(Achtung: Artikel vom 14. Mai 2024) Am 9. Juni 2024 wählt Mainz einen neuen Stadtrat, das bedeutet aber auch: Zeit Bilanz zu ziehen. 2019 hatten erneut die Ampel-Parteien von SPD, Grünen und FDP eine Mehrheit errungen, wenn auch mit anderen Vorzeichen: Die Grünen stellten nun die stärkste Fraktion im Stadtrat. Eines der wichtigsten Versprechen der Neuauflage der Ampel: Mehr Grün für Mainz. Mainz& fragt: Was ist daraus geworden? Die CDU kritisiert, die Stadt fälle weiter viel mehr Bäume als sie nachpflanze, die ÖDP fordert ein umfassendes Grünflächenkonzept und will Betonwüsten zurückbauen.
Es war im September 2019, als die Stadt Mainz den „Klimanotstand“ ausrief: Angesichts der stark voranschreitenden Klimakrise müsse sich die Stadt besser auf den Klimawandel und seine Folgen einstellen, deshalb stelle man alle künftigen Entscheidungen, Projekte und Prozesse unter einen Klimaschutzvorbehalt, hieß es damals. Eine der Hauptforderungen der Experten damals: Städte wie Mainz bräuchten dringend mehr Grün und weniger Versiegelung, das Freihalten von Frischluftschneisen müsse zur Pflicht werden – mehr Bäume und mehr Schatten könnten im Sommer einen Unterschied von bis zu sechs Grad ausmachen.
Fünf Jahre danach sieht die Bilanz höchst durchwachsen aus: Mainz ist auf den ersten Blick nicht grüner geworden, die Zahl der Bäume ist eher gesunken als gestiegen, und neue Grünanlagen wurden nicht eröffnet. Kleine Hochbeete wie auf dem Münsterplatz stehen wahre Steinwüsten gegenüber – das betrifft den Münsterplatz selbst, aber auch das Entrée zur Johannes-Gutenberg-Universität, den Platz vor dem neuen archäologischen Zentrum LEIZA und – allen voran – den Mainzer Zollhafen: Hier verschwinden einige wenige kleine Jungbäume gegenüber riesigen Betonflächen.
„Bauminitiative“ der Ampel: Mehr Bäume gefällt als gepflanzt
Und dabei betonen Experten einhellig: Im Zuge des Klimawandels werden vor allem Städte zu Hitze-Hotspots, werden sich Städte im Sommer immer weiter aufheizen – sofern die Städte nicht gegensteuern. Geeignete Maßnahmen dafür: Wasser, Brunnen, Bäche, und vor allem Grünzonen. Eine beschattete Straße oder Platz heizen sich deutlich weniger auf, als kahle Betonflächen, der Temperaturunterschied kann bis zu sechs Grad betragen. An Ankündigungen vor allem der Ampelparteien mangelte es in den vergangenen fünf Jahren nicht, zur Bilanz nach fünf Jahren fragt Mainz& nun: Ist Mainz grüner geworden und besser gegen den Klimawandel gerüstet?
Im Juli 2020 beschloss der Stadtrat auf Initiative von SPD, Grünen und FDP eine große „Bauminitiative“: Die Verwaltung solle ein Konzept erarbeiten, wie mehr Bäume im Stadtgebiet gepflanzt werden könnten, forderten die Ampel-Fraktionen, es brauche dazu „einen Baumtrupp“ – Bäume seien ein erheblicher Faktor gegen die Aufheizung der Innenstadt. „Hier wird ein ganz, ganz großes Projekt gestartet, das dieses Stadt langfristig verändern kann“, freute sich die damalige Umweltdezernentin Katrin Eder (Grüne): Die Stadtverwaltung wolle nun „Straßenzug um Straßenzug durchgehen und schauen, wo wir mehr Grün schaffen können.“
Vier Jahre später sei indes von diesem Projekt nicht zu sehen, kritisiert CDU-Kreischef Thomas Gerster: „Passiert ist nichts.“ Pro Jahr würden weiter mehr Bäume gefällt als gepflanzt, klagt der CDU-Mann im Gespräch mit Mainz&. Tatsache ist: In Mainz wurden zwischen 2019 und 2023 von der Stadtverwaltung allein 1.236 Genehmigungen für die Fällung von geschützten Bäumen mit einem Stammumfang von mehr als 80 Zentimetern im Zuge von Baumaßnahmen erteilt.
1070 Bäume gefällt, 250 nachgepflanzt: Mainz im Jahr 2023
Das geht aus einer Antwort der heutigen Umweltdezernentin Janina Steinkrüger (Grüne) auf eine Anfrage der CDU für den Stadtrat am Mittwoch hervor. Die CDU hatte darin wissen wollen, wie viele Baumfällungen im Zuge von Baumaßnahmen erteilt wurden. Für kleinere Bäume lägen der Stadt keine Zahlen vor, heißt es in der Antwort weiter. Demnach wurden 2019 insgesamt 343 Fällgenehmigungen erteilt, 2020 waren es 247 und 2021 insgesamt 232. 2022 sank die Zahl der Fällgenehmigungen leicht auf 222 und 2023 noch einmal auf 192.
Das ist aber nur ein Teil des Bildes: Im Jahr 2023 allein wurden nämlich in Mainz insgesamt 474 Bäume auf städtischen Grundstücken und 451 auf privaten Grundstücken gefällt, wie die Stadt im Januar auf eine Anfrage der ÖDP mitteilte. Die 474 „städtischen“ Bäume wurden dabei in Grünanlagen, entlang von Straßen oder an Schulen gefällt, ein Großteil davon sei abgestorben gewesen, heißt es von Seiten der Stadt Mainz. Das ist aber mitnichten immer der Fall: Für Ärger und Wut sorgten erst jüngst wieder Baumfällungen an der Peter-Härtling-Schule in Finthen, dort mussten gesunde und mehr als 100 Jahre alte Bäume einem Neubauvorhaben weichen.
Die 415 „privaten“ Bäume wiederum wurden im Zuge von 261 Baumfallanträgen zur Fällung freigegeben, und zwar außerhalb von Bauantragsverfahren – diese kommen dann also noch hinzu. Nach Angaben der Stadtverwaltung vom Januar handelte es sich dabei um insgesamt 146 geschützte Bäume. Gleichzeitig wurden von Seiten der Stadt Mainz 2023 aber nur 252 Bäume entlang von Straßen oder in Grünanlagen nachgepflanzt – damit stehen grob gesagt 1.071 gefällten großen Bäumen lediglich 252 Nachpflanzungen gegenüber.
2021 waren rund 600 Straßenbaumstandorte nicht bepflanzt
Die Stadtverwaltung selbst fällte damit 2023 doppelt so viele Bäume, wie sie selbst nachgepflanzt hat – das ist kein Einzelfall: 2021 etwa fällte die Stadtverwaltung selbst 425 Bäume im Stadtgebiet, nachgepflanzt wurden aber nur 151, das sind ganze 35 Prozent. Mainz verliert also schon seit Jahren erhebliche Mengen seines Baumbestandes, trotzdem behauptet Umweltdezernentin Steinkrüger nun: Aktuell seien die „zur Verfügung stehenden Baumstandorte stadtweit derzeit zu über 97 Prozent belegt.“
2021 antwortete das Umweltdezernat im Stadtrat hingegen noch: Aktuell seien rund 600 Straßenbaumstandorte nicht bepflanzt, dazu etwa 130 Standorte in Grünanlagen, 120 an Schulen und 60 an Kitas. Die CDU hatte im September 2022 im Stadtrat dann noch eine Initiative „Ein Baum für Euch“ vorgeschlagen, und wollte jedem Ehepaar bei der Hochzeit einen Baum schenken, der im Stadtgebiet gepflanzt werde – die Ampel lehnte das mit viel Spott für die CDU ab, allen voran die Grünen. Die Begründung: Die Verwaltung tue doch schon so viel für Baumpflanzungen.
Doch Rücksicht auf Bäume zu nehmen, ist nicht die oberste Devise von Seiten der Stadtverwaltung: Im Zuge der Straßenbahnerweiterung durch die Mainzer Neustadt wird als eine mögliche Trasse die Hindenburgstraße diskutiert – die ehrwürdige Baumallee dort würde in dieser Form dann nicht erhalten bleiben, räumte die Stadt selbst ein. Jüngstes Beispiel: Bei der Umgestaltung der Mombacher Straße sollten laut Plan 27 von 54 alten Bäumen dem Umbau zum Opfer fallen – erst nach massivem Druck lenkte Dezernentin Steinkrüger ein. Die Pläne liegen nun wegen Umbauarbeiten der Deutschen Bahn auf Eis.
ÖDP: Mainz hat „massives Defizit“ bei Grünflächen
„Die Stadt Mainz hat in Sachen Grünflächen ein massives Defizit“, kritisiert derweil die Mainzer ÖDP, und fordert im Stadtrat am Mittwoch die Erstellung eines Grünflächenkonzeptes. Mit weniger als fünf Prozent öffentlicher Grünflächen sei Mainz unterversorgt, kritisiert ÖDP-Chef Claudius Moseler. Die ÖDP-Stadtratsfraktion fordere in einem Antrag deshalb die Erstellung eines Grünflächenkonzeptes, das bestehende Grünflächen vor Bebauung schützen und qualitativ und zukunftsfähig aufwerten soll. Zudem sollten Entwicklungsmöglichkeiten für die Begrünung versiegelter Flächen in der Stadt aufgezeigt werden.
„Viele Bürgerbeteiligungen oder Befragungen bestätigen, dass es den Mainzer Bürgern an Grünflächen fehlt, das sollte die Stadt dazu bewegen, diesem Mangel entschieden und vor allem auch strategisch entgegenzutreten“, betonte Moseler in der Begründung. Der ÖDP-Antrag sei auch eine Reaktion sowohl auf die wachsende Einwohnerzahl als auch auf die Anforderungen durch den Klimawandel ist. „Die Stadt kann eine Vorbildfunktion im Umgang mit dem Stadtgrün übernehmen, zum Beispiel in dem sie den Schutz des Baumbestands und die Begrünung eigener Liegenschaften priorisiert“, sagte Moseler.
Zum anderen müssten „alle versiegelten Flächen, auch die aus jüngster Zeit, überplant und konsequent zurückgebaut werden“, fordert die ÖDP, und fragt in einer eigenen Anfrage zum Thema: „Welche Projekte zur Entsiegelung von asphaltierten Flächen wurden bisher durch die Verwaltung vorgenommen?“ Und welche Projekte zur Entsiegelung plane die Stadtverwaltung in den Jahren 2024 und 2025?
ÖDP: Versiegelte Flächen überplanen und zurückbauen
Eine Antwort der Verwaltung steht noch aus, ein Ergebnis aber wurde im Januar bereits bekannt: In Mainz wurden die Straßenbahngleise auf einer Länge von 6,8 Kilometern entsiegelt und stattdessen Rasengleise eingebaut. Die Gesamtfläche der Begrünung umfasse damit bei durchschnittlich sieben Metern Trassenbreite rund 24.000 Quadratmeter oder 2,4 Hektar Fläche, antwortete Steinkrüger im Januar-Stadtrat auf Anfrage der ÖDP.
Mainz hat also in den vergangenen fünf Jahren mehrere Tausend großer Bäume durch Fällungen verloren, aber geschätzt nur rund 1.000 Bäume durch Neupflanzungen von öffentlicher Seite wieder dazu bekommen. Auch Grünanlagen sind weiter rar, demgegenüber stehen großflächige Versiegelungen wie an der Uni, am Münsterplatz, vor dem neuen archäologischen Zentrum LEIZA und vor allem am Mainzer Zollhafen. Zwar legte die Stadt gerade wieder die Initiative „Der geschenkte Baum“ neu auf, die Zahl der verschenkten Bäume aber ist gering: die Zahle der beschenkten Familien betrug im Jahr 2023 – genau 32.
Info& auf Mainz&: Die „Grünflächenoffensive“ der Ampel in Mainz von 2020 könnt Ihr noch einmal hier bei Mainz& nachlesen.