Für das Ahrtal gibt es auch weiter keine offizielle Entschuldigung von Seiten der Ampel-Regierung in Mainz. In seiner ersten Regierungserklärung als Ministerpräsident kündigte Alexander Schweitzer (SPD) zwar verbesserte Beratung der Landesbank ISB für die Flutbetroffenen im Ahrtal an – eine Entschuldigung für gemachte Fehler der Landesregierung kam aber auch ihm nicht über die Lippen. Die CDU-Opposition kritisierte das scharf: „Sie haben eine große Verantwortungschance heute verpasst“, sagte CDU-Fraktionschef Gordon Schnieder, die „Ignoranz“ gegenüber den Menschen im Ahrtal setze sich fort. Mainz& dokumentiert die Debatte mit Blick aufs Ahrtal. UPDATE&: Noch-CDU-Landeschef Christian Baldauf forderte am Donnerstag: „Zeigen Sie endlich Größe!
Es war die mit Spannung erwartete erste Regierungserklärung des neuen rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Alexander Schweitzer (SPD), der am 10. Juli 2024 offiziell im Landtag zum Nachfolger der zurückgetretenen Malu Dreyer (SPD) gewählt worden war. Seither stellten sich viele Menschen in Rheinland-Pfalz, im Ahrtal aber auch weit darüber hinaus die Frage: Würde „der Neue“ im Amt auch einen Neuanfang im Umgang mit dem Ahrtal wagen?
Denn drei Jahre nach der Flutkatastrophe geht der Wiederaufbau im Ahrtal nur schleppend voran, der Frust sitzt bei vielen tief – auch und gerade, weil sich auf Landesebene niemand bisher für die so eklatant gemachten Fehler in der Flutnacht und danach entschuldigt hat. Die Frage einer „Entschuldigung für das Ahrtal“ kam zum ersten Jahrestag der Flutkatastrophe 2022 auf – Mainz& hatte damals als erstes Medium darüber berichtet. Seither ist die Frage, ja die Sehnsucht danach nie mehr verstummt. Zwar mache eine Entschuldigung das Leid und die 136 Toten der Flutnacht im Ahrtal nicht ungeschehen, sie könne aber den Weg zu einem Neuanfang ebnen, so der Wunsch vieler Betroffenen.
Erste Regierungserklärung: doch eine Entschuldigung fürs Ahrtal?
Die Frage an diesem Mittwoch lautete deshalb: Würde Schweitzer in seiner ersten Regierungserklärung jenseits von Wirtschaft, Bildungspolitik und Migrationsthemen, vielleicht beim Ahrtal eine andere Richtung einschlagen? Er selbst hatte das in den ersten Interviews vor und nach seiner Wahl im Landtag durchaus so angedeutet, hatte immer wieder betont, er wolle erst Gespräche im Ahrtal führen, und „diese Frage auf mich wirken lassen.“
Am Mittwoch nun sagte Schweitzer zum Thema Ahrtal: „Die Flut hat eine tiefe Narbe im Bewusstsein unseres Landes und der Menschen hinterlassen, Spuren, die man sieht, und Spuren, die man nicht sieht, weil sie sich auf die Seele gelegt haben.“ Er nehme nach drei Jahren Anstrengungen eine tiefe Erschöpfung wahr, „ich nehme sie sehr stark zur Kenntnis, weil ich sie in vielen Gesprächen erfahren habe“, betonte Schweitzer, und wiederholte ein Versprechen: „Der Wiederaufbau im Ahrtal ist und bleibt ein Schwerpunkt der von mir geführten Landesregierung. Mir ist wichtig, dass wir allen Betroffenen die Hilfen anbieten, die sie brauchen, und sie dabei unterstützen, sie auch anzunehmen.“
Und dann kündigte Schweitzer Verbesserungen in der Beratung der für die Wiederaufbauhilfen zuständigen Investitions- und Strukturbank (ISB) des Landes an. Die ISB werde fortan bei bestimmten, komplexen Fällen, in denen die schriftliche Kommunikation nicht mehr weiterhelfe, „einen unmittelbaren Kontakt eröffnen“, sagte Schweitzer. Drei Jahre nach der Flutkatastrophe und nach unzähligen Beschwerden und Klagen über das ungeheuer bürokratische Vorgehen des ISB bei der Genehmigung von Hilfsanträgen soll es nun also erstmals „den direkten Kontakt zu den ISB-Beratern geben.“
Schweitzer kündigte Verbesserungen bei ISB-Beratung an
Man wolle das zudem auch „um Vor-Ort-Termine ergänzen, damit Menschen auch den Rat und die für ihre persönlichen Wiederaufbauthemen gute Unterstützung bekommen“, kündigte Schweitzer an. Und Schweitzer nannte aktuelle Zahlen: Danach hat die ISB bis zum 2. September 2024 insgesamt knapp 1,3 Milliarden Euro Wiederaufbauhilfen bewilligt, davon 144,5 Millionen Euro für Hausrat, rund 590 Millionen Euro für Gebäude, und rund 560 Millionen Euro für Unternehmen – nachlesen kann man die hier bei der ISB im Internet.
Für Anträge der allgemeinen kommunalen Infrastruktur seien zudem inzwischen 1.355 Anträge auf Wiederaufbauhilfen mit einem Volumen von über 957 Millionen Euro bewilligt worden, teilte Schweitzer weiter mit. Damit habe der Mittelabfluss um 50 Prozent gesteigert, die Bewilligungssumme nahezu verdoppelt werden können. Die Bewilligungsquote liege bei 99,5 Prozent – allerdings nur bei den sogenannten „vollständig vorliegenden Anträgen“.
Was Schweitzer nicht sagte: Insgesamt wurden für den Bereich Gebäude bei der ISB, 4.100 Anträge eingereicht, aber nur 3.613 bisher genehmigt – laut ISB sind nur 3.771 Anträge vollständig. Die Bewilligungsquote beträgt also hier lediglich 88 Prozent. Noch düsterer sieht es bei den Unternehmen aus: Von 907 gestellten Anträgen wurden bislang nur 673 genehmigt, bei 690 seien die Unterlagen vollständig vorhanden, heißt es bei der ISB – das entspricht einer Bewilligungsquote von 74,2 Prozent.
Frust im Ahrtal über schleppenden Wiederaufbau
„Bei dem Tempo würde es wohl weitere 27 Jahre dauern, bis alle Mittel ausgezahlt sind“, kritisierte der neue Fraktionschef der Freien Wähler im Landtag, Helge Schwab, in seiner Erwiderung auf Schweitzers Regierungserklärung – schließlich stünden im Fluthilfefonds noch immer fast 15 Milliarden Euro bereit. In der Versicherungswirtschaft seien hingegen insgesamt bereits 7,5 Milliarden Euro geflossen, die Schadensregulierung sei dort weitestgehend abgeschlossen. „Die Menschen im Ahrtal und in den Flutregionen warten noch immer auf ein Zeichen“, mahnte auch Schwab mit Blick auf eine Entschuldigung.
Im Juli gaben denn auch 72 Prozent im Kreis Ahrweiler bei einer Umfrage des SWR an, die Landesregierung werde ihrer Verantwortung für den Wiederaufbau nicht gerecht. Und 61 Prozent sagten, der Wiederaufbau sei wenig vorangekommen, 4 Prozent geben sogar an, er stehe noch am Anfang. „Die Aufgabe bleibt, an diesem Wiederaufbau engagiert dran zu bleiben, damit die Menschen sehen: sie sind nicht vergessen“, sagte Schweitzer nun im Landtag – eine Entschuldigung lieferte er ebensowenig, wie einen Blick auf Versäumnisse und Fehler in der Flutnacht des 14. Juli 2021 und danach.
„Es wäre eine Frage von Respekt und Verantwortungsbewusstsein gewesen, wenn sich Ihre Vorgängerin öffentlich für die Versäumnisse in der Flutnacht entschuldigt hätte“, kritisierte deshalb CDU-Fraktionschef Gordon Schnieder in seiner Erwiderung auf die Regierungserklärung Schweitzers, und warf dem neuen Ministerpräsidenten vor: „Ich bin betrübt, dass Sie nicht den Mut aufbringen, sich von dieser uneinsichtigen Haltung zu distanzieren, und sich stattdessen in eine Reihe stellen mit dem kollektiven Hände-in-Unschuld-Waschen dieser Landesregierung.“
Schnieder: „Was wollen Sie noch auf sich wirken lassen?“
Denn „das Versagen dieser Landesregierung“, das „schwerwiegende Staats- und Organisationsversagen des Kabinetts“ seit doch längst gut dokumentiert, betonte Schnieder, und zählte auf: „All die vielen Fehlbewertungen, die eklatant unterbliebene Kommunikation von Behörden, Ministern, Staatsekretären, die frühen Warnungen, die versandten, das planlose Krisenmanagement der Landesregierung.“ Es habe in der Flutnacht eben keine zentrale Abstimmung innerhalb der Landesregierung und der Landesbehörden gegeben, „keinen Krisenstab, keine Krisenschalte, kein Versuch, ein gemeinsames Lagebild zu erstellen, und sich proaktiv Lageinformationen zu verschaffen.“
Trotzdem habe Schweitzer in einem Zeitungsinterview gesagt, er habe sogar „Verständnis“ für die Haltung Dreyers, sich nicht zu entschuldigen, das habe ihn mehr als irritiert, kritisierte Schnieder weiter: „Sie können das gut nachvollziehen? Dass Chancen, Menschen zu warnen und zu retten, ungenutzt verstrichen – während sich Teile der Landesregierung schlafen legten?“
Seitens der Landesregierung sei „mitnichten alles getan worden, was hätte getan werden können“, betonte Schnieder, Schweitzer aber wolle „erst noch Gespräche führen, und diese auf sich wirken lassen“, zitierte der Oppositionschef, und fragte an Schweitzer gerichtet: „Herr Ministerpräsident, was wollen Sie da noch auf sich wirken lassen? Drei Jahre nach der Flut?“
Keine Entschuldigung: „große Verantwortungschance verpasst“
Es war ein Stück weg die Vorwegnahme der Debatte, die der Landtag am Freitag führen will: Ab 09.30 Uhr steht die Debatte über den Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses zur Flutkatastrophe im Ahrtal auf der Tagesordnung des Landtags. Fast fünf Stunden lang wird es dann um die Frage gehen: Wer trägt die politische Verantwortung für die 136 Toten in der Flutnacht, für nicht erfolgte Warnungen der Bevölkerung, für nicht angeordnete Evakuierungen?
Der Abschlussbericht wurde Anfang August, mitten in den Sommerferien, veröffentlicht, er enthält auch die Sondervoten der Oppositionsparteien über ihre Schlussfolgeringen aus der Beweisaufnahme – die CDU geißelt darin in klaren Sätzen das Verhalten der Landesregierung als „ausgeprägt passiv, träg und desinteressiert“, und spricht von einer “komplett ausgefallenen Führungsleistung“ sowohl im Umwelt- als auch im Innenministerium. Mit seiner Haltung stelle sich Schweitzer nun auch hinter Umwelt-Staatssekretär Erwin Manz und ADD-Präsident Thomas Linnertz, „die buchstäblich durch den Flutabend irrlichterten“, schimpfte Schnieder.
Die Opposition fordert die Entlassung dieser beiden Akteure aus der Flutnacht, beide Namen stünden „für schwerwiegende Fehler, für massive Versäumnisse des Umweltministeriums und der ADD“, betonte Schnieder nun noch einmal. Schweitzer hat indes bislang jede Forderung nach Rücktritt zurückgewiesen, stattdessen hatte er in einem Interview gesagt, der Abschlussbericht des UA habe „keine neuen Erkenntnisse gebracht.“
„Diese Aussage irritiert wirklich schwer“, warf ihm nun Schnieder vor – offenbar habe Schweitzer, der ja Mitglied der Landesregierung auch schon 2021 war, genaue Kenntnisse über sämtliche Fehler. „Diese Mainzer Regierungskoalition versucht seit dem Morgen der Flutkatastrophe, das Wissen und die Verantwortung von sich weg zu schieben“, kritisierte Schnieder, und warf Schweitzer vor: „Herr Ministerpräsident, Sie haben eine große Verantwortungschance heute verpasst. Stattdessen setzen Sie die Ignoranz der Regierung Dreyer gegenüber den Menschen im Ahrtal und den Opfern der Flutkatastrophe fort.“
Baldauf: Menschen im Land erwarten Geste der Entschuldigung
UPDATE&: Kurz vor der großen Landtagsdebatte am Freitag über den Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses zu Versäumnissen in der Flutkatastrophe, forderte CDU-Landeschef Christian Baldauf Schweitzer auf, Konsequenzen zu ziehen: „Ich erwarte von Ministerpräsident Schweitzer, dass er jetzt Größe zeigt und einen Neuanfang im Umfang mit der Ahrflut wagt“, forderte Baldauf am Donnerstag in Mainz. Spätestens wenn am Freitag der Abschlussbericht im Landtag besprochen werde, sei es Zeit für eine offizielle und aufrichtige Entschuldigung im Namen der SPD-geführten Landesregierung.
Am Mittwoch habe Schweitzer „eine große Chance dazu vertan“, bedauerte der CDU-Landesparteichef weiter: „Dabei hätte sich Schweitzers erste Regierungserklärung geradezu angeboten.“ Baldauf forderte aber auch personelle Konsequenzen: Schweitzer müsse Umwelt-Staatssekretär Erwin Manz (Grüne) und ADD-Präsident Thomas Linnertz“ wegen ihrer massiven Versäumnisse bei der Ahrflut“ entlassen, beides sei „längst überfällig.“
Der neue Ministerpräsident müssen nun den Neuanfang wagenm, und auf die Bürger und Betroffenen zugehen: „Es ist spät, aber nicht zu spät für ein öffentliches Bedauern über politische Fehler im Zusammenhang mit der Flutkatastrophe“, sagte Baldauf: „Die Menschen im Land erwarten diese Geste.“
Info& auf Mainz&: Mehr zum Thema Frust und Wiederaufbau im Ahrtal lest Ihr noch einmal hier bei Mainz&. Die Debatte am Freitag kann übrigens live im Stream des Landtags auf dessen Homepage sowie auf Youtube verfolgt werden, auch der SWR will live berichten. unsere Analyse des Abschlussberichts findet Ihr hier auf Mainz&: