Ein Jahr nach der Fällung der Lesselallee löst das Thema noch immer große Emotionen aus. Nach dem Mainz&-Artikel „Die Baumriesen sind unvergessen“ erreichten uns so viele emotionale Reaktionen, dass wir Sie Euch nicht  vorenthalten wollen. Es waren Reaktionen auf Mainz&, auf Facebook und aus der Politik – nur die Stadt Mainz wollte sich lieber nicht äußern. Von einem „Frevel an der Natur“ sprach hingegen der Wiesbadener Grünen-Stadtverordnete Ronny Maritzen, von einer „großen Schweinerei“ die Mainzer Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner (Grüne). Und selbst vom Baumprofessor Ulrich Weihs erreichten uns Zeilen.

Blick in die Lesselallee vorher ... - Foto: gik
Wunderschöne Lesselallee im Oktober 2014, wenige Wochen vor der Fällung – Foto: gik

Weihs: „Ignoranz wider besseres Wissen“

„Ich denke noch sehr oft an die alte ehrwürdige Kastanienalle und bin immer noch entsetzt und traurig, mit welcher fachlichen und emotionalen Ignoranz die politische Mehrheit unter der Federführung von Dezernent Oliver Franz (CDU) ihre Hinrichtung gegen alle Widerstände und wider besseren Wissens durchgesetzt hat“, schrieb uns Weihs am Mittwoch.

Weihs hatte auf Auftrag der Wiesbadener Grünen hin die Lesselallee auf ihre Gesundheit hin untersucht – und 75 Prozent der Bäume Gesundheit bescheinigt. Ich denke in den nächsten Tagen an Euch und hoffe, dass viele Menschen an den Veranstaltungen zur Erinnerung an die Lesselallee teilnehmen, damit sie unvergessen bleibt“, fügte der renommierte Göttinger Professor für Baumpflege hinzu.

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Tabea Rößner mit Schildern Lebendig begraben am Zaun
Die Mainzer Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner im Herbst 2014 am Zaun der Lesselallee beim Protest gegen die Fällung – Foto: gik

Rößner: Stadt Wiesbaden fällte Kastanien voreilig

„Ich denke mit Schrecken an den 4. November zurück“, sagte uns die Mainzer Bundestagsabgeordnete Rößner, eine der wenigen Mainzer Politiker, die sich vor einem Jahr aktiv für den Erhalt der Allee einsetzten. Auch Rößner gehörte zu denen, die „in der mächtigen und prächtigen Kastanienallee“ ihre Töchter im Kinderwagen durchschob. „Trotz der Ersatzpflanzung ist die Allee nicht mehr das, was sie mal war“, betonte Rößner.

Auch sei ihr auch nach einem Jahr nach wie vor unverständlich, warum die Allee fallen musste. „Die Stadt Wiesbaden fällte alle Kastanien voreilig, ohne Alternativen zu prüfen“, kritisiert Rößner. Es „wäre möglich gewesen die befallenen Kastanien nacheinander auszutauschen, um somit die Allee als Ganzes zu erhalten.“ Doch der Wiesbadener Ordnungsdezernent Oliver Franz (CDU) habe sich dazu nie geäußert. „Das ist ärgerlich und offenbart, dass es allein der politische Wille war, den die Stadt Wiesbaden leitete“, betont Rößner. Dass die Lesselallee „einfach über die Köpfe der Bürger hinweg gefällt“ worden sei, sei „eine große Schweinerei.“

Maritzen: Wunderschönes Naturdenkmal wurde Machtdemonstration geopfert

„Auch nach einem Jahr sehe ich die Fällung der Lesselallee als unverzeihlichnen Frevel an der Natur“, sagte der Vorsitzende des Wiesbadener Umweltausschusses, Maritzen, Mainz&: „Dieses wunderschöne Naturdenkmal wurde geopfert, um Macht zu demonstrieren. Bis heute fehlt der belastbare sachliche Grund. Es ist gutachterlich erwiesen, dass die gefällten Bäume größtenteils vital waren und noch viele Jahre vor sich gehabt hätten. Das ist bis heute unwiderlegt. Da können die kleinen Flatterulmchen wirklich nichts für, aber man kann sie noch so lange feiern wie man will: die die Lesselallee war einmal. Wir wissen, wer dafür verantwortlich ist.“

Kastanienherz Zaun Lesselallee - Foto privat
Geliebte Allee – Kastanienherz am Zaun der Lesselallee 2014 – Foto: gik

Bürger: „Danke Ihr Tyrannen“

Die Bürger offenbar auch: „Die Stadt Wiesbaden hat eine lokalökologische Katastrophe angerichtet, eine undemokratische Vorgehensweise dabei an den Tag gelegt…u.s.w. Das macht mich nicht einfach nur traurig! Das macht mich wütend“, schribe der User Wilfried Ja auf der Facebook-Seite „Aktuelles zur Lesselallee“ in einem Kommentar zum Mainz&-Artikel.

Von einer „Schandtat“ sprach eine andere Facebook-Userin, „es ist und bleibt eine Missetat“, ein anderer. Wie tief der Frust bei den Bürgern sitzt, zeigen diese Kommentare: „Diese kraftvolle Ausstrahlung werden die Ulmen in hundert Jahren nicht erreichen“, schreibt Mathilde Hof, und von Edith Schimsheimer heißt es: „Nein es wird nie mehr so sein, denn unter Ulmen kann man nun mal keine Fürchte (Kastanien) sammeln und viele Dinge basteln, dekorieren oder gar an Tiere füttern. Was Generationen getan haben ist vorbei. Danke ihr Tyrannen und Eurer dummes Geschwätz könnt ihr euch sonst wo hinstecken.“

Stadt Mainz wollte sich nicht äußern

Mainz&-Leserin Beate Hartmann aber erinnert auch daran, dass auch „das „goldische“ Meenz sich den ein oder anderen Irrsinn in der Vergangenheit erlaubt“ habe – und erinnert an das Kettensägemassaker, das der Mainzer Bürgermeister Norbert Schüler 2009 „in einer Nacht- und Nebelaktion“ an den Platanen auf dem Gutenbergplatz anrichtete. Da sage noch einer, der Bürger vergesse so etwas…

Dezernent Oliver Franz und Thomas Hoffman vom Dezernat VII in der Allee - Foto: gik
Dezernent Oliver Franz und Thomas Hoffman bei der Fällung der Lesselallee – Foto: gik

Und „später“ – also 2015 – habe es dann noch „das unsinnige Fällen von Platanen auf dem Anwesen der Neutorschule“ gegeben, schrieb Hartmann weiter. Mainz& hatte übrigens auch bei der Mainzer Umweltdezernentin Katrin Eder (Grüne) eine Stellungnahme angefragt – sie wollte sich lieber nicht äußern…

„Musterbeispiel, wie man Demokratieverdruss erzeugt“

Und man glaube nicht, dass die Bürger keine Konsequenzen ziehen werden: „Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei, nächstes Jahr Wahl, da hat hoffentlich die Regentschaft von den Fällparteien ein Ende“, schreibt Martina Luber. „Der ganze Fall Lesselallee ist ein Musterbeispiel, wie man Demokratieverdruß bei der Bevölkerung erzeugt“, schreibt Mainz&-Leser Ben Geller – und prophezeit Dezernent Franz „jetzt schon eine steile Karriere als Politiker.“

Franz habe „mit seinem Agieren seinen Politikkumpanen die nötige Rücksichtslosigkeit und kreative Demokratieauslegung, die man braucht um in gewissen Kreisen Politkarriere zu machen, ja aufs Trefflichste demonstriert“, findet Geller. Die Zukunft werde zeigen, „wer letzten Endes in der Lesselallee sein Schnäppchen gemacht hat. Man folge dem Geld!“ Das Resümee Gellers für unsere Demokratie aber fällt verheerend aus: „Leute, wie er, und damit sind durchaus auch die anderen Mitverschwörer gemeint, agieren wie Totengräber der Demokratie.“

Neue Flatterulmenallee mit blauem Kran
Wäre auch gutes Bauland direkt am Ufer des Main: die ehemalige Lesselallee auf der Maaraue. Und Containerhafen kann man verlegen… – Foto: gik

Am Abend dann erreichte uns noch ein Nachtrag – der Linken-Stadtrat Hartmut Bohrer schickte uns diese Zeilen zur Lesselallee: „Dass der 4. November als Datum in den AKK-Stadtteilen jetzt mit der Zerstörung der Kastanienallee auf der Maaraue verbunden ist, zeigt wie einschneidend und verletzend die Zerstörung der Allee auch für die Gefühle vieler Menschen ist“, schreibt Bohrer. Der 4. November sei „jetzt ein Tag, der wie ein Todestag auf Dauer in Erinnerung bleibt. Es ist absehbar, dass noch auf viele Jahre hinaus dieses Datum Trauer und Wut wecken wird.“

Und Bohrer zieht ebenfalls ein Linie in Richtung Geld und Profit – er ist nicht der einzige, der argwöhnt, dass hinter der Zerstörung der wunderschönen Kastanienallee ein tieferer Sinn liegt – und dass der mit Bebauung und Wohnen am Wasser zu tung hat: „Die abwegigen „Präsentationen“ der Bebauung der Maaraue, die im „Architektursommer“ präsentiert wurden, legen die Vermutung nahe, dass die Freveltat der Zerstörung eine Folge von Geldgier ist“, glaubt Bohrer.

Third City Maaraue
Eine spacige City für die Maaraue – so sah ein Architekt des Architektursommers die „Third City“ – Foto: gik

In der Tat ist es schwer an Zufall zu glauben, wenn zeitgleich Wettbewerbe zur „Entwicklung“ der Maaraue gestartet werden – und wenn gleichzeitig ein Flussufer von störenden Bebauungshindernissen frei geräumt wird… Die Kostheimer CDU schlug im Juni 2015 schon mal vor, das jetzt auf einmal als „unordentlich“ empfundene Auengebüsch am Mainufer zu beseitigen und den Blick auf den Main zu öffnen.

Die Gerüchte vom Bauen auf der Maaraue jedenfalls waren offenbar so hartnäckig, dass sich im Sommer gar der Wiesbadener Oberbürgermeister Sven Gerich (SPD) genötigt sah, in einer mehrseitigen (!) Erklärung Baupläne für die Maaraue zu dementieren. Was aber Überlegungen in diese Richtung keineswegs ausschließt. Und Ordnungsdezernent Oliver Franz (CDU), Fäller der Lesselallee hat sich zum Thema Bauen auf der Maaraue bisher nicht geäußert – gar nicht.

Bei Bohrer sitzt das Misstrauen jedenfalls tief: „Man mag kaum glauben“, schreibt er weiter, „dass es einfach nur Irrsinn war, angesichts knapper städtischer Finanzen einen sechsstelligen Euro-Betrag für die Zerstörung eines wertvollen Biotops auszugeben.“ In der Tat – die Frage nach dem WARUM für die Fällung wurde nie beantwortet. Wir versprechen Euch: Mainz& bleibt dran.

Bohrers Fazit: „Die vielen, die bis zuletzt für die Allee kämpften, haben einen schwere Niederlage erlitten – aber sie haben ihre Seele gerettet.“

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