Die Physikerin Franziska Teubler wurde ganz deutlich: „Wir haben keine Zeit mehr zu warten, wir müssen alle handeln – und wir müssen jetzt handeln.“ Teubler arbeitet am Mainzer Institut für die Physik der Atmosphäre, dort werden Prognosen über das Klima der Zukunft erstellt, und Teubler ließ keinen Zweifel: Die Uhr tickt. Deutschland habe Anfang 2019 noch 7,3 Gigatonnen CO2 an Budget übrig gehabt. Jedes Jahr müssten die Emissionen um sechs Prozent sinken, um 2030 klimaneutral zu sein – doch das tun sie nicht. Die Welt steuert bislang ziemlich ungebremst auf die Klimakatastrophe zu. „Die Lage ist sehr, sehr ernst“, warnte auch der ZDF-Meteorologe Özden Terli: „Wir dürfen uns nicht in die Tasche lügen, und sagen: das haben wir erreicht – wir haben nichts erreicht.“

Eisschollen auf dem Mainzer Winterhafen - ein solches Bild dürfte in Zukunft deutlich seltener werden. - Foto: gik
Eisschollen auf dem Mainzer Winterhafen – ein solches Bild dürfte in Zukunft deutlich seltener werden. – Foto: gik

Am Mittwoch rief der Mainzer Stadtrat nach langen Diskussionen im Vorfeld den Klimanotstand aus, zuvor hatten die Stadträte rund die Stunden lang Experten in Sachen Klima und Umwelt gelauscht. Acht Redner waren zu der Expertenanhörung geladen, mitgebracht hatten sie auch ein paar unangenehme Wahrheiten: „Wir haben bisher noch gar keinen Klimaschutz betrieben, denn die Emissionen sinken nicht“, sagte Meteorologe Terli: „Was wir tun, reicht bei Weitem nicht.“

Am Mittwoch veröffentlichte der Weltklimarat IPCC einen Sonderbericht zu schmelzenden Gletschern und Eis in der Arktis, der auf dramatische Folgen der Erderwärmung hinwies – Terli stieß ins gleiche Horn: „Die Veränderungen sind so dramatisch wie noch nie“, betonte der Meteorologe. Das Eis der Arktis schmelze deutlich schneller als erwartet, das habe massive Auswirkungen auf den Planeten und auf unser Wetter, warnte er: Der Jetstream im atlantischen Ozean, eine riesige Meeresströmung, die in Europa für gemäßigtes Klima sorgt, ändere sich in erheblichem Ausmaß. „Man sieht, wie stark er rumeiert“, sagte Terli, „die gesamte Strömung in der Nordhemisphäre ist ins Stocken geraten.“

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Die Folgen: Naturkatastrophen und Stürme in erheblichem Ausmaß, dazu Hitzewellen in den Städten. Das bestätigte auch Teubler: Schon jetzt seien die vergangenen vier Jahre die heißesten der Menschheitsgeschichte gewesen, die Temperatur in Rheinland-Pfalz in den vergangenen 130 Jahren um 1,6 Grad angestiegen. Die Folge: 22 bis 23 Frosttage weniger, dafür deutlich mehr Tropennächte. „Die Hitzewellen sind nicht nur unangenehm, sie sind gefährlich“, betonte Teubler: „Es wird geschätzt, dass deutschlandweit 7600 Menschen seit 2003 an Hitzewellen gestorben sind.“

Unwetter mit Hagel und Sturzfluten wie hier in Wiesbaden erwarten uns alle künftig sehr viel häufiger, wenn die Erderwärmung weiter zunimmt. - Foto: privat
Unwetter mit Hagel und Sturzfluten wie hier in Wiesbaden erwarten uns alle künftig sehr viel häufiger, wenn die Erderwärmung weiter zunimmt. – Foto: privat

Für die Ausrufung eines Notstands sah der Vertreter der Wirtschaft trotzdem keinen Grund: „Notstand definiert sich als Zustand der akuten Bedrohung, wenn man einen Notstand hat, muss man schnell und konkret handeln“, sagte Martin Krause von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Rheinhessen. Die Lage entspreche doch gar nicht einem Notstand, eine Ausrufung schaffe nur „Panik, Unsicherheit und die Voraussetzungen für willkürliche Eingriffe in Markt und Demokratie.“

„Wirtschaft benötigt immer Übergangszeiten“, forderte Krause, weitere Belastungen würden die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen gefährden. Umweltschutz sei wichtig, dürfe aber nur national, europäisch und lokal abgestimmt erfolgen, und „nur unter der Voraussetzung, dass es zu Wachstum und Beschäftigung führt.“ Das war selbst konservativen Stadträten zu viel: Die Unternehmen könnten sehr wohl die Bedeutung eines Klimanotstands erkennen, für vorbildliche Unternehmen könne das „sogar ein Anreiz sein, nach Mainz zu kommen“, sagte CDU-Fraktionschef Hannsgeorg Schönig.

„Ich dachte, wir wären schon weiter“, wunderte sich auch Energieexperte Michael Kopatz vom Wuppertal Institut über die Debatte, und forderte: „Unsere Routinen, Gewohnheiten müssen sich verändern – unser Lebenstil.“ Busfahren oder Park & Ride müssten sich „clever anfühlen“, Vorschriften zur Dachdämmung auch eingefordert werden, Radfahrer mit einer wertschätzenden Infrastruktur willkommen geheißen werden. „Ihr könnt Flyer drucken und Broschüren, und Betroffenheits-Veranstaltungen machen – das machen wir seit 30 Jahren, dadurch ändern sich bei keinem die Routinen“, machte Kopatz klar. Politik müsse die Rahmenbedingungen ändern, dann änderten sich auch die Alltagsroutinen – so, wie das mit dem Rauchverbot ja auch gelungen sei.

Anhörung zum Klimanotstand am Mittwoch im Mainzer Stadtrat. - Foto: gik
Anhörung zum Klimanotstand am Mittwoch im Mainzer Stadtrat. – Foto: gik

Auch Geographen und Stadtplaner der Mainzer Universität unterstrichen, die Städte bräuchten mehr Grün und weniger Versiegelung, das Freihalten von Frischluftschneisen – in Mainz sei aber leider in den vergangenen Jahren etwa mit dem Uni-Entrée genau das Gegenteil passiert. „Wir haben uns schon gefragt, warum solch stark versiegelte Flächen nach wie vor gedacht, geplant und auch realisiert werden“, sagte Eva Riempp vom Geographischen Institut. Studien hätten hingegen ergeben: Den Wünschen der Nutzer entspreche das nicht, weil Freiflächen im Sommer viel zu heiß würden. „Eine gute Aufenthaltsqualität ist mit einer intensiven Begrünung verbunden“, sagte Riempp: Mehr Bäume und mehr Schatten könnten im Sommer einen Unterschied von bis zu sechs Grad ausmachen.

Ganz ähnliche Ergebnisse hatte jüngst auch das Klimafolgenprojekt Klimprax erbracht. Während Klimprax die Folgen intensiver Stadtbebauung ohne Begrünung auf einzelnen Stadtteile herunterrechnet, können sie an der Mainzer Universität noch mehr: Man habe ein weltweit führendes Modell für Mikroklimasimulationen entwickelt, „das ist das Mittel der Wahl für Städte bei Neubauvorhaben“, betonte Helge Simon. In anderen Städten wir Karlsruhe, Berlin oder Stuttgart gebe es „Stellen, die nichts anderes machen als mikroklimatische Berechnungen“, sagte Simon, es gehe um die entscheidende Frage: „Wie fühlen wir uns in der Stadt?“ In Zeiten des Klimawandels sei das Menschenschutz, Städte bräuchten künftig mehr Bäume, mehr grüne Fassaden und mehr Wasser zur Kühlung, damit man das Klima noch ertragen könne.

Versiegelte Betonflächen, fast ohne jedes Grün, wie hier auf der Südmole des Mainzer Zollhafens - für Klimafolgenforscher ein Alptraum. - Foto: gik
Versiegelte Betonflächen, fast ohne jedes Grün, wie hier auf der Südmole des Mainzer Zollhafens – für Klimafolgenforscher ein Alptraum. – Foto: gik

Mit einem „Klimanotstand“ erkenne eine Stadt die Bedeutung der Klimakrise an, sagte schließlich Franziska Wittkötter vom Deutschen Institut für Urbanistik, es sei „ein Alarmruf zu schnellem und effektivem Handeln.“ Knapp 60 Städte bundesweit hätten das vor Mainz schon getan. „Das ist nicht nur ein symbolischer Akt, sondern bedeutet, dass Klimaschutz als höchste Aufgabe der öffentlichen Hand anerkannt und bei allen Beschlüssen berücksichtigt wird“, sagte Wittkötter: „Das heißt, dass Beschlüsse, die schlecht fürs Klima sind, künftig schwerer durchzusetzen sind.“

Und das, machte schließlich auch Sorena Herrmann von „Fridays for Future“ deutlich, „ist keine verhandelbare Idee, es ist elementar notwendig, um die Lebensgrundlage der Menschen zu erhalten.“ Werde die Klimaerwärmung nicht auf unter zwei Grad begrenzt, würden Kipp-Punkte erreicht, die unkontrollierbare Kettenreaktionen auslösen, warnt Hermann: „Unser Wirtschaftssystem würde zusammenbrechen und unser Wohlstand, wie wir ihn heute kennen.“ Der Klimanotstand sei „nichts weniger eine Pflichtveranstaltung“, mahnte sie – und präsentierte den versammelten Räten einen klaren Forderungskatalog an konkreten Maßnahmen: Der ÖPNV sei aktuell viel zu teuer und brauche, um attraktiv zu sein, dringend günstigere Tickets.

„Das Streckennetz muss deutlich erweitert und durch neue Strecken ergänzt werden“, zählte Herrmann weiter auf. Dazu brauche es eine deutlich höhere Priorität für den Radverkehr mit Verkehrswegen, die eben nicht, wie derzeit unübersichtlich und gefährlich seien. Ferner brauche es konsequentere Gebäudesanierung, Solaranlagen auf den Dächern und Dachbegrünung, um das Stadtklima zu verbessern. „Sie haben heute hier die Möglichkeit, ein Zeichen zu setzen, mutig voran zu gehen“, sagte Herrmann, „Sie können etwas verändern für die kommenden Generationen, für den Erhalt unserer Erde.“

Info& auf Mainz&: Wie ernst die Stadträte den Klimanotstand in Zukunft nehmen, muss isch erst noch zeigen: Am Mittwoch setzte der Stadtrat mit den Stimmen von SPD, Grünen und FDP erst einmal alle Anträge von der Tagesordnung ab – darunter auch mögliche Beschlüsse zu einem 365-Euro-Ticket und zu einem verbot von Schottergärten. Eine verbindliche Prüfung der mikroklimatischen Folgen für die Wettbewerbsentwürfe an der Ludwigsstraße wurde ebenfalls abgelehnt – mehr dazu lest Ihr hier bei Mainz&. Mehr zum Klimafolgenprojekt Klimprax für Mainz und Wiesbaden, das die Folgen des Klimawandels für Mainz errechnete, haben wir hier aufgeschrieben. Mehr zu den Scientists for Future, zu denen auch Physikerin Franziska Teubler gehört, lest Ihr hier im Internet bei der Uni Mainz.

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