Dass die Römer den Weinbau an den Rhein brachten, ist lange bekannt, doch wurde eigentlich auch in Mainz Wein zur Römerzeit angebaut und verarbeitet? Experten halten dies für wahrscheinlich, nur: einen archäologischen Nachweis dafür gibt es bisher nicht. Nun wurde ein solcher gefunden, allerdings am Zusammenfluss zwischen Nahe und Glan: Bei einem Bauvorhaben in Odernheim am Glan wurden die Fundamente einer römischen Weinkelter entdeckt. Der Mainzer Historiker Michael Matheus spricht von einer großen weingeschichtlichen Bedeutung, die Gesellschaft für Geschichte des Weines von einer Sensation – und fordert nun in einem Offenen Brief den Erhalt des antiken Bauwerks.

Es war im April 2024, als bei Bauarbeiten für ein Wohnhaus in Odernheim am Glan mehrere Kellerräume gefunden wurden. Mitte August erfuhr davon der Mainzer Historiker Michael Matheus, Ehrenvorsitzender des Instituts für Geschichtliche Landeskunde Rheinland-Pfalz. Matheus ist eigentlich Experte für das hohe und späte Mittelalter, von 2002 bis 2012 war er Direktor des renommierten Deutschen Historischen Instituts in Rom. Doch zu Matheus Forschungsschwerpunkten gehörte immer auch die Geschichte ländlicher und städtischer Siedlungen – und die Geschichte des Weinbaus.
Und als an der Mosel aufgewachsener Weinbauexperte erstellte Matheus ab Sommer 2024 ein Gutachten für die Landesarchäologie bei der Generaldirektion Kulturelles Erbe (GDKE), das im Februar 2025 fertig wurde. Die Ausgangslage beschreibt Matheus darin so: „Es bestand die vage Vermutung, auf einem Baugrundstück könnten die Reste einer römerzeitlichen Weinkelter gefunden worden sein.“ Matheus betont, er beschäftige sich bereits seit Jahrzehnten mit Themen der Weingeschichte, auch im Vergleich mit europaweiten Funden, die Ausgrabungen der berühmten römischen Kelteranlagen an der Mosel erlebte er vor allem in den 1980er Jahren vor Ort teilweise mit.
Antike Weinkelter: Nachweis für römischen Weinbau an der Nahe
Von dem Fund in Odernheim war der Historiker denn auch von Anfang an elektrisiert: Zwar war schon lange klar, dass die Römer Weinbau nicht nur an der Mosel oder in der Pfalz betrieben hatten – wo etwa in Ungstein ebenfalls eine römische Weinkelter ausgegraben wurde – sondern eben auch in Rheinhessen und entlang der Nahe. Nur: Bislang hatte dafür ein handfester archäologischer Nachweis gefehlt – bis jetzt: Dass die gefundenen Keller einmal eine Weinkelter waren, „dafür sprachen besonders die Konstruktions- und Baubefunde der Anlage, aber auch etliche Details wie ein möglicher Kelterstein, Trittstufen am Becken C sowie Funde in diesem Becken“, schreibt Matheus in seinem Gutachten, das Mainz& vorliegt.

Bei der Landesarchäologie hatte man offenbar zuerst die Mauern für die Reste einer römischen Badeanlage gehalten, Matheus kam schnell zu einem anderen Ergebnis: Bei einem systematischen Vergleich mit Kelteranlagen von der Mosel „ergaben sich auffällige Übereinstimmungen“, so Matheus weiter. Da war zum einen der Aufbau der Anlage mit einem Tret- bzw. Maischebecken (A), einem Pressbecken (B) sowie einem Vorlauf- oder Mostbecken (C). Das entspreche ganz Weinkelter-Anlagen, wie sie in der internationalen Literatur beschrieben seien, schreibt Matheus weiter.
Der Mainzer Historiker ließ zudem im Oktober 2024 Bodenproben aus den verschiedenen Becken in Odernheim entnehmen und zudem den Putz der Mauern untersuchen, die Befunde waren eindeutig: Eine Expertin der vor- und frühgeschichtlichen Archäologie an der Mainzer Universität identifizierte mehrere Traubenkernfragmente sowie ein Perlenstielchen, „damit ist auch der archäobotanische Beleg erbracht, dass es sich in Odernheim am Glan um eine Weinkelter handelt“, bilanzierte Matheus.
GGW: Sensationsfund für Weinbranche, Chance für Tourismus
Bei der Gesellschaft für Geschichte des Weins (GGW) spricht man seither von einer Sensation: Zum ersten Mal sei nun der Nachweis für die „bisher nicht zu beweisende Vermutung gelungen, dass die Römer auch in der näheren Umgebung von Mainz, nicht nur im Rheintal, sondern auch an den Nebenflüssen Nahe und Glan Weinbau betrieben haben“, freut man sich bei der GGW. Der Fund wurde auch gleich auf der Jahrestagung der GGW diskutiert, von dort heißt es nun: Der Fund sei enorm spannend für die Weinbranche sowie für Weinkulturfreunde – und aus ihm ergäben sich große Chancen für den Weintourismus.

Denn für die Weinbauregion an Nahe und Glan könne der archäologische Weinkelterfund „zu einem weintouristischen ‚Pfund‘ werden, wenn man die überraschend gefundene Chance erkennt und nutzt“, betont man bei der GGW. Das sieht auch Historiker Matheus so: „Der Erhalt der Weinkelter an der Mündung des Glan in die Nahe und damit des ersten sicheren Nachweises von Weinanbau in römischer Zeit für das Weinbaugebiet Nahe ist auch für die etwa 45 Autominuten entfernte Great Wine Capital (GWC) Mainz sowie für die Weinbaugebiete Mittelrhein und Rheinhessen von großer wein- und kulturgeschichtlicher Bedeutung“, heißt es in seinem Gutachten.
Denn bislang habe es solche seltenen römischen Weinkeltern nur an der Mosel und in der Pfalz gegeben, nicht aber in den anderen elf deutschen Weinanbaugebieten. Die Weinkelter am Glan solle deshalb unbedingt konserviert, restauriert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, betont Matheus. Bisher sei man davon ausgegangen, dass qualitätsvolle Weine im Weinbaugebiet Nahe vor allem seit dem 19. Jahrhundert produziert und auch als Exportgüter in nennenswertem Umfang erfolgreich in den Handel gebracht worden seien. Nun sei der Nachweis erbracht, dass schon zu Römerzeiten hier Qualitätsweine hergestellt wurden – das könne dem Weingebiet Nahe ganz neue Aufmerksamkeit bescheren.
Disibodenberg: Kloster Hildegards, Heimat der ältesten Weinreben
Zumal Odernheim noch eine andere weinbauhistorische Dimension besitzt: Der Ort liegt zu Füßen des Disibodenbergs, hier lebte und wirkte die legendäre Hildegard von Bingen – und an seinem Südhang wurden bereits Spuren römischer Reben gefunden. Noch heute wachsen im ehemaligen Kloster-Weinberg die vermutlich ältesten Rebstöcke Deutschlands: 2008 wurden hier fünf Rebstöcke der Sorte Weißer Orleans gefunden, eine eigentlich ausgestorbene Sorte. Quellen im Besitzer-Weingut von Racknitz belegten, dass die Reben aus der Zeit zwischen 1108 und der Aufgabe des Klosters in 1559 stammen müssen – und damit Hunderte von Jahren alt sind.

Doch bei der Landesarchäologie Rheinland-Pfalz besteht offenbar wenig Interesse an dem Erhalt der römischen Kelteranlage vom Glan: In einem Offenen Brief warnt der Präsident der Gesellschaft für Geschichte des Weins, Professor Andreas Otto Weber, nun vor dem Verlust des Sensationsfundes. Die GDKE habe „beschlossen, das Kulturdenkmal verschütten und überbauen zu lassen“, klagt Weber in dem Brief, der Mainz& vorliegt, dabei handele es sich um „ein wichtiges historisches Zeugnis und bedeutendes Kulturdenkmal, das auch für die Bewertung der Frühgeschichte des Weinbaus in Deutschland neue Perspektiven“ eröffne.
Weber wendet sich deshalb in seinem Offenen Brief an Ministerpräsident Alexander Schweitzer (SPD ) und plädiert eindringlich dafür, die antike Weinkelter zu bergen und in einem geeigneten Kontext der Öffentlichkeit zu präsentieren. Als Idee steht dabei eine Verlagerung der Kelteranlage in das nur wenige Kilometer entfernte Freilichtmuseum Bad Sobernheim im Raum. „Für die Weinwirtschaft und den Tourismus des Landes Rheinland-Pfalz eröffnen sich damit interessante Perspektiven“, schreibt Weber, Vorbilder gäbe es dazu, etwa bei einem mittelalterlichen Winzerhaus, das im Fränkischen Freilandmuseum in Bad Windsheim stehe.
Dabei müssten die Mainzer gar nicht so weit schauen: Auch der antike Isistempel in Mainz wurde nach seinem Fund unter einer Einkaufspassage ausgebaut, gelagert, und wenige Metern entfernt von seinem Originalfundort wieder eingebaut. Die Präsentation des antiken Tempels und seiner Funde im Untergeschoss der Römerpassage gehört heute zu den touristischen Highlights des römischen Mainz. Sein „Erfinder“ und Initiator könnte zu seinen Erfahrungen ebenso noch befragt werden wie der politische „Ermöglicher“: Ex-Landesarchäologe Gerd Rupprecht und Ex-Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) machten Rettung, Transfer und Wiedereinbau im Jahr 2003 in Mainz möglich.
Info& auf Mainz&: Den Offenen Brief des Präsidenten der Gesellschaft für Geschichte des Weins findet Ihr hier im Internet.