Es war eine äußerst lebendige Vorstadt, die sich da zwischen 100 und 400 nach Christus rund um das römische Legionslager im antiken Mainz erstreckte: Händler und Kneipen, Handwerker und Wohnbebauung drängten sich dicht an dicht, dazwischen Lagerhäuser und auch die eine oder andere Statue – all dies ist nun auch belegt: Am Montag wurden nun erstmals die Funde aus der Baugrube des TRON-Forschungsbaus in der Mainzer Oberstadt präsentiert. Darunter sind auch Sensationen: Eine Genius-Statue und ein Sensationsgrab.
Es war die Auflösung eines großen Rätselratens: Am 9. Juni hatte die Unsichtbare Römergarde Fotos von Mauern veröffentlicht, die in einer Baugrube in der Mainzer Oberstadt zu sehen waren – die Mauern waren eindeutig römischer Herkunft, doch bekannt war über sie: nichts. Auf dem Baufeld an der Oberen Zahlbacher Straße, Ecke „Am Römerlager“, entsteht derzeit das neue Forschungszentrum TRON, in der hochrangige Krebsforschung vorangetrieben werden soll – gegründet von den Biontech-Gründern.
An TRON sind das Land Rheinland-Pfalz, die Mainzer Universitätsmedizin sowie die Johannes-Gutenberg-Universität beteiligt, bereits 2027 soll hier ein modernes Gebäude mit Labor- und Bürobereichen sowie Kommunikationszonen mit bis zu 10.800 Quadratmeter Nutzfläche und für rund 400 Mitarbeiter entstehen. Anfang April war Spatenstich, doch was Experten von vorneherein verblüffte: Archäologische Funde waren kein Thema. Anfang Juni dann tauchten die ersten römischen Mauern auf – und verschwanden wenige Tage später wieder, die Landesarchäologie hüllte sich derweil in Schweigen, bis Medienberichte, auch von Mainz&, erstes Licht ins Dunkle brachten.
Neue Funde: Ist die Römerstadt Mainz älter als Trier?
Am Montag nun wurde der Vorhang über die Funde zum ersten Mal offiziell gelüftet, und dabei bestätigte sich die bisherige Berichterstattung in vollem Umfang: Auf dem Baufeld wurden tatsächlich erstmals Funde einer zivilen Vorstadt rund um das Römische Legionslager gemacht, Experten hatten dies zuvor als mögliche Sensation bezeichnet. Nun ist klar: Die Archäologen haben in der Baugrube zahlreiche Gebäudemauern gefunden, mehrere Hundert Kisten voller Scherbenmaterial wurden sicher gestellt, darunter auch Scherben eines Glasfensters, mehr als 200 Ziegel mit Legionsstempeln und rund 300 Münzen.
„Die Ergebnisse sind extrem reichhaltig“, sagte Ulrich Himmelmann, derzeit amtierender Landesarchäologe der Generaldirektion Kulturelles Erbe (GDKE) am Montag bei der Vorstellung der Funde. „Nahezu 500 Jahre lang war hier Bebauung“, betonte Himmelmann, das Areal sei mehrfach umgeplant und überbaut worden. So fanden sich unter anderem Überreste einer antiken römischen Straße und eines Speicherbaus aus Stein, diverse Keller von Gebäuden, Reste einer Fußbodenheizung sowie von Fabriken und Schankwirtschaften – es war eine sehr fortschrittliche Siedlung, wie der Innenminister betonte.
Das heutige Baufeld lag einst unmittelbar vor den Mauern des einstigen Legionslagers auf dem Mainzer Kästrich. „Die erste Holzbauphase lag vermutlich so um 17 oder 16 vor Christus“, berichtete Innenminister Michael Ebling (SPD) – damit wäre Mainz mindestens so alt wie die Römerstadt Trier, womöglich sogar ein kleines bisschen älter. Unlogisch wäre das nicht: Mainz gehörte zu den wichtigsten Legionslagern der Römer am Rhein, errichtet am strategisch wichtigen Punkt der Main-Mündung und später Hauptstadt der Provinz Germania superior. Ob Mainz oder Trier älteren Ursprungs sind – in der Wissenschaft ist das durchaus umstritten.
Mogontiacum gehörte zu frühesten und wichtigsten Lagern
Gerade mit den Funden der TRON-Baugrube werde „deutlich, dass das römische Mogontiacum zu den wichtigsten und auch frühesten Legionslagern der Römer am Rhein gehörte“, betonte denn auch Innenminister Ebling. Das erste Lager, gegründet durch den Feldherrn Drusus, wuchs über die Jahrhunderte auf rund 37 Hektar Größe, das habe 52 Fußballfeldern entsprochen, betonte Ebling. Stationiert waren hier in der Hochphase rund 12.000 Legionäre, rund um das Lager entstand indes eine große Zivilstadt mit Tempelbezirken, Stadthalter-Palast und dem antiken römischen Bühnentheater.
Unmittelbar angrenzend an das Legionslager aber bildete sich schnell eine Vorstadt, in der die Familien der Legionäre ebenso lebten wie Handwerker und Händler. Hier fanden sich Geschäfte, Tavernen und Badehäuser, wurden Wohnhäuser errichtet und Getreidespeicher, es gab Straßen und Plätze – und genau diese Reste wurden nun erstmals in aller Fülle entdeckt. Es sei eine dynamische Besiedlung mit einer dichten Abfolge von Bauten in Stein und Fachwerk gewesen, berichtetet der Innenminister weiter, der Erhaltungszustand sei sehr gut.
So wurden denn auch nur 50 Zentimeter unter der heutigen Oberfläche gleich mehrere sensationelle Funde gemacht, dass die Funde so dicht unter der Oberfläche lagen, lag daran, dass es hier im Mittelalter keine Bebauung gab, sondern freies Feld. Einer der wichtigsten Funde: Der Torso einer Sandsteinstatue aus dem 3. Jahrhundert nach Christus, den die Experten inzwischen als einen „Genius“ identifizierten – einen persönlichen Schutzgott. Wen genau dieser Schutzgott darstellte, und wessen Haus er beschützen sollte, teilten die Experten nicht mit.
Statue eines Genius und Grab vor Lagertoren gefunden
Klar ist aber: Die Statue wurde von einer obergermanischen Bildhauer-Werkstatt erschaffen und weist enge stilistische Parallelen zur Salus-Statue auf, die im Oktober 2020 im Mainzer Zollhafen gefunden wurde. Die Statue der antiken Heilgöttin Salus zeigt eine extrem gut erhaltene, 1,49 Meter hohe Frauenfigur, bekleidet mit einem Hüftmantel mit elegantem Faltenwurf, gilt als Kunstwerk mit hoher Qualität, aus gleicher Werkstatt stammte nun offenbar auch der Genius. „Der Genius-Kult war im militärischen Kontext und beim Kaiserhaus weit verbreitet“, berichtete Ebling.
Die zweite archäologische Sensation kam zunächst ganz unscheinbar daher: Vor einem vermeintlichen Keller fanden die Forscher eine Stele mit einer sehr kurzen Inschrift, die direkt vor den Mauern des Legionslagers stand – und so ausgerichtet war, dass man sie von den Mauern aus lesen konnte. Bei den Grabungen stellte sich heraus: Die Stele stand vor einer unterirdischen Grabkammer samt Gewölbedecke, einer kleinen Gruft aus dem 1. Jahrhundert – auch die Bestattungsreste selbst wurden gefunden.
„Hier wurde jemand an einem sehr öffentlichen und sehr repräsentativen Ort begraben worden“, berichtete Ebling. Auch Himmelmann betonte, eine Grabanlage mit einer Stele so dicht vor dem Legionslager sei „etwas Herausragendes, Außergewöhnliches.“ Wer hier begraben wurde, ist allerdings noch völlig unklar. Die gefundene Stele zeigt lediglich die drei Buchstaben F sowie P und H, es handelt sich um das untere Ende einer längeren Inschrift, die aber bislang nicht gefunden wurde.
Römische Funde aus der Canabae waren erwartet worden
Es war nicht einmal der erste Fund dieser Art: Bereits 1925 wurde Ebling zufolge ein vergleichbares Grab bei Kanalarbeiten gefunden und dokumentiert, gerade einmal 25 Meter entfernt. Auch in den Jahren 1901 und 1903 wurden auf dem heutigen TROn-Areal bei Arbeiten für Straßen und Kanäle Keller von Gebäuden der einstigen Canabae gefunden und dokumentier.
„Wir wussten, dass es hier wichtige römische Funde geben würde“, räumte Himmelmann denn auch ein, Ebling betonte sogar, man habe fest mit den Überresten der Canabae gerechnet – zur Frage, warum davon die Öffentlichkeit, aber auch die Initiative Römisches Mainz zunächst nichts erfuhr, sagten beide nichts. Der Grund dürfte an dem besonderen Bauvorhaben liegen: „Es ist für uns eine ganz besondere Baustelle“, betonte Ebling, man rede über ein hochmodernes Forschungszentrum zur Erforschung von Krebs.
Und die Baustelle komme „zügig voran“, betonte Ebling gleich mehrfach – das sei auch vertraglich so festgelegt. „Es geht hier eben auch um Investoren, für die ist jeder Tag bares Geld“, fügte Ebling hinzu: „Wir haben ein hohes Interesse, dass dieser Leuchtturm der Forschung schnell realisiert wird, ohne unsere Sorgfaltspflicht zu verletzen.“
TRON-Baustelle: Bauherren diktieren Fortschritt für Archäologen
„Wir haben sehr, sehr viele und tolle archäologische Funde, die führen aber dazu, dass die Baustelle langsamer voranschreitet“, sagte Michael Ludorf, kaufmännischer Geschäftsführer von TRON. Bisher funktioniere die Zusammenarbeit mit den Archäologen sehr gut, doch derzeit gebe es schon eine Verzögerung von etwa zwei Monaten. Wissenschaftsminister Clemens Hoch (SPD) betonte denn auch ausdrücklich, man bleibe im Zeitplan, 2027 werde das so wichtige Gebäude fertig sein. „Wir selber hoffen, dass die Archäologen nicht mehr allzuviel finden“, sagte der Minister.
Für die Archäologen bedeutet das offenbar einen erheblichen Zeitdruck, eine systematische Erforschung des Untergrunds nach Vorgaben der Wissenschaft ist hier nicht möglich – das hatte die GDKE bereits im Juni gegenüber Mainz& bestätigt. Gegraben würde stattdessen nach den Vorgaben des Bauherren, in enger Folge und Absprache werde immer wieder neu festgelegt, wo gegraben werde, hatte GDKE-Direktorin Heike Otto im Gespräch mit Mainz& gesagt, und eingeräumt: „Es wäre einfacher, wenn wir erst einmal einen Bereich fertig machen könnten.“ Die Priorität sei aber, die Baustelle „nicht aufzuhalten.“
Demzufolge können die Archäologen viele Befunde noch gar nicht einordnen: So seien „ganz viele Fragmente von Gebäuden“ noch gar nicht komplett ausgegraben, auch das Umfeld des Fundortes der Genius-Statue sei noch nicht untersucht, sagte Himmelmann: „Da kommen wir im Herbst dran, wir sind sehr gespannt.“ Bis Weihnachten sollen die Archäologen wohl Zeit haben zur Erforschung des Geländes.
Derweil schreiten die Bauarbeiten zügig voran, parallel zu den Ausgrabungen tummeln sich Bagger und schweres gerät in der Grube, werden bereits Vorbereitungen für die Fundamente und Keller gelegt. Die ausgegrabenen Mauern würden wissenschaftliche dokumentiert und gesichert – und dann abgebaut, sagte Himmelmann: Vor Ort verbleibt nichts. Die Archäologen arbeiten derzeit mit drei Teams und 20 Leuten vor Ort, ob der enge Zeitrahmen ausreicht: unklar. „Wir wissen, dass es noch weitere Funde gibt“, sagte Himmelmann, „wir werden in den nächsten Monaten alle Hände voll zu tun haben.“
Info& auf Mainz&: Mehr zum Krimi der römischen Reste in der Mainzer Oberstadt könnt Ihr noch einmal hier bei Mainz& nachlesen.