Wer trägt die Verantwortung für die erlaubte Unterkellerung des TRON-Forschungsbaus in der Mainzer Oberstadt? Die Frage ist nicht banal, denn durch die Unterkellerung werden die römischen Funde auf dem Gelände unwiderruflich zerstört. Die auf dem Gelände gemachten Funde wurden aber von Archäologen erst kürzlich als „Sensationsfunde“ eingestuft, die Linke wollte deshalb nun im Mainzer Stadtrat wissen, warum auf die Unterkellerung nicht verzichtet wurde? Mainz& Recherchen zeigen: Stadt Mainz und Land Rheinland-Pfalz schieben sich dafür gegenseitig die Verantwortung zu – obwohl man bereits seit 2021 vom Bauvorhaben samt zu erwartender Funde wusste.
Anfang April 2024 war mit einem feierlichen Spatenstich der Startschuss für ein Groß-Bauvorhaben in der Mainzer Oberstadt gegeben worden: Auf dem Gelände der Mainzer Universitätsmedizin soll an der Ecke Obere Zahlbacher Straße / Am Römerlager bis Mitte 2027 ein sechsstöckiges Labor- und Bürogebäude für das Forschungszentrum TRON entstehen, das vor allem der Krebsforschung gewidmet ist. TRON wurde von den Biontech-Chefs und Mainzer Ehrenbürgern Ugur Sahin und Özlem Türeci sowie ihrem Mitstreiter Christoph Huber gegründet, beteiligt sind auch das Land Rheinland-Pfalz, die Johannes Gutenberg-Universität Mainz und die Universitätsmedizin Mainz.
Das Baufeld aber ist historischer Boden: Hier stand einmal die zivile Vorstadt, die sich rund um das römische Militärlager auf dem Kästrich erstreckte – und diese „Cannabae“ war in Mainz bislang nicht grundlegend erforscht worden. Ende August stellten dann Bauträger, Land und Landesarchäologie die ersten Funde vor, und die wurden von den Experten als „Sensationsfunde“ eingeschätzt. Denn auf dem Baufeld finden sich gleich reihenweise Gebäude aus der Antike, Reste von Fußbodenheizungen, Fabriken und Schankwirtschaften, dazu eine besonders ungewöhnliche Grabkammer samt Stele.
Sensationsfund einer römischen Grabanlage samt Stele
Eine Grabanlage mit einer Stele so dicht vor dem Legionslager sei „etwas Herausragendes, Außergewöhnliches“, schwärmte Ulrich Himmelmann von der Landesarchäologie bei der Vorstellung der Funde. Wer hier aber begraben worden sei, sei noch völlig unklar, weitere Erforschungen dringend notwendig. Das Problem dabei: Die Archäologen arbeiten in der Baugrube unter ungewöhnlich hohem Zeitdruck, dazu können die Funde vor Ort nicht erhalten werden, weil das Forschungsgebäude unterkellert wird – die Unsichtbare Römergarde hatte das bereits deutlich kritisiert.
Nun wollte die Linksfraktion im Mainzer Stadtrat von der Verwaltung wissen: Wenn doch die Funde solch eine Sensation seien, wieso wurde dann „auf die Unterkellerung nicht verzichtet, um die Beschädigung zu erwartender Funde zu verhindern?“ Wer habe dieses Vorgehen genehmigt, und wie habe die Verwaltung „darauf hingewirkt, eine Beschädigung zu erwartender Funde zu verhindern?“ Ferner wollte Linken-Stadtrat Martin Malcherek wissen, ob die Verwaltung „nach Bekanntwerden der so genannten Sensationsfunde Schritte unternommen, um die Ausgrabungszeit zu verlängern oder die Unterkellerung nachträglich zu verhindern?“
In ihrer Antwort weist Baudezernentin Marianne Grosse (SPD) indes die Verantwortung von sich: Die Entscheidung, ob es sich bei den Funden und Befunden um Kulturdenkmäler im Sinne des Denkmalschutzgesetzes handele, werde von der Landesarchäologie getroffen, antwortete Grosse – und die Landesarchäologie habe „keine Bedenken oder Anregungen“ in Bezug auf die Unterkellerung geäußert. „Es obliegt der Beurteilung der Landesarchäologie, anhand des Fundkatasters zu einem frühen Zeitpunkt von Planungen auf gegebenenfalls erforderliche Planänderungen hinzuweisen“, so die Antwort aus dem Bau- und Kulturdezernat weiter.
Stadt verweist auf Land, Land verweist auf Bauamt der Stadt
Doch das ist nur die Hälfte der Wahrheit, denn für die Genehmigung des Bauvorhabens ist die Stadt Mainz zuständig. Darauf verwies denn auch das rheinland-pfälzische Innenministerium, zuständig für die Generaldirektion Kulturelles Erbe (GDKE), in seiner Antwort auf eine Anfrage von Mainz&. Auf die Frage, warum auf dem TRON-Baufeld eine tiefe Unterkellerung trotz der zu erwartenden Römerfunde genehmigt wurde, hieß es von Seiten des Landes: Zuständig dafür sei die Stadt Mainz.
„Die Baugenehmigung sowie alle zugehörigen denkmalrechtlichen Genehmigungen für die TRON-Baumaßnahme wurden von der hier zuständigen Stadt Mainz – Bauamt – erteilt“, antwortete eine Sprecherin des Innenministeriums auf Mainz&-Anfrage. Die GDKE sei „regulär an den Genehmigungsverfahren beteiligt“ gewesen und habe „hierzu Stellung genommen“. Seitens der Denkmalfachbehörde sei dabei aber der Unterkellerung des Neubaus nicht widersprochen worden, „da das Grundstück bereits zuvor in weiten Teilen bebaut und ebenfalls unterkellert war“, so das Ministerium weiter.
Allerdings sind seit dem Spatenstich auf dem Gelände umfangreiche Erdarbeiten vorgenommen worden, graben sich Bagger derzeit tief in das Erdreich – und legen dabei zahlreiche Mauerreste und Bodenschätze frei, die vorher offensichtlich unberührt und vor allem auch unbekannt waren. Dass die Experten derweil genau wussten, dass auf dem Gelände Spannendes und wissenschaftlich Wertvolles zu erwarten war, dokumentiert die Antwort im Mainzer Stadtrat ebenfalls genau: Bereits im November 2021 gab es demnach eine erste Videokonferenz zu dem Bauvorhaben zwischen „dem Bauherrn mit seiner Rechtsvertretung mit Vertretern des Bauamtes“, wie Grosse weiter mitteilt.
Bereits 2021 Fundkartierung der Landesarchäologen zu TRON
Ebenfalls mit in der Videokonferenz: Die untere Denkmalschutzbehörde, die bei der Stadt Mainz angesiedelt ist – und die habe bereits damals „umfassend über die betroffenen denkmalschutzrechtlichen Belange sowie die zu erwartenden Funde in dem ausgewiesenen Grabungsschutzgebiet „Altstadt- Römisches Kastell“ informiert. Im Anschluss habe der Bauherr direkten Kontakt mit den Landesarchäologen aufgenommen, bereits damals sei „eine Fundkartierung der Landesarchäologie zur Vorbereitung der Grabungen“ erfolgt, so die Stadt Mainz weiter.
Damit ist klar: Bereits Ende 2021 war allen Beteiligten vollkommen klar, dass hier ein Bauvorhaben in einem höchst sensiblen archäologischen Gelände stattfinden würde. Warum dann aber die Stadt Mainz nicht darauf drängte, bei der Bauplanung die Funde zu berücksichtigen, gar den Verzicht auf eine Unterkellerung verfügte – darauf gibt Baudezernentin Grosse keine Antwort. Möglich wäre das gewesen: Für den neuen Biotech-Campus an der Saarstraße wurde ein solcher Verzicht auf eine Unterkellerung verfügt – mit dem Argument: Dort seien römische Funde zu erwarten.
Nach Mainz&-Informationen gehen Experten davon aus, dass es entlang der Saarstraße womöglich Reste eines römischen Landgutes geben könnte, die Dimension wäre damit in keinster Weise mit den Funden in der Mainzer Oberstadt vergleichbar: In der quirligen Vorstadt zum römischen Legionslager gab es über 500 Jahre hinweg dichteste Bebauung mit Wohnen und Gewerbe. Trotzdem sah bereits die Bauvoranfrage für das TRON-Gebäude im Jahr 2022 eine Unterkellerung vor, wie Grosse nun mitteilte – Einspruch erhob die Stadt Mainz dagegen aber offenbar nicht.
Stadt Mainz erfährt von archäologischen Funden „aus der Presse“
Beim Land heißt es: Den Belangen der Denkmalfachbehörde sei „mit den denkmalrechtlichen Genehmigungen der Stadt Mainz – Bauamt, Abteilung Denkmalpflege – entsprochen“ worden. Im Klartext: Die Baugenehmigung kam von der Stadt, die dabei auch die Denkmalschutzbelange berücksichtigen musste. Von Seiten der Landesarchäologen seien „keine Bedenken oder Anregungen im Hinblick auf eine Änderung der Planung geäußert“ worden, verteidigt sich wiederum Grosse.
Es sei aber Aufgabe Landesarchäologie, „anhand des Fundkatasters zu einem frühen Zeitpunkt von Planungen auf gegebenenfalls erforderliche Planänderungen hinzuweisen“, das sei seit Jahrzehnten die übliche Praxis mit der Landesarchäologie gewesen. Zudem werde die Stadt Mainz wegen fehlender Zuständigkeit über Funde und Befunde bei Grabungen der Landesarchäologie nicht regelmäßig informiert, „und erfährt von deren Aufdeckung oft nur über die Tagespresse“, wie Grosse weiter mitteilte.
Zudem sei im Fall der TRON-Baustelle zwischen der Landesarchäologie und dem Bauherrn 2023 „ein sogenannter Investorenvertrag geschlossen“ worden, der die Grabung vertraglich regele. „Die Regelungsinhalte sind der unteren Denkmalschutzbehörde, die kein Vertragspartner ist, nicht bekannt“, teilte Grosse weiter mit. Das würde bedeuten: Die Stadt Mainz ist als untere Denkmalschutzbehörde zwar für die bauliche Genehmigung zuständig, wird aber über die historischen Funde in ihrer eigenen Stadt gar nicht auf dem Laufenden gehalten – ein mindestens mal überraschendes Vorgehen.
Nach der öffentlichen Vorstellung der Funde sah man allerdings bei der Stadt offenbar auch keine Veranlassung, einzuschreiten und sich für mehr Zeit für die Archäologen zu engagieren: Auf die Frage Malchereks, ob sich die Verwaltung dafür eingesetzt habe, die Grabungszeit für die Archäologen zu verlängern, antwortete Grosse: „Die Planung der Ressourcen der Landesarchäologie für Grabungen wird ausschließlich von dieser Behörde geplant und verantwortet.“ Das Nachsehen haben die römischen Funde: Sie werden nach ihrer Dokumentation durch die Archäologen unwiederbringlich vernichtet.
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