Peinliche Panne in der Mainzer Stadtverwaltung: Das gerade noch verkündete satte Plus bei der Gewerbesteuer im Einzelhandel in Mainz von 40 Prozent gibt es gar nicht – die Stadt Mainz korrigierte am Mittwoch kleinlaut ihre zuvor offiziell verkündeten Zahlen: Statt 40 Prozent soll es nun ein Plus von 7,3 Prozent gegeben haben. Tatsächlich sind die Gewerbesteuern sogar dramatisch eingebrochen, gerade bei Gastronomie und Handwerk in der Innenstadt. Die Mainzer FDP sowie der Handelsverband Rheinland-Pfalz hatten die Zahlen als unglaubwürdig kritisiert, weitere Einzelhändler kündigen Einschränkungen an.

In der Mainzer Innenstadt geben zum Jahresende 2025 gleich eine ganze Reihe traditionsreicher Einzelhandelsgeschäfte ihre Handelsbetriebe auf: Nach 100 Jahren schließt der Kinderladen Wirth, das Traditionsgeschäft Listmann macht dicht, auch andere Einzelhändler klagen über massive Umsatzrückgänge. Ein Hauptgrund: Die katastrophale Baustellenlage rund um den Münsterplatz und die Binger Straße.
Mit dem Start der Baustelle in der Binger Straße im März 2024 sei sein Umsatz um 25 Prozent gesunken, bei Kollegen seien es auch gerne mal 37 Prozent, berichtete Juwelier Jan Sebastian am Dienstag der Internetzeitung Mainz& – und kündigte an: Auch er werde sein Geschäft in der Schillerstraße schließen. Die Händler klagen bereits seit Jahren, dass Kunden ihre Läden nur noch schwer mit dem Auto erreichten, der Dauerstau durch die Baustellen schrecke viele Kunden aus dem rheinhessischen Umland ab.
Mainzer Copyshop: Gängelung und sinkende Kundenfrequenz
Ein Geschäft ab einer gewissen kritischen Größe brauche das Umland, um zu überleben, betonte Sebastian im Gespräch mit Mainz&. Doch die Stadt habe Parkplätze und Ladezonen rund um seinen Laden gestrichen, berichtete sein Kollege Friedrich Demmler vom Kinderladen Wirth, und auch keine Initiativen unternommen, den Einzelhändlern in den Bauphasen rund um den Münsterplatz erleichternd unter die Arme zu greifen.

Nun berichtet ein weiterer Mainzer Einzelhändler gegenüber Mainz&, sein Geschäft in der Innenstadt werde immer mehr unmöglich gemacht: „Wir betreiben einen Copyshop direkt in der Innenstadt, bereits in diesem Jahr haben wir die Öffnungszeiten um mehr als die Hälfte halbiert“, berichtet Christian Albert vom Mainzer Copyshop in der Schusterstraße, und kündigt an: „Im kommenden Jahr werden wir – unter anderem wegen der Kundenfrequenz – die Öffnungszeiten weiter reduzieren.“
Von vormals 48 Stunden werde sein Laden dann nur noch neun Stunden öffnen – in der Woche wohlgemerkt. „Die übrige Zeit nutzen wir, um die Onlinekunden zu bedienen“, schreibt Albert weiter. Die Hauptgründe: Die stark zurückgegangene Kundenfrequenz sowie die schwierige Verkehrslage. „Es ist jedes Mal ein Spießrutenlauf, unser Geschäft mit Ware anzudienen“, klagt Albert, „wir können unseren Laden nur noch schwer be- und abliefern.“ Von der Stadt komme nur „ständige Gängelei“, das Ordnungsamt habe „keinerlei Einsicht“ in die Notwendigkeit, mit dem Auto einen Laden anzusteuern.
„In Mainz gehen in Zukunft die Lichter aus – für immer!“
„Unsere Kunden holen zwischenzeitlich lieber am Standort in Wiesbaden ab“, berichtet Albert weiter – dort gebe es Parkplätze und „keine Gängelei und Angst vor einem Strafticket.“ Und Nein, ein Parkhaus auch in der Nähe sei schlicht keine Alternative für die Kunden, denn Papier in größeren Mengen sei nun einmal richtig schwer. Das Aus von Listmann sei für ihn ein schwerer Schlag, man habe sich immer gegenseitig Kunden geschickt. „In Mainz geht in Zukunft das Licht aus – für immer!“, schreibt Albert weiter: „Gerade diese Woche hatten wir für ein Ladengeschäft Banner gedruckt dass diese schließen…“

Da irritierte es gewaltig, dass Oberbürgermeister Nino Haase (parteilos) noch Anfang dieser Woche vergnügt verkünden ließ, aus der Gewerbesteuerentwicklung für den Einzel- und Großhandel „können wir sehr positive Signale ablesen.“ Die Erträge der Stadt Mainz speziell in dieser Branche seien von 2023 auf 2025 um über 40 Prozent gestiegen, ähnlich positiv sei die Entwicklung im Gastgewerbe – hier sie die Gewerbesteuer sogar um 52 Prozent gestiegen. „Diese Zahlen sind sowohl für den Mainzer Einzelhandel als auch für die Hotellerie und Gastronomie eine ausgesprochen erfreuliche Entwicklung“, ließ sich der OB zitieren.
Nun stellt sich heraus: Die Zahlen stimmen überhaupt nicht. Die Stadt Mainz habe „eine veraltete Zahl für das Jahr 2023, und damit ein deutlich größeres Plus mitgeteilt“, musste nun die Stadt Mainz einräumen, die Finanzverwaltung habe ihre Angaben inzwischen korrigiert. Demnach hätten die Gewerbesteuererträge der Stadt Mainz in der Handelsbranche im Jahr 2023 rund 15,2 Millionen Euro betragen und seien im Jahr 2025 dann auf 24,2 Millionen Euro gestiegen. „Auch unter Herausrechnung der Hebesatzerhöhung bleibt ein Plus von 7,3 Prozent“, rechnete die Stadt nun vor.

Plus von 40 Prozent im Handel? Gibt es gar nicht
„Es tut uns leid, dass wir uns hier korrigieren müssen“, sagte Stadtsprecher Andreas Behringer, und betonte zugleich: „Auch ein Plus von 7,3 Prozent in knapp zwei Jahren ist ein außerordentlich positiver Wert im bundesweiten Vergleich für den Handelsstandort Mainz.“ Gleichzeitig aber teilte das Finanzdezernat am Mittwoch im Stadtrat auf Anfrage der SPD aber auch mit: Das Gewerbesteueraufkommen in Mainz ist 2024 dramatisch eingebrochen.

Nach Angaben von Finanzdezernent Günter Beck betrug das Steuersoll im Jahr 2024 in Mainz demnach insgesamt rund 139,7 Millionen Euro – im Jahr 2023 waren es aber noch rund 208,6 Millionen Euro gewesen. Damit lagen die Erträge aus der Gewerbesteuer 2024 sogar noch unter Vor-Corona-Niveau, denn 2019 hatte die Stadt Mainz den Angaben zufolge noch 156,6 Millionen Euro an Gewerbesteuer eingenommen. Aus der Anfrage der SPD geht zudem hervor: Gastronomie und Hotellerie haben einen erheblichen Einbruch bei der Gewerbesteuer – beim Handwerk ist er sogar dramatisch.
Die SPD-Fraktion in Mainzer Stadtrat hatte explizit nach der Entwicklung der Gewerbesteuer bei Gastronomie und Handwerk in der Mainzer Innenstadt gefragt, die Antwort aus dem Finanzdezernat ergab: Zahlten Gastronomie und Hotellerie 2023 noch rund 3,72 Millionen Euro an Gewerbesteuern, so waren es 2024 nur noch 3,26 Millionen Euro – das war weniger als noch 2019, als noch rund 3,95 Millionen Euro an Gewerbesteuern im Sektor Gastro und Hotellerie fällig wurden. Selbst zu Zeiten der Corona-Pandemie wurde etwa 2021 noch mit rund 3,76 Millionen Euro mehr Gewerbesteuer abgeführt.
Dramatischer Einbruch bei Gewerbesteuer im Handwerk
Noch dramatischer fällt der Einbruch beim Handwerk in Mainz aus: Wurden in diesem Bereich 2023 noch rund 6 Millionen Euro an Gewerbesteuer fällig, so waren es 2024 nur noch rund 5,8 Millionen Euro – der niedrigste Wert in den vergangenen sechs Jahren. 2019 hatte die Stadt Mainz im Bereich Handwerk noch rund 8,1 Millionen Euro an Gewerbesteuer eingenommen, damals betrug der Hebesatz allerdings noch 440 Prozent. 2022 senkte die Stadt den Hebesatz auf 310 Prozent, trotzdem sanken die Gewerbesteuereinnahmen im Handwerk weiter.

OB Haase sprach dennoch am Mittwoch trotz der Zahlen-Korrekturen erneut von „positiven Gewerbesteuerwerten“ im Handel, diese würden „ergänzt durch weitere erfreuliche Entwicklungen wie steigende Touristenzahlen, stabile Passantenfrequenzen und weiterhin unterdurchschnittlichen Leerstand“ in der Mainzer Innenstadt. Der Handelsverband Rheinland-Pfalz hatte die Jubelzahlen der Stadt von vorneherein angezweifelt: Die Zuwachsraten von 40 Prozent könnten für den Einzelhandel nicht stimmen, sagte Handelsverband-Geschäftsführer Thomas Scherer gegenüber Mainz&, und betonte: „Wir haben zurückgehende Umsätze im Vergleich zu 2024, wenn wir Stagnation haben, sind wir schon froh.“
Am Donnerstag hat die Stadt Mainz nun zu einer Pressekonferenz geladen, am Mittag wollen OB Haase und Wirtschaftsdezernentin Manuela Matz (CDU) neue Initiativen für die Mainzer Innenstadt vorstellen. Die Mainzer FDP hatte noch am Dienstag mit Nachdruck angemahnt, es brauche einen „offenen, ehrlichen und faktenbasierten Blick auf die Entwicklung der Mainzer Innenstadt.“ Dazu gehörten transparente Zahlen, differenzierte Auswertungen und die Bereitschaft, Probleme auch als solche zu benennen.
Im Mainzer Stadtrat wurde am Mittwoch über das Thema nicht debattiert, stattdessen forderten etwa die Grünen, es brauche mehr barrierefreie Zugänge für die Geschäfte in der Mainzer Innenstadt. Die Lenkung der Verkehrsströme oder die katastrophale Baustellenlage rund um die Binger Straße waren in den Debatten kein Thema. „Die Transformation unserer Stadt“, ließ sich Haase noch zitieren, „ist eine dauerhafte Herausforderung, die wir nur in enger Abstimmung mit allen Beteiligten auch zukünftig positiv gestalten können.“
Info& auf Mainz&: Mehr zu den dramatischen Umbrüchen im Mainzer Einzelhandel lest Ihr noch einmal ausführlich hier bei Mainz&.






