Die Debatte um die Grenzwerte von Stickoxiden hat die Frage wieder in den Fokus gerückt: Steht die Luftmessstation in der Mainzer Parcusstraße richtig? Nein, sagt die Mainzer FDP und forderte schon im Dezember, die Lage der Messstation zu überprüfen – und die Messergebnisse der Station neu zu bewerten. Die Luftmessstation in der Mainzer Parcusstraße wurde vom Landesumweltamt aufgestellt und wird von diesem betrieben, ihre Daten sind die zentralen Argumente in der Debatte um Dieselfahrverbote in Mainz. Seit Jahren werden an der Parcusstraße die Grenzwerte für die als gesundheitsschädlich geltenden Stickoxide überschritten, 2017 waren es 48 Mikrogramm, 2018 noch immer 47 Mikrogramm. Das Land kontert: Die Messstation stehe vollkommen EU-konform, der Grenzwert „schützt die Menschen dort, wo sie leben und wohnen“, betont Umweltministerin Ulrike Höfken (Grüne).
26 feste Luftmessstationen betreibt das Land Rheinland-Pfalz, eine davon steht in der Mainzer Parcusstraße – es ist die zentrale Luftmessstation für Schadstoffe in der Mainzer Luft. Die Parcusstraße gehört zu den am dichtesten genutzten Straßen von Mainz, rund 21.000 Fahrzeuge passieren den Abschnitt an der Luftmessstation pro Tag, schätzt das Landesumweltamt. Seit Jahren werden hier Stickoxidwerte gemessen, die weit über dem erlaubten Grenzwert von 40 Mikrogramm liegen, Mainz droht deshalb zum 1. September 2019 ein Fahrverbot für Diesel-Pkw, sofern es der Stadt nicht gelingt, die Stickoxid-Werte bis Juni auf Höhe des Grenzwertes zu bringen.
Die FDP Mainz lud deshalb im Dezember zu einem Termin an der Lustmessstation, sie maß die Lage der Anlage nach, und konstatierte: „Die Messstation in der Parcusstraße genügt definitiv nicht den Anforderungen der EU-Richtlinie“, sagte FDP-Kreischef David Dietz. Die Messstation sei nämlich nur 23,5 Meter von der nächsten großen Kreuzung entfernt, vorgeschrieben seien nach EU-Richtlinie aber 25 Meter. „Vor diesem Hintergrund ist es schwierig, die Daten zu verwenden“, sagte Dietz.
Man fordere das Umweltministerium deshalb auf, alle Standorte auf den Prüfstand zu stellen und die Ergebnisse der dort gesammelten Daten zu überprüfen. Fahrverbote in Mainz seien „völlig unverhältnismäßig“, zumal die NOx-Werte sänken. Nach neusten Zahlen des Bundesumweltamtes ist das allerdings in großem Maße nicht der Fall: Demnach wurden 2018 in der Parcusstraße noch 47 Mikrogramm Stickoxide gemessen, im Vorjahr waren es 48 Mikrogramm gewesen.
Eine Überprüfung der Luftmessstation Parcusstraße fordert aber seit Wochen auch bereits die AfD: Die Messstation in der Parcusstraße sei „falsch platziert“, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion im Mainzer Landtag, Jan Bollinger, Ende November 2018. Bollinger forderte, es müsse einen Mindestabstand zum Fahrbahnrand geben, andere AfD-Politiker forderten auch schon einmal, die Schadstoffe müssten in größerer Höhe gemessen werden und dürften nicht direkt auf Straßenniveau erhoben werden. Die bisherigen Messergebnisse seien „fragwürdig“, der Grenzwert „unbegründet niedrig.“
Das Landesumweltamt stellte indes schon Mitte November 2018 fest: Die Messstation in der Parcusstraße sei völlig korrekt platziert, die Bedingungen dafür gebe die EU vor. Demnach muss eine Luftmessstation an einem repräsentativen Ort stehen und ein freies Anströmen der Luft zulassen, ohne dass Hindernisse dies stören. Die Messdaten sollen für einen Straßenabschnitt von mindestens 100 Metern repräsentativ sein – und die Messstation soll dort stehen, wo sie die höchsten Konzentrationen erfasst. Der Abstand zum Fahrbahnrand soll höchstens zehn Meter betragen – eine Mindestvorschrift gibt es hingegen nicht. Der Abstand zur nächsten verkehrsreichen Kreuzung soll mindestens 25 Meter betragen, heißt es weiter, dazu soll die Messhöhe zwischen 1,5 Meter und vier Meter über dem Boden liegen – gerade auch, um nicht unmittelbar Gase auf Höhe des Auspuffs zu erfassen.
In der Parcusstraße werden gasförmige Schadstoffe in einer Höhe von 3,50 Metern gemessen, partikelförmige Schadstoffe – also etwa Feinstaub – in einer Höhe von 3,9 Metern. Tatsächlich beträgt der Abstand zur großen Kreuzung an der Bahnhofstraße nur 23,5 Meter, bestätigt das Landesamt, doch dies sei ebenfalls korrekt: Die EU schreibe nämlich nur vor, die Ortsbestimmungen zu berücksichtigen „so weit es möglich“ ist. „Die EU lässt der Überwachungsbehörde dabei bewusst einen fachlichen Spielraum, da die örtlichen Gegebenheiten sehr unterschiedlich sein können“, sagte Umweltministerin Höfken am Donnerstag anlässlich einer Debatte zum Thema im Landtag, und betonte: „Alle unsere 26 ortsfesten Stationen erfüllen die Anforderungen der EU, sie sind bei der Kommission notifiziert und werden richtlinienkonform betrieben.“
Das Bundesumweltamt ergänzt in seinem Jahresbericht zur Luftreinhaltung 2018 zudem explizit, die Messstationen sollten an „einem Ort der höchsten Belastung“ für die Menschen stehen. Einen Ermessensspielraum gebe es deshalb, weil es für die Kommunen oft schwierig sei, einen Ort für den Messcontainer zu finden, der alle Kriterien erfülle und gleichzeitig nicht im Weg stehe, aber auch Strom- und Telefonanschluss habe. Die Aufstellung der Stationen sei deshalb oft ein Kompromiss, der aber „stellt nicht die Brauchbarkeit der Messstationen für die Beurteilung der Luftqualität in Frage“, betont das UBA explizit. Die Daten würden im Übrigen mit standardisierten messverfahren erhoben. Auch sei ein Weiterbetreiben alter Messstationen durchaus sinnvoll, betont das UBA, weil nur so langjährige Messreihen dokumentieren könnten, wie sich die Luftqualität an einem Standort verändert habe.
Höfken erteilte zudem der Debatte um eine Anhebung oder Aufweichung der Schadstoffgrenzwerte eine klare Absage: Zahlreiche Studien belegten den Einfluss schlechter Luft auf unsere Gesundheit, sagte Höfken: „Der Grenzwert für Stickstoffdioxid wurde von der EU festgelegt, basiert auf mehreren wissenschaftlichen Studien zum Einfluss von NO2 auf die Gesundheit und darauf fußenden Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO.“ Es hätten eben gerade auf dieses Gebiet spezialisierte Wissenschaftler in Studien den Einfluss und die Wirkweise von NO2 auf die menschliche Gesundheit untersucht. Der daraus abgeleitete Grenzwert berücksichtige gerade auch empfindliche Menschen und Kinder, sein Ziel sei es, genau diese Gruppen zu schützen.
Dazu dürfe Stickstoffdioxid nie allein betrachtet werden, mahnte die Ministerin: NO2 sei „sehr reaktiv, es trägt zur Feinstaubbildung bei und ist eine Vorläufersubstanz für die Ozonbildung.“ Tatsächlich gilt NO2 in Expertenkreisen als eine Art Markierungssubstanz, die Rückschlüsse auf den Zustand der Luft insgesamt zulässt. Hohe Stickoxidwerte weisen demnach eben auch auf hohe Ozonwerte, Feinstaubemissionen und Ruß hin. Im Umkehrschluss: bedeute das: „Eine Absenkung der NO2-Belastung führt auch zu einer Absenkung anderer Luftschadstoffe wie Ozon, Feinstäube und Ruß“, sagte Höfken.
Im Übrigen: „In allen 28 EU-Ländern gelten dieselben Messwerte, Standortkriterien und Verfahren“, sagte Höfken weiter. Bei Überschreitungen würden ebenso in Belgien, Frankreich, Spanien, Italien und Dänemark verkehrsbezogene Maßnahmen zur Einhaltung der Grenzwerte gegriffen. Ein Abweichen von den EU-Grenzwerten sei „national weder möglich noch sinnvoll.“
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) stellte zudem am 30. Januar ein Rechtsgutachten im deutschen Bundestag vor, nachdem eine Aufweichung der Grenzwerte für Stickoxide gegen EU-Recht verstoße und zudem verfassungswidrig sei. Daran könne auch die Bundesregierung nichts ändern, ein entsprechender Gesetzentwurf sei „ein Rohrkrepierer“ und „ein legislatives Luftschloss“, sagte Anwalt Remo Klinger, der die DUH auch bei ihren Klagen zu Dieselfahrverboten vor Gerichten vertritt. Die Bundesregierung plant eine Novelle des Bundes-Immissionsschutzgesetzes, nach der künftig Diesel-Fahrverbote unverhältnismäßig sein sollen, wenn der Jahresmittelwert von nicht mehr als 50 Mikrogramm überschritten wird.
Die Luftqualitäts-Richtlinie der EU sehe zudem vor, dass der Grenzwert überall dort in einer Stadt einzuhalten sei, wo sich Menschen regelmäßig aufhielten, sagte Klinger weiter. Davon würden nur wenige Ausnahmen gemacht, unter anderem auf den Fahrbahnen und den Mittelstreifen. „Wenn man die Messstellen weiter und höher entfernt von den Straßenrändern platzieren würde, ändert dies nichts an der Verpflichtung, den Grenzwert auch auf dem Bürgersteig und in Kinderhöhe einzuhalten“, betonte Klinger. Würde man die Messstelle weiter weg platzieren, bedeute das lediglich, dass „man dann neben den Messwerten der entfernt stehenden Messstelle noch zusätzlich rechnerisch den Wert am Bürgersteig ermitteln muss“, unterstrich der Anwalt. Das koste aber nur zusätzliches Geld, „rechtlich ändert sich dadurch aber nichts.“
Info& auf Mainz&: Den gesamten Bericht des Umweltbundesamtes zur Luftqualität 2018 findet Ihr hier beim UBA zum Download. Mehr zur aktuellen Debatte um die Stickoxid-Grenzwerte und das Papier der Lungenärzte lest Ihr hier bei Mainz&. Ihr merkt übrigens, dass wir in dem Text komplett die Debatte um den Feinstaub ausgeklammert haben – und das mit voller Absicht: Bei den Dieselfahrverboten geht es ausschließlich um Stickoxide, die Grenzwerte anderer Schadstoffe wie Feinstaub werden nämlich seit einigen Jahren eingehalten. Feinstaub und insbesondere Ultrafeinstaub spielen für die Gesundheit allerdings eine noch viel gravierendere Rolle – welche genau, erklären wir Euch hier bei Mainz&.