Er ist einer der profiliertesten Experten für Extremismusbekämpfung in Deutschland, ein Kämpfer für Demokratie und gegen Antisemitismus, gebürtiger arabischer Israeli und streitbarer Muslim: Ahmad Mansour war am Dienstagabend im Rahmen der „Synagogengespräche“ Gast in Mainz. Von seinen Gegnern wird er angefeindet als „Islamhasser“ und „Nestbeschmutzer“, er selbst redet Klartext über die Wut und den „eingebauten Antisemitismus“ in der arabischen Welt, die „Unfähigkeit zu Selbstkritik“ von linken Parteien und warnt: Die Demokratie droht den Propagandakrieg der Hamas zu verlieren. Es brauche einen ehrlicheren Dialog der Religionen – und Gegennarrative im Netz.
Bis auf den letzten Platz war der Veranstaltungsraum in der neuen Synagoge in der Mainzer Neustadt am Dienstagabend gefüllt, rund 300 Menschen wollten hören, was dieser Mann zu sagen hatte: Ahmad Mansour, 47 Jahre alt, Psychologe und Experte für den Kampf gegen Extremismus. Der Anlass: Die Mainzer Synagogengespräche, angekündigt war ein „Gespräch mit einem Unbequemen“ – und das ist Ahmad Mansour fraglos. Seit 20 Jahren lebt er inzwischen in Berlin und hat sich als einer der wichtigsten Experten für Extremismusbekämpfung gerade in Sachen Islamismus etabliert, war Mitglied in der Deutschen Islamkonferenz.
Mansour stammt aus der Kleinstadt Tiara in Israel, ernennt sich „arabischer Israeli“, seine Religion ist der Islam. Als Jugendlicher gehört er zur Muslimbruderschaft, einer radikalen islamistischen Bewegung, die – grob gesagt – einen islamischen Staat auf der Basis der Scharia will, und jeglichen westlichen Lebensstil ebenso ablehnt wie die Gleichstellung von Mann und Frau. Mit 19 Jahren geht Mansour zum Studium nach Tel Aviv, dort beginnt der neugierige junge Mann schnell, vieles seiner Herkunft und seines Glaubens zu hinterfragen.
Mansour: „Ich habe mich für das Leben entscheiden“
„Ich war morgens ein junger, neugieriger Araber, der Party machen will, und abends ein radikaler Islamist, der zu einer Gruppe gehört, die die Welt beherrschen will“, fasste Mansour es nun bei seinem Auftritt in Mainz zusammen: „Irgendwann merkte ich, ich muss mich entscheiden – und habe mich für das Leben entschieden.“ 2004 kam Mansour nach Berlin, im Bezirk Neukölln und bei der Arbeit in Schulen merkt er: Viele seiner Einstellungen und Haltungen findet er auch bei jungen Leuten mit arabischen Wurzeln in Berlin.
Mansour begleitet Familien von radikalisierten Jugendlichen oder Aussteigern und verurteilten Terroristen aus der Islamistenszene. Von 2013 bis 2017 ist er Berater und wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der staatlich geförderten Beratungsstelle Hayat, er berät das Landeskriminalamt Berlin und wirkt als Lehrbeauftragter an der dortigen Polizeischule und an der Fachhochschule Münster – immer in Sachen Extremismus und Islamismus. 2017 gründete er „Mind Prevention“, die Mansour-Initiative für Demokratieförderung und Extremismusprävention, das Institut schult Lehrer, Polizisten, Pädagogen und Sicherheitsangestellte zu Themen wie linker und rechter Extremismus, Islamismus, Radikalisierung, Antisemitismus und Unterdrückung von Frauen im Namen der Ehre.
„Wenn ich mit jungen Menschen arbeite, sind das immer sehr schlaue Menschen, sehr sensible Menschen, die merken innerhalb von zwei Minuten, ob der Gegenüber sie ernst nimmt“, berichtet Mansour. In seinen Workshops geht es um Freiheit, um Demokratie – und um Identität. Manchmal sei ein Workshop schon mit dem ersten Satz quasi vorbei, sagt Mansour, nämlich wenn er den Satz sage: „Ich bin arabischer Israeli.“ Viele wüssten gar nicht, dass zwei Millionen Araber und auch Muslime in Israel lebten, sagt er – das Gespräch darüber öffne Türen.
„Diese Gesellschaft braucht Rebellion“: Plädoyer für aufgeklärten Islam
„Das ist keine einfache Arbeit, aber es ist eine enorm wichtige Arbeit“, betont Mansour. Denn die Jugendlichen erlebe er keineswegs uninteressiert oder apolitisch, „ich erlebe sie politisch: Sie wollen diskutieren, haben ein Haltung – man mag sie nicht mögen, aber es ist eine Haltung – sie wollen Ernst genommen werden – und wenn sie merken, dass man das tut, hat man ganz viele Chancen, diese Menschen zum Nachdenken zu bringen.“
Nachdenken, wie Mansour selbst das tat, und sein Nachdenken führte zum Infragestellen, gerade auch seiner eigenen Religion: „Ich kann auch Dinge von meinem Propheten nicht gut finden, ich kann mit Gott streiten“, sagt Mansour, und fordert einen mündigen, kritischen Umgang mit dem Islam und seiner Schrift, dem Koran. „Diese Gesellschaft braucht Rebellion“, sagt Mansour, es gelte, „eben nicht die Familie in den Mittelpunkt stellen, die Religion, den Pfarrer – sondern was ich denke, was ich möchte.“
Die Forderung nach einem aufgeklärten Islam, der kritisch mit Glaubenssätzen und Schriften umgeht, gibt es schon lange, in der Öffentlichkeit sichtbar ist diese Bewegung indes nur wenig. Die türkischstämmige SPD-Politikerin Lale Akgün plädierte etwa 2018 dafür, die Grünen-Politikerin und Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor oder die Fernsehjournalistin Düzen Tekkal gehören zu dem Kreis, alle drei gründeten ebenso wie Ahmad Mansour das Muslimische Forum Deutschlands mit, das einem humanistisch orientierten Muslimen in Deutschland eine Stimme geben will.
Hass speist sich aus Enttäuschung und Kränkung
„Wir sind in einer historischen Zeit“, sagte Mansour nun in Mainz. und warnte: „Der politische Islam ist überall, er ist auch in Europa, und er versucht sich zu behaupten.“ Bewegungen wie die Muslimbruderschaft zählt Mansour ebenso dazu wie die Terrororganisation „Islamischer Staat“, aber auch die Hamas, die mit ihrer Ideologie und ihrem Pochen auf Religiosität den Alltag der Menschen beherrsche. „Heute dominieren die Akteure des politischen Islam den Alltag in den meisten arabischen Ländern“, warnt Mansour, und er warnt: „Wenn der politische Islam einen Sieg erringt, wenn Israel den großen Machtkampf in Gaza nicht gewinnt – dann werden wir in Europa ein Riesenproblem haben.“
Denn ein Sieg der Hamas werde ein fatales Signal an radikale Muslime in aller Welt senden, das Signal, das der Sieg über den Westen möglich sei – und dass er alte Wunden heilen könne. „Mein Vater und Millionen anderer Araber sind gekränkt von Israel“, so beschreibt es Mansour. Die Kränkungen speisten sich aus zwei Gründen: Zum einen die zwei Blitzsiege des jungen Staats Israels gegen seine Nachbarn, und zum anderen sein Erfolg als freiheitlich-westliche Demokratie. „Mein Vater und seine Nachbarn, sie können das Fenster aufmachen und sehen: Wohlstand, Fortschritt, Demokratie, freie Wahlen. Sie sehen in Israel etwas, was sie nicht erreicht haben – auch das ist eine Kränkung.“
Und so gehe es eben auch um enttäuschte Hoffnungen und alte Feindbilder, „Juden und Israel geben super gute Feindbilder ab“, sagt Mansour – und der Antisemitismus sei ein unausweichlicher Bestandteil des Islamismus. „Das gehört im Paket immer mit dazu“, sagt Mansour trocken, „es war Teil meiner Erziehung. Wenn meine Mutter mich beschimpfte, beschimpfte sie die Juden“, und auch sein Vater trage diesen Hass immer weiter, obwohl „er eigentlich unglücklich ist mit diesem Konflikt, jeden Tag. Und so habe er selbst erst im Studium in Tel Aviv, weit weg von zu Hause begonnen, die alte Doktrin anzuzweifeln: „Ist es mein Schicksal, diesen Hass von Generation nach Generation weiter zu geben?“
„Es ist verdammt einfach das zu tun, was gerade ‚in‘ ist“
Mansour hat dazu Nein gesagt, doch in den Augen vieler Glaubensbrüder macht seine kritische Haltung ihn nun zu einem „Nestbeschmutzer“, einem „Islamhasser“ – Mansour lebt mit Personenschutz. „Wenn ich hier in Deutschland leben möchte, wenn das meine Heimat ist, dann will ich diese Einstellung nicht“, sagt er, „dann gehört der Abbau des Antisemitismus zentral dazu.“ Und spätestens seit dem 7. Oktober, dem Massaker der Hamas an rund 1,200 unschuldigen Israelis, merke man auch in Deutschland: Der Hass, der Antisemitismus, „sie bleiben nicht in Neukölln“, in den Vierteln der arabisch stämmigen Jugendlichen.
„Was wir nach dem 7. Oktober gesehen haben, ist nichts Neues“, sagt Mansour, es sei lediglich etwas sichtbar geworden, was vorher schon da war. „Neu ist, dass der massive Antisemitismus Leben kostet“, sagt er – und zählt auch den Terrorakt von Solingen dazu. „Wenn Juden inzwischen darüber nachdenken, Deutschland zu verlassen, dann haben wir ein Problem“, sagt er klar, denn Verfolgung fange immer bei den Juden an, „aber es endet nie bei den Juden.“ Die Entwicklung sei „super gefährlich, und wir sollten das beobachten – und Konzepte entwickeln, dem zu begegnen.“
Der Politik in Deutschland wirft er vor, „naiv“ zu sein, wegzusehen – und die Probleme des politischen Islam, des Antisemitismus unter arabisch stämmigen Menschen und dem islamistischen Extremismus viel zu lange passiv zugesehen zu haben. „Es ist verdammt einfach das zu tun, was gerade ‚in‘ ist, und ‚in‘ ist es, von Vielfalt und Diversity überall zu schreiben – aber kritische Themen auszublenden“, kritisiert Mansour. Er habe sich schon lange mit Kritik Identitätspolitik und am Postkolonialismus auseinander gesetzt, auf offene Ohren sei er damit wenig gestoßen.
Mansour: Kritische Themen in Islamgesprächen ausgeblendet
„Ich sehe jetzt eine Linke, die Menschen wie Kuscheltiere behandeln“, kritisiert Mansour. Er selbst habe viele Freunde aus dem linken Spektrum gehabt, berichtet er: „Ich habe einen nach dem anderen gehen sehen in dem Moment, wo ich politisch widersprochen habe.“ Wer aber wolle, dass Muslime zu Deutschland gehörten, dass sie Teil der Gesellschaft würden, „dann gehört die Kritik unbedingt dazu – und sie muss noch viel härter werden.“
Der interreligiöse Dialoge in Deutschland sei in den vergangene Jahren „nicht ehrlich geführt worden“, sagt Mansour: „Man hat miteinander Kaffee getrunken, aber wenn es um kritische Themen ging, hat man es ausgeblendet.“ Diese Kritik traf etwa die Islamkonferenz, von der Mansour selbst Teil war, immer wieder wurde kritisiert, dass die Bundesregierung dort auch mit türkischen Verbänden wie der Ditib am Tisch saß, deren Imame in der Türkei ausgebildet und vom türkischen Staat bezahlt werden – kritische Themen waren dort Mangelware.
Deutschland habe sich vor schwierigen Themen wie Radikalisierung, Islamisierung oder Antisemitismus weggeduckt, sagt Mansour, seine Politiker hätten keine Führungsstärke bewiesen, „Hauptsache, es entsteht kein Konflikt.“ Er sehe „keinen Führungswillen“, kritisiert er, und zeichnet ein schonungsloses Bild: „Wir haben einen Kanzler, der es perfektioniert hat, Problemen aus dem Weg zu gehen. Wir haben Schulleiter, die aus Angst vor negativem Image in Kauf genommen haben, dass nicht die Täter, sondern die Opfer die Schule verlassen müssen.“
Mansour: Kein Führungswille, Themen moralisiert
Und niemand in der Politik sei wirklich in der Lage, die „Staatsräson Israel“ und den Satz „Nie wieder ist jetzt“ wirklich zu erklären und intellektuell zu unterfüttern, klagt Mansour: „Entweder haben wir keine Führungspersönlichkeiten mehr, die bereit sind, den schweren Weg zu gehen, oder wir haben die Themen so moralisiert, dass es nur eine richtige Antwort gibt – und alles andere ist „falsch“ und radikal.“ Dabei könne es gerade Europa sein, das ein Versöhnungsprojekt zwischen Israelis und Palästinensern initiieren könne, sagte Mansour – wenn der Alltag in Gaza einmal zurückkehre, gebe es die Chance auf einen neuen Anfang, ist er überzeugt.
Doch die Politik auch in Deutschland müsse eins begreifen: „Wir haben ein Problem, das lange ignoriert wurde: der Kampf um die Freiheit“, sagt Mansour. Der politische Islam betreibe massive Propaganda in den sozialen Medien, „die Hamas hat verstanden, dass Kriege heute nicht mehr durch Panzer und Flugzeuge gewinnen werden – sondern durch Bilder.“ Die Hamas habe gewusst, dass sie mit den verheerenden Bildern aus Gaza Druck auf westliche Regierungen ausüben und die Nachbarländer Israels wie etwa Jordanien destabilisieren könne.
„Und das wollten sie“, betont Mansour: „Sie wollten Chaos stiften in Ägypten und Jordanien, dann hat man einen Ring aus Feuer rund um Israel“ – wie es im Libanon etwa schon der Fall sei. „Das heißt: Diese Emotionen sind gesteuert – und Hamas gewinnt diesen Krieg auf Tiktok.“ Die westlichen Politiker aber agierten noch immer naiv, jahrelang habe man die Hamas mit deutschen Steuergeldern gefördert, Gelder, die man jetzt in Tunnelsystemen und Raketen wiederfinde, sagt Mansour: „Gegen Propaganda kann man ganz viel tun, und wir tun viel zu wenig.“ Es brauche Gegennarrative in den sozialen Netzwerken, „um da wirklich die Leute zu erreichen, um eine Vielfalt zu schaffen“ – auch diese Forderung ist nicht neu.
Mansour: Müssen Gegennarrative in sozialen Medien schaffen
Denn verloren sei der Krieg gegen die Ideologen beileibe nicht, betont er auch: „Viele muslimische Länder haben heute ganz andere Prioritäten“, sagt Mansour. Länder wie Saudi Arabien, die Emirate am Golf oder Marokko, „die wollen Israel als Partner, die wollen sich nicht mit Palästina beschäftigen.“ Dort suche man nach neuen Zukunftsmodellen für arabische Gesellschaften, fern von Islamismus – und ohne alten Kränkungen hinterher zu rennen. „Ich werde meiner Tochter meine Kränkungen, meine Erfahrungen, nicht eins zu eins weiter geben“, sagt Mansour, und das hätten auch die Staaten am Golf verstanden: „Das ist die Hoffnung, und darüber wird in Europa viel zu wenig gesprochen.“
Die Zuschauer im Saal übrigens lauschten diesen Ausführungen höchst gebannt, am Ende gab es zahlreiche Nachfragen – doch nicht eine aggressive Wortmeldung. „Nanu, keine kritischen Fragen“, wunderte sich da selbst Mansour. Doch viele Zuhörer wollten dem Gast aus Berlin am Ende einfach für seine offenen Worte danken – oder schlicht ein Foto mit ihm. Es blieb ein zutiefst friedlicher Abend mit einem intensivem Gedankenaustausch, den der Mainzer Rabbiner Aharon Vernikovsky moderierte. Es dürfte ganz im Sinne Mansours gewesen sein: „Ich will“, sagte der noch, „eine Gesellschaft, in der alle in Frieden und Sicherheit leben können.“
Info& auf Mainz&: Mainz& dokumentiert den Abend mit Ahmad Mansour und seinen Aussagen so ausführlich, weil viele Menschen ein hohes Interesse daran haben – wir wollten auch denen Gelegenheit dazu geben, die am Dienstagabend nicht in der Mainzer Synagoge sein konnten. Eine kontroverse Debatte gab es an diesem Abend nicht, auch Raum für Journalistenfragen war nicht wirklich vorgesehen – in den Text sind aber auch Recherchen aus 20 Jahren von Mainz&-Chefredakteurin Gisela Kirschstein zu Themen wie Islamismus, Salafismus oder Kopftuchverbot eingeflossen. Mehr zu Ahmad Mansour und seiner Arbeit findet Ihr zum Beispiel hier im Internet. Mehr zum Terror der Hamas in Israel, und was am 7. Oktober 2023 wirklich passierte, könnt Ihr hier bei Mainz& nachlesen.