Die Folgen des neuen Polizeigesetzes von Rheinland-Pfalz für die Fastnachtsvereine und Karnevalsumzüge bewegen weiter die Gemüter. Am Donnerstag wurde im Mainzer Landtag heftig über die Frage gestritten: Sind die Neuregelungen „Sicherheit First“ oder einfach nur „Fastnachtsirrsinn“? Die regierenden Parteien von SPD, FDP und Grüne wiesen dabei die Verantwortung für überhöhte Sicherheitsauflagen weit vom Land und den Kommunen zu, die Opposition sprach hingegen von „Irrsinn“ und warf dem neuen Innenminister vor, die Vereine und das Ehrenamt im Stich zu lassen.
Hintergrund ist eine Neuauflage des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes (POG) vom Mai 2021, und hier vor allem der Paragraph 26, der die „Gefahrenvorsorge und Gefahrenabwehr von Veranstaltungen unter freiem Himmel“ regelt. Und darin sind diverse Bestimmungen neu gefasst, neu ist etwa, dass die Veranstalter nun Wachpersonen eines gewerblichen Bewacherunternehmens beauftragen müssen – ehrenamtliche Ordner, wie sie sich gerade bei vielen Fastnachtsumzügen seit Jahren bewährt haben, werden damit gekippt.
Neu ist vor allem auch, dass die Ordnungsbehörden nicht nur bei Großveranstaltungen ab 15.000 Besucher ein Sicherheitskonzept verlangen müssen – sie können es auch bei kleineren Veranstaltungen, sogar bei weniger als 5.000 Besucher tun. In den Handreichungen der Landesregierung heißt es zudem dazu, ein Konzept sei je nach „der von der Veranstaltung ausgehenden Gefahren“ nötig – zu Gefahren zählen jetzt aber schon dichtes Gedränge und erhöhter Alkoholkonsum.
„Man hat den Bürgermeistern Angst gemacht“
Die Folge: Zur Kampagne 2023 verlangten die Ordnungsbehörden nun deutlich schärfere Maßnahmen von den Vereinen – aus Angst, sonst im Schadensfall verklagt zu werden. „Man hat den Bürgermeistern Angst gemacht, Angst vor der Verantwortung“, kritisierte denn auch der Fraktionschef der Freien Wähler, Joachim Streit, am Donnerstag im Mainzer Landtag: „Das POG überträgt die Verantwortung an die Kommunen, und die an die Vereine – und den Letzten beißen bekanntlich die Hunde.“
Zu Jahresbeginn hagelte es deshalb plötzlich Absagen von Fastnachtsumzügen, rund ein Dutzend Gemeinden sagten ihre närrischen Straßenumzüge wegen neu geforderter Sicherheitsmaßnahmen und explodierender Kosten ab. „Die neuen Sicherheitsauflagen und damit verbundenen Kosten für Karnevalsumzüge sind ein erneuter Schlag ins Gesicht der vielen ehrenamtlichen Karnevalisten“, klagte etwa der Präsident der Rheinischen Karnevals Korporationen (RKK), Hans Mayer: „Mit den teilweise völlig überzogenen Auflagen werden Karneval und Brauchtum mutwillig zerstört.“
Mayer nennt auf der Homepage des RKK auch ein Beispiel: So seien etwa in Frankenthal nun neuerdings allein 40 Lastwagen gefordert worden, um den Straßenumzug gegen Angriffe mit Fahrzeugen abzusichern, das bedeute aber gleichzeitig „80 LKW-Fahrer, die natürlich alle den LKW-Führerschein haben müssen, denn für jeden Fahrer muss ein Ersatz vorgehalten werden.“ Wie solle das organisiert werden, und solle diese Kosten wirklich ein ehrenamtlicher Verein tragen, kritisierte Mayer.
„Das ist kein Fastnachtsscherz, das ist Fastnachtsirrsinn“
„Das ist kein Fastnachtsscherz, das ist Fastnachtsirrsinn“, schimpfte am Donnerstag in der Aktuellen Stunde des Landtags CDU-Fraktionschef Christian Baldauf. Nach zwei Jahren Pandemie-Ausfällen stelle das Land nun den ehrenamtlichen Narrenvereinen „Sicherheitsauflagen und Bürokratie buchstäblich in den Weg – die Folge: Frust statt Frohsinn – überall im Land sind Umzüge reihenweise abgesagt.“
Das Problem mit den neuen Auflagen betreffe zudem Kirmes und Kerb, Winzerfeste und eben die Fastnacht, warnte Baldauf – und genau darauf habe die Opposition schon vergangenes Jahr bei der Novellierung des POG hingewiesen. „Die diesjährige Krise ist nicht vom Himmel gefallen“, die Landesregierung sei in die Lage „sehenden Auges hineingeschlittert, das macht die Sache so ärgerlich“, schimpfte Baldauf.
Doch alle Warnungen und Hinweise, ja, alle Hilferufe der Vereine seien „an der Landesregierung abgeprallt“, klagte er – auch der neue Innenminister Michael Ebling (SPD) habe „null Problembewusstsein“ an den Tag gelegt. „Nur zu einem Runden Tisch haben sie sich aufraffen können, aber ein wirkliches Ergebnis gab es nicht“, kritisierte Baldauf: „Zu viel Bürokratie, zu wenig Hilfe – Sie lassen unsere Vereine im Stich!“ Baldauf bezog sich dabei auf ein Krisengespräch im Mainzer Innenministerium am Montag, das aber ohne konkrete Ergebnisse geblieben war.
Ebling: „Beim 1. FC Leichtsinn möchte ich nicht anheuern“
Ebling konterte, auf den Oppositionsbänken säßen offenbar „Schwerseher, Mucker und Philister“ und verteidigte die Regelungen des POG: „Dort sind Grenzen eingezogen, wo man Konzepte braucht und wo nicht“, betont der Innenminister, wo es welche Maßnahmen brauche, das regelten die Kommunen vor Ort. Die meisten Umzüge fänden ja statt, Großveranstaltungen müssten nun einmal verstärkt geschützt werden, argumentierte Ebling weiter, und betonte erneut, er wolle die Richtlinie noch einmal überarbeiten lassen.
„Wer weiter im Team Frohsinn spielen will, muss den Menschen sagen, wie sie unbeschwert feiern können“, betonte Ebling zudem, und warf der Opposition vor: „Bei Ihnen, beim 1. FC Leichtsinn möchte ich nicht anheuern.“ Das wies Baldauf entrüstet zurück: Sicherheit sei natürlich wichtig, aber Aufgabe des Landes sei es, „einen praxisgerechten Ausgleich zwischen notwendigen Sicherheitsanforderungen und der Bewahrung traditioneller Veranstaltungskultur zu finden“ – und nicht, die Durchführung unmöglich zu machen.
Ähnlich argumentierten auch die anderen Oppositionsfraktionen: Die Debatte gebe es schon den Absagen von Weinfesten 2022, „das ist eine Katastrohe mit Ansage“, klagte der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD, Bollinger. „Um bei Unfällen nicht in Regress genommen zu werden, haben viele Kommunen von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Sicherheitskonzepte zu fordern“, betonte auch er, und forderte vom Land die Überarbeitung des POG und Kostenhilfe bei der Sicherheit. Dass Bollinger gleichzeitig aber einen Zusammenhang mit offenen Grenzen und dem Zuzug von Ausländern herstellte, sorgte für Empörung.
Bätzing-Lichtenthäler: „Sicherheit geht vor, Sicherheit First“
Die Maßnahmen seien ja „nicht da, um Veranstalter zu ärgern, sondern um die Sicherheit zu gewährleisten“, betonte Bernhard von Heusinger von den Grünen, und räumte gleichwohl ein: Die Maßnahmen seien teuer für die Vereine, nun komme auch noch die allgemeine Teuerung dazu. „Wir können es als Gesetzgeber gerade nicht zulassen, nicht aus der Fahrt von Volksmarsen zu lernen“, sagte von Heusinger mit Blick auf den Vorfall im Jahr 2020, als ein Mann mit einem Pkw in den Karnevalsumzug in dem nordhessischen Ort raste.
Vorfälle wie Volkmarsen seien schlimm, „aber was in Deutschland aus falsch verstandenem Sicherheitsdenken passiert ist: man schüttet das Kind mit dem Bade aus“, kritisierte FW-Fraktionschef Streit: „Es geht eben nicht um Sicherheit über alles, sondern es geht um angemessene Sicherheit.“ Der Staat habe vor den schlimmsten Gefahren zu schützen, nun aber hätten die kommunalen Beamten vor Ort Angst: „Der kleine Mann, der in der Verwaltung sitzt woran denkt der? Wenn ich hier was falsch mache, ist mein Häuschen weg“, beschrieb Streit die Lage: Diesen Mitarbeiter gelte es ebenso 6zu schützen, wie die Vereine vor überzogenen Sicherheitsauflagen zu bewahren.
„Natürlich schmerzt jede Veranstaltung, die abgesagt ist, aber Sicherheit geht vor, Sicherheit First – denn es geht hier um Gesundheit und Menschenleben“, betonte hingegen SPD-Fraktionschefin Sabine Bätzing-Lichtenthäler. Es sei „unstreitig, dass der Veranstalter für die Sicherheit verantwortlich ist, das liegt nicht am POG, das ist bundesweit so“, behauptete sie – die Opposition zeichne „ein Zerrbild“. Vielen Kommunen und vielen Vereinen gelinge es doch, Umzüge zu organisieren.
Absagen von Umzügen allein ein Problem in Rheinland-.Pfalz
Tatsache ist aber auch: Bundesweit hagelt es eben keine Absagen von Fastnachts- und Karnevalsumzügen, das ist derzeit allein ein Problem von Rheinland-Pfalz. Doch wie auch SPD und Grüne, schob auch die FDP die Verantwortung den Kommunen zu: „Die kommunale Ebene ist verantwortlich, sich anzuschauen, was sie für verantwortlich halten und was nicht“, sagte FDP-Fraktionschef Philipp Fernis, das sei kein Problem der Landesregierung. Allerdings müsse man vielleicht „auf der Kostenseite überlegen“, was die Aufgaben des Veranstalters, und was Aufgabe des Staates sei.
CDU, Freie Wähler und AfD forderten erneut, das Land müsse sich an Sicherheitsauflagen beteiligen. Die CDU forderte einen Hilfsfonds für die Kosten bei Sicherheitsauflagen und einen Schutzschirm für ehrenamtliche Veranstalter, „es ist nicht die Aufgabe eines Ehrenamtlichen zu haften“, betonte Baldauf: „Wenn Sie ein Minister sind, der den Willen hat, den Vereinen zu helfen, dann übernehmen Sie die Haftung und die Kosten für die Sicherheit.“
Auch die Freien Wähler erneuerten ihre Forderung nach einem Fonds für Vereine in Höhe von 500.000 Euro. „Ich habe hier heute viele Worthülsen gehört, aber konkrete Antworten haben ich nicht gehört, wie wir den Karnevalisten helfen können“, klagte Streit: „Sich hier frei zu reden, die Verantwortung auf die Kommunen abzuwälzen“, das sei schäbig – „eine Regierung, die keine Verantwortung trägt, die braucht kein Mensch.“
Online-Petition fordert Überprüfung des POG
Der RKK hat inzwischen eine Online-Petition gestartet: „Wir fordern vom rheinland-pfälzischen Innenminister Ebling, dass dieser, angesichts der Absage von Karnevalsumzügen, die gesetzlichen Vorschriften zu den Sicherheitskonzepten überprüft und überarbeitet“, heißt es dort. Die am 19. Januar gestartete Petition hat bereits rund 2.700 Unterzeichner – und rund 1.200 Kommentare. „Mit den unnötigen Richtlinien wird die ganze Kultur kaputt gemacht“, heißt es dort, oder: „Wir bekommen fast unmöglich umsetzbare Auflagen vorgeschrieben, so dass unser Verein kurz vor dem Aus steht.“
Durch die erhöhten Auflagen seien „viele Gemeinden oder Vereine nicht mehr in der Lage, Veranstaltungen durchzuführen“, schreibt da ein Unterzeichner: „Das zerstört den sozialen Zusammenhalt bzw das Sozialleben!!!“ So argumentiert auch RKK-Präsident Mayer: „Der Straßenkarneval kommt der Allgemeinheit zugute“, er biete gerade in Krisenzeiten Freude und Ablenkung. Die Politik müsse Antworten geben, wie die hohen Kosten gestemmt, wie das Personal gestellt werden solle, forderte Mayer: „Hört endlich mit diesem wahnsinnigen Bürokratismus auf und kümmert Euch um die Themen, die unser Land nach vorne bringen!“
Info& auf Mainz&: Mehr zur Änderung des Polizeigesetzes, zum Hintergrund und den Auswirkungen lest Ihr hier bei Mainz&. Alle Details zum Krisentreffen von Montag könnt Ihr hier bei Mainz& nachlesen. Die Online-Petition zum POG findet Ihr hier im Internet.