„Trabert for Bundespräsident“: Erst kandidierte er für die Linke für den Bundestag, nun nominiert ihn die Partei gleich für das höchste Amt im deutschen Staat: Gerhard Trabert, Mainzer Sozialmediziner, tritt für die Linke am 13. Februar zur Wahl des Bundespräsidenten an. Eine Chance hat Trabert nicht, die Mehrheit für die Wiederwahl von Amtsinhaber Frank Walter Steinmeier steht bereits fest. Trabert will dennoch kandidieren – um Aufmerksamkeit auf den Kampf gegen Ungerechtigkeit und Benachteiligung und gegen Armut und Ausgrenzung zu lenken. Was den Mainzer “Straßen-Doc” bewegt, was ihn antreibt, wer er ist.

Der Sozialmediziner Gerhard Trabert tritt als Kandidat der Linken zur Wahl des Bundespräsidenten an. - Foto: Trabert
Der Sozialmediziner Gerhard Trabert tritt als Kandidat der Linken zur Wahl des Bundespräsidenten an. – Foto: Trabert

Es ist ein Paukenschlag, und katapultiert den Mainzer Arzt und Sozialmediziner Gerhard Trabert plötzlich auf die allerhöchste deutsche Politikebene: Die Linke machte den 65-Jährigen am Montag zu ihrem Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten. Es ist schon Tradition, dass die Linke einen eigenen Kandidaten für das höchste Amt im Staat aufstellt – 2017 nominierte sie etwa den Armutsforscher Christoph Butterwegge für das Amt des Bundespräsidenten. In diesem Jahr schien es so, als sollte Frank Walter Steinmeier konkurrenzlos in die Bundesversammlung geschickt werden, die den Bundespräsidenten wählt: Für die Wiederwahl des SPD-Politikers sprachen sich zuletzt nicht nur SPD und FDP, sondern auch Grüne, CDU und CSU aus.

Steinmeier hat sich vor allem während der Corona-Pandemie hohe Renommé erworben: Der Bundespräsident fand die richtigen Worte zur richtigen Zeit, redete durchaus auch der Regierung ins Gewissen, mahnte zu Zusammenhalt und organisierte die bislang einzige Gedenkfeier für die Toten der Corona-Pandemie in Deutschland. Dennoch entschloss man sich bei der Linken nun, einen Gegenkandidaten ins Rennen zu schicken: Die Regierungsparteien kämen „ihrer Verantwortung gegenüber sozial benachteiligten Menschen immer weniger nach“, das zeige sich gerade in der Corona-Pandemie, kritisiert die Linke auf ihrer Homepage, die Distanz zwischen etablierter Politik und den Ärmsten der Gesellschaft werde immer größer.

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Wahlplakat von Gerhard Trabert bei der Bundestagswahl 2021. - Foto: gik
Wahlplakat von Gerhard Trabert bei der Bundestagswahl 2021. – Foto: gik

Mit Gerhard Trabert sei man sich sicher, „dass wir einen überzeugenden Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten haben“, betonte die Linke am Montag nach ihrem Beschluss für Trabert im Bundesvorstand, und schreibt auf ihrer Homepage: „Gerhard Trabert steht für eine Gesellschaft der Solidarität und der Mitmenschlichkeit, in der jede und jeder in Würde leben kann.“ Trabert sei „ein Mann der Tat mit großem Herz“, der helfe, wo er gebraucht werde. Man wolle als Linke ein eigenes personelles Angebot bei der Wahl des Bundespräsidenten machen, heißt es in einem Schreiben des Linken-Bundesvorstands an die eigene Partei: „Einen Kandidaten, der für soziale Gerechtigkeit und internationale Solidarität steht.“

Es ist nun schon das zweite Mal, dass Trabert für die Linke für ein politisches Amt antritt: 2021 kandidierte der Sozialmediziner als Direktkandidat für die Linke in Mainz. „Gerhard Trabert redet nicht nur von sozialer Gerechtigkeit, er lebt sie auch“, begründete der Mainzer Linken-Chef Tupac Orellana im Mai 2021 den Schritt seiner Partei. Trabert sei eben kein klassischer Politiker, er genieße parteiübergreifend großen Respekt und große Akzeptanz. Trabert – obwohl parteilos – nahm die Nominierung an: Er sehe darin eine Chance, Aufmerksamkeit auf seine Themen zu lenken, sagte er. Er fühle sich den Menschen, „für die ich mich engagiere, verpflichtet, diesen Schritt zu gehen“ und wolle deutlich machen, was aus seiner Sicht und aus Sicht der Linken in diesem Land falsch laufe.

Gerhard Trabert 2019 mit seinem rollen Arztmobil in Mainz. - Foto: gik
Gerhard Trabert 2019 mit seinem rollen Arztmobil in Mainz. – Foto: gik

In Mainz gehört Trabert zu den bekanntesten und wohl auch geachtesten Persönlichkeiten: Seit 25 Jahren engagiert er sich für die Ärmsten der Armen, fährt bis heute als Arzt mit seiner rollenden Ambulanz zur Versorgung von Wohnungslosen kreuz und quer durch die Stadt. „Der Straßen-Doc“ nennen sie ihn hier, so heißt auch Traberts 2019 erschienenes Buch, in dem er die Geschichte der rollenden Ambulanz erzählt, aber auch Geschichten von Obdachlosen und anderen Benachteiligten, und indem Trabert Strukturen von Armut und Ausgrenzung aufzeigt.  Ausgezeichnet wurde er bereits mit dem Bundesverdienstkreuz und 2021 mit dem Mainzer Medienpreis, 2019 wurde er zum „Hochschullehrer des Jahres“ gewählt.

Trabert ist gebürtiger Mainzer, er wuchs quasi in einem Waisenhaus auf – sein Vater war dort Erzieher. Die Ungerechtigkeit und sozialen Unterschiede prägten Trabert tief, er studierte zunächst Sozialarbeit, dann Medizin und arbeitete mehrere Jahre in einer Klinik in Alzey. In Indien hatte Trabert als junger Arzt in einer Leprastation gearbeitet und das Konzept des „Medical Streetworks“ erlebt: „Ich habe dort erlebt, dass man hinaus in die Community geht, die Menschen aufsucht“, erzählte Trabert einmal Mainz&: „Da habe ich gesagt: Okay, wenn der Patient nicht zum Arzt kommt, kommt der Arzt eben zum Patienten.“

Gerhard Trabert bei der Versorgung eines Obdachlosen auf den Straßen in Mainz 2019. - Foto: gik
Gerhard Trabert bei der Versorgung eines Obdachlosen auf den Straßen in Mainz 2019. – Foto: gik

Der Satz wurde zum Lebensmotto des heute 66-Jährigen. Zurück in Deutschland entwickelte Trabert ein eigenes Modell aufsuchender Gesundheitsfürsorge, „Mainzer Modell“ nannte er es – es war die Idee einer mobilen Arzt-Ambulanz. Einfach war die Umsetzung nicht, Trabert traf auf hilfreiche Behörden und auf viel Skepsis seines eigenen Berufsstandes: Er dürfe doch nicht als Arzt umherziehen und seine Dienste anbieten wie ein Quacksalber im Mittelalter, bekam er zu hören. Bei der Umsetzung half letztlich Phil Collins: 1997 spendete der Sänger 200.000 D-Mark aus den Einnahmen seines Megahits „Another Day in Paradise“ an die deutsche Caritas, mit der Auflage, das Geld für die medizinische Versorgung von wohnungslosen Menschen einzusetzen.

Trabert hörte davon, stellte umgehend einen Antrag – von den 20.000 D-Mark kaufte er das erste Arztmobil, und gründete noch 1997 seinen Verein „Armut und Gesundheit“. Der Verein betreibt die Obdachlosen-Ambulanz auf der Mainzer Zitadelle und das rollende Arztmobil, 15.000 Euro finanziert der Verein pro Jahr an Medikamenten, die kostenlos an Bedürftige abgegeben werden. Längst kommende zur Ambulanz auf der Zitadelle nicht mehr nur Wohnsitzlose: Auch Flüchtlinge und Menschen, die ihre Krankenkasse nicht mehr bezahlen können, werden hier versorgt.

Gerhard Trabert nach dem Brand des Flüchtlingslagers Moria aus Lesbos. - Foto: Trabert
Gerhard Trabert nach dem Brand des Flüchtlingslagers Moria aus Lesbos. – Foto: Trabert

Traberts Aktionskreis ist ohnehin nie auf Mainz beschränkt gewesen: Seit Jahren reist der Mainzer in die Krisengebiete und Flüchtlingscamps der Welt, um dort bei der medizinischen Erstversorgung zu helfen. Mit der „Sea Watch“ fuhr er bereits mehrfach im Mittelmeer zur Hilfseinsätzen bei der Rettung von Flüchtlingen, als einer der ersten Ärzte war er im September 2020 in Lesbos und berichtete schockiert von den Zuständen nach dem Brand des Flüchtlingslager Moria. Bis heute hilft Trabert vor allem behinderten Flüchtlingen auf Lesbos mit Medikamenten, medizinischen Prothesen und Hilfe aller Art, er kämpft für die Evakuierung der Menschen, macht auf das Leid aufmerksam und organisiert konkrete Unterstützung.

Es gehe ihm darum, wie die Gesellschaft mit sozialer Ungerechtigkeit und sozialer Benachteiligung umgehe, mit Armut, Wohnungslosigkeit und geflüchteten Menschen, sagte Trabert im Mai 2021 – da hatte ihn die Mainzer Linke gerade als Direktkandidat für den Deutschen Bundestag nominiert. Es folgte eine viel beachtete Bundestagskampagne, am Ende kam Trabert „nur“ auf 12,7 Prozent – für ihn enttäuschend, für die Linke indes das beste Erststimmenergebnis im Westen. Es war ein Wahlkampf, in dem Obdachlose in Mainz für „ihren Doc“ Werbung machten, Plakate und Flyer verteilten – zum ersten Mal engagierten sich Wohnungslose in diesem Maße für einen politischen Kandidaten.

Gerhard Trabert in der Mainzer Altstadt, Profilbild seines Facebook-Accounts. - Foto: Trabert
Gerhard Trabert in der Mainzer Altstadt, Profilbild seines Facebook-Accounts. – Foto: Trabert

Nun also tritt Trabert für das höchste Amt im deutschen Staat an – und das, obwohl er keinerlei Chance hat. „Meine Kandidatur richtet sich nicht gegen jemanden, sondern für etwas“, schreibt Trabert am Montag auf seiner Homepage: „Ich möchte die Kandidatur nutzen, um auf die Armut und soziale Ungerechtigkeit in diesem Land hinzuweisen, und um als Fürsprecher von Menschen aufzutreten, die zu wenig gehört werden.“ Armut mache krank, Krankheit mache arm – seit Jahrzehnten sei es sein wichtigstes Anliegen, diesen Missstand in die Öffentlichkeit zu tragen, heißt es auf der Homepage weiter. Die Kandidatur zum Amt des Bundespräsidenten ist für den Mainzer eine weitere Chance, sich für eine sozial gerechtere Gesellschaft einzusetzen.

Info& auf Mainz&: Mehr zu Gerhard Trabert haben wir unter anderem 2021 zur Verleihung des Mainzer Medienpreises hier aufgeschrieben, ein Porträt von Gerhard Trabert, dem „Straßen-Doc“, zum 25-jährigen Bestehen seiner rollenden Arztambulanz lest Ihr hier bei Mainz&. Traberts Homepage findet Ihr hier im Internet.

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