Das sind keine guten Nachrichten für Mainz: Der Stickoxidwert in der Innenstadt lag auch 2018 bei 47 Mikrogramm und damit weiter weit über dem erlaubten Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Das gab das Bundesumweltamt am Donnerstag bei seiner vorläufigen Auswertung für das Jahr 2018 bekannt. Demnach ist der Wert für die giftigen Stickoxide in der Mainzer Parcusstraße lediglich um ein Mikrogramm gesunken – 2017 lag der Durchschnittswert bei 48 Mikrogramm. Damit ist Mainz einer Vermeidung eines Dieselfahrverbotes nur marginal näher gekommen. Das Mainzer Verwaltungsgericht hatte im Oktober 20189 verfügt: Sinkt der Wert bis zum Sommer 2019 nicht auf 40 Mikrogramm, muss Mainz zum 1. September 2019 ein Fahrverbot einführen.
Insgesamt seien die Stickoxidwerte in Deutschland ein kleines bisschen gesunken, so die Bilanz des Bundesumweltamtes: Auf etwa zwei Mikrogramm beziffert das Umweltbundesamt den Rückgang der mittleren NO2-Konzentrationen an verkehrsnahen Messstationen. So sanken etwa in Wiesbaden die Stickoxidwerte von 50 Mikrogramm auf 48 Mikrogramm, das aber wird auch noch nicht reichen, um Fahrverbote zu verhindern – Wiesbaden muss am 13. Februar vor Gericht.
Die sinkenden Werte ließen sich auf mehrere Faktoren zurückführen, sagte die Präsidentin des Amtes, Maria Krautzberger: auf lokale Maßnahmen wie Tempolimits oder Verkehrsbeschränkungen, auf regionale oder nationale Maßnahmen wie die Erneuerung der Fahrzeugflotte durch Umtauschprämien oder Softwareupdate, oder aber auch auf meteorologische Einflüsse, die die Ausbreitung von Luftschadstoffen begünstigen oder verschlechtern können.
„Anhand der Messdaten allein können keine Aussagen getroffen werden, welchen Beitrag einzelne Maßnahmen zur Minderung haben, da alle genannten Faktoren gemeinsam die Messergebnisse beeinflussen“, betont das Umweltbundesamt. Dies sei nur über detaillierte Berechnungen möglich, die aber für einzelne Messstationen derzeit noch nicht vorlägen. Die endgültige Auswertung liegt laut Umweltbundesamt erst im Mai 2019 vor.
Damit ist aber auch klar: Die von den Städten bisher ergriffenen Maßnahmen haben noch keinen durchschlagenden Erfolg auf eine erhebliche Senkung der Stickoxidwerte gezeitigt. Das könnte zum Problem für Mainz werden: Die Stadt hatte im Vorfeld des Gerichtsverfahrens gegen die Deutsche Umwelthilfe um die Einhaltung der Stickoxid-Werte stets argumentiert, mit seinen umfangreichen Maßnahmen zur Verbesserung der Luftwerte könne man 2019 den Grenzwert einhalten. Das Mainzer Verwaltungsgericht hatte sich hingegen skeptisch gezeigt: „Es reicht nicht, dass ein Trend zur Reduzierung da ist, der Grenzwert muss eingehalten werden“, sagte Richterin Stefanie Lang streng. Die bisherigen Maßnahmen hätten ja offenbar nicht zu einer ausreichenden Reduzierung der Stickoxide geführt, sagte Lang weiter – und das trotz eines 70 Maßnahmen starken Katalogs der Stadt.
Das Gericht gab der Stadt indes eine Gnadenfrist: Bis Juni 2019 hat die Stadt Zeit, für bessere Emissionen zu sorgen. Sinkt der Stickoxidwert aber nicht bis dahin auf 40 Mikrogramm, muss Mainz zum 1. September ein Fahrverbot für Diesel-Pkw der Klasse 5 und schlechter einführen. Nach Ansicht des Bundesumweltamtes ist eine so deutliche Senkung der Stickoxidwerte wie für Mainz nötig aber nur mit Hardware-Nachrüstungen für Diesel-Pkw möglich: „Nur saubere Autos bieten Sicherheit vor drohenden Fahrverboten, hier muss endlich angesetzt werden: Diese Fahrzeuge müssen mit wirksamen Katalysatoren nachgerüstet werden – auf Kosten der Automobilindustrie“, betonte Krautzberger.
Die Technologie wie auch die rechtliche Regelung zur Nachrüstung seien da und müssten nun schnell zum Einsatz kommen. „Mit den derzeitigen Maßnahmen dauert es einfach zu lange, bis wir überall saubere Luft haben“, fügte die Amtschefin hinzu. Zugleich unterstrich Krautzberger auch erneut, dass Stickoxide die Gesundheit der Menschen gefährden.
Kürzlich hatte eine Gruppe von Lungenärzten um den früheren Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie, Dieter Köhler, ein Papier veröffentlicht, in dem sie die Sinnhaftigkeit der Grenzwerte für Stickoxide und Feinstaub in Frage stellen. Lungenärzte sähen in ihren Praxen und Kliniken zwar täglich Todesfälle wegen Rauchens und Lungenkrebs, „jedoch Tote durch Feinstaub und NOx, auch bei sorgfältiger Anamnese“ nie“, heißt es in dem Papier, das Mainz& vorliegt. Viele Studien zur Gefährdung durch Luftverschmutzung seien zudem nur hochgerechnete Daten, der Einfluss von zusätzlichen Faktoren wie Rauchen, Alkoholkonsum, körperliche Bewegung und medizinische Betreuung werde dabei aber vernachlässigt. Kurz: Die negativen Wirkungen von Stickoxiden und Feinstaub seien gar nicht belegt, die Grenzwerte ein Witz.
Inzwischen allerdings regt sich heftiger Widerspruch gegen das Papier: Köhler und Kollegen hatten nämlich für ihre Aktion rund 3.800 Lungenärzte angeschrieben, nur rund 100 aber wollten das Papier unterschreiben. Dazu behauptete Köhler in diversen Interviews, er sei völlig unabhängig und gehöre keiner Interessengruppe an. Zumindest für einen seiner Mitautoren gilt das indes nicht: Mitverfasser des Papiers ist Thomas Koch, der lange Jahre Dieselmotoren für Daimler entwickelte. Der Präsident der Eidgenössischen Kommission für Lufthygiene in der Schweiz, Nino Künzli, wirft Köhler gar vor, in dem Gebiet der Gesundheitsgefahren durch Stickoxide überhaupt nicht kompetent zu sein: „Ich kann beurteilen, dass er inhaltlich, fachlich, zu Fragen der Auswirkungen von Luftverschmutzung auf die Gesundheit der Menschen ein absoluter Laie ist“, sagte Künzli dem ZDF-Magazin Frontal 21: „Ich verstehe nicht, dass ein Arzt jetzt an die Bevölkerung geht und sagt, man müsse aus wissenschaftlichen Gründen die Grenzwerte aufheben. Das ist unethisch.“
Nach Recherchen von Frontal 21 gilt der Ausdruck „Laien“ auch für die meisten Unterzeichner des Köhlerschen Papiers: Kein einziger der von dem Magazin befragten 70 Mediziner hat sich mit dem Thema wissenschaftlich beschäftigt oder gar dazu publiziert. Die große Mehrheit gebe an, „zur Frage der Gefährlichkeit der Diesel-Abgase überhaupt keine wissenschaftliche Expertise zu haben“, heißt es bei Frontal 21. Auch Mainz& hat versucht, einen der Unterzeichner, einen Mainzer Mediziner, zu erreichen und zu dem Papier zu befragen – vergeblich. Wir haben noch nicht einmal eine Antwort erhalten.
Trotzdem greifen Teile der Politik die Aussagen des Papiers dankbar auf: Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) forderte prompt von der EU eine Überprüfung der Grenzwerte. Es „mehren sich Stimmen in der Ärzteschaft“, die die Grenzwerte infrage stellten, sagte Scheuer. Auch die CDU in Rheinland-Pfalz forderte „eine fundierte toxikologische Neubewertung der bestehenden Grenzwerte“ bei Stickoxiden. „Wenn sich jetzt mehr als 100 Experten zu Wort melden, und erhebliche Kritik an der Diskussionsgrundlage üben, dann sollten wir das sehr ernst nehmen“, sagte der CDU-Fraktionschef im Mainzer Landtag, Christian Baldauf.
Auch die Mainzer FDP begrüßte umgehend die erneuerte Debatte: „Eine Versachlichung der Debatte weg von einer hysterisch aufgeblähten Glaubensfrage begrüßen wir außerordentlich“, sagte FDP-Kreischef David Dietz. Damit komme „Bewegung in eine Diskussion, die bislang nur Ängste schürt ohne nach bedarfsgerechten und angemessenen Lösungen zu suchen. Da die Fahrverbote auf genau den Grenzwerten beruhten, müsse die Debatte in Brüssel geführt und die Grenzwerte gegebenenfalls angepasst werden.
Die Organisation Lobby Control argwöhnt derweil, die Stellungnahme der Lungenärzte habe etwas mit Lobbyismus zu tun: „Aufrufe von Wissenschaftlern sind ein beliebtes Lobbyinstrument“, sagt Ulrich Müller von LobbyControl, wichtig sei, genau hinzusehen, wer was veröffentliche. In der aktuellen Berichterstattung sei aber vielfach weder die Beteiligung früherer Daimler-Mitarbeiter noch die Tatsache erwähnt worden, dass es sich um eine Minderheitenmeinung handele.
Tatsächlich melden sich inzwischen auch andere Lungenärzte zu Wort – und widersprechen Köhler und Kollegen entschieden: Die FAZ veröffentlichte nun ein Papier von 14 international renommierten Lungenärzten, in denen diese nachdrücklich die Gefahren durch Stickoxide und Feinstaub unterstreichen und die Richtigkeit der Grenzwerte befürworten. Die Autoren dieses Papiers gehören zum International Forum of Respiratory Societies FIRS, dem weltweiten Zusammenschluss der führenden Gesellschaften für Lungengesundheit mit mehr als 70.000 Mitgliedern, darunter auch der amtierende Präsident der europäischen Pneumologen-Gesellschaft, Tobias Welte. Sie unterstreichen, dass Schadstoffe in der Luft sowohl für kurzfristige Schädigungen der Lunge, als auch für langfristige Folgeerkrankungen verantwortlich sind – und bekräftigen die Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO, nach der die Schadstoffbelastung der Luft für 4,2 Millionen jährliche Todesfälle verantwortlich sei. Das Papier könnt Ihr hier bei der FAZ kostenpflichtig herunterladen.
Dazu werden in der Debatte und auch in dem Papier Köhlers immer wieder Stickoxide und Feinstaub miteinander vermengt. Das aber ist hochgradig unseriös: Die Wirkungen der ultrakleinen Feinstaub-Partikel auf den menschlichen Organismus gilt als sehr gut erforscht, Wissenschaftler bekräftigten derzeit, dass die Mini-Partikel für Lunge, Herz und Kreislauf des Menschen schon in kleinsten Dosen hochgefährlich sind. Die Emissionen von Feinstaub sind allerdings in den Städten seit Jahren rückläufig – 2018 vermerkte das Bundesumweltamt bundesweit nur noch eine einzige Grenzwertüberschreitung bei Feinstaub im gesamten Jahr, und das an einer Messstation, die in unmittelbarer Nähe eines Industriebetriebs liegt.
In der Debatte um Dieselfahrverbote geht es hingegen derzeit um einen einzigen Wirkstoff: Stickoxide. Das Reizgas gilt als ebenfalls hochgradig gefährlich und als Auslöser für weitere Folgekrankheiten. Stickoxide Die WHO befürwortet deshalb derzeit sogar eine Absenkung des Grenzwertes für Stickoxide auf 20 Mikrogramm. Auch die Grünen kritisierten im rheinland-pfälzischen Landtag Versuche, die Grenzwerte aufzuweichen – die AfD hatte entsprechende Anträge gestellt.
„Es ist die Aufgabe und das gute Recht der Wissenschaft, Studien und Thesen ständig kritisch zu überprüfen“, sagte der Landtagsabgeordnete Andreas Hartenfels (Grüne). Die Grenzwerte für Stickoxide seien aber nicht willkürlich festgelegt worden, sondern 2010 auf Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation von der EU eingeführt worden und basierten auf zahlreichen internationalen Studien spezialisierter Wissenschaftler. „Wir sollten uns deshalb nicht in einer Debatte über Grenzwerte verfangen, sondern wirksame Maßnahmen zur Eindämmung des Schadstoffausstoßes ergreifen – unserer Gesundheit und der Umwelt zuliebe“.
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) wies darauf hin, dass selbst nach der vorläufigen Auswertung des Bundesumweltamtes noch immer 40 Städte bundesweit die Grenzwerte für Stickoxide deutlich überschritten – und das im neunten Jahr in Folge. Die gesundheitsschädlichen Wirkungen der diskutierten Luftschadstoffe seien „wissenschaftlich eindeutig belegt“, betonte DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch, und fordert: „Politisches Handeln muss sich am Schutz gerade der besonders schutzbedürftigen Kinder und Asthmakranken orientieren.“ Der Aufruf des 900 Mitglieder zählenden Verbandes der Kinder-Pneumologen am gestrigen Mittwoch, die den auf WHO-Expertise beruhenden Grenzwert unterstützen, sollte von der Politik ernst genommen werden. Nach Angaben der DUH haben sich inzwischen auch die Internationale Gesellschaft für Umweltepidemiologie (ISEE) und die European Respiratory Society (ERS) und der Bundesverband der Pneumologen, Schlaf- und Beatmungsmediziner (BdP) für die WHO-Grenzwerte und deren Einhaltung ausgesprochen.
Info& auf Mainz&: Den Beitrag von Frontal 21 zu den Recherchen über das Papier der Lungenärzte findet Ihr hier im Internet. Die Stellungnahme von LobbyControl dazu findet Ihr hier, dort gibt es auch Links, wo man die Liste der Unterzeichner des Papiers findet – bei der Veröffentlichung des Papiers standen nämlich weder die Unterzeichner, noch die Autoren dabei. Die Werte des Umweltbundesamtes für 2018 könnt Ihr hier nachlesen.