Vergangenen Mittwoch zeigte die Mainzer Polizei ein Video im Innenausschuss des Mainzer Landtags zur Aufklärung des umstrittenen Polizeieinsatzes vom 15. August – hinter verschlossenen Türen. Am Freitag macht die Mainzer Polizei das Video dann doch einzelnen Pressevertretern zugänglich – sie belegen, wie gewaltbereite Demonstranten Polizeiketten durchbrechen, sie zweigen aber auch den harten Pfefferspray-Einsatz von Polizeibeamten gegen eingekesselte Demonstrierende. Mehrere andere Vorwürfe kann die Mainzer Polizei aber bis heute nicht aufklären, von Seiten der Demonstranten gibt es deshalb weiter scharfe Kritik an dem Einsatz sowie an der Aufarbeitung danach.

Einsatz der Bundespolizei gegen Demonstranten an einer Unterführung im Ingelheimer Bahnhof. - Quelle: Artemisclyde, Screenshot: gik
Einsatz der Bundespolizei gegen Demonstranten an einer Unterführung im Ingelheimer Bahnhof. – Quelle: Artemisclyde, Screenshot: gik

Nach dem Polizeieinsatz bei einer rechten Demo in Ingelheim am 15. August hatte es massive Vorwürfe gegen die Polizei gegeben, von erheblicher Polizeigewalt und teils massivem Pfeffersprayeinsatz auch gegenüber friedlichen Demonstranten war die Rede, Demo-Sanitäter sprachen von 116 Verletzten. Videos der Demonstranten zeigten tatsächlich zwei Szenen, wie Polizeibeamte mit Pfefferspray gegen Demonstranten vorgehen, die eine Szene spielte sich an einer Unterführung im Ingelheimer Bahnhof ab, wo 150 Demonstranten in eine drangvolle Enge gerieten, die zweite an einem Verkehrskreisel, an dem rund 250 Personen über rund 2,5 Stunden festgehalten wurden.

Am Mittwoch hatte im Innenausschuss der Mainzer Polizeipräsident Reiner Hamm gesagt, die Vorwürfe seien durch die Polizei-interne Aufarbeitung „ganz wesentlich entkräftet“ worden. Der Einsatz des Pfeffersprays sei gerechtfertigt gewesen, Beamte hätten sich damit gegen Angriffe unter anderem mit Regenschirmen gewehrt. Ein Video, das dies belegen sollte, wurde im Ausschuss aber nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit gezeigt, am Freitag dann die Kehrtwende: Unter anderem auf Anfrage von Mainz& präsentierte die Mainzer Polizei das Video auch einzelnen Pressevertretern.

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Die Bundespolizei drückt Demonstranten in die Unterführung am Ingelheimer Bahnhof. - Video: Artemisclyde, Screenshot: gik
Die Bundespolizei drückt Demonstranten in die Unterführung am Ingelheimer Bahnhof. – Video: Artemisclyde, Screenshot: gik

Das Video zeigt im Wesentlichen drei Szenen: die Szene im Ingelheimer Bahnhof, eine Straßenszene sowie den Einsatz von Pfefferspray am Kreisel. In der ersten gezeigten Szene sieht man, wie eine kleine Gruppe gewaltbereiter Demonstranten eine Polizeikette an der Unterführung im Bahnhof durchbricht – das führte letztlich zur Panikszene im Tunnel. Mainz& hatte Anfang September exklusiv das Videomaterial der Bundespolizei einsehen können, aus dem sich die Verkettung der Ereignisse bis hin zur drangvollen Staulage in dem Tunnel ergab. Klar ist damit auch: Für die Eingepferchten in der ausgesprochen engen Unterführung konnte durchaus der Eindruck entstehen, der Tunnel sei von beiden Seiten verschlossen – obwohl der Ausgang in Richtung Boehringer Ingelheim tatsächlich jederzeit offen war.

Der Mainzer Polizeivizepräsident Thomas Brühl räumte nun zum ersten Mal ein, es hätten zwei Frauen wegen Panikattacken aus der Unterführung geführt werden müssen. Lautsprecherdurchsagen zur Lenkung der Demonstranten im Bahnhof habe es zudem nicht gegeben. „Wir haben daraus Konsequenzen gezogen“, sagte Brühl nun, eine solche Situation wolle man künftig vermeiden.

Eine Woche später protestierten Demonstranten erneut in Ingelheimer gegen einen rechten Aufmarsch - und gegen Polizeigewalt. - Foto: gik
Eine Woche später protestierten Demonstranten erneut in Ingelheimer gegen einen rechten Aufmarsch – und gegen Polizeigewalt. – Foto: gik

Die zweite Szene des Polizeivideos zeigt, wie auf der Straße vor dem Bahnhof erneut militante Demonstranten versuchen, eine lose Kette von Polizisten zu durchbrechen – zum Teil sind dieselben Personen zu erkennen wie zuvor die Durchbrecher am Tunnel. Auf der Straße kam es dem Video zufolge zu einem kurzen Gerangel zwischen Polizisten und Demonstranten, gezielte Angriffe auf Polizeibeamte sind aber nicht auszumachen. Die Gegendemonstranten sollten dann durch eine Unterführung zu einer Absperrung gelenkt werden, wo sie ihre Kundgebung durchführen sollten – doch das ging gründlich schief.

Die Einkesselung sei „nicht als Käfig konstruiert“ gewesen, verteidigte Brühl nun das Vorgehen, die Polizei habe „friedliche“ von „unfriedlichen“ Demonstranten trennen wollen. Die „unfriedlichen“ seien aber in die friedliche Menge geflüchtet, „so dass dann eine größere Gruppe von 250 Personen eingeschlossen wurde“, sagte Brühl: „Das müssen wir besser hinkriegen.“ Die Polizei hielt somit unterschiedslos 250 Personen volle 2,5 Stunden lang an dem Kreisel fest – das wiederum bestätigt die Aussage von Demonstranten:  „Wir hatten keine Chance, unserem eigentlichen Demonstrationsziel nachzukommen“, hatte Tim Dreyer, ein Mitglied der hessischen Linken, gegenüber Mainz& berichtet: „Wir fanden uns von Anfang an in einem Kessel.“

Die kritischste, bisher bekannte Szene: Polizeibeamte sprühen mit Pfefferspray in die eingekesselte Menge, trotz Abstand. - Video: Artemisclyde, Screenshot: gik
Die kritischste, bisher bekannte Szene: Polizeibeamte sprühen mit Pfefferspray in die eingekesselte Menge, trotz Abstand. – Video: Artemisclyde, Screenshot: gik

Immer wieder habe es dann Angriffe der Polizeibeamten auf die Menge gegeben, „die Eskalation ging definitiv von den Polizeibeamten aus“, hatte Dreyer berichtet. Ein Video eines Demonstranten zeigte einen solchen Pfeffersprayeinsatz, Mainz& hatte daraus ein Foto veröffentlicht, auf dem auch ein friedlicher Demonstrant zu sehen ist, der lediglich einen Zettel hochhält. Das Video aus Sicht der Polizei zeigt nun: Auf dem Zettel stand der Satz „Belarus ist kein Vorbild“, offenbar eine Anspielung auf die Polizeigewalt des Staates gegenüber Demonstranten – warum der Mann diesen Zettel hochhielt, ist unklar. Direkt von Pfefferspray getroffen, wurde er offenbar auch nicht – der Mann schlendert danach vom Zaun weg.

Das Video der Polizei belegt aber auch: an dem Zaun am Kreisel gingen nicht nur ein Polizeibeamter, sondern gleich zwei Polizisten massiv mit Pfefferspray gegen die Menge vor, obwohl teilweise ein Abstand von zwei bis drei Metern zu den Demonstranten bestand. Demonstranten wichen daraufhin zurück, mehrere versuchten, sich mit Regenschirmen vor dem Pfefferspray zu schützen – ein Demonstrant fuchtelte mit einem kaputten Regenschirm herum. Ein direkter Angriff auf die Polizei ist indes nicht auszumachen. „Genau diese Situation liegt der Staatsanwaltschaft zur Prüfung vor“, sagte Brühl nun, diese müsse „prüfen, ob es dabei Exzesse gab.“ Die Polizei sehe den Einsatz aber weiter als gerechtfertigt an, die Kollegen seien angegriffen worden.

Der Verkehrskreisel in Ingelheim in Bahnhofsnähe, an dem die Polizei 250 Demonstranten einkesselte. - Foto: gik
Der Verkehrskreisel in Ingelheim in Bahnhofsnähe, an dem die Polizei 250 Demonstranten einkesselte. – Foto: gik

Wie die Demonstranten über ein Gitter hinweg und mit gut zwei Meter Abstand Polizisten angegriffen haben sollten, sei „ein Rätsel, hier werfen wir der Polizei eine Schutzbehauptung vor“, kritisierte einer der Demo-Anmelder, Arvid Irgens. Die Polizei habe „mit übermäßigem Gewalteinsatz die Menschen auf einer Fläche zusammengetrieben, die zu klein war.“ Das am Tunnel eingesetzte Pfefferspray gegen die eingepferchte Menge sei „eine versuchte schwere Körperverletzung in mehreren hundert Fällen“, kritisierte Irgens weiter, dazu seien namentlich bekannte Zeugen bis heute nicht geladen worden, die Polizei habe offenbar kein Interesse wirklich aufzuklären und aus ihren Fehlern zu lernen.

Tatsächlich räumte Brühl ein, es gebe eine Anzeige eines Vaters, dessen 16-Jährige Tochter von einem Polizeibeamten geschlagen worden sein soll, doch der Beamte habe bislang nicht ermittelt werden können. Der Vater habe aber bisher eine Vernehmung seiner Tochter bei der Polizei verweigert. Auch eine Szene, bei der vier Beamte einen am Boden liegenden Mann getreten haben sollen, habe man nicht aufklären können. Von einer kaputten Brille wisse man nichts, ebensowenig davon, dass Beamte bei einem Einsatz in dem Kessel eine Sanitätsstation überrannt hätten. Insgesamt seien der Staatsanwaltschaft vier Verfahren wegen unverhältnismäßigem Pfeffersprayeinsatz und sieben Fälle wegen Körperverletzung im Amt zugeleitet worden.

Seit dem 15. August kam es jedes Wochenende zu einem Aufmarsch von Rechtsextremen in Ingelheim, denen sich ein Bündnis bürgerlicher Demonstranten regelmäßig entgegen stellt. - Foto: gik
Seit dem 15. August kam es jedes Wochenende zu einem Aufmarsch von Rechtsextremen in Ingelheim, denen sich ein Bündnis bürgerlicher Demonstranten regelmäßig entgegen stellt. – Foto: gik

Die Grünen-Landtagsabgeordnete Pia Schellhammer mahnte denn auch, die interne Polizeiaufarbeitung sei nur die eine Seite, nun müssten noch Staatsanwaltschaft sowie die Aufarbeitung durch die Polizeibeauftragte erfolgen. „Wir haben von 200 Minuten Videomaterial weniger als sechs Minuten gesehen“, sagte Schellhammer gegenüber Mainz& und kündigte an: „Wir werden das im Ausschuss weiterverfolgen.“ Es sei wichtig gewesen, „die parlamentarische Aufarbeitung anzustoßen, wir haben dadurch eine kritische Reflexion ausgelöst“, betonte Schellhammer zudem. Dass die Polizei künftig Beschwerdestellen vor Ort einrichten und auf die Beschwerdeführer zugehen wolle, „zeigt, dass man mehr auf kritische Punkt eingehen will“, fügte sie hinzu.

Kritik kam indes von den Linken, von denen viele am 15. August an der Kundgebung teilnahmen und auch in den Kessel gerieten: Ein Pfeffersprayeinsatz sei „nie gerechtfertig, nicht umsonst zählen die Mittel im internationalen Kriegsrecht als verbotene Waffen“, sagte der Mainzer Vorsitzende Hendrik Barka Laufer dieser Zeitung: „Demokraten dürfen nicht auf Gegenkundgebungen gehen und mehr Angst vor den Beschützern unserer Demokratie haben müssen.“

Der Polizeibericht im Innenausschuss sei „ein Schlag in die Magengrube der Antifaschisten, die sich Woche für Woche immer wieder den Feinden unserer Demokratie entgegen stellen“, sagte der Vorsitzende der Mainzer Linken, Hendrik Barka Laufer gegenüber Mainz&. Pfeffersprayeinsatz sei „nie gerechtfertig, nicht umsonst zählen die Mittel im internationalen Kriegsrecht als verbotene Waffen“, betonte Laufer. Während der Corona-Pandemie sei so ein Vorgehen wegen der Mund-Nasen-Masken besonders gefährlich. „Demokraten dürfen nicht auf Gegenkundgebungen gehen und mehr Angst vor den Beschützern unserer Demokratie haben müssen“, fügte er hinzu.

Info& auf Mainz&: Mainz& hat sehr ausführlich über den Polizeieinsatz in Ingelheim berichtet, unsere ganze Berichterstattung findet Ihr, wenn Ihr in der Suchmaske „Ingelheim“ eingebt, den Ausgangstext findet Ihr hier, den Text über den jüngsten Innenausschuss könnt Ihr hier nachlesen. Die Erklärung der Bundespolizei in Sachen Tunnel könnt Ihr hier nachlesen.

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