Es war vor gut einer Woche, als mehr als 7000 Mainzer in einer großen „Demo gegen Rechts“ auf die Straße gingen. Ein starkes Zeichen der Zivilgesellschaft gegen Rechtsextremismus und neuen Faschismus sollte es sein, zehn Redner unterstrichen die Ablehnung von rechtsextremen Ideologien, darunter auch Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD). Doch so manch Mainzer fragte sich erstaunt: Wo war eigentlich Oberbürgermeister Nino Haase (parteilos)? Mainz& erfuhr nun exklusiv: Haase durfte auf der Kundgebung nicht reden, die Organisatoren lehnten seinen Wunsch ab. Kommentar& auf Mainz&: Das ist ein Unding – und hat Mainz und dem Schulterschluss gegen Rechtsextremismus Schaden zugefügt.

Mehr als 7.000 Menschen protestierten am 19. Januar 2024 gegen Rechtsextremismus und Faschismus. - Foto: gik
Mehr als 7.000 Menschen protestierten am 19. Januar 2024 gegen Rechtsextremismus und Faschismus. – Foto: gik

Mit riesigen Demonstrationen protestieren in Deutschland gerade Hunderttausende auf den Straßen gegen rechtsextremistische Tendenzen, neuen Faschismus und die Politik der AfD. Anlass waren Enthüllungen des Recherche-Netzwerks Korrektiv über ein Geheimtreffen in Potsdam von Rechtsextremen, Unternehmern und AfD-Mitgliedern, auf dem offen über die Deportation von Migranten und unliebsamen Menschen aus Deutschland beraten wurde. Die Enthüllungen sorgten für einen kollektiven Aufschrei in Deutschland, ein breites Bündnis aus der Zivilgesellschaft heraus formiert sich gerade, ein Zeichen gegen Rechtsextremismus zu setzen.

Auch in Mainz gingen am 19. Januar mehr als 7000 Menschen auf die Straße und skandierten Parolen wie „ganz Mainz steht auf gegen den Faschismus“ – es war die größte Demonstration ihrer Art, die Mainz je gesehen hatte. Auf zwei Kundgebungen, vor dem  Hauptbahnhof und am Staatstheater, ergriffen zahlreiche Redner das Wort, um im Namen verschiedenster Gruppierungen jeglichen rechtsextremistischen Tendenzen und faschistischen Ideen eine Absage zu erteilen.

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OB Haase: Kein Rederecht auf Kundgebung gegen Rechts

Doch bei vielen Teilnehmern machte sich Verwunderung breit: Wo war eigentlich der Oberbürgermeister? Warum ergriff Nino Haase als oberster Repräsentant der Stadt nicht das Wort? War ihm das „Zeichen gegen Rechts“ am Ende gar nicht so wichtig? „Ich habe mich selbstverständlich den Veranstaltern angeboten“, sagte Haase nun auf Mainz&-Anfrage. Diese seien aber für ihre Rednerliste selbst verantwortlich – und lehnten eine Rede des Stadtoberhaupts ab.

Rede von Oberbürgermeister Nino Haase (parteilos) beim Gedenken am 27., Januar, dem Holocaust-Gedenktag in Mainz. - Foto: gik
Rede von Oberbürgermeister Nino Haase (parteilos) beim Gedenken am 27., Januar, dem Holocaust-Gedenktag in Mainz. – Foto: gik

„Man sagte mir vorab und dann auch auf der Veranstaltung, dass man sich für eine andere Rednerliste entschieden hätte, und Frau Dreyer als Politikvertretung ausreicht“, berichtete Haase weiter – er bedaure das: „Ich persönlich glaube schon, dass auf eine Demo für Demokratie das demokratisch gewählte Stadtoberhaupt als Redner gut gepasst hätte. Aber diese Entscheidung lag bei den Veranstaltern.“

Veranstalter der Demo war eine Gruppe Studierender, die sich als Freundeskreis zusammen getan hatten, um ein Zeichen gegen die rechtsextremistischen Bestrebungen setzen wollten. Ihre Initiative bekam großen Zuspruch und viel Beifall, tatsächlich gab es auch eine Liste von zehn Rednern, die zum Teil am Hauptbahnhof, zum Teil dann auf dem Gutenbergplatz vor dem Mainzer Staatstheater sprachen.

Redner vom Bistum Mainz, Landwirten, Fridays for Future

Auf der Rednerliste: Vertreter des Flüchtlingsrats Rheinland-Pfalz sowie der Flüchtlingskoordinator der Malteser, von Fridays for Future, der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft und des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), des Bistum Mainz sowie des Mainzer Vereins „Schwuguntia“, der sich für die Gleichberechtigung von queeren Lebensformen einsetzt. Als erste Rednerin sprach am Hauptbahnhof Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD), auch Haase war zu diesem Zeitpunkt auf der Kundgebung.

Vertreter des DGB durften auf der Kundgebung "Zeichen gegen rechts" das Wort ergreifen - nicht aber der Mainzer OB. - Foto: gik
Vertreter des DGB durften auf der Kundgebung „Zeichen gegen rechts“ das Wort ergreifen – nicht aber der Mainzer OB. – Foto: gik

Warum aber durfte der OB das Wort nicht ergreifen? Man habe den Raum „lieber solchen Personen einräumen wollen, die von der Hetze der AfD besonders betroffen sind oder sonst in der Gesellschaft gegen Rassismus engagiert sind“, sagte das Organisations-Team auf Mainz&-Anfrage. Man habe zur Teilnahme „natürlich auch die Parteien eingeladen und den Oberbürgermeister als Vertreter der Stadt“, bei der Einladung an Haase habe es aber zunächst ein technisches Problem gegeben, weswegen die Einladung an ihn verspätet herausgegangen sei.

Die Staatskanzlei habe sich dann schneller zurückgemeldet als Haase, man habe dann „wegen der kurzfristigen Anfrage“ des Oberbürgermeisters „keine Änderung mehr vornehmen können.“ Nach Mainz&-Informationen meldeten sich Haase und sein Büro indes gleich mehrfach bei den Organisatoren, um eine Rede des OBs anzubieten – vergeblich. „Die grundsätzliche Entscheidung, keine Vertreter von Parteien sprechen zu lassen, war für uns schon von Beginn der Planung an klar, damit wir eine möglichst breite, nicht von parteipolitischen Grenzen festgelegte Kundgebung haben“, so die Organisatoren auf Anfrage weiter.

Auch Vertreter der CDU enttäuscht über Rednerliste

Trotzdem durfte mit Malu Dreyer eine sehr herausgehobene Parteivertreterin sprechen, mit Maurice Conrad von Fridays for Future sprach zudem ein Vertreter der Grünen im Mainzer Stadtrat. Der Vorsitzende der Mainzer CDU, Thomas Gerster, zeigte sich im Gespräch mit Mainz& hingegen enttäuscht, dass er keine Rede halten konnte – Gerster und der Kreisverband der Mainzer CDU hatten ausdrücklich zu der Kundgebung aufgerufen und marschierten in vorderster Reihe des Demonstrationszuges mit.

Eine riesige Menge versammelte sich am 19. Januar vor dem Mainzer Hauptbahnhof zum "Zeichen gegen Rechts". - Foto: gik
Eine riesige Menge versammelte sich am 19. Januar vor dem Mainzer Hauptbahnhof zum „Zeichen gegen Rechts“. – Foto: gik

„Wer über Deportationen fantasiert, Menschen ihre Staatsangehörigkeit abspricht und Lager in Nordafrika plant, hat die Grenze der Demokratie schon lange überschritten und muss spüren, dass man hier in Mainz mit solchem Gedankengut auf Widerstand stößt“, hatte Gerster im Vorfeld der Demonstration gesagt. Auch Haase selbst hatte auf seinen persönlichen Accounts auf Social Media zu dem „Zeichen gegen Rechts“ aufgerufen. „Wir treten rassistischem Gedankengut weiterhin entschieden entgegen – die Demokratie bleibt ein Geschenk, das wir jeden Tag neu verteidigen müssen“, betonte Haase in einem schriftlichen Statement – und dankte den Organisatoren ausdrücklich für ihren Einsatz.

Dass Haase aber eben nicht öffentlich auf der Kundgebung redete, legten ihm manche offenbar negativ aus: Haase sei „verschwunden“, hieß es am Rande der Kundgebung, er habe wohl einen anderen Termin gehabt, also: Etwas besseres vor. Haase hatte in der Tat noch einen anderen Termin an dem Abend – denselben nämlich wie Ministerpräsidentin Dreyer: die Verleihung des Carl Zuckmayer-Medaille im Mainzer Staatstheater an den Schauspieler Matthias Brandt.

Kommentar&: Schaden für Mainz und den Kampf gegen Rechts

Stell dir vor, es läuft die größte Nachkriegs-Demo in der Geschichte deiner Stadt, ein gewaltiger Zusammenschluss gegen braune Umtriebe und Faschismus – und wer nicht da ist, ist der Oberbürgermeister. So in etwa lässt sich zusammenfassen, was wahrscheinlich viele Mainzer am Abend des 19. Januar gedacht haben. Auf die Idee, jemand könnte dem OB das Rederecht verweigert haben, muss man erst einmal kommen – es ist ein ziemlich beispielloser Vorgang. Und er hat schweren Schaden angerichtet für Mainz und den Schulterschluss gegen Rechtsextremismus.

Breiter Schulterschluss gegen Rechtsextremismus: Menschenmenge bei der Kundgebung vor dem Mainzer Staatstheater. - Foto: gik
Breiter Schulterschluss gegen Rechtsextremismus: Menschenmenge bei der Kundgebung vor dem Mainzer Staatstheater. – Foto: gik

„Alle zusammen gegen den Faschismus“ skandierte die Menge, ein „breites Bündnis gegen Rechts“ will man doch sein – die Rednerliste des Abends bildete das indes in keinster Weise ab. Stattdessen redete ein Vertreter von Fridays for Future, der bäuerlichen Landwirtschaft und des Bistums Mainz. Verfolgte Minderheiten – echt jetzt? Hatte man bei sage und schreibe zehn Rednern wirklich keine Zeit mehr für den OB?

Nino Haase das Rederecht zu verwehren, ist ein absoluter Fehlgriff – wer sonst steht denn bitte für die Zivilgesellschaft der Stadt, wenn nicht ihr demokratisch gewählter Oberbürgermeister? Zumal Nino Haase als Parteiloser (!) ja nun geradezu prädestiniert gewesen wäre, als überparteilicher Repräsentant für die gesamte Stadt zu sprechen. Und offenbar muss man daran erinnern: Gewählt wurde dieser OB vor knapp einem Jahr mit 63,6 Prozent – einer absolut überwältigenden Mehrheit von über zwei Drittel der Stimmen.

Schild "Kein Platz für Nazis" auf der Demo "Zeichen gegen rechts". - Foto: gik
Schild „Kein Platz für Nazis“ auf der Demo „Zeichen gegen rechts“. – Foto: gik

Ja, die Organisatoren waren unerfahren. Ja, es waren Studenten, die mit dem Politikbetrieb noch nicht in Berührung gekommen waren, und ja ihre Initiative und ihr Engagement verdient höchsten Respekt: Sie haben geschafft, was keine Partei und keine gesellschaftliche Organisation vorher geschafft haben – die Mainzer in einem solchen Umfang auf die Straße zu bringen.

Aber den OB der Stadt dabei auszusparen, ist bestenfalls naiv – schlimmstenfalls aber Ausdruck einer Voreingenommenheit, wie man sie von linker Seite derzeit oft hört: Wer nicht „links“ ist, ist automatisch verdächtig, „Rechts“ und „Rechtsextremismus“ werden einfach gleichgesetzt, konservative Vertreter der CDU in einen Topf geworfen mit Rechtsextremen in der AfD. Das aber ist fatal und es ist auch gefährlich: Soll der Aufstand gegen Faschismus ein Aufstand der gesamten Zivilgesellschaft sein, so gehört dazu auch der so genannte konservative Teil der Gesellschaft – der bildet schließlich einen Großteil der Bürgerschaft ab.

OB Nino Haase bei einer Rede in der Mainzer Synagoge am 9. September 2023. - Foto: Stadt Mainz
OB Nino Haase bei einer Rede in der Mainzer Synagoge am 9. September 2023. – Foto: Stadt Mainz

Und all dies passiert ja nicht im luftleeren Raum: Im OB-Wahlkampf beschuldigte die SPD-Jugendorganisation der Jusos Nino Haase mehrfach und nachweislich falsch, Mitglied in einer rechten Burschenschaft zu sein – und rückte ihn damit in die Nähe zu rechtsextremen Kreisen. Entschuldigt haben sich die Sozialdemokraten dafür bei Nino Haase nie. Gerade deshalb aber haben die Mainzer ein Recht zu erfahren, wie ihr neues Stadtoberhaupt zu Rechtsextremismus und Faschismus steht – und ob er Teil des Bündnisses gegen Rechts ist.

Nino Haase hat sich mit klaren Worten positioniert und zur Verteidigung der Demokratie aufgerufen. Wenn es den Organisatoren solcher „Demos gegen Rechts“ Ernst damit ist, dass hier wirklich ein breites gesellschaftliches Bündnis gegen Rechtsextremismus stehen soll, dann müssen sie den echten Schulterschluss mit allen demokratischen Kräften suchen. Dann gehören auf die Bühnen dieser Veranstaltungen gerade Redner des gesamten Spektrums – von konservativ bis links. Und erst recht der Oberbürgermeister einer Stadt.

Info& auf Mainz&: Einen ausführlichen Bericht über die Kundgebung „Zeichen gegen Rechts“ findet Ihr hier auf Mainz&.