Der Wahlkampf zur Oberbürgermeisterwahl läuft, und die Kandidaten müssen sich zahlreichen Themen stellen: Verkehr, Soziales, Biotechnologie – weil dieses Mal kein Amtsinhaber zur Wahl steht, werden die Kandidaten bei dieser Wahl auf Herz und Nieren geprüft. Nun wollen auch die Fluglärm-Initiativen wissen: Wie halten es die Kandidaten mit dem Schutz vor Fluglärm und Ultrafeinstaub? „Wie wollen Sie konkret die betroffenen Menschen vor den genannten Belastungen schützen“, fragt ein Zusammenschluss von Fluglärm-Initiativen aus Mainz und dem Landkreis Mainz-Bingen.
Das Thema Fluglärm war in den vergangenen zwei Jahren massiv in den Hintergrund getreten – die Corona-Pandemie legt Anfang 2020 den Flugverkehr weltweit praktisch lahm. In Frankfurt brachen zeitweise gar mehr als 90 Prozent der Flüge weg, die Nordwestlandebahn wurde zum Flieger-Parkplatz. Der positive Nebeneffekt: Erstmals seit Jahren erlebten die Anwohner um den Flughafen einen Sommer praktisch ohne Fluglärm – und einen tiefdunkelblauen Himmel, an dem deutlich weniger Schadstoffe unterwegs waren.
Das ist vorbei: Mit dem Sommer 2022 kehrte der Flugbetrieb wieder zu alten Mengen zurück: Die Menschen wollten nach der Corona-Pause in den entbehrten Urlaub und zu Verwandten, es wurde (fast) wieder geflogen, als hätte es Pandemie und Energiekrise nie gegeben – dazu kam der Krieg in der Ukraine. Dem südlichen Mainz bescherte das indes wieder Fluglärmwerte, die gefühlt zumindest sogar über das Vor-Pandemie-Niveau hinausgingen. Politisch aber ist das Thema Fluglärm nahezu nicht vorhanden: Der Kampf gegen Fluglärm werde von der Politik inzwischen „sträflich vernachlässigt“, klagten Bürgerinitiativen etwa in diesem April.
Positionen der OB-Kandidaten zu Fluglärm und Feinstaub gefragt
Das will nun ein Bündnis von Fluglärm-Initiativen aus Mainz und dem Landkreis Mainz-Bingen wieder ändern: Unter dem Titel „Lerchenberger Koordinierung“ haben sich mehrere Initiativen gegen Fluglärm aus Rheinhessen und Mainz zusammengeschlossen, darunter auch der bereits seit 20 Jahren existierende „Arbeitskreis Fluglärm Hechtsheim.“ Schwerpunkte der „Koordinierungs“-Arbeit seien „die gesundheitsgefährdenden Belastungen aus dem Luftverkehr, deren Dimension und Tragweite vielen überhaupt nicht bewusst sind“, heißt es in einem Schreiben, das nun an alle Mainzer OB-Kandidaten ging.
„Wir wollen die Positionen der Kandidaten zum Thema Fluglärm wissen, und was sie konkret zu den Themen Fluglärm, Feinstaub und Schutz der Bevölkerung tun wollen“, sagte Joachim Alt, Mainzer Fluglärmexperte und Mitglied des AK Fluglärm Hechtsheim, im Gespräch mit Mainz&. Der Fluglärm habe wieder enorm zugenommen, der Frankfurter Flughafen wolle „zurück zu alter Stärke“ – aber die Stadt Mainz habe sich aus dem Thema Fluglärmbekämpfung „vollkommen rausgezogen“, kritisierte Alt.
„Fraport jubiliert über 50 Millionen Fluggästen in 2022, das sind 70 Prozent des Rekordjahres 2019“, r4echnete Alt vor: Im Sommer 2023 sollten die Zahlen bereits wieder wie vor der Pandemie liegen. Für die unter den An- und Abflugrouten lebenden Mainzer sei das „eine schlechte Nachricht“, betont Alt: Für sie werde es „mindestens so laut wie vor der Pandemie“, dazu komme die erhebliche Abgasbelastung aus den Triebwerken und die Gesundheitsgefährdung durch den Fluglärm. Gleichzeitig gebe es aber „überhaupt keinen erkennbaren Plan, die Belastungen für die Menschen zu verhindern“, kritisierte Alt weiter.
Tatsächlich waren gerade kurz vor den Pandemie mehrere Studien durchgeführt worden, nach denen Fluglärm, aber auch Ultrafeinstaubpartikel (UFP) Gefäße im Körper sowie Herz und Kreislauf massiv schädigen kann, besonders der Mainzer Kardiologe Thomas Münzel hatte hier intensiv geforscht. Alt selbst hatte mit seinem Partner Wolfgang Schwämmlein wiederum durch Messungen nachgewiesen, dass die Belastung durch den giftigen Ultrafeinstaub rund im den Flughafen ein echte Gefahrenquelle darstellt.
2021 habe das Umweltbundesamt in der Umgebung und unter den Endanflug- und Startflugrouten von Fraport hohe Ultrafeinstaubimmissionen bestätigt, heißt es nun in dem Schreiben an die OB-Kandidaten: „Ultrafeinstäube sind aufgrund ihrer Lungengängigkeit erheblich gesundheitsgefährdend. Obwohl auch im Mainzer Süden erhöhte Ultra-Feinstaubkonzentrationen mit privaten Geräten gemessen wurden, ist die Stadt offensichtlich nicht mehr an einer amtlichen Verifizierung der Messdaten interessiert. Das muss sich ändern“, heißt es in dem Schreiben weiter.
In der Tat: Noch im Dezember 2019 hatte Katrin Eder (Grüne), damals Umweltdezernentin in Mainz und zuständig für den Kampf gegen Fluglärm, Messgeräte für Ultrafeinstaub im Mainzer Stadtgebiet gefordert – bislang werden UFP-Werte nur auf der hessischen Seite, etwa in Raunheim, gemessen. Eder selbst hatte im September 2019 deshalb gefordert, auch Rheinland-Pfalz müsse messen, „was in Mainz ankommt“ – ihre Parteikollegin, die damalige Umweltministerin Ulrike Höfken verweigerte das jedoch mehrfach.
Fluglärm und UFP in der Mainzer Stadtspitze kein Thema mehr
Seit dem 15. Dezember 2021 ist Eder nun Klimaschutzministerin von Rheinland-Pfalz, und zuständig für den Fluglärmschutz – seither sind die Ultrafeinstaub-Messungen in Mainz kein Thema mehr für die Ministerin. Als Dezernentin verwies Eder damals auf die Zuständigkeit des Landes, ihre Vorgängerin Höfken wiederum behauptete, „nicht aussagekräftige Messungen alleine stellen keine Vorsorgemaßnahmen dar“ – und verwies auf Bund und EU.
Gleichzeitig startete das Nachbarland Hessen intensive Messreihen zum Thema Ultrafeinstaub, und stellte dabei fest: Die Flugzeugtriebwerke stießen in der Tat „bei der Abfertigung, beim Starten, Landen und Rollen erhebliche Mengen an Ultrafeinstaubpartikeln aus“, wie der hessische Verkehrsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) im August 2019 feststellte – und räumte erstmals ein: Das sei auch ein größeres Problem beim Starten und Landen der Flugzeuge.
„Von der Mainzer Stadtspitze, erste Ansprechpartnerin für die Bürger, werden die vom Flugverkehr verursachten Immissionsbelastungen, Lärm und Luftverunreinigungen, nur noch beiläufig angesprochen und rein verwaltungstechnisch abgetan“, klagt Alt. Das einst wichtige politische Anliegen sei „zu einem rein behördlich abzuarbeitenden Vorgang herabgestuft“ worden, von den früheren politischen Impulsen in Gremien wie der Fluglärmkommission oder der Zukunftsinitiative RheinMain zur Reduzierung der Immissionsbelastungen sei nichts mehr übrig.
Gesetzliche Grenzwerte lägen derweil beim Fluglärm um ein Vielfaches höher als die Empfehlungen der Welt-Gesundheits-Organisation WHO – und in Sachen Ultrafeinstaub gebe es nicht einmal welche. Die Neuwahl des Mainzer Oberbürgermeisters biete nun die Chance, „den Schutz der Bürger in der Region vor den schädlichen Emissionen des Luftverkehrs wieder in den politischen Fokus zu rücken“, betont Alt – deshalb der Brief.
Die Kandidaten seien nun aufgefordert, bis Anfang Januar 2023 ihre Positionen und politischen Handlungsvisionen zum Klima-, Umwelt- und Lärmschutz im Luftverkehr öffentlich darzulegen. „Die Mainzer haben das Recht, die Strategien zur Verringerung klimaschädlicher Gase und gesundheitsgefährdender Immissionen, sowie zur Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm zu erfahren“, fügte Alt hinzu. Die Antworten wolle man veröffentlichen.
Info& auf Mainz&: Ausführliche Berichte zum Thema Streit um Ultrafeinstaub-Messgeräte in Mainz lest Ihr hier auf Mainz&, die Zwischenbilanz zum Thema Ultrafeinstaub rund um den Frankfurter Flughafen aus Hessen findet ihr hier.