Selten haben die Winzer in Mainz und Rheinhessen mit solchen Sorgen auf eine Weinlese geblickt wie in diesem Jahr: Ein Wintereinbruch zum Lesestart, dazu sinkende Absatzmärkte und niedrigste Fassweinpreise machen der Weinbranche zu schaffen. Von einer „ganz schönen Challenge“ spricht Rheinhessenwein-Vorsitzender Stefan Braunewell, von einem „von Extremen geprägten Weinjahrgang“ das Deutsche Weininstitut. Die Branche plagen Sorgen: Die Verbraucher trinken immer weniger Wein – und greifen lieber zu ausländischen Tropfen.

Die Pfälzer Weinkönigin Lea Baßler bei der Weinernte 2023. - Foto: DWI
Die Pfälzer Weinkönigin Lea Baßler bei der Weinernte 2023. – Foto: DWI

Die Weinlese 2024 neigt sich dem Ende zu, und für die Winzer war es wahrlich kein einfaches Jahr: „Die Mostgewichte sind nicht so in den Himmel geschossen“, sagt Ernst Büscher, Pressesprecher des Deutschen Weininstituts (DWI) im Gespräch mit Mainz&, die Schwankungsbreiten sogar innerhalb von Weinbergslagen seien zum Teil extrem gewesen: „Wir hatten teilweise bis zu 20 Grad Oechsle Unterschiede.“

Oechsle – das ist die Maßeinheit für die Süße in den Trauben, und die erreichte 2024 einfach nicht dieselben Höhen wie in den Vorjahren. Grund waren wieder einmal Wetterkapriolen, doch in diesem Jahr gingen die in Richtung viel zu nass und teilweise zu kühl. Das fing schon im Frühjahr an: „Wir hatten ein extrem feuchtes Frühjahr“, berichtet Büscher – das Ergebnis: Der Flasche Mehltau, die Peronospora, breitete sich in diesem Jahr besonders stark aus.

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Intensives Arbeitsjahr: Pflanzenschutz, Laubarbeiten, Nachtfröste

„Man musste beim Pflanzenschutz sehr hinterher sein, gleichzeitig sind die Reben aufgrund der guten Wasserversorgung sehr gut gewachsen“, berichtet der Fachmann weiter – die Folge: Die Winzer mussten sich intensiv den Laubarbeiten im Weinberg widmen. Bis zu drei Mal Laub schneiden sei angesagt gewesen, so Büscher weiter: „Wer das gut hinbekommen hat, konnte auch auf gute Erträge hoffen.“ Doch dann waren da noch die späten Nachtfröste, die besonders an der Nahe und an der Mosel, in Franken, Württemberg und Teilen von Baden zuschlugen.

Weinberge bei Mayschoß im Ahrtal, das Foto stammt aus dem Jahr 2022. - Foto: gik
Weinberge bei Mayschoß im Ahrtal, das Foto stammt aus dem Jahr 2022. – Foto: gik

Im April, als die Reben schon ausgeschlagen hatten, fielen die Temperaturen deutlich unter Null, Triebe und sich bildende Blüten erfroren. Das sorget auch an der Ahr und am Mittelrhein für erhebliche Ausfälle, wie der Verband der Prädikatsweingüter VDP berichtet. Besonders schlimm traf es die östlichen Gebiete Sachsen und Saale-Unstrut: Dort rechnet man mit einem Ertragsausfall von etwa 70 bis 80 Prozent über die gesamten Anbaugebiete hinweg. Rheinhessen kam glimpflich davon, auch wenn es auch hier einzelne Anlagen traf – besonders Frühburgunder, wie Mainz& erfuhr.

Das Weinjahr rettete schließlich die sehr sonnige Periode von Mitte August bis Anfang September: „Das hat der Reife und Aromaentwicklung sehr gut getan, da haben sich die Trauben sehr gut entwickelt“, berichtet Büscher. Das war auch nötig: Noch zu Lesebeginn Ende August berichtete mancher Winzer von Mostgewichten, die weit unter dem sonst üblichen zu dieser Zeit lagen. Die Lese war denn auch vielerorts von Warten und Abwägen geprägt: Waren die einen Trauben schon reif, brauchten die Nachbartrauen noch Zeit zum Entwickeln – und wieder andere fielen Fäulnis zum Opfer. Selbst die Kirschessigfliege machte sich erstmals seit 2014 wieder stark bemerkbar.

„Wir haben gerade eine ganz schöne Challenge“

Und damit noch nicht genug: „Die meisten der Kollegen haben gedacht, es gibt ein frühes Jahr und es gibt ein reifes Jahr“, berichtete Mitte September Stefan Braunwell, Vorsitzender von Rheinhessenwein: „Pustekuchen – es ist eine ganz schöne Challenge, die wir gerade haben.“ Denn Mitte September, direkt zum Lesebeginn, stürzten die Temperaturen auf einmal abwärts. „Der Sommer ist verschwunden“, klagte Braunewell: „Wenn man draußen ist, hat man das Gefühl, dass es nicht nur Herbst ist, sondern bitterkalt – fast schon Winter.“

Weinlese in Rheinhessen mit dem Traubenvollernter. - Foto: Robert Dieth Rheinhessenwein
Weinlese in Rheinhessen mit dem Traubenvollernter. – Foto: Robert Dieth Rheinhessenwein

Die große Herausforderung für die Winzer sei deshalb, reife Trauben in den Keller zu bekommen, „in den nächsten Wochen ist Fingerspitzengefühl gefragt“, sagte Braunewell. Es gelte, gute und hochwertige Weine zu produzieren, denn „der Weinmarkt steht vor großen Herausforderungen“, betonte der Winzer aus Essenheim bei Mainz. Das Problem beschreibt man beim DWI genauer: „Der Fassweinmarkt steht gerade stark unter Druck“, sagt Büscher, denn der Handel kaufe derzeit weniger Wein – die Winzer hätten zum Teil aber sogar noch Weine aus dem Vorjahr im Keller.

„Das Angebot von Most ist größer als die Nachfrage“, heißt es beim Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum (DLR): „Kaufzusagen für Qualitätswein werden teilweise nur zum Herbstdurchschnittspreis getätigt.“ Im Klartext heißt das: „Die Preise sind im Keller, es werden Preise gezahlt, die weit unter den Produktionskosten liegen“, erklärt Büscher. Da werde Weinmost zum Teil nur noch für 50 Cent pro Liter gekauft, das liege weit unter den preisen des Vorjahrs – für manchen Winzer ist das existenzbedrohend.

Fassweinmarkt im Keller, sinkender Absatz bei Verbrauchern

Fassweine machen gerade in Rheinhessen noch immer rund die Hälfte der Weinernte aus, von rund 2.000 Weinbaubetrieben sind nur etwa 1.000 „Weinbaubetriebe mit Flaschenweinvermarktung“, wie es in der Statistik heißt. Mit 26.691 Hektar Rebflächen im Ertrag ist Rheinhessen das größte Weinanbaugebiet Deutschlands, hier kaufen die Weinkellereien einen Großteil ihrer Grundweine für Weine ein, die dann meist als einfache  Qualitätsweine in den Lebensmittelhandel gehen.

Der Absatz vor allem deutscher Weine sank 2023 deutlich - ein großes Problem für die heimischen Winzer. - Foto: gik
Der Absatz vor allem deutscher Weine sank 2023 deutlich – ein großes Problem für die heimischen Winzer. – Foto: gik

Und genau hier liegt das Problem, denn 2023 sanken die Absätze deutscher Weine um neun Prozent – ein erheblicher Rückgang, und der traf vor allem eben deutsche Produkte: Ausländische Weine wurden nämlich nur zu einem Prozent weniger gekauft – schlicht, weil sie meist billiger sind. „Die Haushalte sahen sich aufgrund der inflationsbedingten Kaufkraftverluste 2023 gezwungen, auch beim Weineinkauf verstärkt auf den Preis zu achten“, sagte DWI-Geschäftsführerin Monika Reule im Frühjahr dieses Jahres bei der Vorstellung der Zahlen.

Anders gesagt: Statt zu etwas teureren deutschen Weinen griffen die Verbraucher zunehmend zu Billigweinen aus dem Ausland, dementsprechend sank der Marktanteil deutscher Weine an den eingekauften Weinmengen 2023 auf 42 Prozent. Die Deutschen konsumieren also im eigenen Land mehr Weine aus Italien (17 Prozent), Spanien (14 Prozent) und Frankreich (10 Prozent) – ein Unding, findet Ernst Büscher: „Es kann einfach nicht sein, dass wir mehr importieren als produzieren, dass wir den Wein im eigenen Land nicht abgesetzt bekommen.“ Denn auch für 2025 wird mit sinkendem heimischen Konsum um weitere etwa -3 Prozent gerechnet – 2024 werden die Deutschen wahrscheinlich nur noch 17 Liter pro Kopf getrunken haben, vor vier Jahren waren es noch 20 Liter.

DWI will motivieren: Trinkt mehr Weine von deutschen Winzern

Beim Deutschen Weininstitut will man deshalb die Deutschen motivieren, mehr regionale Weinprodukte zu kaufen, gute Gründe gibt es dafür: Kurze Wege und geringe Transportkosten, dazu oft der direkte Kontakt zum Winzer samt individueller Beratung. Dazu achten deutsche Winzer zunehmend auf Nachhaltigkeit, auch viele konventionell arbeitende Betriebe achten darauf, Pestizide und Dünger nur sparsam einzusetzen – bei ausländischen Massenprodukten ist das alles andere als garantiert.

Weinberge bei Zornheim in Rheinhessen: Viele gute Weingüter liegen gleich vor der Haustür. - Foto: gik
Weinberge bei Zornheim in Rheinhessen: Viele gute Weingüter liegen gleich vor der Haustür. – Foto: gik

„Verbraucher sollten überlegen, ob sie nicht 75 Cent mehr pro Liter in die Hand nehmen, und dafür einen deutschen Wein kaufen“, rät Büscher – 75 Cent mache nämlich im Schnitt der Unterschied zwischen einem heimischen Produkt und einem Wein aus dem Ausland aus. „Damit“, so Büscher weiter, „würde man der Kulturlandschaft und der Weinwirtschaft etwas Gutes tun.“

Der neue Weinjahrgang 2024 kann da helfen, denn er könnte genau zum derzeitigen Geschmackstrend auf dem Weinmarkt passen: Im Trend sind nämlich eher leichte und fruchtige Weine – und genau so lautet die Prognose für 2024. „Der Jahrgang ist qualitativ sehr gut, die Zuckerwerte sind eher geringer, aber geschmacklich ist das toll“, sagt Büscher: „Stand jetzt läuft es auf eher fruchtbetonte und leichtere Weißweine hinaus, auch der Spätburgunder hat super performed.“

Der Mainz&-Tipp: Viele Weingüter bieten gerade jetzt günstige Probierpakete an, um den Kunden ihre neuen Weine vorzustellen: Die Spitzenweine aus dem Jahrgang 2023 sowie viele Rotweine werden nämlich gerade jetzt gefüllt – zuschlagen!

Info& auf Mainz&: Ausführliche Statistiken zum deutschen Weinmarkt findet Ihr hier beim Statistischen Bundesamt im Internet. Die nächste Gelegenheit, sich durch Mainzer Weine zu probieren, dürfte die Adventsverkostung des Hechtsheimer Winzervereins sein: Sie findet am 23. und 24. November 2024 jeweils von 14.00 Uhr bis 18.00 Uhr in zehn Weingütern in Mainz-Hechtsheim statt. Infos folgen und finden sich dann hier im Internet.