Nach der Vorstellung des neuen Koalitionsvertrags der Ampel-Fraktionen im Mainzer Stadtrat kommt nun ungewöhnlich scharfe Kritik aus Wiesbaden: „Wir brauchen eine weitere Rheinbrücke“, sagte Stadtentwicklungsdezernent Hans-Martin Kessler (CDU) am Donnerstag – und übte scharfe Kritik an dem Koalitionswerk. Er könne den Ausschluss einer Autobrücke „nicht nachvollziehen“, das Vorgehen finde er „befremdlich, fast schon skandalös“: „Wieder einmal werden auf Mainzer Seite ohne Abstimmung mit der Stadt Wiesbaden und trotz anderslautender Beschlüsse Fakten geschaffen, deren Auswirkungen weit über das Mainzer Stadtgebiet hinausgehen“, schimpfte Kessler. Das sei „eine schwere Belastung“ für die künftige Zusammenarbeit beider Städte.
Das Vorgehen des Dezernenten ist ausgesprochen ungewöhnlich, normalerweise äußern sich Nachbarstädte nicht zu Koalitionsverträgen anderer Kommunen. Dass Kessler nun in dieser Weise das Wort ergreift, und vor allem auch der Nachbarstadt Mainz eine Tendenz zu Alleingängen vorwirft, ist ein bislang einmaliger Vorgang. Die Mainzer Stadtratsfraktionen von Grünen, SPD und FDP hatten am Montag ihren Entwurf für einen neuen Koalitionsvertrag vorgelegt, der deutliche Schwerpunkte auf Ökologie, Verkehrswende und Straßenbahnausbau legt. Gleichzeitig sieht der Koalitionsvertrag aber auch eine klare Absage an eine weitere Rheinbrücke vor: Eine zusätzliche Brücke sei höchstens für den ÖPNV oder für Fußgänger und Radverkehr denkbar – eine Autobrücke werde strikt abgelehnt.
Damit setzten sich vor allem die Grünen mit ihrer strikten Ablehnung jeglicher weiterer Brücken durch – SPD und FDP tragen das aber offenbar mit. Besonders die FDP hatte im Wahlkampf für weitere Rheinbrücken geworben, davon war nun nichts mehr zu hören. In Wiesbaden stieß das offenbar ausgesprochen übel auf: „Das Vorgehen finde ich befremdlich, fast schon skandalös“, kritisierte Stadtentwicklungsdezernent Kessler wörtlich: „Wieder einmal werden auf Mainzer Seite ohne Abstimmung mit der Stadt Wiesbaden und trotz anderslautender Beschlüsse in Mainz, Wiesbaden und im gemeinsamen Städteausschuss Mainz/Wiesbaden Fakten geschaffen, deren Auswirkungen weit über das Mainzer Stadtgebiet hinausgehen.“
Kessler betonte zudem, er könne die Mainzer Vorfestlegung und den Nutzungsausschluss für Autos überhaupt nicht nachvollziehen, schließlich lägen noch nicht einmal die Ergebnisse der derzeit laufenden verkehrstechnischen Untersuchungen vor, mit denen die konkreten verkehrlichen Auswirkungen analysiert würden. Wiesbaden hatte 2019 Voruntersuchungen für eine zusätzliche Rheinbrücke zwischen den beiden Städten vorangetrieben und eine Standortuntersuchung sowie Verkehrsplanungen eingeleitet. Die Hessen dringen gleich aus mehreren Gründen auf eine neue Brücke: Stark gestiegene Pendlerströme, der Kollaps der Schiersteiner Brücke vor vier Jahren, dazu die Pläne für eine Citybahn zwischen Mainz und Wiesbaden, die zusätzlich über die Theodor-Heuss-Brücke rollen soll. Kritiker befürchten, das könne die einzige Straßenbrücke zwischen den beiden Städten, die keine Autobahnbrücke ist, völlig überfordern.
Unklar ist bislang auch noch, ob die denkmalgeschützte Eisenkonstruktion tatsächlich die zusätzlichen Belastungen durch die Citybahn aushalten kann – Gutachten forderten, die Brücke müsse dafür „ertüchtigt“ werden. Dazu plant Wiesbaden eine erhebliche Ausweitung von Wohn- und Gewerbegebieten in Mainz-Kastel und Mainz-Kostheim, etwa den neuen Stadtteil bei Erbenheim, aber auch neue Baugebiete zwischen Mainz-Kostheim und Mainz-Amöneburg sowie auf alten Militärliegenschaften. Damit könnte die Einwohnerzahl der rechtsrheinischen Stadtteile vor Mainz in den kommenden Jahren geradezu explodieren – das würde erheblich zusätzlichen Druck auf die Rheinbrücke mit sich bringen.
Kessler kritisierte nun, die Mainzer Seite treffe „nicht zum ersten Mal im Alleingang Entscheidungen, die negative Auswirkungen auf die Möglichkeit einer zusätzlichen Rheinquerung haben.“ Damit spielte der Wiesbadener Dezernent etwa auf den Bau des Wohngebiets Mainzer Zollhafen an: Hier setzten die Mainzer einfach ein Wohngebiet in genau die Schneise, in der eigentlich in geltenden Flächennutzungsplänen eine Trasse für eine zusätzliche Rheinbrücke parallel zur Eisenbahnbrücke Nord vorgesehen waren. Auch beim Neubau der Schiersteiner Autobahnbrücke sei deren ursprünglich sechsspurige Planung von der Stadt Mainz sowie dem Land Rheinland-Pfalz „im laufenden Verfahren konterkariert worden“, monierte Kessler.
Der Dezernent betonte, er sehe auf stadtplanerischer Ebene durch die jüngsten Erklärungen der Mainzer Seite zur Frage einer neuen Rheinbrücke eine schwere Belastung für die Kooperation der beiden Landeshauptstädte. „Ich hätte mir gewünscht, dass unsere beiden Städte näher zusammenrücken“, kritisierte Kessler, „und ich hätte erwartet, dass wir gemeinsam nach geeigneten Lösungswegen zur Entlastung der bestehenden Rheinbrücken, insbesondere der Theodor-Heuss-Brücke, suchen, statt einseitige Festlegungen zu treffen.“
Es sei klar, dass es dringend eine weitere Rheinbrücke zwischen den beiden Stöädten brauche, unterstrich Kessler. Das hätten jüngst auch die Industrie- und Handelskammern sowie die Handwerkskammern in beiden Landeshauptstädten noch einmal bekräftigt. Die Debatte um eine Rheinbrücke hatte auch eine wichtige Rolle im Mainzer Oberbürgermeister-Wahlkampf gespielt: Während der Kandidat der CDU, der parteilose Nino Haase explizit für eine zusätzliche Rheinbrücke warb, legte sich Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) nicht recht fest: Die Diskussion über eine neue Rheinbrücke finde er „richtig und wichtig“, sagte Ebling im Interview mit Mainz&, er glaube aber nicht, „dass es eine Autobrücke sein würde, daraus würden wir keinen Vorteil ziehen.“ Die Mainzer CDU fordert schon lange eine weitere Rheinbrücke, mehr dazu lest Ihr hier bei Mainz&.
Info& auf Mainz&: Mehr zu den Planungen für eine weitere Rheinbrücke zwischen Mainz und Wiesbaden haben wir ausführlich in diesem Mainz&-Artikel aufgeschrieben, die Argumente der CDU sowie eine Haltung der FDP in Sachen Rheinbrücke und Citybahn könnt Ihr hier noch einmal nachlesen.