Ein Großteil der Städte in Deutschland schützt die Menschen nicht ausreichend vor den extrem hohen Temperaturen als Folge der Klimakrise, das kritisiert nun die Deutsche Umwelthilfe – und stellte das Ergebnis ihres ersten „Hitze-Checks“ für Städte vor. Unter den rund 190 untersuchten Städten schnitt Mainz besonders schlecht ab: Die Landeshauptstadt bekam die „Rote Karte“ für zu viel Versiegelung und viel zu wenig Grün. Die Linke spricht von einer „Ohrfeige“ für die rot-grüne Stadtentwicklungspolitik, das Mainzer Baumbündnis fordert den konsequenten Erhalt vor allem alter Bäume im Stadtgebiet.

Rheinufer am alten Weinlager im Mainzer Zollhafen: Viel Beton, sehr wenig Grün. - Foto: gik
Rheinufer am alten Weinlager im Mainzer Zollhafen: Viel Beton, sehr wenig Grün. – Foto: gik

190 deutsche Städte mit mehr als 50.000 Einwohnern hatte die Deutsche Umwelthilfe (DUH) für ihren „Hitze-Check“ unter die Lupe genommen, die Ergebnisse waren höchst durchwachsen: Insgesamt erhielten 24 Städte eine Rote Karte, 82 eine Gelbe Karte und immerhin 84 eine Grüne Karte. Peinlich für Mainz: Auch die seit 15 Jahren von einer grün-rot-gelben Ampel regierte Stadt gehört zu denen, die eine Rote Karte bekam.

Die Analyse betrachtete den Angaben zufolge den Grad der Flächenversiegelung und die Grünausstattung in den Städten, und zwar basierend auf neuen Daten der Potsdamer Luftbild Umwelt Planung GmbH, die die DUH in Auftrag gegeben hatte. Unter den Städten mit Grüner Karte, also vergleichsweise wenig Versiegelung und hohem Grünvolumen, schnitten Detmold, Ratingen, Potsdam und Jena am besten ab.

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Rote Karte für Städte mit viel Beton und besonders wenig Grün

Städte wie Sindelfingen oder Kaiserslautern seien zwar extrem stark versiegelt, hätten aber viel Grünvolumen, bilanziert der Umweltverband weiter. Solche Städte erhielten deshalb eine Gelbe Karte. Städte wie Pulheim und Wilhelmshaven, die eine vergleichsweise geringe Versiegelung aufwiesen, aber gleichzeitig sehr wenig Grünvolumen besäßen, hätten ebenfalls eine Gelbe Karte bekommen. Besonders schlecht schnitten die Städte Ludwigshafen, Heilbronn, Regensburg, Worms, Mainz, Ludwigsburg und Ingolstadt ab – sie seien besonders stark versiegelt und hätten sehr wenig sogenanntes Grünvolumen.

Platz vor dem neuen Archäologischen Zentrum LEIZA. - Foto: gik
Platz vor dem neuen Archäologischen Zentrum LEIZA. – Foto: gik

Für Mainz ist das Ergebnis höchst peinlich, aber keine Überraschung. Jahrelang versprach die Ampel-Koalition im Stadtrat mehr Grün für Mainz, Koalitionsvertrag 2019 wurde das sogar schriftlich fixiert – doch das Gegenteil geschah: Mainz bekam immer mehr hochgradig versiegelte Großflächen wie den Zollhafen, den Vorplatz an der Johannes-Gutenberg-Universität oder den Platz am neuen LEIZA-Zentrum. Auch Plätze wie der neu gestaltete Münsterplatz ließen Wünsche in Sachen Grün ebenso offen, wie das Rheinufer in Höhe Caponniere.

Dabei hatte die Stadt Mainz, wie viele andere Städte auch, im September 2019 den „Klimanotstand“ ausgerufen, danach sollte alle künftigen Entscheidungen, Projekte und Prozesse unter einen Klimaschutzvorbehalt gestellt werden, hieß es damals. Eine Änderung der Stadtentwicklungspolitik zog das nicht nach sich, die Linke spricht deshalb nun von „einer Ohrfeige für die rot-grüne Stadtentwicklungspolitik der vergangenen Jahrzehnte. Nach Jahrzehnten der Rot-Grünen Dominanz sei die DUH-Erhebung „ein besonders peinliches Zeugnis“, auch der Klimanotstand sei „nicht mehr als ein Papiertiger.“

Linke: „Peinliches Zeugnis“ für rot-grüne Stadtpolitik

„Die Stadt Mainz versagt seit Jahrzehnten dabei, dem Anspruch, ein gutes Leben für alle zu ermöglichen, gerecht zu werden“, kritisierte Carlotta Stahl, umweltpolitische Sprecherin der Linken im Mainzer Stadtrat. Stattdessen werde es immer heißer in der Stadt, das treffe vor allem ältere Menschen und andere vulnerable Personengruppen. „Nicht zuletzt zeigt sich hier auch ein soziales Problem: Wer gezwungen ist, in beengten Innenstadtverhältnissen zu wohnen, ist von gefährlicher Hitze stärker betroffen“, betonte Stahl.

Die Felder bei Bretzenheim entlang der Saarstraße gehören zu einer wichtigen Kaltluftentstehungszone in Mainz - doch genau hier soll der neue Biotechnologie-Campus entstehen. - Foto: gik
Die Felder bei Bretzenheim entlang der Saarstraße gehören zu einer wichtigen Kaltluftentstehungszone in Mainz – doch genau hier soll der neue Biotechnologie-Campus entstehen. – Foto: gik

Die Linksfraktion fordere „seit Langem die Entsiegelung von Flächen, stärkere Begrünung von Innenstadt und Ortsteilen, sozialen Wohnungsbau, der ökologisch nachhaltig erfolgt sowie ein Gesamtkonzept, das Umweltaspekte mit gesundheitlichen und sozialen Faktoren zusammenbringt“, sagte Stahl weiter. Stattdessen sollten nun gerade wieder dringend erforderliche Kaltluftschneisen im sogenannten Hochschulerweiterungsgelände zu Gunsten eines Gewerbegebietes geopfert werden, das werde „fatale Folgen für die gesamte Innenstadt“ haben, warnte die Grüne: „Statt tragfähige Konzepte zu entwickeln, die Hitzebilanz zu verbessern, wie andere Städte es vormachen, ist Mainz im Rückwärtsgang.“

Tatsächlich hatte schon die Klimastudie Klimprax im Jahr 2019 deutlich gezeigt, dass gerade die Mainzer Altstadt und Neustadt zu Hitze-Hotspots zu werden drohen, auch bei der Anhörung zum Klimanotstand hatten die Hauptforderungen der Experten damals gelautet: Städte wie Mainz bräuchten dringend mehr Grün und weniger Versiegelung, das Freihalten von Frischluftschneisen müsse zur Pflicht werden. Geeignete Maßnahmen gegen den Hitzekollaps: Wasser, Brunnen, Bäche, und vor allem Grünzonen. Eine beschattete Straße oder Platz heizen sich deutlich weniger auf, als kahle Betonflächen, der Temperaturunterschied kann bis zu sechs Grad betragen.

Mainz fällt seit Jahren mehr Bäume, als gepflanzt werden

Seit Jahren kritisieren auch CDU und ÖDP in der Opposition diesen Zustand, die CDU hatte im Juni dieses Jahres noch geklagt, pro Jahr würden in Mainz weiter mehr Bäume gefällt als gepflanzt. Das ist durch Zahlen belegt: In Mainz wurden zwischen 2019 und 2023 von der Stadtverwaltung allein 1.236 Genehmigungen für die Fällung von geschützten Bäumen mit einem Stammumfang von mehr als 80 Zentimetern im Zuge von Baumaßnahmen erteilt.

Aktuell droht den alten Bäumen entlang der Mombacher Straße in Höhe des Alten Jüdischen Friedhofs ein Kahlschlag. - Foto: gik
Aktuell droht den alten Bäumen entlang der Mombacher Straße in Höhe des Alten Jüdischen Friedhofs ein Kahlschlag. – Foto: gik

Dazu kamen allein 2023 insgesamt 474 Bäume, die auf städtischen Grundstücken gefällt wurden – in Grünanlagen, entlang von Straßen oder an Schulen gefällt. Gleichzeitig wurden von Seiten der Stadt Mainz 2023 aber nur 252 Bäume entlang von Straßen oder in Grünanlagen nachgepflanzt – damit standen allein in diesem Jahr grob gerechnet 1.071 gefällte große Bäume lediglich 252 Nachpflanzungen gegenüber. Jüngstes Beispiel: Bei der Umgestaltung der Mombacher Straße sollten laut Plan 27 von 54 alten Bäumen dem Umbau zum Opfer fallen – erst nach massivem Druck lenkte die Mainzer Umweltdezernentin Janina Steinkrüger, eine Grüne, ein: Die Pläne liegen vorerst auf Eis.

„In Zeiten der Klimakrise brauchen unsere Städte unversiegelte Böden zur Versickerung von Wasser und Grünflächen zur Kühlung“, betonte DUH-Bundesgeschäftsführerin Barbara Metz nun. Grün sei aber nicht gleich Grün: „Der Rollrasen kann mit dem alten Baumbestand nicht mithalten, deshalb ist nicht nur entscheidend, dass Versiegelung gestoppt und dort, wo es geht, zurück gebaut wird, sondern dass vor allem neben Rasenflächen auch Bäume, Büsche und Wiesen in unseren Städten zu finden sind“, forderte sie.

Besonders wichtig fürs Stadtklima: Alte Bäume

Das sei auch ein Thema der Gesundheit, betonte Frank Winkler, Stellvertretender Leiter der vdek-Landesvertretung für das GKV-Bündnis für Gesundheit Baden-Württemberg, das den Hitze-Check mit in Auftrag gegeben hatte: „Gesundheit ist untrennbar mit den klimatischen Umweltbedingungen verbunden“, sagte Winkler: „Menschen brauchen Erholungsorte in ihrem engsten Lebensumfeld. Dazu braucht es in unseren Städten mehr Platz für Grünflächen, die für ein gutes Klima und saubere Luft sorgen.“

Bäume, und vor allem Alleen sorgen für eine erhebliche Temperatursenkung, vor allem an heißen Sommertagen. - Foto: gik
Bäume, und vor allem Alleen sorgen für eine erhebliche Temperatursenkung, vor allem an heißen Sommertagen. – Foto: gik

Der anhaltende Trend zu mehr Beton und weniger Grün sei hingegen „alarmierend“: „Statt zu lebenswerten Orten der Erholung entwickeln sich unsere Städte in Hitze-Höllen“, warnte Metz. Die Bundesregierung müsse jetzt wirksame Maßnahmen ergreifen, wie etwa bundesweite Standards für die Begrünung von Schulhöfen vorschreiben oder verbindliche Grünanteile auf kommunaler Ebene festlegen. Besonders folgenreich sei dabei der Verlust großer Bäume, gerade sie sorgten in der Stadt für einen hohen Kühleffekt.

Dem Erhalt alter Bäume hat sich auch das im Mai 2024 gegründete „Baumbündnis“ verschrieben, das den Baumerhalt als einen festen Teil der Stadtplanung fordert. „Auch ohne den Hitze-Check wussten die Mainzerinnen und Mainzer bereits, dass es mit der Versiegelung und Baumfällungen in unserer Stadt so nicht weitergehen kann“, kommentierte nun der Sprecher des Bündnisses, Uli Walter, das aus Sicht der Initiative „ernüchternde Ergebnis“ des Hitze-Checks.

Baumbündnis: Erhalt alten Baumbestandes als oberste Priorität

„Dass trotz Ausrufung des Klimanotstands in Mainz weiterhin alte Bäume in großem Stil gefällt werden, zeigt, dass wir Bürgerinnen und Bürger uns gegen das unverantwortliche Handeln zur Wehr setzen müssen“, kritisierte Walter: „Der Stopp von vielen hundert Fällungen pro Jahr ist unabdingbar, um künftige Hitzeperioden abzumildern und Hitzetode zu vermeiden.“ Daher hatte sich im Mai diesen Jahres das Baumbündnis Mainz aus verschieden Bürgerinitiativen und Umweltvereinen gegründet und stellt folgende Forderungen an den Stadtrat sowie den Oberbürgermeister als Chef der Verwaltung:

Das neu formierte Baumbündnis Mainz fordert prioritär den Erhalt alter Bäume, gerade auch bei Bauvorhaben der Stadt Main. - Foto: NABU Mainz
Das neu formierte Baumbündnis Mainz fordert prioritär den Erhalt alter Bäume, gerade auch bei Bauvorhaben der Stadt Main. – Foto: NABU Mainz

Konkret forderte das Baumbündnis in seiner Petition, dass „bei allen laufenden und zukünftigen Bauplanungen der Stadt Mainz, der Eigenbetriebe und der stadtnahen Gesellschaften der Erhalt des Baumbestandes oberste Priorität haben und verbindlich vorgegeben werden soll.“ Aktuell führe man Gespräche mit den im Rat vertretenen Fraktionen, sagte Jürgen Weidmann, Vorstand des Arbeitskreis Umwelt, Mombach e.V. und ebenfalls Mitglied des Baumbündnisses.

Man wolle wissen: Wie viele Baumfällungen seien aktuell bei städtischen Bau- und Verkehrsmaßnahmen geplant? Wann stünden diese Maßnahmen an, und wie weit seien die Planungen fortgeschritten? „In einer Stadt, in der die Grünen die stärkste Stadtratsfraktion stellen, sollte diese Transparenz eine Selbstverständlichkeit sein“, fügte Weidmann hinzu.

Info& auf Mainz&: Mehr zum Thema „Wie grün ist Mainz“ könnt Ihr noch einmal hier in unserer Mainz&-Analyse zur Kommunalwahl nachlesen.