Heute beginnt in Rheinland-Pfalz die Schule wieder, doch die Angst läuft auf dem Schulweg mit: Wie lange werden die Schulen wieder im Präsenzunterricht arbeiten können? Pünktlich zum Ferienende sind die Coronazahlen wieder deutlich angestiegen, Experten warnen: Die Schließung einzelner Schulen ist nur eine Frage der Zeit. Doch nach wie vor sind die Schulen für digitalen Online-Unterricht meist nicht ausreichend gerüstet, gerade in einkommensschwachen Familien fehlen Geräte wie Laptops oder Tablets für das Homeschooling. Die Mainzer Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner (Grüne) sammelte seit Mai mehr als 130 privat gespendete Laptops für Schüler – und sagt: Der Bedarf ist riesig.
Seit dem ersten bundesweiten Shutdown sind inzwischen sechs Monate vergangen, trotzdem hat sich die Ausstattung mit digitalen Endgeräten an den Schulen im Land nur marginal verbessert: Bei einer Umfrage der Arbeitsgemeinschaft der Schulelternbeiräte an Gymnasien und integrierten Gesamtschulen in Mainz und Umgebung unter knapp 4.000 Eltern, beurteilte die weit überwiegende Mehrheit der Befragten die IT-Ausstattung in den Schulen ihrer Kinder weiter als unzureichend oder völlig unzureichend.
Die Umfrage wurde zwischen dem 23. Juni und 26. Juli durchgeführt, insgesamt beteiligten sich 3.997 Eltern von Grundschülern und Gymnasiasten. Rund ein Drittel der Befragten gab dabei an, ihr Kind nutze ein Smartphone für den Fernunterricht – das allerdings sei für das digitale Fernlernen nur schlecht oder sehr schlecht geeignet. Die Erfahrung machte auch die Mainzer Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner (Grüne): „In manchen Haushalten ist nicht einmal ein Internetanschluss vorhanden, und das einzige Gerät in der Familie ist ein Smartphone, das sich mehrere Geschwister teilen müssen“, berichtete Rößner.
Sie habe „eine Flut von Mails von Eltern erreicht, oft von alleinerziehenden Müttern“, die solche Zustände schilderten, berichtete Rößner im Gespräch mit Mainz&. Viele Schüler aus solchen Familien hätten wochenlang dem Unterricht nicht folgen und keine Aufgaben erledigen können. Ein Handy-Display sei dazu auch viel zu klein, um wochenlang ausschließlich damit am Unterricht teilzunehmen. Zwar hatte die Große Koalition in der Krise einen Leistungsbezug von 150 Euro für jeden Haushalt versprochen, um damit digitale Geräte anschaffen zu können, Rößner sagte aber, das reiche selten für eine Neuanschaffung aus. Wegen der erhöhten Nachfrage durch Homeoffice und Homeschooling seien auch die Preise für Elektrogeräte gestiegen, vielfach fielen lange Lieferfristen an.
Rößner startete deshalb Anfang Mai die Initiative „Gleiche Chancen in der Krise“ und rief zu Laptop- und Computerspenden auf. Die gespendeten Geräte wurden aufgearbeitet, rund 130 Geräte hat die Abgeordnete inzwischen an Schüler aus finanzschwachen Familien übergeben. Der Bedarf sei enorm hoch, sagte Rößner, vielfach fragten auch Lehrer für ihre Schüler an, zwei ganze Klassen wurden inzwischen sogar mit gespendeten Geräten versorgt. Gerade habe sie eine ganze Klasse an der Berufsbildenden Schule 3 mit gespendeten Geräten ausstatten können, berichtete Rößner im Juli.
Die Stadt Mainz kündigte Anfang Juli im Stadtrat an, man werde zum neuen Schuljahr 600 Tablets für Schüler aus bedürftigen Familien anschaffen, damit wolle man sicherstellen, dass auch Kinder aus Familien, die nicht gut gestellt seien, erfolgreich am Fernunterricht oder am Online-Unterricht teilnehmen können. Die Tablets sollen Leihgeräte sein, die kostenlos vergeben werden. Die CDU-Opposition kritisierte das umgehend als viel zu wenig: „600 mobile Endgeräte für über 15.000 Schüler in Mainz – na, herzlichen Glückwunsch“, kritisierte CDU-Generalsekretär Gerd Schreiner. Bei nur 600 Geräten werde der überwiegende Teil der Kinder leer ausgehen, der Bedarf der „bedürftigen“ Kinder könne damit bei Weitem nicht abgedeckt werden.
Sozialdezernent Eckard Lensch (SPD) verteidigte sich, die 600 Geräte seien das Ergebnis einer Abfrage bei den 42 Mainzer Schulen. Rößner zeigte sich darüber verwundert, nach ihren Erfahrungen sei der Bedarf viel höher: „600 Geräte sind ein Tropfen auf den heißen Stein“, kritisierte sie, „viele Schüler werden durchs Raster fallen.“ Zudem sei es „nicht das gleiche, ob man ein Leihgerät der Schule oder einen eigenen Laptop oder PC besitzt“, gab Rößner zu bedenken, gerade für Schüler kurz vorm Abitur mache das einen großen Unterschied.
Tatsächlich verlief die Ausstattung der Schüler mit digitalen Leihgeräten für den Onlineunterricht trotz Coronakrise offenbar äußerst schleppend: Den Schulen in Rheinland-Pfalz standen bis Mitte Mai lediglich 16.790 Endgeräte zur Verfügung, die an Schüler leihweise für Onlineunterricht ausgegeben werden konnten, räumte das Mainzer Bildungsministerium jüngst ein. Tatsächlich ausgeliehen wurden davon sogar nur 4.414 Geräte.
Es gebe zwar rund 25.000 Notebooks und 12.000 Tablets für eine Ausleihe, doch davon seien rund 20.000 Geräte entweder schon vor Corona ausgeliehen oder nicht für den Fernunterricht ausreichend ausgestattet gewesen, räumte ein Sprecher des Ministeriums ein. Der Bedarf an Geräten habe so an 779 Schulen gedeckt werden können, an 529 Schulen hingegen nicht. „Offensichtlich wurde ja überhaupt kein Bedarf erhoben, das finde ich erschreckend“, kritisierte CDU-Bildungsexpertin Anke Beilstein.
Die CDU fordert deshalb, es brauche ein umfassendes Konzept des Landes zur Ausstattung mit Endgeräten und digitaler Infrastruktur, „digitalen Hausmeistern“ und digitalen Lernkonzepten. „Wir müssen gerüstet sein, dass Homeschooling stattfinden kann, und zwar flächendeckend“, forderte Beilstein, „es muss eine stabile und verlässliche Versorgung mit Endgeräten geben.“ Das sei Aufgabe des Landes und dürfe nicht auf die Schulen abgewälzt werden.
Die Lehrergewerkschaft GEW fordert zudem geeignete Endgeräte auch für die Lehrer. „Der Unterricht muss über Fernunterricht abgedeckt werden können“, fordert GEW-Landeschef Klaus-Peter Hammer. „Und bei der Entwicklung tragfähiger Konzepte für Onlineunterricht ist auch noch Luft nach oben“, fügte er hinzu. Laut einer bundesweiten Umfrage des ifo-Instituts hatten denn auch deutlich weniger als die Hälfte der Schüler regelmäßig Online-Unterricht – 57 Prozent der Eltern gaben gar an, ihre Kinder hätten seltener als einmal pro Woche gemeinsamen Online-Unterricht gehabt, nur 6 Prozent täglich. Noch seltener hätten die Schüler individuellen Kontakt mit ihren Lehrkräften gehabt.
Dabei stehen dem Land Rheinland-Pfalz insgesamt 24,1 Millionen Euro aus dem Digitalpakt des Bundes für die Anschaffung digitaler Endgeräte zur Verfügung. „Mit dem Geld könnte man rund 60.000 Tablets oder 40.000 bis 50.000 Laptops anschaffen“, sagte ein Sprecher des Bildungsministeriums. Doch bis vor Kurzem flossen die Mittel kaum ab, ein zu bürokratisches Antragsverfahren sei Schuld gewesen, heißt es im Ministerium – vor zwei Wochen trat eine Erleichterung in Kraft: Danach können Mittel für Endgeräte nun auch schon bewilligt werden, ohne dass das geforderte Medienkonzept vorliegt, dieses kann nun nachgereicht werden.
Das half offenbar: Am 11. August teilte das Ministerium mit, inzwischen seien rund 11.300 Geräte für knapp vier Millionen Euro bewilligt worden. Unter den beantragten Geräten sind 650 Geräte für die Verbandsgemeinde Nieder-Olm und als größter Posten 4.760 Geräte in der Stadt Ludwigshafen – die Stadt Mainz kommt in der Liste jedoch nicht vor.
Der Landkreis Mainz-Bingen kündigte nun an, die Ausgabe von rund 10.000 der insgesamt 17.000 iPads für die Schüler im Kreis beginne am kommenden Mittwoch. „Bis Mitte September soll die Aktion abgeschlossen sein, alle bisher bestellten Geräte sind dann vor Ort“, teilte die Kreisverwaltung weiter mit. Nach der kürzlich vorgenommenen Installation von WLAN-Access-Points in den Schulen sei dies „ein weiterer großer Schritt, damit die kreiseigenen Schulen künftig – je nach ihrem Konzept – digitalen Unterricht anbieten können.“
Info& auf Mainz&: Mehr zu der Aktion 17.000 Tablets für den Kreis Mainz-Bingen könnt Ihr hier auf Mainz& nachlesen. Über die Debatte um 600 Tablets für Mainzer Schüler haben wir hier berichtet. Die Bundestagsabgeordnete Rößner sammelt weiter Privatspenden ausrangierter Computer und Laptops für Schüler, wer hier helfen möchte, kann sich an das Büro der Bundestagsabgeordneten unter der Telefonnummer 06131 und dann 892 43 95 wenden, oder per Email an per Mail: tabea.roessner.wk@bundestag.de.