Die Ausstellung „Am 8. Tag schuf Gott die Cloud“ ist ja ein echter Volltreffer des Mainzer Gutenberg-Museums, nun wurde die zweite Sonderausstellung zur Cloud eröffnet: „Kampf dem Todsündentier: Freund und Feind“ widmet sich dem Thema Gegensatzpaare – und entdeckt ebenso wie schon die „Cloud“ Parallelen in unserer modernen Medienwelt. Die sind vielleicht sogar noch ausgeprägter als in der regulären Ausstellung, geht es doch beim „Todsündentier“ um hochaktuelle Paarungen von Freund und Feind… Derweil geht es mit dem Ideenwettbewerb zum Neubau des Gutenberg Museums voran.
2015 ist Teil der sogenannten Lutherdekade, wir bewegen uns also zielstrebig auf das Lutherjahr 1517 zu – dann ist es genau 500 Jahre her, dass der Wittenberger Reformator seine berühmten 95 Thesen an die Schlosskirche zu Wittenberg schlug, einfach um sie zu verbreiten. Heute würde Luther seine Thesen wohl auf Facebook posten – und genau diesem Gedankengang folgt die Ausstellung „Am 8. Tag schuf Gott die Cloud“.
„Die Reformation war ein sehr modernes Medienereignis mit bemerkenswerten Parallelen zu unserer Zeit“, sagt Annette Ludwig, Direktorin des Gutenberg-Museums. Der von Gutenberg erfundene moderne Buchdruck „ließ eine veritable Medienwolke entstehen“, in der das Teilen von Inhalten – neudeutsch Sharing – für immer mehr Menschen möglich wurde. Will sagen: Der Buchdruck mit beweglichen Lettern machte eine Vervielfältigung der Schriften möglich, wie nie zuvor – und so konnten die Schriften Luthers und seiner Mitstreiter eine wahre Revolution der Gedankenwelt in Bewegung setzen.
„Luther und seine Kollegen nutzten dies neue Medium, wie wir heute Computer und Internet nutzen“, sagt Ludwig, und tatsächlich ist diese Parallele nicht weit hergeholt: Auch Luther konnte die völligen Dimensionen des modernen Buchdrucks nicht endgültig einschätzen, doch er erkannte das Potenzial der neuen Kommunikationsform. Und so verbreiteten sich auch die 95 Thesen Luthers zur Reformation der Kirche wie eine Art Schneeballsystem – heute würden wir von „Lutherleaks“ sprechen… Luther, der Whistleblower des 16. Jahrhunderts?
Warum nicht… schließlich stellte auch er ein ganzes und sehr beherrschendes System infrage: die katholische Kirche. Was daraus wurde, wissen wir: die Spaltung der christlichen Kirche, die Gründung des evangelischen Glaubens. Luther hatte das nie gewollt und lieferte mit seinem Wissens-Leak doch den Anstoß dazu. Der Buchdruck ließ aus einer akademischen Diskussion unter Theologen eine breite Bevölkerungsdebatte über den richtigen Glauben werden – wenn das nicht an Facebook und Twitter erinnert….
Mit seiner deutschen Übersetzung der Bibel wurde Luther dann auch noch zum ersten Bestsellerautor der Geschichte – fehlte nur noch Youtube 😉 Doch auch das gab es: Luthers Auftritt auf dem Wormser Reichstag mit dem berühmt gewordenen Satz „Hier stehe ich und kann nicht anders“ hält den Vergleich mit jedem Youtube-Rekord Stand – wer wird wohl in 500 Jahren noch die heutigen Youtube-„Größen“ kennen? Geschweige denn, sie zu zitieren 😉
Die große Cloud-Ausstellung zieht alle diese Parallelen, flankiert wird sie von mehreren Sonder-Zusatzausstellungen. Die erste war die zu „(Ent)Kleidung: Nacktheit und Mode“, die zweite zum „Todsündentier“ widmet sich nun den klassischen Gegensatzpaaren „Gut und Böse“, „Freund und Feind“, „Christ und Antichrist“. „Das Miteinander und Gegeneinander, das Aufeinandertreffen von Religionen und Weltanschauungen war zu Luthers Zeit so aktuell wie heute“, sagt Ludwig. Der seit Jahrhunderten ungelöste Palästina-Konflikt ist ein Beispiel, die Flüchtlingskrise ein anderes.
Biblische Erzählungen von guten Freunden und bösen Feinden fanden Verwendung in Luthers Predigten, berichtet Ludwig – denn der Reformator hatte nicht nur die Macht der Worte, sondern auch der Bilder erkannt: Mit seiner Luther-Bibel schuf er auch ein gewaltiges didaktisches Bildprogramm, umgesetzt von niemand Geringerem als dem Maler Lucas Cranach. „Luther setzte Bilder gezielt als didaktisches Mittel ein, um die Botschaft des Evangeliums zu vertiefen“, sagt Ludwig. Bilder dienten aber auch der Propaganda, etwa zur Diffamierung des Papstes, Luthers Lieblingsfeindes.
Die Ausstellung zieht Parallelen und Linien vom 16. Jahrhundert bis zu unserer Zeit der Cloud. Sie zeigt, wie spätere Generationen Gegensatzpaare wie Kain und Abel oder etwa die schöne Judith, die den Heiden Holofernes köpfen ließ, sahen. All das natürlich mit Originaldokumenten und -Stichen, Luther-Bibeln und modernen Projektionen. „Welche Bildtraditionen begründeten die Bilder in der Luther-Bibel, und welche Interpretationen finden sich heute noch in der Cloud?“, beschreibt Ludwig den Ansatz. Und so findet sich das Motiv des kleinen David, der den übermächtigen Goliath besiegt heute in Manga-Comics wieder, wo dem Underdog praktisch automatisch die Liebe des Lesers zufliegt.
Die Ausstellung will denn auch selbst zu Vergleichen ermuntern – bei der Frage „Freund oder Feind“ fällt uns da einiges zu ein… Aber Ihr sollt ja selbst denken, also geht auch selbst in die Ausstellung 😉
Kulturdezernentin Marianne Grosse (SPD) verriet übrigens am Rande der Vernissage im Gutenberg Museum, dass just an diesem Tage die zweite Preisrichtertagung zum Ideenwettbewerb zur Neugestaltung des Gutenberg Museums getagt hatte. 48 Bewerbungen zum Teil namhafter Büros seien eingegangen, verriet Grosse Mainz&, 31 wurden nun von der Jury zur nächsten Stufe des Wettbewerbs zugelassen. Diese haben jetzt Zeit, Entwürfe und Modelle zu fertigen, im November dann tagt das Preisgericht. Dann dürfen zehn Büros in den Realisierungsteil gehen – der Sieger soll im Februar 2016 feststehen. Mehr zum geplanten Neubau des Gutenberg Museums findet Ihr in dem Mainz&-Artikel „Frischzellenkur fürs Gutenberg Museum.
Info& auf Mainz&: Die Ausstellung „Kampf dem Todsündentier: Freund und Feind“ könnt Ihr vom 26. August bis zum 29. November 2015 im Gutenberg Museum in Mainz sehen Sie ist die 2. Sonderausstellung im Rahmen der großen Ausstellung „Am 8. Tag schuf Gott die Cloud, Die Reformation als Medienereignis in Text und Bild.“ Alle Infos zu Öffnungszeiten und Preisen hier.