Rheinland-Pfalz erklärt den Corona-Lockdown für beendet und lockert bereits ab Mittwoch in großen Schritten – allerdings nur für Kommunen mit einer Inzidenz von stabil unter 100. Wer über 100 bleibt, verharrt im Lockdown, wo die Bundes-Notbremse gelockert wird, darf bereits ab dem 12. Mai den gesamten Handel wieder öffnen, und das ohne Tests. Dazu sind Übernachtungen in Ferienwohnungen und mit Wohnmobilen auf Campingplätzen möglich, sogar in Hotels darf kontaktarm wieder übernachtet werden. Ab Pfingsten sind dann sogar wieder Zuschauer bei Sport und Kulturveranstaltungen zugelassen, ab Fronleichnam sollen Freibäder, Kultureinrichtungen und die Innengastronomie wieder öffnen dürfen – auch das schon ab einer Inzidenz unter 100. Ausgangssperre hier, totale Lockerungen dort – Rheinland-Pfalz schafft die Zwei-Klassen-Gesellschaft und schmeißt die Vorsicht über Bord, kommentiert Mainz&.
Am Dienstag stellte Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) den „Perspektivplan“ für Rheinland-Pfalz vor. „Wir werden mit einem dreistufigen Perspektivplan kleine Schritte nach vorne gehen“, sagte Dreyer, und betonte: „Es sind Schritte, die Hoffnung machen.“ Die Sieben-Tages-Inzidenz sinke, viele Kommunen hätten gute Zahlen, 22 Kreise oder Städte lägen bereits unter einer Inzidenz von 100. Gerade auch mit Blick auf die anstehenden ersten Pfingstferien in Rheinland-Pfalz habe das Kabinett deshalb am Dienstag Lockerungsschritte insbesondere beim kontaktarmem Urlaub und beim Sport beschlossen – Rheinland-Pfalz geht damit bereits ab einer Inzidenz unter 100 weitreichende Lockerungsschritte in drei Stufen.
Demnach darf ab dem 12. Mai der gesamte Handel ohne Test wieder öffnen, kontaktarmer Urlaub darf in Ferienwohnungen, mit dem eigenen Wohnmobil auf Campingplätzen und in Hotels mit Frühstück auf dem Zimmer gemacht werden – für Letzteres ist dann ein aktueller Coronatest alle 48 Stunden vorgeschrieben. Kontaktfreier Sport wird wieder erlaubt, das gilt auch für Hallensport und Fußballtraining, bis zu 20 Kinder dürfen Sport auch ohne Abstand machen. Es habe „eine große Irritation gegeben“, weil in der Bundesnotbremse nur Individualsport zugelassen gewesen sei, sagte Dreyer weiter: „Wir passen das jetzt an, so dass auch Fußball gespielt werden kann.“ Es seien dann wieder alle Sportarten innen und außen mit Abstand zugelassen, im Innenbereich ist allerdings ein Test vorgeschrieben.
Ab Pfingsten – genau: ab dem 21. Mai – sollen dann in Rheinland-Pfalz schon ab einer Inzidenz unter 100 auch wieder Zuschauer beim Sport oder bei Kulturveranstaltungen zugelassen werden, und zwar bis zu 100 Personen im Freien mit festen Sitzplätzen und mit aktuellem Coronatest. Gruppensport mit bis zu fünf Personen aus fünf Haushalten wird wieder erlaubt, bei einer Inzidenz unter 50 dürfen dann sogar wieder Gastronomie und Kultur in Innenräumen öffnen, und zwar mit Abstand, Test und Maske.
Einen Tag vor Fronleichnam, ab dem 2. Juni, sollen Hotels wieder ganz öffnen dürfen, allerdings weiter mit aktuellem Coronatest. Hotels dürfen dann auch wieder Essen servieren, die Gastronomie in Innenräumen ebenso öffnen wie Kultur, Kinos und Museen – auch mit einer Inzidenz zwischen 50 und 100. Gruppensport ist dann außen für bis zu 20 Erwachsene möglich, die Freibäder sollen öffnen – auch ohne Test.
Das Besondere des Perspektivplans: Alle Regeln gelten schon ab einer Inzidenz stabil fünf Werktage hintereinander unter 100, eine weitere Differenzierung nach niedrigeren Inzidenzen findet nicht mehr statt, mit der Ausnahme von Gastronomie und Kultur zwischen dem 21. Mai und dem 2. Juni. Ab dem 2. Juni dürften dann aber wieder alle Einrichtungen, Geschäfte und die Kultur in Innenräumen öffnen, auch wenn eine Region nur knapp unter der 100er-Marke liegt. „Auch Innengastronomie und kulturelle Angebote im Innenbereich wie Theater, Opernhäuser, Kinos und Museen sind mit negativem Testergebnis wieder überall dort geöffnet, wo die Bundesnotbremse nicht greift“, heißt es explizit. Auch Jugendfreizeiten sollen dann wieder mit Übernachtungen stattfinden können, Sportvereine und Fitnesscenter drinnen und draußen – mit Personenbeschränkungen – trainieren dürfen.
Gleichzeitig aber gelten die scharfen Kontaktbeschränkungen von Treffen mit maximal fünf Personen aus zwei Haushalten im öffentlichen Raum weiter. Und auch das Alkoholverbot im Freien bleibt unverändert bestehen – unabhängig von sinkenden Inzidenzen. „Wir haben da im Moment nicht vor, dranzugehen“, sagte Dreyer auf Mainz&-Nachfrage in der Pressekonferenz. Damit darf man zwar im Biergarten ein alkoholisches Getränk genießen, auf der Wiese daneben zu zweit aber keine Flasche Wein genießen, während gleichzeitig aber Fußballspiele auch von Erwachsenen wieder erlaubt sind.
„Mit unserem Dreistufenplan haben wir in Rheinland-Pfalz sichere Regelungen getroffen, die allen Kommunen mit stabilen Inzidenzen unter 100 in vorsichtigen Schritten Öffnungen ermöglichen“, betonte Dreyer. Eine Abstimmung mit anderen Bundesländern habe es nicht gegeben, räumte die Ministerpräsidentin zudem ein, eine gemeinsame Linie der Bundesländer unter einer Inzidenz von 100 gebe es derzeit nicht. „Es wäre wünschenswert, wenn wir unter 100 eine gemeinsame Linie zwischen den Bundesländern hinbekämen, das ist aber nicht der Fall“, sagte Dreyer.
Nicht weiterverfolgen wird Rheinland-Pfalz zudem Projekte von Modellkommunen, in denen mit Teststrategien Öffnungsschritte erprobt werden sollten: Solche Projekte hätten sich „durch die jetzt vorgesehenen landesweiten Öffnungsschritte erübrigt“, sagte Dreyer. Man arbeite nun an Modellprojekten mit wissenschaftlicher Begleitung im Bereich Breitensport in Trier, Laienmusik und Chorgesang in Abstimmung mit den Kommunalen Spitzenverbänden, Theaterbetrieb in Mainz oder Veranstaltungen mit Zuschauern im Freien am Nürburgring. Details würden in den kommenden Tagen mit den örtlichen Landkreisen und kreisfreien Städten besprochen. Wie es mit den Schulen nach Pfingsten weiter geht, soll am Montag auf einer Pressekonferenz des Bildungsministeriums vorgestellt werden – bis Pfingsten sollen die Schulen im Wechselunterricht bleiben.
Rheinland-Pfalz beendet damit de facto für einen großen Teil seiner Kommunen den Corona-Lockdown, während Experten gleichzeitig vor „Übermut“ und zu weitreichenden Lockerungsschritten warnen. Zudem wird eine Zwei-Klassen-Gesellschaft geschaffen: Während die einen den Lockdown faktisch beenden, müssen gleich nebenan andere Kommunen im scharfen Lockdown der Bundes-Notbremse verharren: 16 Städte und Kreise weisen derzeit noch eine Inzidenz von über 100 auf.
Auch Mainz lag am Dienstag weiter bei einer Sieben-Tages-Inzidenz von 136, während der Landkreis Mainz-Bingen nur noch bei 67 liegt. Damit gelten ab Mittwoch im Landkreis nun weitreichende Öffnungen, während in Mainz Geschäfte und Gastronomie weiter im Lockdown stecken, die nächtliche Ausgangssperre ebenso gilt wie die Kontaktbeschränkung auf nur eine weitere Person außerhalb des eigenen Hausstands.
Info& auf Mainz&: Alle Details zum neuen „Perspektivplan Rheinland-Pfalz“ findet Ihr hier im Internet auf der Seite des Landes.
Kommentar& auf Mainz&: Pandemie over & Vorsicht über Bord
Die Corona-Inzidenzen sinken, ja – aber unten sind sie noch nicht. Der Bundesgesundheitsminister, das Robert-Koch-Institut, alle Experten warnen vor Übermut und zu weiten Lockerungen, die Zahlen sänken noch nicht schnell genug, heißt es allenthalben. Rheinland-Pfalz ficht das nicht an – die Landesregierung erklärt den Corona-Lockdown mal eben für beendet. Ab einer Inzidenz von unter 100 wird auf einmal weit aufgerissen, als gäbe es kein Virus mehr: Geschäfte – auf! Tests? Für unnötig erklärt. Fußballspielen – prima! Geht wieder! Ab Pfingsten gibt’s dann wieder Zuschauer, ab 2. Juni gibt es gleich kein Halten mehr: Innengastronomie, Kultureinrichtungen, Geschäfte, Sport – alles geht wieder, Tests gelten nur in Ausnahmefällen. Corona – war da was?
Wer die Pressekonferenz von Malu Dreyer heute aus der Staatskanzlei verfolgt, durfte sich verwundert die Augen reiben. Da sprach die Ministerpräsidentin hartnäckig von „kleinen, vorsichtigen Schritten“, doch an diesem sogenannten Perspektivplan ist nichts klein und schon gar nichts vorsichtig. Vor einem Jahr hätte man den Plan schlicht eine „Öffnungsorgie“ genannt. Rheinland-Pfalz reißt auf, was man aufreißen kann, und das schon unter einer Inzidenz von 100. Differenzierungsschritte gibt es so gut wie keine mehr, die einstmals eherne Abstufung von 50 oder gar 35 – über Bord geworfen.
Gleichzeitig aber kommen die Impfungen in Rheinland-Pfalz weiter nicht voran, neidisch schielen die Menschen inzwischen nach Hessen, wo Impfwillige der Priogruppe 3 (!!) binnen Tage Impftermine und Impfungen kriegen. In Rheinland-Pfalz sollten die Menschen der Prio 1 und 2 „jetzt inzwischen alle ihre Termine haben“, sagte Malu Dreyer am Dienstag – das ist eine Bankrotterklärung. Seit Wochen verzweifeln Tausende Ältere und Schwerkranke an Impfterminen, die nicht kommen und dann mal auf Juni getimed werden, seit Wochen verweigert das Land eine nachvollziehbare Auskunft, woran es liegt – aber Hauptsache, wir lockern.
Und während im Biergarten künftig fröhlich gebechert, sogar im Hotel getafelt werden darf, darf sich das Pärchen auf der Wiese nebenan weiter keine Flasche Wein im Freien gönnen: Alkoholverbot. Während 20 Mann wieder kicken dürfen, darf die Familie weiter nicht mit ihrem Zelt auf den Campingplatz – das verstehe noch, wer will. Und nebenan die Ausgangssperre wird endgültig zur Farce, wenn zwei Kilometer weiter Restaurants und Kinos offen stehen. Nun zeigt sich, wie wertvoll die Bundes-Notbremse mit ihren einheitlichen und strikten Regeln ist – jenseits dessen gilt wieder „Jeder macht, was er will“. Nein, das macht keine Hoffnung auf einen guten Sommer – sondern weckt alle Befürchtungen für eine neue, vierte Welle. Die Stadt Mainz meldete am Dienstag zeitgleich einen neuen Corona-Ausbruch in einem Mainzer Flüchtlingsheim. Aber die Pandemie ist ja vorbei….