer Verkehrsdezernats inzwischen eine bürgerverachtende Dimension erreicht hat“, ein weiterer. Er lebe in der Innenstadt und sei „jeden Tag von diesem Irrsinn betroffen“, schreibt ein weiterer Unterzeichner: „Welche Interessen auch immer hier vertreten werden, aber definitiv nicht die der Mainzer berufstätigen Bürger.“

Tatsächlich verweist die Petition auch auch die schlichte Tatsache, dass Tempo 50 die gesetzlich festgelegte Regelgeschwindigkeit in Ortschaften ist: „Die Einführung von 50 km/h innerorts beruht auf einem bundesweiten und gut erprobten Verkehrsrahmen, der Sicherheit, Fluss und Alltagstauglichkeit gleichermaßen berücksichtigt“, heißt es weiter: „Die Abkehr von dieser Regelung ohne zwingende sachliche Gründe stellt eine unnötige Abweichung vom Verkehrsstandard dar.“ Verkehrspolitik dürfe aber „nicht in die Lebensgrundlagen eingreifen, sondern muss verhältnismäßig, fair und nachvollziehbar sein.“

Info& auf Mainz&: Die Petition zur Wiedereinführung von Tempo 50 in Mainz findet Ihr samt aller Kommentare und Unterlagen hier im Internet, darunter ist auch die Studie des Umweltbundesamtes von 2022, die Ihr hier zum Download findet. Mehr zu dem Gutachten der Stadt Mainz zur Wirkung von Tempo 30 versus Tempo 50 lest Ihr hier bei Mainz&:

Mainz& exklusiv: Nur marginal mehr Schadstoffe bei Tempo 50 in Mainz auf Hauptstraßen – Tempo 30 seit 2022 rechtswidrig?