Montagmittag, Mainzer Innenstadt. Menschen stehen Schlange an der Eisdiele. Es ist der erste Tag der Ladenöffnung nach dem rigiden Corona-Shutdown, und man könnte fast meinen, die Normalität sei zurück: Freundinnen auf Shoppingbummel, Mittagspäusler sitzen auf Bänken in der Sonne – dicht nebeneinander. Mindestabstand? Offenbar vergessen. Mund-Nasen-Masken? Trägt so gut wie keiner, nicht einmal in den Geschäften. Angesichts der ersten Lockerungen scheinen viele Einkaufsbummler die Regeln zu Abstand und Schutz in der Corona-Pandemie vergessen zu haben. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) warnte am Montagmittag genau davor – und drohte: Bei einer zweiten Infektionswelle werde es einen neuen Shutdown geben.
Am Montag durften in Rheinland-Pfalz erstmals seit vier Wochen wieder Läden mit einer Verkaufsfläche von bis zu 800 Quadratmetern öffnen, in der Mainzer Innenstadt nutzten diese Gelegenheit gut 80 bis 85 Prozent. Die Modeboutique, der Schuhladen, der Küchenladen – alles wieder offen. Zugangsbeschränkungen sind auf den ersten Blick nur dezent sichtbar. „Bitte nur 5 Leute gleichzeitig“, bittet ein Schild an der Tür, bei kleinen Läden heißt es auch schon mal: „Bitte nur 2 Personen gleichzeitig.“
Ansonsten aber ist von Schutzmaßnahmen bei den meisten Geschäften wenig zu sehen: Keine Abspannung vor dem Laden hindert den Zutritt, Desinfektionsmittel sucht man in den meisten Geschäften vergebens. „Es läuft zäh“, berichtet der Inhaber eines Fotogeschäftes, gerade macht er Passbilder für einen Kunden, einen Mund-Nasen-Schutz trägt er nicht. Immerhin: Am Eingang steht eine Flasche Desinfektionsmittel samt ein paar Papierhandtüchern auf einem Tisch.
Nebenan in der „Römerpassage“ drängen sich die Einkaufenden, wirklich Abstand halten die meisten hier nicht mehr. Vorige Woche wichen sich die Menschen noch vorsichtig auf der Straße aus, achteten darauf, einander nicht zu nahe zu kommen – davon ist hier jetzt nichts mehr zu spüren. Freundinnen bummeln zu zweit durch die Fußgängerzone, von 1,50 Metern Abstand zwischen ihnen keine Spur – und das ist kein Einzelfall. In der Römerpassage rempeln sich zwei Frauen beinahe an, als sie sich nebeneinander durch eine enge Eingangstür zwängen. Pandemie – war da was?
Alle kleinen Läden sind geöffnet, nur die Buchhandlung hat zu, ebenso der große Einrichtungsladen. Beim winzigen Juwelier an der Ecke ist schon der Laden selbst nicht größer als zwei Meter im Quadrat, Abstand zum Inhaber oder gar Plexiglasabschirmung: keine. Vor der Eisdiele halten die Menschen dagegen ordentlich die Abstandsbegrenzung von zwei Metern ein, die Markierungen auf dem Boden funktionieren. Ein paar Meter weiter an der Imbissbude sieht das schon anders aus. Die längste Schlange steht ohnehin vor dem Handyladen.
„Bitte nehmen Sie einen Korb“, sagt die freundliche Bedienung bei der Dekoboutique. 15 Einkaufskörbe haben sie am Eingang deponiert, wenn die alle ausgegeben sind, darf keiner mehr rein – so soll die Menge der Besucher begrenzt werden. Auch der Kaufhof in der Schusterstraße sucht so die Kundenanzahl in seinem Haus zu begrenzen, nur ein Zugang in das Haus ist geöffnet, am Eingang heißt es: „Jeder Kunde bitte einen Korb.“ Die Verkaufsfläche ist begrenzt worden, ein Schild am Eingang verspricht: „Unser ganzes Sortiment steht Ihnen zur Verfügung – auch auf 800 Quadratmetern.“ Von den großen Modehäusern hat etwa die Hälfte geöffnet, am Brandzentrum haben Esprit und Zara auf, der Saturn und Peek & Cloppenburg aber zu. Ob diese Läden in den kommenden tagen noch öffnen, bleibt unklar.
Einen Mund-Nasen-Schutz trägt kaum einer – die Verkäuferin in der Boutique, die gerade eine Kundin berät ebensowenig wie der Pizzaverkäufer, die Bedienung in der Metzgerei oder die Verkäuferin im Weinladen. „Wieso, ich hab‘ doch Abstand“, sagt die Verkäuferin am Spargelstand, die natürlich auch keine Maske auf hat, und zeigt auf die Gemüsekisten vor sich. Dass sie ständig mit den Kunden beim Reden Aerosole austauscht, die potenziell Viren übertragen – sie zuckt nur mit den Schultern.
Auch die Kunden halten offenbar von Maskentragen nichts. Keine zehn Prozent der Bummelnden auf der Straße sind mit Mund-Nasen-Schutz unterwegs. Wer selbst eine Maske trägt, wird noch immer misstrauisch beäugt – dabei hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Bevölkerung eindringlich dazu aufgefordert, gerade beim Einkaufen oder im Öffentlichen Nahverkehr Masken zum Schutz vor einer weiteren Verbreitung des Coronavirus zu tragen. Auch die rheinland-pfälzische Landesregierung mahnte am Montag via soziale Netzwerke noch einmal, Masken zu tragen, um so die Mitmenschen zu schützen.
Bundeskanzlerin Merkel zeigte sich am Montag sauer, laut Medienberichten kritisierte die Kanzlerin in der CDU-Fraktionskonferenz am Morgen gar, die Botschaft vorsichtiger Lockerungen habe zu einer wahren „Öffnungsdiskussions-Orgie“ geführt – so sei das nicht gedacht gewesen. Die Schutzmaßnahmen dürften keineswegs zu früh und zu weitgehend gelockert werden, sie wolle, dass der gemeinsam beschlossene Spielraum „möglichst eng ausgenutzt wird, nicht möglichst weit“, sagte die Kanzlerin laut Spiegel Online: „Es kann auch ein Fehler sein, dass man zu schnell voranschreitet.“ das erhöhe das Risikos eines Rückfalls sehr stark – die Gefahr der Corona-Infektionen in Deutschland sei weiter sehr hoch.
Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts stieg die Reproduktionsrate, also die Ansteckungsrate mit dem neuen Coronavirus über das Wochenende wieder auf 0,9 – als Mitte vergangener Woche die Lockerungen verkündet wurden, hatte sie noch bei 0,7 gelegen. Merkel warnte am Montag, zu leichtgenommene Lockerungen könnten zu einer neuen Ansteckungswelle führen – und zu einem zweiten Shutdown.
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