Braucht das Ahrtal auch vier Jahre nach der Flutkatastrophe noch eine Entschuldigung des Staates für die Versäumnisse und Fehler der Behörden in der Flutnacht? Für den CDU-Landeschef von Rheinland-Pfalz ist zumindest das Thema Aufarbeitung und Konsequenzen nicht abgeschlossen: „Wir müssen schauen, wie gehen wir vor Ort mit dem richtigen Ablauf innerhalb der Alarmierungskette um – wie machen wir es künftig?“, sagte Gordon Schnieder im Interview mit der Interzeitung Mainz&. Die Situation im Ahrtal sei auch vier Jahre nach der Flutkatastrophe vom 14. Juli 2021 noch zwiegespalten, das „Staats- und Organisationsverfahren“ nicht komplett aufgearbeitet. Und Schnieder betonte: Für eine Entschuldigung fürs Ahrtal „von Staats wegen ist es nie zu spät.“

Zerstörte und weggerissene Häuser in Schuld im oberen Ahrtal: Bereits gegen 19.30 Uhr versanken hier mehrere Häuser in den Fluten der Ahr. - Screenshot via SWR
Zerstörte und weggerissene Häuser in Schuld im oberen Ahrtal: Bereits gegen 19.30 Uhr versanken hier mehrere Häuser in den Fluten der Ahr. – Screenshot via SWR

Bei der Flutkatastrophe im Ahrtal hatte in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 eine bis zu zehn Meter hohe Flutwelle das gesamte Tal verwüstet, Häuser und Straßen zerstört – und 136 Menschen in den Tod gerissen. Die Aufräumarbeiten dauerten lange, der Wiederaufbau noch länger. Aus Sicht des Landes hat er aber an Dynamik gewonnen: Mittlerweile sind den Angaben des Landes zufolge rund 3,06 Milliarden Euro an Wiederaufbauhilfen bewilligt worden, davon wurden allerdings bislang nur 2 Milliarden Euro ausgezahlt – von insgesamt 15 Milliarden Euro aus dem Wiederaufbauhilfefonds. Die Herausforderungen des Wiederaufbaus „verlangen von allen Beteiligten auf allen Ebenen noch immer alles ab“, sagte gerade der Bürgermeister von Bad Neuenahr-Ahrweiler, Guido Orthen (CDU).

Gordon Schnieder war bis Sommer 2022 Obmann der CDU im Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal im Mainzer Landtag, heute ist er Partei- und Fraktionschef, und tritt als Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten bei der Landtagswahl im kommenden März 2026 an. Das Ahrtal hat ihn bis heute nicht losgelassen: Er sei zuletzt vor gut drei Wochen mit der CDU-Landtagsfraktion zu Besuch im Ahrtal gewesen, berichtete Schnieder im Gespräch mit Mainz&, sein Eindruck sei: Das Tal sei an vielen Stellen zwiegespalten.

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Schnieder: Lage im Ahrtal zweigeteilt, Stillstand „sehr zermürbend“

„Die Optik wird immer besser, die Innenstadt von Ahrweiler sieht zum Beispiel wieder fein aus“, sagte Schnieder: „Aber es gibt auch noch Gemeinden, wo man immer noch massive Schäden sieht.“ Das sei etwa in Mayschoß der Fall, wo bis vor Kurzem noch immer die Ruinen der Winzergenossenschaft sowie weiterer Häuser direkt gegenüber am Flusslauf standen. „Es ist ein zweigeteiltes Bild: die Projekte, wo es gut läuft und wieder anläuft, und die, wo sich nichts tut“, sagte Schnieder, „das ist dann sehr zermürbend für die Menschen.“

Der CDU-Landes- und Fraktionschef Gordon Schnieder saß auch eine Zeitlang als Obmann der CDU im Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags. Bei der Landtagswahl 2026 bewirbt er sich für das Amt des Ministerpräsidenten. - Foto: CDU RLP
Der CDU-Landes- und Fraktionschef Gordon Schnieder saß auch eine Zeitlang als Obmann der CDU im Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags. Bei der Landtagswahl 2026 bewirbt er sich für das Amt des Ministerpräsidenten. – Foto: CDU RLP

Schnieder berichtete auch, dass nach seinem Eindruck die persönliche Aufarbeitung der Katastrophe vor Ort vielfach jetzt erst beginne, bei den Menschen, den Politikern und den Hilfskräften. „Um die Konsequenzen vor Ort zu ziehen, muss man schauen, warum haben Behörden vor Ort nicht richtig funktioniert, was kann besser laufen“, sagte Schnieder, und nannte als Beispiel: „Wie gehen wir vor Ort mit einer Alarmierungskette um – wie machen wir es künftig?“ Das Land Rheinland-Pfalz hatte dafür kürzlich ein neues Brand- und Katastrophenschutzgesetz verabschiedet, Schnieder sieht im Bereich der zwingenden Übernahme der Gesamtverantwortung durch das neue Landesamt für Brand- und Katastrophenschutz noch Verbesserungsbedarf.

Gerade die Alarmketten waren es, die in der Flutnacht nicht ausreichend funktioniert hatten, deshalb kamen Warnungen vor der bis zu zehn Meter hohen Flutwelle an der unteren Ahr nicht rechtzeitig oder gar nicht bei den Menschen an. „Ich bin schon sicher, dass man mit den Warnungen heute ernster umgeht“, sagte Schnieder, nannte aber auch Möglichkeiten, wie es besser gehen könnte: „Im Erzgebirge gab es früher eine Regelung, dass wenn ein Bürgermeister oder Landrat nicht binnen 30 Minuten reagiert, dass dann die Polizei zu ihm nach Hause fährt und nachschaut.“

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Zuständigkeit des Landes weiter nicht eindeutig geregelt

Bei der Flutkatastrophe im Ahrtal war der zuständige Landrat Jürgen Pföhler (CDU) über Stunden für den Krisenstab in Ahrweiler nicht erreichbar gewesen, der Katastrophenalarm samt Evakuierungsanordnungen ging deshalb viel zu spät heraus – erst um 23.09 Uhr. Bei der Aufarbeitung im Untersuchungsausschuss stellte sich denn auch heraus, wie überfordert gerade der Krisenstab in Ahrweiler war, mehrere Experten betonten, das Land hätte mit der Dienstaufsicht ADD deshalb die Einsatzleitung zwingend übernehmen müssen – und sich über die Lage vor Ort besser informieren und kümmern müssen.

Ausschnitt aus einem Video eines Hubschraubers der Polizei Rheinland-Pfalz in der Flutnacht im Ahrtal: Kilometerweise geflutete Häuser, Menschen auf Dächern, die um Hilfe riefen. - Video: Polizei RLP, Screenshot: gik
Ausschnitt aus einem Video eines Hubschraubers der Polizei Rheinland-Pfalz in der Flutnacht im Ahrtal: Kilometerweise geflutete Häuser, Menschen auf Dächern, die um Hilfe riefen. – Video: Polizei RLP, Screenshot: gik

Tatsächlich tat das weder die ADD noch das Innenministerium, dort wartete man auf Einsatzberichte aus dem Ahrtal, und übernahm weder eine führende noch koordinierende Rolle in der Flutnacht – obwohl Fotos und Berichte einer Hubschrauberbesatzung der Polizei Rheinland-Pfalz genau aufzeigten, wie im ganzen Tal Häuser meterhoch unter Wasser standen, um Menschen um Hilfe riefen. Für Warnungen der Bevölkerung sah man sich dort auch nicht zuständig – das Ergebnis: Die meisten Opfer der Flutnacht starben zwischen 23.30 Uhr und 2.00 Uhr morgens, die meisten ungewarnt in ihren Betten.

Dass das neue Katastrophenschutzgesetz wieder keine Einsatzübernahme durch das Land bei Großschaden vorsieht, kritisierte Schnieder: „Wenn zwei Landkreise flächendeckend betroffen sind, MUSS das neue Lagezentrum im Landesamt für Katastrophenschutz die Einsatzbewältigung übernehmen!“ Das neue Lagezentrum wurde als Konsequenz aus dem Desaster der Flutnacht geschaffen, und hat zum Januar 2025 seine Arbeit aufgenommen. Hier soll künftig ein 24-Stunden-Dienst sicher stellen, dass es eine permanente Lagebeobachtung mit Blick auf die Entwicklung möglicher Katastrophen gibt.

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Entschuldigung für das Ahrtal? Schnieder: Ich würde es tun

Schnieder betont deshalb auch, in der Flutnacht seien erhebliche Fehler passiert, „es war ein Staats- und Organisationsversagen.“ Und deshalb gelte auch vier Jahre nach der Flutnacht noch: „Ich glaube, die Menschen warten immer noch darauf und haben es verdient, dass man sich für dieses Versagen entschuldigt.“ Das aber könne nur derjenige, der an der Spitze des Staates stehe, dabei gehe es ja nicht um eine persönliche Verantwortung, unterstrich Schnieder: „Auch wenn ich als Regierungschef die persönliche Verantwortung dafür nicht trage und wenn dort Fehler passiert sind – und das sind sie ganz ohne Zweifel – muss man sich dafür auch von Amts wegen entschuldigen können: Dieser Schritt ist bis heute ausgeblieben, und das bedaure ich sehr.“

CDU-Oppositionschef Gordon Schnieder in der Debatte im September 2024 im Mainzer Landtag. – Screenshot: gik
CDU-Oppositionschef Gordon Schnieder in der Debatte im September 2024 im Mainzer Landtag. – Screenshot: gik

Tatsächlich hatten sowohl die damalige Ministerpräsidentin Malu Dreyer, als auch ihr Nachfolger Alexander Schweitzer (beide SPD) eine solche Entschuldigung „von Staats wegen“ gegenüber dem Ahrtal bisher stets verweigert. Dreyer hatte sie abgelehnt mit dem Argument, sie könne „sich nicht für eine Naturkatastrophe entschuldigen“, Schweitzer lehnte eine Entschuldigung aber nach der Übernahme des Regierungsamtes im September 2024 ebenfalls ab, sprach stattdessen von „tiefen Narben“ durch die Flut im  Bewusstsein des Landes, von „Spuren, die sich auf die Seele gelegt haben.“ Dem Wunsch so vieler Betroffener aus dem Ahrtal nach einer Entschuldigung für die unstrittig gemachten Fehler der Behörden aber kam auch Schweitzer nicht nach.

Schnieder hatte das bereits damals in der Landtagsdebatte als schweres Versäumnis kritisiert: Es habe in der Flutnacht eben keine zentrale Abstimmung innerhalb der Landesregierung und der Landesbehörden gegeben, „keinen Krisenstab, keine Krisenschalte“, statt dessen aber „Fehlbewertungen, eklatant unterbliebene Kommunikation von Behörden, Ministern, Staatsekretären – ein planloses Krisenmanagement der Landesregierung.“ Und Schnieder, der kommendes Jahr als Herausforderer gegen Schweitzer antritt, betonte nun: „Für den Fall, dass ich das Amt im nächsten Jahr erreiche, habe ich für mich fest entschieden, dass ich das nachhole – für eine Entschuldigung ist es nie zu spät.“

Info& auf Mainz&: Unser gesamtes Dossier zur Flutkatastrophe im Ahrtal mit allen Artikeln zum Thema findet Ihr hier auf Mainz&Zum 4. Jahrestag der Flutkatastrophe im Ahrtal sendet Mainz& eine Artikelserie – wir wollen Bilanz ziehen, Entwicklungen berichten und haben Interviews geführt. Diese Teile sind bisher erschienen (wird ergänzt):

Und wer es noch nicht kennt – hier gibt es unser Buch zur Aufarbeitung aus dem Untersuchungsausschuss:

Buch „Flutkatastrophe Ahrtal – Chronik eines Staatsversagens“ arbeitet politisches Versagen in der Flutnacht auf