Vier Tage vor der Oberbürgermeister-Stichwahl in Mainz haben die Jugendorganisationen von Grünen, SPD und FDP eine „Wunschliste“ an den künftigen Oberbürgermeister veröffentlicht. Die Wahlentscheidung müsse „mit Bedacht gefällt werden“, heißt es in dem Schreiben, was folgt ist de facto ein klarer Wahlaufruf von Jusos, JuLis und Grüner Jugend – zugunsten des Grünen-Kandidaten Christian Viering. Gleichzeitig erheben die Jungpolitiker erneut alte Vorwürfe: Der neue OB dürfe nicht „Unterstützung durch die AfD erhalten“ und „nicht Mitglied einer deutschnationalen Studentenverbindung sein“ – die gleichen falschen Vorwürfe hatten die Jusos schon 2019 erhoben: gegen Nino Haase.

Die SPD-Politikerinnen Jana Schneiß und Alexandra Gill-Geers im Juli 2022 beim Wechsel des SPD-Fraktionsvorsitzes. - Foto SPD Mainz
Die SPD-Politikerinnen Jana Schneiß (links) und Alexandra Gill-Geers im Juli 2022 beim Wechsel des SPD-Fraktionsvorsitzes. – Foto SPD Mainz

„Vier Tage vor der Stichwahl ums Oberbürgermeisteramt in Mainz haben die Mainzer Jusos den parteilosen OB-Kandidaten Nino Haase wegen seiner Mitgliedschaft in einer Studentenvereinigung angegriffen. Juso-Vorsitzende Jana Schneiß warf Haase „Deutschtümelei“ und „verengtes Denken“ vor, das sich gegen die Gleichheit der Geschlechter und für „Volk und Vaterland“ richte“ – das schrieb diese Zeitung Mainz& am 07. November 2019.

Am 10. November stand die Stichwahl zwischen Amtsinhaber Michael Ebling (SPD) und dem parteilosen Nino Haase an – und Haase wurde Ebling überraschend gefährlich: Am Ende siegte Ebling mit gerade einmal 55,2 Prozent vor Haase, der auf 44,8 Prozent kam. Kurz vor der Wahl aber hatten die Mainzer Jusos in einer Pressemitteilung behauptet, Haase sei Mitglied in einer Studentenvereinigung, die sich „gegen Werte wie die Gleichheit der Geschlechter“ richte, gegen Toleranz und Weltoffenheit – und dessen Verband sein Verbandshaus mit der „Reichskriegsflagge“ schmücke.

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„Mainz muss eine tolerante Stadt sein“

An diesem Mittwoch erreichte die Internetzeitung Mainz& eine Pressemitteilung – erneut vier Tage vor einer OB-Stichwahl, erneut tritt der parteilose Nino Haase an, und dieses Mal hat er gute Chancen auf den Wahlsieg: Im ersten Wahlgang am 12. Februar holte Haase überraschend mit 40,2 Prozent den ersten Platz, weit vor seinem stärksten Herausforderer Viering, der auf 21,5 kam.

Pressemitteilung von Jusos, JuLis und Grüner Jugend zur OB-Stichwahl in Mainz auf Instagram. - Screenshot: gik
Pressemitteilung von Jusos, JuLis und Grüner Jugend zur OB-Stichwahl in Mainz auf Instagram. – Screenshot: gik

In der Pressemitteilung, die dieses Mal von Jusos, JuLis und Grüner Jugend unterschrieben worden ist, heißt es: „Mainz muss eine tolerante Stadt sein, die die Belange aller Bürger:innen in den Fokus nimmt.“ Auch das ist schon eine Anspielung auf die beiden verbliebenen Kandidaten, hatten doch zuletzt vor allem die Grünen, aber auch Ex-OB und der heutige Innenminister Michael Ebling (SPD) persönlich, Haase vorgeworfen, er stehe angeblich nicht für Weltoffenheit und Toleranz. „Das ist nicht seine DNA“, sagte Ebling wörtlich auf dem Politischen Aschermittwoch der Grünen.

Dabei hatte Haase den gesamten Wahlkampf über wiederholt Werte wie Toleranz und Weltoffenheit vertreten, sich mit Vertretern von Migrantenverbänden getroffen und selbst auch „Testimonials“ von Menschen mit Migrationshintergrund für seine Person erhalten – etwa von italienisch-stämmigen Mainzern oder der deutsch-türkischen Journalistin und Fernsehmoderatorin Hülya Özkan.

Vergiftete „Wunschliste“ von Jusos, JuLis und Grüner Jugend

Von Seiten von SPD, Grünen und FDP wird das offenbar ignoriert, denn in der Pressemitteilung heißt es nun erneut: „Nach der Wahl freuen sich die Organisationen auf einen Antrittsbesuch mit dem neu gewählten Oberbürgermeister. Doch wollen Jusos, Julis und GJ dazu nicht länger warten und haben deswegen schon einmal vorab einige Punkte gesammelt, die ihnen beim zukünftigen Oberbürgermeister besonders wichtig sind.“

Vergiftete Wunschliste von Jusos, JuLis und Grüner Jugend zur OB-Stichwahl auf Instagram. - Screenshot: gik
Vergiftete Wunschliste von Jusos, JuLis und Grüner Jugend zur OB-Stichwahl auf Instagram. – Screenshot: gik

Es folgen neun Punkte, die einen Oberbürgermeister ausmachen sollen, darunter Punkte wie Toleranz, Glaubwürdigkeit, Ansprechbarkeit, Freiflächen am Rhein schützen, „die (sozialen) Herausforderungen des Klimawandels bekämpfen“ – sowie der Punkt: „Erfahrung im politischen Geschäft und insbesondere in der Zusammenarbeit im Rahmen des Stadtrats haben.“ Das ist klar auf Viering gemünzt, der zehn Jahre lang Mitglied des Mainzer Stadtrats war.

Namen nennt die Pressemitteilung nicht, doch unter den Negativpunkten heißt es dann: „Unser Bürgermeister [sic!] soll nicht … Mitglied in einer deutschnationalen Studentenverbindung sein, Unterstützung durch die AfD erhalten, enge Verbindungen zu Leuten haben, die innerhalb der Mainzer Querdenken-Szene aktiv sind, nur reden, sondern machen!“ Mainz wählt am Sonntag einen Oberbürgermeister, Bürgermeister der Stadt ist Günter Beck von den Grünen, der gleichzeitig Finanzdezernent ist.

Hetze gegen Haase: als „Nazivertreter“ verunglimpft

Gemeint mit den Negativpunkten: der parteilose OB-Kandidat Nino Haase. Seit Wochen unterstellen Vertreter von SPD und Grünen Haase bereits wiederholt eine Nähe zur rechtsextremen AfD – und das, obwohl sich Haase schon seit Jahren mehr als deutlich von der Partei distanziert hat. Schon 2019 hatte er das getan, im Januar 2023 nun distanzierte sich Haase erneut in aller Klarheit: „Als Oberbürgermeister möchte ich stellvertretend für alle Mainzerinnen und Mainzer mit aller Kraft für Demokratie und Toleranz einstehen“, betonte Haase: Es habe „zu keinem Zeitpunkt Gespräche“ mit der AfD gegeben, noch werde es sie geben – deren Hetze „schließt eine aktuelle wie zukünftige Zusammenarbeit mit der AfD kategorisch aus.“

Facebookpost, der den OB-Kandidaten Nino Haase (links) in eine Reihe mit AfD-Vertretern wie Björn Höcke rückt - zu Unrecht. - Screenshot: gik
Facebookpost, der den OB-Kandidaten Nino Haase (links) in eine Reihe mit AfD-Vertretern wie Björn Höcke rückt – zu Unrecht. – Screenshot: gik

Anlass war im Januar ein Wahlaufruf der AfD Mainz, die zur Wahl von Haase oder der CDU-Kandidatin Manuela Matz aufriefen – auch Matz distanzierte sich von den ungebetenen Unterstützern deutlich. Nach dem ersten Wahlgang erneuerte die AfD dennoch ihren Wahlaufruf – dieses Mal für Nino Haase. Der konterte erneut deutlich: „Mit mir nicht!“ Die Haltung der AfD „beruht einzig und allein auf destruktivem Hass gegenüber einer anderen Partei, das lehne ich zutiefst ab“, betonte Haase.

Trotzdem wurde der AfD-Aufruf prompt in den sozialen Netzwerken von zahlreichen Anhängern von Grünen und SPD geteilt, Haase darin ein Beleg für seine angebliche „Nähe zur AfD“ und seinen „AfD-Freunden“ unterstellt, oder gar das Plakat mit Bemerkungen wie: „Keine Stimme für Nazivertreter!“ garniert. Inzwischen existieren sogar Facebook-Posts, in denen Haases Konterfei neben dem rechtsextremen AfD-Mann Björn Höcke gezeigt wird, der den verbotenen Hitlergruß zeigt. Gelöscht wurden diese Posts bis heute nicht.

Erneut dubioser Anwurf wegen einer „Studentenverbindung“

Genau dieses Narrativ greift die Pressemitteilung von Jusos, JuLis und Grüner Jugend nun wieder auf – und auch diese Pressemitteilung wurde von den drei Jugendorganisationen breit in sozialen Netzwerken wie Instagram geteilt. Dass Haase sich nun mehrfach klar von der AfD distanziert hat, wird dort nicht erwähnt. Stattdessen wird ein zweiter alter Vorwurf wieder hervorgeholt: „Mitglied in einer deutschnationalen Studentenverbindung“ zu sein.

Das Hambacher Schloss gilt als "die Wiege der deutschen Demokratie" - hier beim Besuch von Bundespräsident Joachim Gauck. - Foto: gik
Das Hambacher Schloss gilt als „die Wiege der deutschen Demokratie“ – hier beim Besuch von Bundespräsident Joachim Gauck. – Foto: gik

2019 hatten die Jusos – wie oben beschrieben – diesen Vorwurf erhoben, und dabei gleich eine ganze Reihe von Behauptungen aufgestellt, die mindestens von Unkenntnis zeugen: So hieß es 2019 anklagend, Haase sei Mitglied im „Verband der Vereine Deutscher Studenten (Kyffhäuserverband)“ (VVDSt), dieser Verband richte sich gegen Toleranz und Weltoffenheit und beflagge seine Gebäude mit der „Reichskriegsflagge“ in den Farben Schwarz-Weiß-Rot.

Tatsächlich führt der Verband VVDSt bis heute die Farben der alten Reichsflagge aus dem Kaiserreich – jedoch ausdrücklich nicht die „Reichskriegsflagge“, wie sie heute von Reichsbürgern als Symbol gegen die Bundesrepublik Deutschland verwendet wird. Die Farben liegen in der Geschichte des Verbandes begründet: Der VVDSt wurde im August 1881 von rund 800 Studenten bei einem Kyffhäuserfest gegründet und trägt deshalb den alten Namen „Kyffhäuser-Verband“. Der Kyffhäufer-Verband hat jedoch nichts gemeinsam mit dem sogenannten „Kyffhäuserbund“, einem Soldatenbund, der 1838 von den Nationalsozialisten in den Reichskriegerbund eingegliedert wurde, und bis heute als Hort für Anhänger rechtsextremer Gruppierungen gilt.

Studentenverbindungen stritten 1832 für Demokratie und Freiheit

Im Gegenteil: Die ersten Vereine Deutscher Studenten wurden in den 1880er Jahr gegründet, um für Demokratie, Gleichheit und Brüderlichkeit – nach dem Vorbild der Französischen Revolution – einzutreten. Diese „Burschenschaften“ und Studentenverbindungen waren maßgebliche Akteure des Hambacher Festes, jenes legendären Demonstrationszuges für demokratische Rechte von 1832, das heute als Beginn der Demokratie in Deutschland gilt – eine Fahne des Hambacher Festes hängt bis heute im Plenarsaal des Mainzer Landtags, über dem Stuhl des Landtagspräsidenten: aktuell der SPD-Politiker Hendrik Hering.

Burschenschaften wie das der nationalistisch-rechten "Germania" in Mainz prägen heute das Bild solcher Verbindungen. - Foto: gik
Burschenschaften wie das der nationalistisch-rechten „Germania“ in Mainz prägen heute das Bild solcher Verbindungen. – Foto: gik

In Deutschland haben Burschenschaften heute dennoch einen schlechten Ruf, sie gelten als Vertreter von deutsch-nationalem, wenn nicht gar rechtsextremem Gedankengut – oft zu Recht. 1998 traten genau deshalb mehrere sogenannte Corpsverbände unter Protest aus dem Bund der Burschenschaftler aus. Gerade Corpsverbände aber hätten mit den rechtsextremen Burschenschaften nichts gemeinsam, betont etwa der Politikwissenschaftler Stephan Peters, Autor mehrerer kritischer Bücher über Burschenschaften: „Corps etwa legten großen Wert auf Toleranz und hielten sich politisch neutral, im Gegensatz zu den Burschenschaften.“ Gesagt hat Peters diese Sätze in einem Interview mit der „Allgemeinen Zeitung“ in Mainz im Februar 2013.

Ein solcher Verband der klaren Distanzierung gegen Rechts sei auch der „Verband der Vereine Deutscher Studenten“, in dem er Mitglied sei, hatte Haase schon im November 2019 auf Anfrage gegenüber Mainz& erklärt: „Wir lehnen die rechts-nationale Gesinnung deutscher Burschenschaften ab“, betonte Haase damals, die Vereinigung sei „überparteilich und demokratisch“ und habe sich schon vor Jahren von den rechten deutschen Burschenschaften offiziell distanziert. Mitglieder seines Verbandes seien übrigens auch Grünen-Politiker.

Haase: „Solche persönlichen Angriffe schaden der Demokratie“

Trotz dieser klaren Fakten graben nun Jusos, JuLis und Grüne Jugend genau denselben Vorwurf implizit wieder aus – drei Jahre später, und wieder genau vier Tage vor einer Stichwahl. Schneiß ist seit Sommer 2022 Fraktionschefin der Mainzer SPD, für die Falschbehauptungen aus dem Wahlkampf 2019 hat sie sich nie entschuldigt.

Stellungnahme von Nino Haase zum Wahlaufruf der AfD für seine Person. - Foto: Haase
Stellungnahme von Nino Haase zum Wahlaufruf der AfD für seine Person. – Foto: Haase

Haase hatte schon 2019 kritisierte, solche persönlichen Angriffe schadeten der Demokratie. „Das ist eklig, was hier abläuft“, sagte Haase 2019, es gehe nur noch darum, „jemanden persönlich schlecht zu machen“, das befördere doch nur „die Akzeptanz solcher inhaltsleeren Hetze und Unterstellungen.“

Und dabei gab es schon 2019 scharfe Kritik an dem haltlosen Vorwurf des Jusos: „Auf diese Art Wahlkampf zu führen, ist einfach nur unprofessionell, und der undifferenzierte Umgang mit dem Thema Studentenverbindung zeugt von kompletter Unwissenheit und vor allem Ignoranz“, schrieb damals eine Ex-Mainzerin. Und auch dieses Mal kommt die Kampagne offenbar gar nicht gut an: „Als Sozialdemokrat schäme ich mich für diese widerliche Kampagne gegen den Kandidaten“, kommentierte ein Leser auf Instagram: „Man gewinnt Wahlen mit Argumenten für jemanden, nicht mit Negative Campaigning gegen den Konkurrenten.“

Info& auf Mainz&: Den ganzen Mainz&-Artikel aus 2019 zum Thema Studentenverbindungen und Burschenschaften, welche Unterschiede es dabei gibt, und was Nino Haase damals dazu sagte, lest Ihr hier auf Mainz&. Mehr zur Distanzierung von Haase gegen die AfD und ihren Wahlaufruf lest Ihr hier auf Mainz&.